Alle meine Gefühle

Freue ich mich, bin ich genervt – oder langweile ich mich? Wer alle seine Gefühle kennt, kommt besser durchs Leben, haben Psychologen herausgefunden.

Die Illustration zeigt einen Vater mit seinem Kind im Museum, der auf ein Gemälde schaut, auf dem ein Familienausflug in der Natur zu sehen ist und alle Familienmitglieder unterschiedliche Launen haben
Emodiversität: Ein breites Spektrum an Emotionen wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. © Luisa Jung

Ich bin begeistert“ oder „Mir ist gerade zum Heulen zumute“. „Ich bin richtig sauer“ oder „Ich bin rundum zufrieden“. „Das macht mir Angst“ oder „Ich fühle mich entspannt“. „Ich hasse dich“ oder „Ich liebe dich“. Die Sprache stellt uns eine Menge Ausdrücke für unsere Gefühle zur Verfügung. Und wer gerade keine Worte findet, kann in den langen Listen mit Emojis dasjenige heraussuchen, das die eigenen Gefühle gerade am besten wiedergibt – von Verzweiflung über Freude, Verschmitztheit bis hin zu Skepsis oder…

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Freude, Verschmitztheit bis hin zu Skepsis oder Verachtung findet man den passenden Gesichtsausdruck.

Aber wie Psychologen herausgefunden haben, heißt das alles nicht, dass wir diese zahlreichen Gefühle auch wirklich erleben. Tatsächlich gleicht offenbar kein „Gefühlshaushalt“ dem anderen. Manche Menschen haben ein breitgefächertes Gefühlsleben, sie wissen, was es heißt, sich mächtig zu ärgern oder einfach nur gelassen zu sein, und fühlen bis in Nuancen hinein die Unterschiede zwischen Zorn und Wut, zwischen Freude und Zufriedenheit, zwischen tiefer Trauer und vorübergehender Niedergeschlagenheit. Und andere können häufig nicht sagen, ob sie gerade niedergeschlagen sind, sich unausgeglichen fühlen oder vielleicht doch eher nur gelangweilt.

Und auch wir selbst schwanken: An manchen Tagen können wir sehr gut unterscheiden, ob wir gerade ärgerlich oder gereizt sind, ob wir jemanden missgünstig beneiden oder doch eher mit uns selbst unzufrieden sind. An anderen Tagen fühlen wir uns womöglich einfach nur „dumpf“, weder besonders fröhlich noch betrübt, irgendwie gleichgültig.

Wie ein Ökosystem

In der psychologischen Forschung hat sich für das Erleben und Wahrnehmen von Gefühlsvielfalt der Begriff „Emodiversität“ durchgesetzt. Geprägt und definiert wurde er durch ein internationales Forscherteam um den Psychologen Jordi Quoidbach in Anlehnung an das Konzept der Biodiversität in der Biologie. Dort wird Biodiversität definiert als Bewertungsmaßstab für die Fülle unterschiedlichen Lebens in einem geografisch begrenzten Gebiet. Es geht um die Vielfalt der Arten, die Vielfalt der genetischen Varianten einer Art und die Anzahl der diversen Lebensräume.

Für das Funktionieren und Überleben von Ökosystemen in der Natur gilt: Je bunter und vielfältiger, desto flexibler und fitter sind sie. Vielfalt steigert die Resilienz, macht es leichter, auf Veränderungen zu reagieren und sich immer wieder an neue Umstände anzupassen. Und das gilt offenbar auch für „Emodiverse“: Wer ein vielfältiges Gefühlsleben hat oder zumindest grundlegend dazu fähig ist, gilt als widerstandsfähiger und gesünder und somit besser gerüstet, mit Veränderungen zurechtzukommen.  

Aber was genau heißt Emodiversität? Haben Menschen eine ausgeprägte Fähigkeit zur Emodiversität, können sie viele unterschiedliche emotionale Zustände erleben und diese auch ausdrücken. Sie sind in der Lage, Emotionen zu erkennen und auseinanderzuhalten, die sich manchmal nur in Nuancen und Schattierungen unterscheiden. Personen mit einer hohen Emodiversität seien besser in der Lage, in schwierigen Lebenssituationen nicht zu unangemessenen Strategien wie Aggressionen, Alkoholkonsum oder Selbstverletzungen zu greifen – zu diesem Ergebnis kam ein amerikanisches Forscherteam um Todd Kashdan von der George Mason University in einem Überblicksartikel.

