Was sehen Sie hier, Florian Schroeder?

Ein Gartenfest. Die Stimmung ist gelöst. Ein Mann hält eine Rede. Aber was sagt er da! Kabarettist Florian Schroeder deutet die Szene.

Die Illustration zeigt einen älteren Mann, gekleidet mit Hemd und Blazer, der eine Brille trägt, und laut etwas vor einer Gruppe Menschen vorliest
© Andrea Ventura für Psychologie Heute

„Er hatte diese Rede lange vorbereitet und darum auch alles aufgeschrieben. Eigentlich hielt er Reden wie diese immer frei, schließlich tat er das seit Jahren auf Familienfeiern. Ein rhetorisches Talent, stets mit Sinn für Lacher. Oft hieß es: Schade, dass er daraus nie mehr gemacht hat. Politiker hätte er werden sollen! Aber er war eben Prokurist.

Die gesamte Nacht hatte er an dieser Rede gefeilt. Seine Frau hätte gerne mit ihm in diesen Tag, seinen 65. Geburtstag, hineingefeiert, aber das hier war nun wichtiger. An diesem Sommernachmittag wollte er sich outen. Er hob an, die 100 Gäste warteten gespannt, was nun kommen möge. Er erzählte von all den Abenden, an denen er unter Ausreden so spät nach Hause gekommen war, seinen Kontakten zu Leuten, die ehrlicher waren als alle hier.

Und schließlich erzählte er von seinem Eintritt in die Partei Die Rechten, berichtete von seinem Hass auf all die Minderwertigen dieser Welt, die Moslemgrapscher und die Minderbemittelten aus Afrika und den ganzen Rest da unten. Man müsse unser Leben hier verteidigen – gegen Amerika genauso wie gegen den Muselmann.

Anfangs war es still, als er sprach, irritierte Blicke flogen hin und her. Doch schon bald begannen die Gäste zu lachen, manche herzhaft, andere unsicher. Er war einfach immer wieder für eine Überraschung gut – was für eine Persiflage auf manche dieser Männer in seinem Alter! Einige allerdings rätselten noch lange, ob das nur eine Art verrückter Performance gewesen sei – oder ob der größte Witz dieser Rede vielleicht der war, dass er keiner war.“

Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?

„Diese Geschichte gibt eine Erfahrung wieder, die ich immer wieder gemacht habe in den vergangenen Jahren. Menschen, scheinbar aus der Mitte der Gesellschaft, radikalisieren sich. Und diese erste Begegnung mit der Radikalisierung stimmt zutiefst befremdlich, irritierend, ja manchmal scheint sie fast schon ein Witz zu sein, ehe man hilflos feststellt, dass es doch die neue Heimat jener ehemals Vertrauter geworden ist.“

Florian Schroeder ist Kabarettist (aber auch Vortragsredner!) und erhielt 2021 den Deutschen Kleinkunstpreis. Er ­moderiert die SWR-Sendung ­Spätschicht. 2021 erschien sein jüngstes Buch Schluss mit der Meinungsfreiheit!

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2022: Das Tempo der Liebe
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