Therapie, die verschlimmert

Psychotherapie ist hilfreich. In den meisten Fällen. Bis zu zehn Prozent geht es danach allerdings schlechter. Nicht selten liegt es am Therapeuten.

Eine Klientin liegt bei einer Behandlung bei ihrem Therapeuten auf der Couch, während er auf einem Sessel sitzt und zuhört
Bei vielen schlägt die Therapie einfach deshalb nicht an, weil ihr Therapeut nicht so gut ist, wie er sein könnte. © Malte Mueller/Getty Images

Wenn es um ihre beruflichen Fähigkeiten geht, bersten Psychotherapeuten schier vor Selbstbewusstsein. Im Schnitt halten sie sich für besser als 80 bis 90 Prozent ihrer Kollegen. Das ist natürlich mathematisch unmöglich. Doch so viel Selbstüberschätzung schlug dem Therapieforscher Michael Lambert von der Brigham Young University und seinen Mitarbeitern entgegen, als sie 129 niedergelassene Psychologen, Psychiater und sonstige Therapeuten um eine Selbsteinschätzung baten. Eine solide Mehrheit schmeichelt…

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und sonstige Therapeuten um eine Selbsteinschätzung baten. Eine solide Mehrheit schmeichelt sich, dass es mindestens 80 Prozent ihrer Patienten nach ihrer Behandlung besser gehe, eine starke Minderheit tippt sogar auf mindestens 90 Prozent. Fast die Hälfte glaubt, dass es keinem ihrer Patienten nach der Behandlung schlechter geht, und schrieb allen Ernstes „0 Prozent“ in den Fragebogen.

Ein gewisser beruflicher Stolz ist durchaus angemessen. Immerhin können Psychotherapeuten etwa drei Viertel ihrer Patienten durchaus helfen (siehe Interview unten). Bei einem Viertel allerdings richten sie wenig aus. Doch das wollen sie sich nicht eingestehen. Mit etwa fünf bis zehn Prozent der erwachsenen Patienten geht es in der Therapie sogar weiter bergab, bei Kindern und Jugendlichen gilt das für doppelt so viele.

Einem Teil dieser Unglücklichen ist mit heutigen Mitteln wohl leider nicht zu helfen. Doch bei vielen schlägt die Therapie einfach deshalb nicht an, weil ihr Therapeut nicht so gut ist, wie er sein könnte. In ihren Tagträumen sind die meisten Psychoheiler fantastisch, doch nur einige sind es auch in der Wirklichkeit. Und manche sind so schlecht, dass sie kaum jemandem wirklich helfen können. Ihre Erfolgsraten liegen dramatisch unter denen der Könner. Natürlich gibt es in allen Berufen Spitzenkräfte und Überforderte. Doch auch von den Brötchen eines schlechten Bäckers wird man satt. Ein schlechter Therapeut aber schadet oft mehr, als er nutzt.

Schon vor vierzig Jahren illustrierte eine kleine Untersuchung drastisch, wie unterschiedlich Therapeuten das Leben ihrer Patienten prägen können. Damals berichtete der Forscher David Ricks vom Schicksal 28 schwer gestörter Jungen. Sie fühlten sich so ängstlich, verletzlich und isoliert, dass sie es fast nicht aushielten. Jeder Junge wurde von einem von zwei Therapeuten einer großen Beratungseinrichtung behandelt. Als Erwachsene litten 27 Prozent der früheren Patienten des einen Therapeuten an einer schweren psychischen Störung. Doch von den ehemaligen Patienten des anderen Therapeuten erlitten 84 Prozent dieses Schicksal. Den erfolgreichen Therapeuten nannten die Jungen „Supershrink“ – Superseelenklempner. Ricks behielt den Titel bei. Den anderen Therapeuten tauften die Forscher später „Pseudoshrink“.

Es gibt die Supershrinks – aber auch viele Versager

Ricks Bericht legt nahe, warum der eine erfolgreich war und der andere nicht: Der Supershrink kümmerte sich vor allem um die besonders leidenden Jungen, der Pseudoshrink tat das Gegenteil. Der Supershrink sorgte für Unterstützung außerhalb der Therapie, redete in festem Ton mit den Eltern und ermutigte die Jungen, einen eigenen Willen zu entwickeln. Der Pseudoshrink dagegen ließ sich vom Elend der Kinder anstecken und wusste ihm nichts entgegenzusetzen.

