Sie haben sich für Ihre Dissertation mit Satiresendungen wie der heute show im ZDF beschäftigt. Die war in der Coronazeit so erfolgreich wie noch nie, verzeichnete 2021 Rekordeinschaltquoten. Auch andere Satireformate werden dieser Tage zuhauf geguckt. Wie erklären Sie sich diesen Humorhype?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits bietet das Humorvolle in Krisenzeiten eine Art des Eskapismus, also eine gewisse Form der Ablenkung von der Krise. Satireformate verarbeiten andererseits das tagesaktuelle…
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eine gewisse Form der Ablenkung von der Krise. Satireformate verarbeiten andererseits das tagesaktuelle Geschehen, bieten aber gerade in so einer globalen Krisensituation dafür eine Art Wohlfühlrahmung. Während der Coronapandemie gab es eine immense Flut an täglichen Nachrichten. Doch die Menschen haben in dieser Zeit nicht mehr, sondern weniger Nachrichten konsumiert. Diese waren für viele nicht mehr so leicht zu verkraften oder zu stressbehaftet. Da ist ein Format wie die heute show ideal, weil es die Zuschauerinnen und Zuschauer zwar satirisch unterhält, aber trotzdem beim tagesaktuellen Geschehen abholt.
Inwiefern?
Es wird noch mal verdaut, was an dem Tag oder während der Woche passiert ist. Da wurden zum Beispiel zu Beginn der Pandemie Alltagsthemen wie die Hamsterkäufe aufgegriffen. Natürlich hat jeder im Supermarktregal gesehen, dass kein Toilettenpapier mehr da war, also war diese Information per se obsolet. Wenn in der Sendung das Stichwort Toilettenpapier eingeworfen wurde, dann hatte das eine andere Funktion: Es sorgte so für Identifikation.
Man lachte über die absurden Hamsterkäufe, fühlte sich aber auch ein wenig ertappt in seinen eigenen Befürchtungen – und gleichzeitig entlastet. Denn man sah ja: „Ach, ich bin damit ja gar nicht allein, das geht jeder und jedem so, sogar dem Oliver Welke.“ Oder: Wir hatten alle Angst vor dem Winter und dass wir uns finanziell ruinieren könnten, wenn wir die Heizung aufdrehen. Diese Themen werden mit Humor aufgegriffen, manchmal gar ins Groteske gesteigert, und dieser Moment spendet Trost.
In der aktuellen Lage mit Krieg, Inflation, Energiekrise: Wie wichtig sind da Humor und Satire für uns?
Die Satire fungiert als Ventil. Sigmund Freud ist in der Komiktheorie eine der ganz wichtigen Größen. In seinem Aufsatz zum Witz und dessen Beziehung zum Unbewussten betont er die Entlastung. Wir können ihm zufolge damit ungewollte Emotionen abführen, uns selbst entlasten und auf diesem Weg auch schwierige Inhalte verarbeiten – und das ist natürlich in Krisenzeiten ganz wichtig. Deswegen haben Humor und Satire gerade in dieser krisenreichen Zeit Konjunktur.
Satire spielt für uns eine große Rolle, vor allem in den Momenten der Handlungsunfähigkeit. Zum Beispiel beim Ukrainekrieg: Hier finden sich die meisten von uns in der Rolle von Zuschauenden wieder. Der Krieg wühlt auf, aber man kann wenig machen und findet sich in einer gewissen Passivität wieder. Da ist Satire ein Ermächtigungsmoment. Denn was wir steuern können, ist die Reaktion auf das Dargebotene.
Satireschaffende können zudem maßgeblich dazu beitragen, Krisen zu verorten, einzuordnen, zu kritisieren – und darauf verbal zu reagieren. Das führt für uns Rezipienten und Rezipientinnen zu einer Form von Psychohygiene. Durch Satire werden wir immerhin für kurze Zeit aus der Handlungsunfähigkeit herausgeholt.
Was macht uns in dem Moment handlungsfähig? Wir sind ja trotzdem nur Zuschauende.