Eine Metaanalyse von klinischen und gesundheitspsychologischen Studien zeigte: Emotional Diverse reagieren offenbar weniger empfindlich auf Zurückweisung, leiden seltener an Ängsten und Depressionen. Wer Emotionen vielfältig unterscheiden könne, gehe besser mit belastenden Erfahrungen um, schreiben die Forscher. Sie kommen zu dem Schluss, dass das Wahrnehmen und Unterscheiden komplexer emotionaler Erlebnisse eine Schlüsselkomponente für psychologische Therapien sei. „Interventionen, die darauf ausgerichtet sind, die Differenzierung von Emotionen zu verbessern, können psychologische Probleme reduzieren und das Wohlbefinden erhöhen.“

Dass unsere Gefühlshaushalte überhaupt so unterschiedlich beschaffen sind, bestätigte auch der an der Cornell University tätige Entwicklungspsychologe Anthony Ong mithilfe einer psychoimmunologischen Tagebuchstudie. 175 Probanden protokollierten über einen Monat hinweg alle Emotionen, die sie im Alltag bei sich wahrnahmen. Dabei wählten sie aus jeweils 16 von den Forschern vorgegebenen positiven und negativen Gefühlen aus: enthusiastisch, amüsiert, stolz, entspannt, interessiert, beängstigt, nervös, schuldig, müde, traurig und so weiter. Es zeigte sich eine große Bandbreite zwischen den Versuchspersonen – von einförmig bis nuanciert. Auch Anthony Ong und seine Kollegen konnten zeigen: Die Fähigkeit, eine große Bandbreite positiver Gefühle zu erleben, scheint mit einer besseren Gesundheit einherzugehen.

Ein halbes Jahr nach den ersten Untersuchungen wurden die Teilnehmer zur Blutabnahme gebeten, denn die Forscher suchten nach biologischen Markern, die Entzündungen im Körper anzeigen und damit Hinweise auf den Zustand des Immunsystems liefern. Das Ergebnis: Je vielfältiger die positiven Gefühle (unabhängig von ihrer Intensität), desto weniger Entzündungsmarker im Blut und damit umso besser die Immunabwehr. Die Vielfalt der negativen Emotionen hatte dagegen keinen Einfluss auf die Entzündungsmarker.

Ongs Ergebnisse bestärken frühere Beobachtungen zur emotionalen Intelligenz, wonach Menschen gesünder sind, die eigene und fremde Gefühle korrekt wahrnehmen, sie verstehen und beeinflussen können. Das wirkt sich positiv auf das Stresserleben und über damit verbundene biologische Prozesse auch auf die körperliche Gesundheit aus. Und das gilt unabhängig vom Level an guten wie schlechten Gefühlen sowie verschiedenen Gesundheitsfaktoren, die in die Studie mit einflossen. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die einzigartige Rolle, die täglich erlebte positive Emotionen für die körperliche Gesundheit spielen“, kommentiert Ong.

Viele Facetten negativer Emotionen

Diese Untersuchungen zeigen: Es scheinen die positiven Gefühle zu sein, die aus Sicht der Psychoneuroimmunologie eine Schlüsselrolle beim Umgang mit alltäglichen Stressoren spielen. Wer eine große Bandbreite an positiven Gefühlen erleben und wahrnehmen kann, hat oft ein schlagkräftiges Immunsystem und ist gesünder. Der Arzt, Psychologe und Psychotherapeut Christian Schubert, Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie der Universität Innsbruck, erklärt, die psychische Befindlichkeit beeinflusse über ein Zusammenspiel von Nerven-, Hormon- und Immunsystem auch die körperliche Gesundheit: „Das Psychische und das Immunologische sind eins.“ Dabei spiele eine Vielfalt positiver Emotionen eine Schlüsselrolle.

Am Beispiel des menschlichen Herzens erklärt er: Je flexibler es auf Reize der Umgebung reagieren könne, umso gesünder sei es. Höhere Komplexität sei mit besserer Anpassungsfähigkeit verbunden. Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wie es mit einer großen Vielfalt von negativen Emotionen aussieht, denn die wenigsten Menschen kommen ohne negative Emotionen durchs Leben. Trauer, Angst, Wut, Niedergeschlagenheit sind Gefühle, denen wir zwar lieber aus dem Weg gehen, die sich aber nicht vermeiden lassen.

Christian Schubert stellt fest: „Negative Emotionen sind ja nicht schlecht. Sie haben enorm wichtige Warn- und Schutzfunktionen.“ So alarmieren uns negative Gefühle, dass etwas womöglich nicht stimmt mit uns: Wer herausfindet, ob er nur mies drauf ist oder aber enttäuscht, wütend oder melancholisch, kann sich über die Ursachen Gedanken machen und dann vor allem auch Möglichkeiten der Abhilfe finden. Aber ist eine Emodiversität bei negativen Gefühlen genauso hilfreich wie bei positiven?