Natürlich lässt sich aus einer Untersuchung mit nur zwei Therapeuten nicht ableiten, wie viele gute und schlechte Therapeuten es gibt und wie sie sich voneinander unterscheiden. Doch der Bericht hätte als eindeutige Warnung wirken müssen: Womöglich sind nicht alle Therapeuten gut für ihre Patienten. Aber das wollte die Branche lieber gar nicht wissen – jahrzehntelang wurde das Problem kaum erforscht. Die Psychologieprofessorin Ulrike Willutzki von der Universität Witten/Herdecke sieht den Grund hauptsächlich „in dem starken gesellschaftlichen Legitimierungsdruck, unter dem die Psychotherapie in der Konkurrenz zu anderen Interventionsansätzen bei psychischen Störungen stand“. Die Psychotherapeuten wollten vor allem nachweisen, dass ihre Behandlung wirkt. Dass sie das nur tut, wenn sie von den richtigen Kollegen praktiziert wird, passte nicht in die Forderungskataloge der berufsständischen Lobby.

Erst nach der Jahrtausendwende veröffentlichten Forscher einige große Untersuchungen zu den Leistungen unterschiedlicher Therapeuten. Lamberts Gruppe analysierte in einer Studie mit dem schönen Titel Waiting for supershrink die Ergebnisse von 56 Vertretern verbreiteter Therapierichtungen. Sie arbeiteten am Beratungszentrum einer großen Universität mit fast 1800 Studierenden. Die Patienten litten zumeist an Depressionen, Ängsten oder Anpassungsschwierigkeiten. Die besten drei Therapeuten konnten die Werte ihrer Patienten auf einer Symptomliste um beachtliche 15 Punkte verbessern. Dabei dauerten die Behandlungen dieser Supershrinks im Schnitt gerade mal zweieinhalb Sitzungen. Die schlechtesten Therapeuten dagegen brauchten acht – doch ihren Patienten ging es am Ende fünf Punkte schlechter als vorher.

Eher noch bedenklicher fielen die Ergebnisse von 167 psychoanalytisch orientierten Therapeuten aus, die Rolf Sandell von der schwedischen Linköping University ermittelte. Immerhin 59 Prozent halfen ihren Patienten gut oder sehr gut. Doch 20 Prozent erreichten praktisch nichts. Und noch etwas mehr lieferten „schlicht schlechte Ergebnisse“, so Sandell. Aus dem noch normalen Bereich „befördern sie die durchschnittliche Patientin oder den durchschnittlichen Patienten an die Grenze des krankhaften Bereichs“.

Auch eine Studie mit fast 11 000 Patienten des britischen Gesundheitssystems zeigt: Man sollte besser einen guten Therapeuten erwischen. Denn während der beste fast all seinen Patienten helfen konnte, verbesserte sich kaum ein Viertel nach regelmäßigen Besuchen beim schlechtesten. Der Autor Dave Saxon von der University of Sheffield richtete sein Augenmerk speziell auf die 19 der 119 Therapeuten, die konstant unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielten. Mit ihren Patienten ging es dreimal so oft abwärts wie beim Rest. Hätte man sie rechtzeitig gefeuert und durch mittelmäßige Kräfte ersetzt, hätte 256 Patienten mehr geholfen werden können, kalkuliert Saxon.

Dazu kommt: Die schlechten Therapeuten versagten vor allem bei schweren Fällen. Bei Patienten mit leichten Beschwerden konnten sie noch ganz gut mithalten. Doch wenn die Hilfesuchenden massive Probleme mitbrachten, zeigten sich ihre Grenzen überdeutlich. Ähnlich große Qualitätsunterschiede zwischen verschiedenen Therapeuten fand auch der Psychologieprofessor Wolfgang Lutz von der Universität Trier in einer großen Studie für die Technikerkrankenkasse.

Solche Befunde lassen auch hierzulande zumindest einige Experten aufhorchen. Es sei „erstaunlich, dass ein möglicher Mangel an Kompetenzen der Psychotherapeuten in der Psychotherapieforschung im deutschsprachigen Raum bislang nur spärlich diskutiert wurde“, konnte die Zunft im Jahr 2013 im Branchenorgan Psychotherapeut lesen. Die öffentliche Verwunderung kam von Professor Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Jena, und seiner Mitarbeiterin Steffi Nodop. Noch deutlicher wurde der Therapieforscher Professor Franz Caspar von der Universität Bern: „Ist es ethisch vertretbar, Therapeuten, die für ihre schlechten Ergebnisse bekannt sind oder die im Rahmen von Qualitätssicherungsmaßnahmen identifizierbar wären, auf immer neue Patienten loszulassen, wenn ein negatives Therapieergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann?“ Natürlich nicht. Im Extremfall kann eine gescheiterte Psychotherapie den Patienten das Leben kosten. Depressive bringen sich nicht selten um, Magersüchtige hungern sich zu Tode. Aber auch wenn es nicht zum Schlimmsten kommt, bedeutet eine gescheiterte Psychotherapie oft, dass eine bedrückende Leidensgeschichte weitergeht.

