Bin ich wichtig?

Wir wollen wissen, ob unser Leben über die eigene Existenz hinaus bedeutsam ist. Warum ist das so?

Die Illustration zeigt eine Person, die von Planeten umkreist wird und sich wünscht, für andere wichtig und bedeutsam zu sein
© Joni Majer

Über die Frage, was ein sinnvolles Leben ist, zerbrechen sich Philosophen und Theologen schon seit Jahrtausenden den Kopf. Sie bieten – je nach Herkunft – verschiedene Antworten an: Der Glaube an einen Gott kann das Leben sinnerfüllt machen. Das Leben zu genießen kann manchem wichtig sein, andere brauchen das Gefühl, geliebt zu werden, sehen in Kindern den Sinn ihres Lebens oder suchen sich eine Arbeit, die sie erfüllt. Welche Antwort man sich auch selbst gibt: Es ist wichtig für die Psyche, das Leben sinnvoll zu finden.

Aber was beurteilen Menschen genau, wenn sie über den Sinn ihres Lebens nachdenken? Gibt es eine gemeinsame Überzeugung, die es erst möglich macht, einen Sinn zu sehen, worin auch immer dieser dann besteht? Die Psychologen Vlad Costin und Vivian L. Vignoles von der britischen University of Sussex griffen jüngst ein Konzept auf, das sehr hilfreich ist, um zu verstehen, wie Menschen ihrem eigenen Leben Sinn verleihen: Es ist das Gefühl, wichtig zu sein. Dabei handelt es sich nicht um Selbstwertgefühl, Zugehörigkeit oder das Bedürfnis, einzigartig zu sein – diese drei sind vielmehr die positive Folge des Gefühls, in der Welt eine Bedeutung zu haben.Bevor wir entscheiden, ob wir unser Le­ben sinnvoll finden, denken wir offenbar darüber nach, ob es auch über unsere eigene Existenz hinaus bedeutsam ist. Offenbar wünschen sich viele, dass ihr Leben an und für sich wichtig ist, einfach weil es da ist. Sie denken dabei an die unermessliche Größe des Weltalls, an die Tatsache, dass die Menschheit im Vergleich dazu so winzig ist, und möchten trotzdem ihre Existenz bedeutsam finden, zu diesem Schluss kommen die Psychologen.  

Vlad Costin und Vivian Vignoles waren bei der Konzeption ihrer Studien anfangs von einer anderen Vermutung ausgegangen: Sie glaubten, dieses existenzielle Gefühl, in den Weiten des Universums wichtig zu sein, sei nur ein kleiner Teil unseres Bedürfnisses nach Sinn. Deshalb definierten sie unser Sinngefühl zunächst als eine Summe aus verschiedenen einzelnen Gefühlen: Dazu gehöre etwa Kohärenz, ob wir unser Leben also als stimmig empfinden. Dann, ob wir ein übergeordnetes Ziel im Leben haben, wie etwa Kinder oder Beruf. Es umfasste drittens die Frage, ob wir das Gefühl haben, unser Leben sei so bedeutsam wie das Leben der anderen Menschen.

Kleine Menschen im großen Universum

Diese drei Aspekte ließen sich zu einem übergeordneten Sinngefühl addieren, so die Annahme der Forscher. Doch offenbar verhält es sich anders: Diejenigen Probanden, die kein Gefühl von universeller Bedeutsamkeit über die eigenen Grenzen hinaus hatten, berichteten auch nicht von Kohärenz oder übergeordneten Zielen. Das heißt umgekehrt: Nur diejenigen Probanden, die ihr Leben im existenziellen Sinn, also über die eigene Existenz hinaus für bedeutsam hielten, fanden es sinnvoll. Offenbar ist das Gefühl der Wichtigkeit der eigenen Existenz im Universum eine psychologische Voraussetzung dafür, dass wir in unserem persönlichen Leben einen Sinn sehen können. Diesen Zusammenhang fanden die Psychologen unabhängig von Geschlecht, Religion oder Alter und anderen Kriterien.

Der Psychologe Gordon L. Flett hat dem Thema Wichtigsein ein ganzes Buch gewidmet: The Psychology of Mattering. Er kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Costin und Vignoles: Nur wer das Gefühl hat, im Leben wichtig zu sein, erlebt sein Leben auch als sinnvoll. Aus der Sicht dieses Forschers geht es dabei aber ausschließlich darum, anderen Menschen wichtig zu sein. Dies werde leicht mit dem Gefühl der Zugehörigkeit verwechselt, schreibt Flett, aber es bedeute mehr: Wer das Gefühl habe, wichtig zu sein, dem gelinge es, eine innere Balance zu finden zwischen persönlicher Autonomie (agency) und seiner Fürsorge und Kooperationsbereitschaft anderen gegenüber (community), also dem Gefühl, zu ihnen zu gehören.

Auf der Prioritätenliste der Eltern weit hinten

Dieses Gefühl, anderen etwas zu bedeuten, stellen wir sehr schnell infrage, selbst bei kleinen Nachlässigkeiten anderer beginnen wir zu zweifeln, berichtet Flett. For­schungen belegten etwa, dass Schulkinder sich schnell unwichtig fühlen, wenn der Lehrer ihren Namen einmal vergessen hat. Und Kinder, deren Eltern sehr beschäftigt sind, quält es, wenn sie den Eindruck haben, unwichtig zu sein, also auf der psychologischen Prioritätenliste der Eltern zu weit hinten zu stehen. In der Arbeitswelt wünschen wir uns, für das Unternehmen und für Kollegen wichtig zu sein, unabhängig davon, ob uns alle Kollegen gleichermaßen sympathisch sind.

Wir alle neigen dazu, so Flett, uns die Frage nach unserer Bedeutung immer wieder selbst zu stellen und zu beantworten. Unsere Mitmenschen scheinen wir unentwegt in dieser Hinsicht zu taxieren: Sind wir ihnen immer noch wichtig? Wie sehr hängen andere von uns ab? Und würden andere uns vermissen, wenn wir einmal nicht mehr da wären?

Wie die Antworten individuell auch ausfallen: Die Studien von Costin und Vignoles zeigen, dass viele von uns wissen wollen, ob unser Leben über die engen Grenzen der eigenen Existenz hinaus von Bedeutung ist – und wie wichtig eine positive Antwort auf diese Frage ist.

Vlad Costin, Vivian L. Vignoles: Meaning is about mattering: Evaluating coherence, purpose, and existential mattering as precursors of meaning in life judgments. Journal of Personality and Social Psychology, 2019. DOI: 10.1037/pspp0000225

Gordon L. Flett: The psychology of mattering. Understanding the human need to be significant. Academic Press, London 2018

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 1/2020: Bilder der Kindheit
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