Schon, aber es ist ja auch eine Entscheidung, einzuschalten und gezielt Satire zu wählen. Indem wir uns dafür entscheiden, beschäftigen wir uns gedanklich aktiv mit dem aktuellen Geschehen, etwa mit der Coronapandemie, mit der Inflation oder mit den gestiegenen Kosten für Heizung und Lebensmittel. Das ist also keineswegs ein blanker Eskapismus.
Man könnte ja auch stattdessen eine Fantasyserie konsumieren. Aber nein, indem man sich eine solche Comedyshow anschaut, setzt man sich mit der Realität auseinander, zeigt sich an der aktuellen Information interessiert, allerdings mit einer etwas anderen Rahmung als in einer Nachrichtensendung. Diese satirische Rahmung kann helfen, das Geschehen zu verarbeiten.
Das war selten so wichtig wie heute. Wir sind von einer lebensbedrohlichen Krise – Corona – direkt in die nächste geschlittert, in eine höchst beunruhigende Kriegssituation mit ungewissen Konsequenzen, gerade hier in Europa. Das muss erst mal verarbeitet werden. Nachrichtensendungen sind wichtig, aber ihr Dauerkonsum erhöht eher das Stresslevel. Satire ist da eine Alternative.
Wie wichtig ist es, sich in den Moderatoren und Darstellerinnen von Satiresendungen wiederzufinden? Also wenn Oliver Welke sagt, er habe kein Klopapier mehr bekommen, was löst das bei den Zuschauern aus, außer Gelächter?
Wir wissen in dem Moment unterbewusst, dass wir alle unter der gleichen Krisensituation leiden. Es ist aber noch mal etwas anderes, wenn ein berühmter Moderator, der ansonsten eine relativ ferne Figur darstellt, Menschlichkeit und Identifikationspotenzial bietet. Das hat einem gerade in den Zeiten des Lockdowns gezeigt, dass man nicht allein ist. Dieser Kollektivitätsmoment ist wichtig.
Den gab es auch in der Sendung Late Night Berlin, die auf ProSieben läuft und von Klaas Heufer-Umlauf moderiert wird. Die Sendung konnte während der Pandemie wie viele Formate nicht mehr vor Publikum aufgezeichnet werden. Also hat der Moderator sich einzelne Freundinnen und Freunde ins leere Studio eingeladen, und statt Komik zu produzieren und Gags zu reißen, wurde mit dem Gast über das Alltagsgeschehen gesprochen, ganz lapidar.
Das war natürlich keine professionelle Komik mit vorbereiteten Gags. Und doch entstand in diesen Gesprächen über ganz alltägliche Situationen ein Komikmoment. Man hat sich wie unter Freunden gefühlt, wenn man eingeschaltet hat und sah, dass es denen ganz genauso wie mir geht. Das Lachen entstand hier nicht aufgrund von ausgefeilten Pointen, sondern es war eine Situationskomik, wie wir sie aus Gesprächen im Freundeskreis kennen. Das entlastet.
Lachen wir durch die turbulenten Zeiten über andere Dinge als vielleicht noch vor der Coronapandemie? Oder lachen wir vielleicht über manches nicht mehr?
Auf jeden Fall. Satire und politischer Humor sind heute ganz wesentlich. Blödeleien oder Klamauk sind vor dem Ernst der Situation in den Hintergrund geraten. Früher hat man abends durchgezappt und hier und dort Wiederholungen von Stand-up-Auftritten gesehen, wo etwa Mario Barth sich über die Unterschiede von Mann und Frau auslässt. Das, so kommt es mir vor, ist in den letzten Jahren rar geworden – vielleicht aufgrund von bewussten Programmentscheidungen bei den TV-Sendern. Auch beobachte ich, dass Humor, der auf kulturellen Unterschieden aufbaut, weniger geworden ist.
Da gab es früher eine iranische Stand-up-Komödiantin, die über Kulturstereotype gesprochen hat, oder einen polnischen Comedian, der auch als Pole in seiner Stand-up-Persona aufgetreten ist und ausschließlich über Klischees geredet hat. So etwas sehen wir jetzt kaum. Das kann neben Debatten um kulturelle Klischees daran liegen, dass es sich eben um globale Krisensituationen handelt und man sich eher als globale Bevölkerung sieht. Da rücken kulturelle Unterschiede in den Hintergrund.