Der wahre Wert der Erfahrung

Darum wollen Forscher herausfinden, warum manche Therapeuten viel besser sind als andere. Auf der Suche nach den idealen Therapeuten entdeckten sie zunächst, was keine große Rolle spielt: das Alter, das Geschlecht und die Hautfarbe. Selbst eine Therapieausbildung scheint nicht besonders wichtig. Der Wissenschaftler Larry Beutler resümiert gar, die Forschungslage „spricht nicht für die Ansicht, dass eine psychotherapeutische Ausbildung etwas mit therapeutischen Fähigkeiten oder Erfolgen zu tun hat“. Berufserfahrung wiederum bringt zwar Routine, aber am Ende keine besseren Ergebnisse. „Realitätsnahe Studien zeigen, dass Therapeuten in Ausbildung ähnliche Erfolge erzielen wie zugelassene Profis“, hielt Terence Tracey, Professor für Beratungspsychologie an der Arizona State University, im führenden Fachblatt American Psychologist fest.

Erfahrene Therapeuten erkennen teilweise sogar schlechter als solche in Ausbildung, woran ein Patient eigentlich leidet. Sabine Vollmer von der Universität Freiburg präsentierte einigen Vertretern beider Gruppen schriftlich einen alltäglichen Fall. Die fünf getesteten Azubis lieferten durchweg vorbildliche Fallanalysen. Einige erfahrene Therapeuten schafften das auch. Aber andere hatten wesentliche Krankheitsbilder offenbar vergessen oder nie gelernt.

Entscheidend für den Therapieerfolg scheinen Eigenschaften zu sein, die sich nicht leicht lehren lassen und sich auch nicht mit der Zeit von allein einstellen. Lamberts Arbeitsgruppe fand einen großen Einfluss sogenannter „hilfreicher zwischenmenschlicher Fähigkeiten“ (facilitative interpersonal skills). Wer über sie verfügt, versteht, was andere sagen, und kann sie überzeugen, das Richtige zu tun. Diese Fähigkeiten lassen sich messen. Das Team um Lambert führte kurze Videofilme mit Schauspielern in der Rolle schwieriger Patienten vor und fragte Therapeuten, wie sie in der präsentierten Behandlungssituation reagieren würden. Wer dabei hilfreiche zwischenmenschliche Fähigkeiten demonstrierte, erwies sich bei seinen Klienten als besserer Therapeut. Ob sich solche Fähigkeiten trainieren lassen, weiß keiner. Sicherer wäre es, Aspiranten mit Schwächen in diesem Bereich erst gar nicht zu Therapeuten auszubilden.

Gibt es ein brauchbares Frühwarnsystem?

Wie sich zumindest einige Ungeeignete aussortieren lassen, stellte Julia Eversmann an der Universität Osnabrück unter Beweis. Sie zeigte kleinen Gruppen von Ausbildungskandidaten ein Video des umstrittenen Therapiegurus Bert Hellinger. Anschließend sollten die Kandidaten sich über ihre Gefühle und Gedanken dazu unterhalten. Experten beobachteten die Diskussionen und bewerteten jeden Teilnehmer: Hörte er anderen aufmerksam zu, verstand er deren Gefühle? Wie überzeugend brachte er seine eigenen Gedanken vor, nahm er dabei auch Ideen anderer auf?

Einige Kandidaten schnitten bei diesem Test nicht besonders gut ab. Jahre später zeigte sich: Diese Therapeuten konnten Patienten nicht so gut helfen und hatten mehr Therapieabbrüche zu verzeichnen. Seither werden „sozial schwache“ Bewerber in Osnabrück nicht mehr so einfach genommen.

