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Psychologie nach Zahlen: Warum ekeln wir uns vor schleimigen Krabbeltieren oder fremden Haaren im Hotelzimmer? Sechs alltägliche Auslöser von Ekel

Die Illustration zeigt eine Frau, umgeben von ekelerregenden Dingen wie einem vergammelten Apfel oder einer Ratte
Vorsicht Ansteckungsgefahr: Wir ekeln uns vor allem, was infektiös sein könnte © Till Hafenbrak

Ekel ist eine heftige Empfindung. Nach einer plausiblen Theorie entwickelte sich dieser Abscheu in der Evolution als Schutzreflex, der uns unwillkürlich auf Distanz zu potenziellen Infektionsherden hält. Die Londoner Hygieneforscher Val Curtis und Mícheál de Barra sind jüngst der Frage nachgegangen, ob unsere Ekelempfindungen sich nach diesen Ansteckungsquellen sortieren lassen. Gibt es also für jeden Infektionsweg eine jeweils typische Sorte von Ekel? Um das herauszufinden, entwarfen Curtis und de Barra 75 Alltagsszenarien mit potenzieller Ansteckungsgefahr, etwa: „Beim Kämmen benutzen Sie versehentlich die Hundebürste“ oder „Sie öffnen Ihr Frühstücksei und entdecken darin den Fötus eines Kükens“. Diese Beschreibungen präsentierten sie online 2742 Teilnehmern, die jeweils auf einer Skala markierten, wie eklig sie die Szene fanden. Eine statistische Analyse durchforstete die Daten dann nach zusammenhängenden Strukturen. Sechs Arten von ekelerregenden Signalen wurden so ermittelt.

1 Schleimiges Getier

Die Pest wurde im Mittelalter über Flöhe von Ratten auf den Menschen übertragen. Stechmücken verbreiten gefährliche Erreger wie das Zikavirus oder den einzelligen Parasiten Plasmodium, der Malaria hervorruft. Als klassische Infektionsquelle sind vor allem kleine krabbelnde oder schleimige Tierchen die Protagonisten mannigfacher Ekelszenarien. Stellen Sie sich vor: „Sie sind barfuß unterwegs und treten versehentlich auf eine Schnecke, die unter ihren Füßen zerquetscht wird.“ Oder: „Nachdem Sie eine Wette verloren haben, müssen Sie einen dicken, zappelnden Wurm für 60 Sekunden in der Hand halten.“ Oder dies hier: „Als Sie das Gehäuse Ihrer Schreibtischlampe öffnen, stellen Sie fest, dass sich dort Hunderte von Insekten versammelt haben.“ Szenen wie diese wurden von den männlichen Probanden als mäßig, von den weiblichen hingegen als ziemlich eklig empfunden. Frauen gaben übrigens in allen sechs Kategorien heftigeren Ekel zu Protokoll, bei Tierkontakten der unappetitlichen Art war die Geschlechtsdifferenz indes besonders deutlich.

2 Verdorbene Nahrung

Bei verrotteten Lebensmitteln ist Gefahr in Verzug. Daher verwundert es nicht, dass Szenen dieser Art überdurchschnittlich starken Ekel hervorriefen. Gut, es mag noch angehen, wenn Sie eine „Eiscreme mit Zwiebelaroma“ verzehren oder versehentlich „in die weiche braune Stelle eines Apfels beißen“. Doch wenn Sie „klumpige umgeschlagene Milch über Ihr Müsli gießen“ oder „einen pelzigen grünen Fleck auf dem Brotlaib entdecken“, dann hört der Spaß auf.

3 Veränderte Körper

Es ist grausam und unmenschlich, doch wenn wir Artgenossen sehen, denen ein Bein, ein Arm, ein Ohr fehlt oder deren Körperschema auf sonstige Weise stark von der Norm abweicht, reagieren wir reflexhaft mit dem Impuls, uns fernzuhalten. Natürlich können und sollten wir diese Scheu vor einer, so die Forscher, „atypischen Erscheinung“ leicht überwinden. Doch zunächst ist diese instinktive Abwehr da, etwa in Situationen wie diesen: „Sie schütteln jemandem die Hand, dem ein Daumen fehlt.“ „Sie teilen den Aufzug mit einem Mann, der ein entstelltes Gesicht hat.“ „In einer Gruppe bemerken Sie eine Person mit einer leeren Augenhöhle.“ Zur Ehrenrettung: Szenarien dieser Kategorie wurden von den Probanden nur als wenig ekelauslösend eingestuft.

