Was treibt Sie an?

Gewinnen oder nicht verlieren? Wenn Sie Ihre Priorität kennen, fällt es Ihnen leichter, sich zu motivieren und andere zu verstehen.

Ein Mann läuft zielstrebig im Gebirge auf seinem Weg
Wir marschieren teilweise unbewusst in eine Richtung – da kann eine Hinterfragung nützlich sein. © Fanatic Studio/Getty Images

Es ist immer wieder verblüffend, wie verschieden Menschen die Dinge sehen. Ein Kollege fand seine Ferien gelungen, weil der Flieger pünktlich kam, niemand krank wurde und man die netten Leute vom letzten Jahr wieder traf. Die andere schwärmt von kulinarischen Abenteuern, fremden Kulturen und neu erworbenen Sprachkenntnissen. Genauso beim Einkaufen. Ein Onlineshopper schaut sich bei Amazon die begeisterten 5-Sterne-Rezensionen an, ein anderer scrollt grundsätzlich erst mal zu den Verrissen. Und seit Jahren…

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5-Sterne-Rezensionen an, ein anderer scrollt grundsätzlich erst mal zu den Verrissen. Und seit Jahren führt man mit der besten Freundin heiße Diskussionen darüber, ob der Reiz einer festen Partnerschaft darin liegt, mit dem Geliebten die Welt zu erobern oder aber nicht allein zu sein.

Was haben Reiseerfahrungen, Kaufverhalten und die Vorstellungen von einer erfüllten Beziehung miteinander zu tun? Sehr viel, wenn man die Theorie des regulatorischen Fokus zur Erklärung heranzieht. Danach werden Menschen durch zwei grundsätzlich verschiedene Perspektiven motiviert: den Wunsch, etwas zu gewinnen, oder aber das Bestreben, nicht zu verlieren. Tory Higgins, Direktor des Motivation Science Center der Columbia-Universität in New York, hat die Theorie in den 1990er Jahren entwickelt. Sein Ansatz hat Karriere gemacht. Mehrere hundert Studien wurden in Higgins’ Labor und von Forschern in aller Welt durchgeführt. Sie zeigen: Der regulatorische Fokus beeinflusst so gut wie alle Aspekte des täglichen Lebens – wie man arbeitet, welche Produkte man kauft, aus welchen Gründen man mit dem Partner streitet, wie man seine Kinder erzieht.

In seinem Buch Focus, das er zusammen mit der Sozialpsychologin Heidi Halvorson veröffentlicht hat, beschreibt Higgins zwei Formen des regulatorischen Fokus: promotion focus und prevention focus. Menschen mit Promotionsfokus sehen ihr Ziel darin, voranzukommen und zu gewinnen. Und sie konzentrieren sich auf die Belohnungen, die sie bekommen werden, wenn ihnen das gelingt: Zuwendung, Erfolg, Informationen, materielle Güter. Ihre privaten und beruflichen Projekte verfolgen sie mit Begeisterung und Optimismus. Für sie zählen die großen Ideen; mit Details halten sie sich nicht gerne auf. Das macht sie anfällig für Fehler, und wenn etwas schiefgeht, haben sie meist keinen Plan B. Diesen Preis bezahlen sie gern, denn eine Chance verpasst zu haben ist für sie das Schlimmste.

Menschen mit Präventionsfokus dagegen geht es vor allem darum, keine Fehler zu machen und den Status quo zu erhalten. Sie sorgen sich darum, was passiert, wenn sie nicht vorsichtig und aufmerksam genug sind. Deshalb denken sie alles dreimal durch, arbeiten langsam und detailorientiert. Pflichterfüllung ist für sie ein hohes Gut. Kreative Ideen zu entwickeln oder ungewöhnliche Wege zu gehen zählt dagegen nicht gerade zu ihren Stärken. Auf andere mögen sie pedantisch und pessimistisch wirken. Aber sie schlagen eine Gelegenheit lieber aus, als sich die Finger zu verbrennen. Schließlich ist das Schlimmste für sie, einen Verlust zu erleiden oder eine Gefahr nicht gestoppt zu haben.

Diese beiden Motivationssysteme haben ihren Ursprung in einem jeweils anderen Grundbedürfnis, erklärt Higgins. Beim Promotionsfokus ist es der Wunsch, versorgt zu werden, beim Präventionsfokus das Sichersein. „Von Natur aus ist man auf beide Bedürfnisse programmiert“, erklärt der 68-jährige Psychologe, „weil sie für das Überleben notwendig sind. Das gilt für alle Menschen, überall auf der Welt.“ Folglich hat jeder in gewissem Maße das Gewinnen und das Nichtverlieren im Auge. Es gibt aber Unterschiede in der Gewichtung. Das persönliche Temperament, die Sozialisierung im Elternhaus und die Kultur, in die man hineingeboren wurde, erläutert er, beeinflussen, welche Sichtweise einem näher liegt: „Unsere und die Studien anderer Forscher zeigen klar: Die meisten Menschen haben eine dominante Orientierung.“ (Siehe Seite 46: Wie ein dominanter Fokus entsteht.)