Dagegen ist es kaum möglich, bereits zugelassene Therapeuten zu testen und die weniger guten von Patienten fernzuhalten. Forscher versuchen daher, ihre Leistungen zu verbessern. Lamberts Arbeitsgruppe sammelt dazu Fragebögen ein, die Patienten bei jeder Therapiestunde ausfüllen. Ein Computer analysiert sie. Verbessert sich der Patient weniger, als eigentlich zu erwarten wäre, wird der Therapeut gewarnt. Ein Teil der Therapien lässt sich so noch retten, wie Lamberts Studien zeigen. Der Trierer Forscher Lutz kam in einer ähnlich angelegten Studie für die Technikerkrankenkasse zum gleichen Resultat. Die Rückmeldungen helfen, weil Therapeuten es oft nicht merken, wenn die Behandlung nicht läuft. Die meisten fragen viel zu selten nach, ob es dem Patienten wirklich besser geht. Sie bekommen auch nicht mit, wie lange Erfolge nach Abschluss der Therapie anhalten. Folglich erfahren sie nicht, wann sie gut waren und wann nicht. Genau deshalb werden sie im Lauf der Zeit nicht besser, argumentiert Terence Tracey.

Verbesserungen lassen sich natürlich nur einführen, wenn die Therapeuten mitmachen. Viele verweigern sich aber. Schon Lambert hatte bei seiner Rückmeldestudie mit vielen Vorbehalten zu kämpfen. Als Lutz seine deutsche Untersuchung plante, hatte er noch mehr Probleme. Viele Therapeuten sorgten sich um ihre therapeutischen Freiheiten, ihre Verbände mobilisierten gegen die Untersuchung. Sollten deutsche Krankenkassen versuchen, die Leistungen von Therapeuten zu erfassen, müssten sie mit noch viel mehr Widerstand rechnen. In den USA aber beschäftigen einige Versicherungen schlechte Therapeuten nicht mehr und zahlen besonders guten einen Bonus. Hierzulande ist das bislang ein Tabu. Psychologieprofessorin Ulrike Willutzki hält es gerade noch für denkbar, offensichtlich ungeeignete Kandidaten aus dem Beruf fernzuhalten. „Arbeitet jemand bereits als Therapeut, ist es sehr viel schwieriger, härter und unwahrscheinlicher (wenn auch aus Sicht der Patienten unerlässlich), ihn von seiner Tätigkeit zu entbinden“, meint sie pessimistisch.

Von den Therapeuten selbst sind jedenfalls keine Initiativen zu erwarten. Wieso auch? Ihre Selbsteinschätzungen in Lamberts Studie zeigen ja: Sie sind alle überdurchschnittlich gut.

Literatur

  • Franz Caspar: Gibt es gute und schlechte Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen? PPmP, 58, 2008, 227

  • Michael J. Lambert: Prevention of treatment failure: the use of measuring, monitoring, and feedback in clinical practice. American Psychological Association, Washington 2010

  • Steffi Nodop, Bernhard Strauß: Mangelnde Eignung bei angehenden Psychotherapeuten. Kriterien und Umgangsmöglichkeiten aus Sicht der Institutsleiter. Psychotherapeut, 58, 2013, 446–454

  • Terence J. G. Tracey u. .: Expertise in psychotherapy: an elusive goal? American Psychologist, 2014. Advance online publication. DOI: 10.1037/a0035099

  • Steven Walfish, Brian McAlister, Paul O’Donnell, Michael J. Lambert: An investigation of self-assessment bias in mental health providers. Psychological Reports, 110/2, 2012, 639–644

  • Ulrike Willutzki, Britta Reinke-Kappenstein, Matthias Hermer: Ohne Heiler geht es nicht. Bedeutung von Psychotherapeuten für Therapieprozess und -ergebnis. Psychotherapeut, 58, 2013, 427–437

„Einige Therapeuten verschlimmern die Probleme noch“

Was unterscheidet gute von schlechten Psychotherapeuten? Ein Gespräch mit dem Therapieforscher Michael Lambert, Professor an der Brigham Young University in Provo im amerikanischen Bundesstaat Utah

PSYCHOLOGIE HEUTE Herr Professor Lambert, wie vielen Patienten können Therapeuten wirklich helfen?

Michael LAMBERT Wenn die Patienten zwanzig Wochen in Therapie bleiben, wird die Hälfte gut ansprechen und wieder das normale menschliche Leid mit uns allen teilen, statt sich supermiserabel zu fühlen. Wenn sie dreißig Wochen bleiben, schaffen das drei Viertel. Es bleibt also etwa ein Viertel, dem wir kaum helfen. Einige davon kommen vielleicht nur, weil sie dazu gedrängt werden. Sie sind nicht wirklich bereit mitzumachen und halten sich sehr zurück. Andere sind möglicherweise biologisch so belastet, dass ihnen eine Behandlung nicht helfen kann.

