Gedanken, die in unseren Kopf eindringen

Warum wünschen wir uns manchmal Abstand von unseren Gedanken? Weil wir das Gefühl haben, dass diese unkontrolliert in unser Bewusstsein eindringen.

Achtsamkeit und Meditation helfen uns, für eine Zeitlang von unseren Gedanken Abstand zu nehmen, sie loszulassen. Das wird als angenehm und friedvoll empfunden, aber warum? Eine Antwort darauf gibt der Psychologe Andreas Mayer in einem Forschungsüberblick: Studien zeigen, dass Menschen ihre Gedanken normalerweise als von außen eindringend und störend wahrnehmen, und zwar auch positive oder nützliche Gedanken. Auch die besten Ideen fallen irgendwann und unerwartet in unseren Kopf ein, so nehmen wir es wahr. Meditation und Achtsamkeitsübungen helfen, uns von den Gedanken zu lösen, wir müssen uns so lange nicht mit ihnen beschäftigen. Dadurch entstehe ein Gefühl von innerem Frieden und Ruhe.

Gedanken als Störenfriede von außen – dieser Eindruck führe zu dem verbreiteten Gefühl, wir seien nicht der Besitzer unserer eigenen Überlegungen, schreibt Mayer. Der Psychologe erläutert das an einem Beispiel: Eine gute Idee „fällt uns plötzlich ein“, wenn wir gerade nicht damit rechnen, sei es unter der Dusche oder auf dem Fahrrad. Der Einfall scheine in die­sem Moment von außen zu kommen und diese Wahrnehmung sei entscheidend, schreibt Mayer, unabhängig davon, wo und wie die Ideen tatsächlich entstünden.

Das nicht kontrollierbare Eindringen der Gedanken von außen kollidiere mit unserem Bedürfnis, Herr der eigenen Gedanken zu sein. Der Autor vergleicht diesen Prozess mit einer Art „Identifikation mit dem Aggressor“ – wir fühlen uns gezwungen, uns mit den plötzlich auftauchenden Überlegungen auseinanderzusetzen und zu identifizieren, um sie in den Griff zu bekommen.

Bislang werde dieses Phänomen in Psychiatrie und Psychologie eher psychisch Kranken zugeschrieben, etwa wenn Depressive vermehrt grübeln und versuchen, dieses unerwünschte Kreisen in den Griff zu bekommen. Aber anders als viele glauben, sei es der Normalfall, dass wir alle ständig ein großes Maß an kognitiver Anstrengung aufbringen müssten, gerade unpassende oder auch genau richtige „eindringende“ Gedanken entweder abzuwehren oder zu übernehmen und einzuordnen, um uns auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Dies erkläre, warum Konzentration den meisten von uns so schwerfalle.

Andreas Mayer: The development of our sense of self as a de­fense against invading thoughts: From Buddhist psychology to psychoanalysis. New Ideas in Psychology, 58/2020. DOI: 10.1016/j.newideapsych.2019.100775

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2020: Meine Zeit kommt jetzt
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