Halbzeit

Scham, Angst, Gelassenheit, Zuversicht: Drei hilfreiche Bücher über Frauen in der Lebensmitte – und die Zeit danach.

Die Hälfte ist gelebt. Wo stehen wir im Spiel des Lebens? Die Kinder sind aus dem Haus. Das Wohlbefinden nimmt ab und die erotische Anziehungskraft scheint zu schwinden. „Ich schäme mich für das, was ich bin: eine alternde Frau“, schrieb Doritt Cadura-Saf 1981 in ihrem Buch Das unsichtbare Geschlecht. 2014 behauptete Bascha Mika in ihrem Buch Mutprobe, dass Frauen aufgrund ihres Alters nicht mehr wahrgenommen würden.

2021 widerspricht Valerie Niehaus, Schauspielerin: „Ich sitze im leeren Nest, aber ich habe nicht das Gefühl zu verschwinden, im Gegenteil: Ich werde mehr und mehr sichtbar.“ Wer die mediale Debatte verfolgt, reibt sich die Augen: Ist das Glas nun halbleer oder halbvoll? Wie fühlen sich Frauen in der Lebensmitte? Darcey Steinke (Fliegende Hitze) und Susanne Beyer (Die Glücklichen) kommen zu gegensätzlichen Bewertungen. Der Ratgeber Stürmische Zeiten von Irene Fellner bietet Lebenshilfe für Frau­en, die „in die Jahre“ kommen.

Feministischer Grundton

Sie sei im ländlichen Virginia zur Weiblichkeit erzogen worden, schreibt Darcey Steinke. „Etwa alle zehn Jahre mache ich entweder eine Therapie oder ich schreibe ein Buch, um mir auf eine neue Art die Geschichte meines Lebens zu erzählen.“ Ihre Erzählung ist vielschichtig. Der Grundton ist feministisch. Es werden biografische Elemente verwoben mit den Aspekten einer Kultur-, Sozial- und Wissenschaftsgeschichte. Steinke bilanziert, dass die Wechseljahre „durch einen männlichen Blick voller Unverständnis und ­Abscheu gefiltert“ wurden.

Derzeit werde sie von Ängsten geplagt, auch von der Angst vor dem Alter. Um sich selbst besser verstehen zu lernen, sucht sie nach Analogien in der Tierwelt, etwa bei den Walen, Elefanten und Gorillas. Die Menopause der Gorillas sei ausgeprägter als die der Elefanten. Noch sei nicht ganz klar, weshalb sich die Menopause evolutionär durchgesetzt habe, aber einsichtig sei die These, dass die älteren Weibchen für das Überleben der Art wichtig waren, weil sie über große Erfahrung bei der Nahrungssuche verfügten. – Ein zwischen Sachbuch und Essay changierendes Buch, spannend, weil es die Lebensmitte aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.

Fokus auf Positives

Im Kontrast dazu steht das Buch von Susanne Beyer. Sie verengt die Perspektive, will nur Positives erkennen. Es sei falsch, in die Klagen über das Altern einzustimmen. Heute seien die Frauen in der Lebensmitte glücklicher denn je. Die Journalistin hat 19 Frauen porträtiert und kommt zu dem Schluss: Es herrsche „Gelassenheit, eine freudige Überraschung“. Eine neue Frauengeneration sei in der Lebensmitte angekommen, die „in dem Bewusstsein von Selbstwirksamkeit voller Zuversicht in die Zukunft blicken kann“.

Wir lernen beispielsweise eine Professorin kennen, die in Oxford lebt und rundherum glücklich ist. Oder eine Olympionikin, die mit 56 Jahren ihr Leben noch mal umkrempelt. Oder das Supermodel Claudia Schiffer – eine Schönheit ohne Verfallsdatum, die heu­te Antiquitäten sammelt. Ein krasser Gegensatz dazu – allerdings findet sich nur eine einzige derartige Biografie – das Leben von Olga Schmidt, die von der Altenpflegehelferin zur Intensivkrankenschwester aufsteigen will, doch die erkennt: „Wer ausgebrannt ist, kann nicht mehr fürsorglich sein.“

Es sei den Frauen durchaus bewusst, schreibt die Autorin, dass sie ihr Selbstbewusstsein auch der Frauenbewegung verdankten. Der Feminismus von heute sei ohne deren Radikalität nicht möglich gewesen. Auffallend ist jedoch der Unterschied: Diese „Glücklichen“ kämpfen nicht mehr für eine bessere Welt, sondern für ihr eigenes besseres Leben – fernab jeder Solidarität. Begrenzungen und die Erfahrungen des Älterwerdens werden schlicht ausgeblendet.

Ein tiefes Tal

Zur Klientel von Irene Fellner gehören diese „Glücklichen“ nicht. Die „Expertin für Frauen in der Lebensmitte, Spezialistin für Neuorientierung, Lehrerin für Persönlichkeitsentwicklung, Coach, Trainerin und Seminarleiterin“ leugnet nicht, dass auch die Jahre ab fünfzig wundervoll sein können. Doch sie nimmt wahr, dass Frauen „überall in ein tiefes Tal“ geraten. Ihre spezielle Zielgruppe sind Mütter, „die sehr bewusst ihre Karriere zurückgestellt haben, um ihren Kindern ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken“.

Wenn dieses sinnstiftende Element der Biografie wegfalle, zerbreche eine bis dahin heile Welt. Diese Frauen setzten sich auch von der Frauenbewegung ab, weil dort „männlich agierende Frauen“ dominierten. Im Zentrum des Ratgebers steht ein Fünf-Stufen-Programm, das über Selbsterforschung, Selbstlenkung, Selbstoptimierung zu einem erfüllten und glücklichen Leben führen soll. Glück ist nach dieser Betrachtungsweise eine Sache des Willens und der eigenen Entscheidung. Das Buch kann hilfreich sein für Frauen, die sich durch die Veränderungen in der Lebensmitte verunsichert fühlen und die Kraft aufbringen, sich selbst zu coachen.

Halbzeit. Ist das Glas nun halbvoll oder halbleer, wenn Frauen in der Lebensmitte angekommen sind? Nach der Lektüre der Bücher kann man verallgemeinern, dass Frauen, die aus der traditionellen Rolle herausgewachsen sind und ökonomisch weitgehend unabhängig agieren können, häufiger ein halbvolles Glas vor sich sehen als solche, die am weiblichen Rollenverhalten festhalten.

Literatur

Darcey Steinke: Fliegende Hitze. Die Wechseljahre neu erzählt. Aus dem Amerikanischen von Eva Kemper. Aufbau, Berlin 2021, 223 S., € 22,–

Susanne Beyer: Die Glück­lichen. Warum Frauen die Mitte des Lebens so großartig finden. Blessing, München 2021, 223 Seiten, € 22,–

Irene Fellner: Stürmische Zeiten. Ein Wegweiser durch die Umbruchjahre der Lebensmitte. Kailash, München 2021, 416 S., € 22,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2021: Egoisten
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