PH Spielt bei Misserfolgen nicht auch der Therapeut eine Rolle?

LAMBERT Es gibt außergewöhnlich effektive Therapeuten, aber etwa zehn Prozent sind so schlecht, dass sie die Leute sogar kränker machen.

PH Was machen diese Therapeuten falsch?

LAMBERT Hinter vielen schädlichen Wirkungen von Psychotherapie stecken Probleme in der Beziehung, die sich in indirekten Zurückweisungen äußern. Wenn Sie zum Termin erscheinen und der Therapeut ist müde, abgelenkt, findet Sie schwierig oder scheint sich nicht zu freuen, dass er Sie sieht, ist das ein schlechtes Zeichen. Sie fühlen sich dann nicht wichtig, nicht willkommen und nicht geschätzt, sondern als Last. Womöglich sind Sie in einer Familie aufgewachsen, wo Sie nur als Last empfunden wurden. Und jetzt suchen Sie Hilfe und stoßen wieder auf die gleiche Haltung Ihnen gegenüber. Das hilft Ihnen überhaupt nicht, sondern schadet Ihnen.

PH Und was machen die Supertherapeuten besonders gut?

LAMBERT Bisher wissen wir, dass sie gut mit schwierigen Situationen umgehen können. Wenn der Patient ein Problem mit der therapeutischen Beziehung hat, wissen diese Therapeuten, wie sie es lösen können. Einige andere Therapeuten wissen das nicht und verschlimmern die Probleme noch. Wir sind also sicher, dass ein Teil der Antwort lautet: Es kommt darauf an, wie jemand Scherben wieder kittet.

PH Was sollte der Therapeut machen, wenn der Patient sich nicht willkommen fühlt?

LAMBERT Wenn der Therapeut anfängt, Gründe zu finden, und sein Verhalten rechtfertigt, macht das alles nur schlimmer. Also wenn ein Patient sich traut zu sagen: Sie sind offenbar nicht erfreut, mich zu sehen, und das schon zum dritten Mal, ich fühle mich hier nicht willkommen, dann ist es wichtig, dass Therapeuten das sehr ernst nehmen und sich vielleicht sogar entschuldigen. Sie sollten nicht nach Erklärungen suchen und sich nicht verteidigen.

PH Und wenn ein Therapeut das nicht tut, sollte ich als Patient gehen?

LAMBERT Ja. Denn es gibt Therapeuten, die gerne mit Ihnen arbeiten werden und sich wirklich freuen, Sie zu sehen. Diese sind nicht so schwer zu finden. Das Feld ist voller guter Leute, die gerne Psychologen sind, weil sie die Leute mögen, mit denen sie arbeiten.

PH Ist es besser, einen erfahrenen Therapeuten auszusuchen?

LAMBERT Erfahrene Therapeuten sind nicht besser, aber sie sind schneller. Man kommt schneller ans Ziel, und wenn man leidet, ist das sehr wichtig. Der Ritt ist sanfter. Wenn man einen unerfahrenen Therapeuten hat, geht es rauer zu, langsamer und manchmal ungemütlich.

PH Wie könnte man erreichen, dass die richtigen Leute Psychotherapeuten werden?

LAMBERT Das ist sehr schwierig. Aber das Wichtigste ist wahrscheinlich, Menschen auszuwählen, die Menschen mögen. Die nicht feindselig sind, nicht zum Kritisieren neigen, die sich auf andere freuen. Und Menschen, die flexibel denken, nicht starr. Die verschiedene Perspektiven einnehmen können, nicht nur eine.

PH Aber was machen Sie mit praktizierenden Therapeuten, die ihren Patienten nachweislich nicht helfen können?

LAMBERT In unserer Klinik geben wir ihnen beispielsweise Verwaltungsaufgaben oder andere Tätigkeiten, bei denen sie nicht so viel mit Patienten zu tun haben. Oder wir hoffen, dass wir eines Tages eine Art von Patienten finden, bei denen sie gut sind. Manche besitzen vielleicht eine große therapeutische Bandbreite und andere eine kleine …

PH … manche sind vielleicht nur mit Suchtpatienten gut oder mit rebellischen Teenagern …

LAMBERT Wenn wir also herausfinden würden, in welchem Bereich der Therapeut kompetent ist, könnte er sich darauf spezialisieren.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2014: Unsere Kindheit