Also ist der Humor auch ein Stück ernster geworden.
Definitiv. Mein Doktorvater und ich haben auch festgestellt, dass viele Satireformate harmloser geworden sind, wir haben oft den Begriff „Satire light“ erwendet. So eine richtige Bissigkeit hätte in der Coronapandemie nicht so gut funktioniert – und das wäre wohl auch heute noch so. Die Zuschauerinnen wollen nicht aufgestachelt und dadurch in Stress versetzt werden, sondern sie suchen einen Beruhigungsmoment, eine Entlastung, wenn sie die Sendungen einschalten. Die Satire hat dadurch zugegebenermaßen an Kraft verloren.
Gleichzeitig richten die Sendungen weiterhin ihren Fokus auf Missstände. Kann Satire dadurch nicht auch ein bisschen mürbe und vielleicht sogar zynisch machen?
Ja, wobei gegen diesen kollektiven zynischen Zustand nicht wirklich etwas spricht. Der ist sozusagen krisengemacht. Vor zweieinhalb Jahren war unsere Wahrnehmung von Nachrichten auch noch eine ganz andere als heute. Wir haben gelernt: Das ist jetzt so, wir befinden uns in einer Krise und die hört auch irgendwie nicht auf. Da entsteht ein gewisser Zynismus und deshalb ist auch Komik in Krisensituationen auf jeden Fall von Zynismus geprägt.
In Ihrer Dissertation haben sie auch Satiresendungen in den USA untersucht und festgestellt, dass diese einen großen Zuwachs an Vertrauen genossen haben – in dem Vergleich zu regulären Nachrichten.
Genau, das haben auch andere wissenschaftliche Erhebungen so festgestellt. In den USA herrschte während der Pandemie eine besondere Situation. Sie begann, als Donald Trump an der Macht war. Gerade in Krisensituationen möchte man als Bürgerin oder Bürger, dass die politische Leitfigur Vertrauen und Kompetenz ausstrahlt und man das Gefühl hat, gut aufgehoben zu sein. Das war mit Donald Trump, der massive Verständnisprobleme in Bezug auf gesundheitliche Vorgänge hatte, schwierig. Die Bevölkerung ist quasi im Schock zurückgeblieben bei seinen vielen falschen Aussagen – wie etwa der, dass man ja Desinfektionsmittel trinken könne.
Die Late-Night-Shows in den USA befanden sich auch deshalb in einer ganz anderen Ausgangslage als die in Deutschland. In den USA herrschte damals ein extremes politisches Versagen, weshalb sich die Zuschauerinnen und Zuschauer noch stärker als hierzulande in die Satire geflüchtet haben. Dort fanden sie Trost, aber auch Information. Dort wurde oftmals mit Fakenews aufgeräumt. In Deutschland war das in diesem Maße nicht notwendig.
Irgendwann haben die US-Moderatoren ja nicht nur Witze gemacht, sondern begonnen, Lösungen zu schaffen, ganz klare politische Statements abzugeben und symbolische Aktionen zu starten.
Man sieht daran, welchen Stellenwert Satire gewinnt, wenn sie sich selbst in ihrer Daseinsberechtigung hinterfragt. Es schien in der Pandemie nicht mehr genug, die Lage nur zu kommentieren. Die Moderatoren haben deshalb nahezu flächendeckend die Ebene der Kommentation verlassen und sind aktiv geworden, um etwas zu verändern.
Trevor Noah, der ehemalige Moderator der Daily Show, hat beispielsweise in jeder Episode in der Coronazeit Spenden für verschiedene Wohltätigkeitsprojekte gesammelt. John Oliver, der Moderator von Last Week Tonight, hat angesprochen, wie wichtig Sportveranstaltungen für Kinder als Ausgleich in der Krise sind, und dann ein Sportevent maßgeblich gesponsert, das in der Coronazeit möglich war, eine Art Murmelrennen. Das war dann etwas, worüber die Kinder und Jugendlichen reden konnten, ein Sport, aber ohne Menschen und Gesundheitsrisiken.