4 Schäbige Hygiene

Als hochgradig ekelerregend wird hingegen unhygienisches Verhalten empfunden. Ausdünstungen und Ausscheidungen zählen eben nicht zu den Attributen, die wir an unseren Mitmenschen über die Maßen schätzen. Zum Beispiel: „In der U-Bahn sind Sie gezwungen, nah bei einem Menschen mit Körpergeruch und fettigen Haaren zu stehen.“ „Sie müssen mitanhören, wie jemand permanent schnieft und den Schleim hochzieht.“ „Als Sie den Türgriff berühren, spüren Sie etwas Klebriges.“ „Während Sie eine Gasse entlangschlendern, sticht Ihnen ein scharfer Geruch von Urin in die Nase.“ Und wenn wir schon beim Thema sind: „Auf der Toilette finden Sie Exkremente vor, die nicht hinuntergespült worden sind.“

5 Nässende Wunden

Die Auslöser dieser Kategorie, die die heftigsten aller Ekelreaktionen hervorbringt, umfassen nach den Worten von Curtis und de Barra „Stimuli, die mit Anzeichen von Infektionen an der Körperoberfläche wie Bläschen, Furunkel oder Eiterbeulen verbunden sind“ – mit besonderem Augenmerk auf die Genitalien: „In einer Arztsendung im Fernsehen sehen Sie Bläschen auf dem untersuchten männlichen Glied.“ „Sie beobachten, wie Eiter aus einer genitalen Wunde dringt.“ Oder etwas harmloser: „Sie schauen einer Schwester beim Verbandswechsel zu und erblicken darunter eine nässende Wunde.“ „Ein Kollege hat sich eine Augeninfektion zugezogen; das Auge ist fast zugeschwollen und nässt fortlaufend.“ Dramatischer, aber auch distanzierter: „Ein Wachsmodell im Medizinmuseum veranschaulicht die äußeren Zeichen von Syphilis auf dem männlichen und weiblichen Körper.“

6 Riskanter Sex

Erstaunlicherweise rufen nicht nur sichtbare Indizien sexueller Infektion, sondern bisweilen bereits „Verhaltensweisen, die promiskuitive sexuelle Aktivitäten betreffen“, Ekelreaktionen hervor – auch wenn diese vergleichsweise schwach ausfallen, bei den weiblichen Teilnehmern allerdings wiederum stärker als bei den Männern. Beispiele: „Sie hören von einer Frau, die am selben Tag Sex mit sieben Personen hatte.“ „Eine Straßenprostituierte bietet Ihnen Sex für Geld an.“ „Direkt nachdem Sie jemand kennengelernt haben, kommt es zum Sex in Ihrer Wohnung.“ „Sie stellen fest, dass Ihr Lebenspartner bezahlten Sex hatte.“ Bei solchen eher riskanten Sexpraktiken spielt wohl ebenfalls die Angst vor Ansteckung eine ekelvermittelnde Rolle. Womöglich ist hier aber auch moralische Abwertung mit im Spiel. Denn Ekel und soziale Ächtung hängen evolutionär zusammen, wie die Autoren vermuten: „Ein System, das einen veranlasst, sich von Artgenossen fernzuhalten, die eine potenzielle Quelle von Infektionen sind, könnte auch dazu eingespannt werden, sich von denen zu distanzieren, die soziale Verstöße begehen.“

Val Curtis, Mícheál de Barra: The structure and function of pathogen disgust. Philosophical Transactions of the Royal Society B, 373/1751, 2018. DOI: 10.1098/rstb.2017.0208

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2019: Paare im Stress
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