Viele Menschen wissen wahrscheinlich ganz intuitiv, zu welcher Perspektive sie neigen. Aber wer sich unsicher ist, kann mit einem kleinen Test herausfinden, welche Orientierung überwiegt. Die Aufgabe ist simpel, die Fragen sollten möglichst schnell und kurz beantwortet werden.

– Schreiben Sie eine Qualität oder Eigenschaft auf, die Sie idealerweise gerne hätten (oder von der Sie gerne mehr hätten)

– Schreiben Sie eine Qualität auf, die Sie haben sollten (oder von der Sie mehr haben sollten)

– Nennen Sie eine weitere Ideal-Eigenschaft

– Eine weitere Soll-Eigenschaft

– Eine weitere Soll-Eigenschaft

– Eine weitere Ideal-Eigenschaft

– Und noch eine Soll-Eigenschaft

– Und noch eine Ideal-Eigenschaft.

Wem es leichterfällt, ideale Eigenschaften zu nennen, denkt in Begriffen von Hoffnungen und Wünschen, Fortschritt und Verbesserung – und hat folglich eher einen Promotionsfokus. Wer dagegen Soll-Eigenschaften runterrattern kann, lebt vermutlich in einer Welt von Pflichten und Verantwortlichkeiten, ist also tendenziell präventionsorientiert. Wem beides gleich leicht- oder schwerfällt, zeigt keine Dominanz. Dies gilt laut Higgins für rund 35 Prozent aller Menschen.

Über die Wirkungsweise des regulatorischen Fokus Bescheid zu wissen kann in vielen Lebensbereichen nützlich sein. Es hilft beispielsweise, vermeintlich merkwürdiges Verhalten anderer besser zu verstehen und Missverständnisse zu vermeiden. Mancher hat sich vielleicht schon mal gewundert, warum ein Kollege auf aufmunternde Worte so allergisch reagiert. Die Ursache könnte eine ausgeprägte Präventionsorientierung sein. Wer sich ganz darauf konzentriert, Fehler zu vermeiden und Gefahren zu bannen, kann mit Sprüchen wie „immer optimistisch bleiben“ oder „es ist noch immer gut gegangen“ nichts anfangen. Im schlimmsten Fall dämpfen sie seinen Schwung. Die Forschung von Higgins und anderen zeigt, dass präventionsorientierte Menschen am motiviertesten sind, wenn sie ein Scheitern im Auge haben. Die Warnung beispielsweise, von fünf Dollar einen Dollar zu verlieren, wenn sie ein bestimmtes Ziel nicht erreichen, verleiht ihnen mehr Antrieb als das Versprechen, bei Zielerfüllung statt vier Dollar fünf Dollar zu bekommen, obwohl beide Optionen finanziell auf dasselbe hinauslaufen. (Bei Promotionsorientierten ist es genau umgekehrt.) Präventionsorientierte Menschen sind nicht allesamt klassische Pessimisten, die grundsätzlich mit dem Schlimmsten rechnen, sondern ziehen nur die Möglichkeit einer Pleite in Betracht. Psychologen nennen das strategischen Pessimismus. Wer also mit einem solchen Bedenkenträger zusammenarbeitet, tut oft besser daran, sich mit optimistischen Sprüchen zurückzuhalten.

Auch das irritierende Verhalten der erwachsenen Tochter, die sich immer wieder mit potenziellen Partnern zum Rendezvous trifft, diese dann aber über ihre Gefühle in der Schwebe lässt, ist im Rahmen der Fokustheorie erklärlich. Promotionsorientierte Menschen tun sich mit der Anbahnung von Liebschaften leicht. In einer Speed-Dating-Studie amerikanischer Wissenschaftler von der Columbia- und der Northwestern-Universität flirteten sie offener und vereinbarten mehr Nachfolgetreffen als präventionsorientierte Teilnehmer. Aus ihrer Sicht verständlich: Lieber zu schnell vertrauen, als einen potentiellen Partner durch Zögerlichkeit vergraulen. Zudem sind sie tendenziell zuversichtlich, dass der andere sie ebenfalls interessant findet. Präventionsorientierte Menschen dagegen nehmen es in Kauf, zu vorsichtig zu sein, wenn sie dadurch verhindern können, enttäuscht zu werden, und fürchten eher, vom Gegenüber nicht gemocht zu werden. Bei der Frage, ob man nun einfach befreundet oder aber ein Paar ist, lassen es Promotionsorientierte dann langsamer angehen, denn sie schätzen es, mehrere Optionen zu haben. Präventionsorientierte dagegen hassen unklare Situationen und wollen genau wissen, wo sie stehen.