Der Psychologe Jordi Quoidbach von der ESADE Business School in Barcelona meint herausgefunden zu haben, dass eine große Bandbreite schlechter Gefühle gut fürs Wohlbefinden und für die Gesundheit ist. Sein Team befragte 37000 Menschen zu ihrer emo­tionalen Vielfalt. Als Maßstab für die psychische Gesundheit nahmen sie Angaben zu Symptomen einer Depression und für die körperliche Gesundheit die Zahl von Arztbesuchen in den vergangenen Jahren. Auch hier waren vor allem Personen mit einer großen Vielfalt im positiven Gefühlsspektrum gesünder: Sie hatten deutlich weniger mit Depressionen zu kämpfen und mussten seltener zum Arzt.

Denjenigen, die negative Gefühle facettenreich wahrnehmen konnten, ging es besser als jenen mit einer wenig ausgeprägten Vielfalt bei den negativen Emotionen. Die Untersuchung stieß allerdings auf methodische Kritik. Ein wirklicher Nachweis, wie vorteilhaft das Erleben einer großen Bandbreite negativer Emotionen sein könnte, steht noch aus. 

Häufiger finden sich in der Forschung Hinweise, dass eine große Vielfalt negativer Gefühle eher aus vielen schlechten Erfahrungen resultiert, als dass eine negative Emodiversität zu unserer Gesundheit beitragen würde.

Emodiversität und negatives Denken

Erlebnisse aller Art beeinflussen die Vielfalt unseres Gefühlshaushalts, auch negative. Ein Team um Geor­gina Clifford an der Universität Cambridge fand jüngst heraus, dass Frauen, die nach einem sexuellen Missbrauch an einer posttraumatischen Belastungsstörung litten, ein deutlich breiteres Spektrum von negativen Emotionen erlebten. Für die Studie wurden betroffene Frauen und eine gesunde Kontrollgruppe nach positiven wie negativen Emotionen befragt, im Hinblick auf ihr Selbstkonzept und die Biografie.

Ergebnis: Die traumatisierten Frauen nahmen negative Emotionen vielfältiger und auf der anderen Seite positive Gefühle weniger vielfältig wahr als die Kontrollgruppe. „Das deutet darauf hin, dass individuelle Unterschiede bei der Emodiversität aus chronischen emotionalen Störungen resultieren können“, schließen die Autorinnen. Aus dieser Perspektive spiegele negative Emodiversität eher eine lebenslange „Expertise“ bei negativen Gefühlen wider als einen wirksamen Schutz gegen psychische Probleme, argumentiert Clifford.

Ihre Beobachtungen stimmen überein mit Ergebnissen der Psychologin Aliza Werner-Seidler von der University of New South Wales in Sydney. Sie stellte fest, dass Menschen mit chronischer Depression im Vergleich zu gesunden Probanden eine reduzierte Vielfalt bei den guten Gefühlen haben und eine höhere Emodiversität bei negativen. Es könne zwar durchaus sein, dass in der psychisch gesunden Bevölkerung auch vielfältige negative Gefühle einen schützenden Faktor vor seelischen Schieflagen wie Depressionen böten, doch bei Menschen mit Depressionen oder posttraumatischen Störungen seien sie ausgeprägter und eben auch ein Resultat vieler negativer Erfahrungen und Zustände im Laufe ihres Lebens.

Offenbar hängt es also auch von biografischen Erfahrungen ab, wie es um unsere emotionale Diversität bestellt ist. Von frühester Kindheit an beeinflussen Erfahrungen offenbar stärker, als man denkt, wie variantenreich wir Positives und Negatives erleben. Vielfältige negative Emotionen können folglich Hinweise auf traumatische Erlebnisse und psychische Probleme sein, wenn gleichzeitig die Vielfalt positiver Emotionen deutlich reduziert ist. Einig sind sich Aliza Werner-Seidler und viele ihrer Kollegen darin, dass vielfältige positive Emotionen ein wichtiges therapeutisches Ziel sind, da sie Resilienz erhöhen und als Puffer gegen Depressionen wirken: „Der therapeutische Erfolg könnte größer ausfallen, wenn man depressiven Menschen hilft, eine große Bandbreite an positiven Gefühlen zu erleben.“