Satire ist in den USA also im echten Leben angekommen, hat quasi Politik gemacht. Wie nahe stehen sich denn Satire und die Politik in Deutschland?
Satire arbeitet immer mit Politik. Per definitionem tritt Satire nach oben. Bei Sendungen wie der heute show ist es auch oft Bestandteil, dass Komikerinnen und Komiker ins Parlament gehen und nach dortigen Sitzungen Politikerinnen und Politiker interviewen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Da geht es etwa um die Verkehrswende, die Coronapolitik oder die Außenpolitik in der Ukrainekrise.
Auf diese Weise kann Satire dazu beitragen, gewisse Themen in der Politik präsent zu halten, indem sie immer noch mal nachfragt, nachstichelt und sich nicht mit typisch nichtssagenden Aussagen des Politikbetriebs zufriedengibt. Die Satire lässt nicht locker und kann somit Einfluss nehmen. Das kann dazu führen, dass die Politik gezwungen ist, weiterzumachen, zu agieren, weiterzudenken.
Inzwischen sind manche Mitarbeitende von der heute show schon bei den Politikerinnen und Politikern bekannt, so dass manche direkt auf sie zugehen: „Ach, Sie schon wieder. Ja, was gibt es denn heute zu meckern?“ Hier entsteht eine andere Art Nähe zwischen Politik und Satire.
Es gibt immer wieder auch Männer und Frauen aus Satire und Komik, die tatsächlich in die Politik wechseln. Wie kommt es dazu?
Ich denke, da gibt es zwei Richtungen. Die eine sieht man in Deutschland mit Martin Sonneborn, der eine eigene Partei gegründet hat und im Europaparlament vertreten ist. Sonneborn ist eher ein Unruhestifter, der nicht wirklich ein reales Politikprogramm liefert. Er steht noch ganz klassisch für die Satire, sein Mitmischen in der Politik steht im Dienste dieser.
Und die andere Richtung?
Als Satiriker, als Satirikerin ist man dadurch, dass man Tagesaktuelles verarbeitet, immer nah am politischen Geschehen und den Missständen. Da kann es sein, dass man als komikschaffende Person mit Blödeleien an seine Grenzen gerät und sagt: „Hier muss wirklich etwas passieren.“ So war es bei dem heutigen Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj.
Wollen die meisten Satirikerinnen und Satiriker also etwas bewegen und nicht nur unterhalten?
Gerade wenn man politische Satire macht, ist man stark involviert ins aktuelle Geschehen. Das ist ihre Daseinsberechtigung, Satiriker sind Kritiker. Das bedeutet: Sie sind mit den politischen Verhältnissen, so wie sie sind, nicht einverstanden. Wenn man Satire macht, ist also immer auch eine Unzufriedenheit da und der Wunsch nach Veränderung. Dabei kann es sein, dass man an seine Grenzen stößt.
Deswegen gab es in den USA in der Coronapandemie so viele Aktionen aus Comedykreisen. Es gab keine Hoffnung auf eine politische Wende, also dass Donald Trump doch noch versteht, wie das Virus und der Körper funktionieren. Die Situation war ausweglos, so dass die Männer und Frauen in der Satire gar keine andere Wahl hatten, als selbst etwas zu verändern.
Wird uns angesichts der heutigen Vielzahl an Krisen nicht doch irgendwann das Lachen vergehen?
Nach den Anschlägen auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Frankreich kam die Frage auf: Kann man jetzt noch Satire machen? Sollten wir nicht zumindest mal kurz pausieren? Oliver Welke von der heute show hat damals in der Sendung gesagt: „Das dürfen wir jetzt nicht machen!“, und damit Widerstandskraft gezeigt. Und auch ich meine: Satire und Komik hören nicht auf, erst recht nicht in einer Krise, sondern sie nehmen sogar noch mal Fahrt auf. Sie verändern sich vielleicht, aber sie werden weiterhin eine wichtige Rolle in der Gesellschaft einnehmen.
Jennifer Neumann ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Für ihre Dissertation beschäftigt sie sich mit Late-Night-Shows in Deutschland und den USA.