Emodiversität trägt offenbar auch zu einem weiseren Denken bei. Psychologen um Igor Grossmann von der Universität Waterloo in Kanada haben das jüngst gezeigt. Wie genau Emotionen das Denken beeinflussen, sei allerdings noch nicht klar, schreibt Grossmann in einem Fachartikel: „Einige Studien legen nahe, dass das Herunterregulieren starker Gefühle zu weiserem Denken führen kann.“ Neuere Arbeiten ließen vermuten, dass das Erkennen und Ausbalancieren von Gefühlen kritische Einblicke in Lebenserfahrungen ermöglicht und ein Weg zu weiserem Denken sein könnte. Unter weisem Denken verstehen Forscher etwa, über das eigene Selbst hinauszudenken, unterschiedliche Perspektiven auf eine Sache zu erkennen und sich um Kompromisse zu bemühen.

Um herauszufinden, in welchem Zusammenhang Emodiversität und die Intensität von Gefühlen mit Merkmalen weisen Denkens stehen, befragten Grossmann und seine Kollegen rund 3700 Menschen und werteten Experimente und Tagebuchaufzeichnungen aus. Dabei zeigte sich, dass weises Denken in Verbindung mit emotionaler Diversität stand, unabhängig von der Intensität der Gefühle. Emotional vielfältige Menschen waren in der Lage, tägliche Herausforderungen, ungelöste Konflikte mit anderen Personen und politische Konflikte besser einzuschätzen und zu durchdenken.

Lässt sich ein vielfältiges Gefühlsleben trainieren? Psychologen halten das für möglich, beispielsweise der Facharzt für psychotherapeutische Medizin Reinhard Plassmann. Er meint, dass viele Menschen versuchten, ausschließlich aus Verstand und Vernunft heraus zu leben, und deshalb die eigenen Empfindungen oft kaum wahrnähmen und folglich auch nicht nutzten. Das kann man ändern, glaubt Plassmann: „Sich mit dem eigenen Gefühlsleben, den eigenen emotionalen Systemen gezielt zu beschäftigen ist lebenslang sehr sinnvoll und möglich. In allen Situationen, in denen es einem nicht gutgeht, ist achtsames Innehalten sinnvoll, um zu prüfen, welche emotionalen Vorgänge diesem Zustand zugrunde liegen.“

Weil dafür im Alltag oft die Zeit fehlt, muss man sie sich nehmen. „So kann man das Wissen über das eigene Gefühlsleben kontinuierlich verbessern, ebenso die Fähigkeit zum regulierten Umgang mit den eigenen Emotionen und die Differenzierung des ganzen Spektrums an emotionalen Ereignissen“, sagt Reinhard Plassmann. Dieses breite Spektrum an emotionalen Vorgängen könne man als „die innere Musik der Emotionen“ bezeichnen. Hier immer wieder genau hinzuhören und zu versuchen, die unterschiedlichen Zustände zu benennen und zuzuordnen, schule die Wahrnehmung (siehe Infokasten unten). 

Wenn ein Gefühl überhandnimmt

Die eigenen Emotionen in ihrer vollen Bandbreite wahrnehmen zu lernen gehört auch zu den Zielen einer Psychotherapie. Denn häufig leiden Psychotherapiepatienten genau daran, dass die Wahrnehmung ihrer eigener Gefühle anders ist: Depressive können Gefühle gerade nicht wahrnehmen und bei einer Angststörung nimmt die Angst zulasten anderer Gefühle überhand und dominiert das Gefühlsleben so sehr, dass die Betroffenen das Gefühl haben, ihr gesamtes Leben nicht mehr unter Kontrolle zu bringen. Krankheitsbilder, bei denen ein Einwirken besonders erforderlich ist, sind Borderlinestörungen, psychosomatische Erkrankungen, Depressionen und Traumafolgestörungen.

„Aus der Erkenntnis, welche zentrale Rolle emotionale Prozesse für die seelische und körperliche Gesundheit spielen, haben sich neue Formen analytischer Psychotherapie – die Psychotherapie der Emotionen – und der Traumatherapie (EMDR) entwickelt. Sie stellen das Kennen-, Regulieren- und Differenzierenlernen der eigenen emotionalen Kräfte an den Anfang des Heilungsvorgangs. Darauf kann dann das Verstehen und Rekonstruieren aufbauen, welche emotionalen Traumata unverarbeitet geblieben sind und in der Gegenwart zu Störungen geführt haben“, erklärt Plassmann.

Christian Schubert will dem Zusammenhang von emotionalem Erleben und körperlicher Verfassung noch genauer auf den Grund gehen und so bestehende Forschungslücken schließen. Dafür führt er spezielle, sogenannte integrative Einzelfallstudien durch, bei denen die Probanden zusätzlich zur häufigen Bestimmung von körperlichen Parametern regelmäßig zu ihren emotionalen Befindlichkeiten und erlebten Alltagsereignissen befragt werden. Dabei wird auch die Emodiversität erfasst. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Emodiversität im zeitlichen Verlauf hochvariabel ist, berichtet der Forscher.

Für diese Variabilität könnten wiederum verschiedene Umwelteinflüsse verantwortlich sein, beispielsweise die Interviews, die im Rahmen der Studien mit den Probanden durchgeführt wurden, oder emotional bedeutsame Alltagsereignisse. Auch könnten diese Effekte über eine stärkere Beschäftigung beziehungsweise Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen vermittelt werden. „Emotionen sind ereignisabhängige Phänomene. Individuelle Faktoren wie die emotionale Selbstwahrnehmung oder der Umgang mit Emotionen beeinflussen die emotionale Reaktion. Das könnte bedeuten, dass ein differenzierteres Gefühlserleben und damit verbunden eine höhere Emodiversität erlernbar und trainierbar sind.“

Zum Weiterlesen

Reinhard Plassmann: Psychotherapie der Emotionen. Die Bedeutung von Emotionen für die Entstehung und Behandlung von Krankheiten. Psychosozial, Gießen 2019

Christian Schubert: Was uns krank macht – Was uns heilt. Aufbruch in eine neue Medizin. Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele besser verstehen. Fischer & Gann, Munderfing 2016

Jordi Quoidbach u.a.: Emodiversity and the emotional ecosystem. Journal of Experimental Psychology: General, 143/6, 2014. DOI: 10.1037/a0038025

Literatur Emodiversität Psychologie Heute 10/2020

Georgina Clifford u. a.: Negative and positive emotional complexity in the autobiographical representations of sexual trauma survivors with posttraumatic stress disorder (PTSD). Behaviour Research and Therapy, im Druck, preprint 2019. DOI: 10.31234/osf.io/f3h5w

Igor Grossmann u. a.: Wise reasoning benefits from emodiversity, irrespective of emotional intensity. Journal of Experimental Psychology 148(5), 2019, 805–823. DOI: 10.1037/xge0000543

Anthony Ong u. a.: Emodiversity and biomarkers of inflammation. Emotion, 2018, 18(1), 3–14. DOI: 10.1037/emo0000343

Aliza Werner-Seidler u.a.: Emotional complexity across the life story: Diminished positive emodiversity and elevated negative emodiversity in sufferers of chronic depression. Journal of Affective Disorders, 2020, 273, 106-112. DOI: 10.1016/j.jad.2020.04.060

Nick L. Brown, u.a. Emodiversity: Robust predictor of outcomes or statistical artifact? Journal Of Experimental Psychology: General, 2017, 146(9), 1372-1377. DOI: 10.1037/xge0000330

Todd B. Kashdan u.a..: Unpacking emotion differentiation: Transforming unpleasant experience by perceiving distinctions in negativity. Current Directions In Psychological Science,, 24(1), 2015, 10-16. DOI: 10.1177/0963721414550708

Divers fühlen lernen

Mit Blick auf die vielfältigen positiven Wirkungen raten Psychologen, Emodiversität gezielt zu trainieren. Mögliche Ansatzpunkte sind:

  • Selbstwahrnehmung: Offen sein für die ganze Komplexität des eigenen Lebens, für vielfältige emotionale Erfahrungen und Erlebnisse. Und sich dabei regelmäßig nach den eigenen Stimmungslagen fragen: Was löst welche Gefühle aus? Und auch analysieren, wie sich mit der Zeit Emotionen dynamisch verändern

  • Kommunikation: So oft wie möglich mit nahestehenden Menschen über eigene und fremde Gefühle sprechen. Dabei versuchen, Gefühle so präzise und anschaulich wie möglich zu beschreiben. Hierbei helfen auch Tagebucheintragungen

  • Kultur: Kunst, Film und Literatur bereichern den emotionalen Erfahrungsschatz und das „Weltwissen“ über Emotionen. Sie erweitern den Gefühlshorizont und ermöglichen, eine große Bandbreite emotionaler Zustände nachzuerleben, die über das eigene Leben hinausgeht. Literatur bereichert zudem die sprachliche Ausdrucksfähigkeit rund um das Thema Gefühle.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2020: Die Macht des Selbstbilds