Mithilfe der Fokustheorie kann man andere nicht nur besser verstehen, man kann sie auch wirkungsvoll beeinflussen. Wenn man möchte, dass der Sohn endlich sein Zimmer aufräumt, die Mitarbeiterin mit mehr Engagement an die Arbeit geht oder ein Kunde ein neues Produkt kauft, sollte man Zielformulierungen, Anreize, Informationen und Feedback so wählen, dass sie zum regulatorischen Fokus des anderen passen.

Ein Beispiel: Angenommen, man möchte einen Fußballspieler zu Höchstleistungen beim Elfmeterschießen motivieren, dann kann man ihm sagen: „Versuche, möglichst wenig danebenzuschießen“, oder aber: „Versuche, möglichst oft zu treffen.“ Ein banaler Unterschied? Könnte man meinen. Henning Plessner von der Universität Heidelberg und Kollegen haben dieses Experiment mit Spielern eines Heidelberger Fußballclubs durchgeführt. Sie baten 20 Spieler, jeweils fünf Elfmeter zu schießen. Vor dem ersten Schuss erhielt jeder eine zusätzliche Instruktion. Die einen sollten versuchen, mindestens dreimal zu treffen (Promotion), die anderen dagegen vermeiden, mehr als zweimal danebenzuschießen (Prävention). Inhaltlich war die Aufgabe also gleich. Jedoch: Stimmte die Art der Instruktion mit dem dominanten Fokus des Spielers überein, landete der Ball deutlich häufiger im Netz, insbesondere bei den präventionsorientierten Spielern.

Das Rezept „regulatorische Passung“

Wie lässt sich dies erklären? Wenn man die Botschaft auf den Fokus des Gegenübers abstimmt, ruft man bei ihm einen Zustand hervor, den Psychologen regulatorische Passung (regulatory fit) nennen. „Wenn Menschen diese Passung erleben“, schreiben Higgins und Halvorson, „fühlt es sich für sie ‚richtig‘ an, und ihr Engagement steigt.“

Wie wirkungsvoll das ist, haben Wissenschaftler in zahlreichen Studien belegt. Studenten aßen 21 Prozent mehr Obst und Gemüse, wenn ihr regulatorischer Fokus mit Informationen in einer Broschüre übereinstimmte. Für promotionsorientierte Studenten lautete die Instruktion: „hebt die Stimmung“, „gut für Haut und Haare“. Für präventionsorientierte Kommilitonen: „fördert die Immunabwehr“, „Schutz vor Krebs und Herzkrankheiten“. Promotionsorientierte Menschen, die über Entlassungen bei einem Autohersteller lasen, empfanden diese als fairer und nachvollziehbarer, wenn sie als „Gelegenheit zur Erhöhung des Marktanteils“ beschrieben wurden, während sich präventionsorientierte Leser eher von der Begründung „wird den Verlust von Marktanteil verhindern“ überzeugen ließen. Promotionsorientierte Konsumenten sprachen eher auf eine Werbung für Traubensaft an, die aufforderte: „Los, verschaff dir mehr Energie“, während sich Präventionsorientierte leichter vom Slogan „Lass dir den Energieschub nicht entgehen“ locken ließen.

Die Idee der regulatorischen Passung kann man auch dazu einsetzen, sich selbst effektvoller zu motivieren. Beispielsweise indem man entsprechende Anreize setzt: „Wenn ich die Steuererklärung bis Sonntag fertig habe, gönne ich mir einen Kinobesuch“ (Promotion), oder aber: „Wenn ich die Steuererklärung bis Sonntag nicht fertig habe, ist der geplante Schuhkauf gestrichen“ (Prävention). Und wenn man sich ein Rollenmodell oder einen Mentor sucht, sollte man möglichst jemanden wählen, dessen regulatorischer Fokus zum eigenen passt, denn man wird ihn oder sie dann besonders inspirierend finden.

Manchmal reicht es nicht aus, regulatorische Passung zu schaffen, sondern es ist besser, den Fokus zu wechseln. Viele Situationen lassen sich gleich gut mit einem präventions- oder promotionsorientierten Fokus bewältigen. Es gibt aber Aufgaben, in denen ein bestimmter Fokus vorteilhaft ist. Die eigenen Finanzen auf eine solide Basis zu stellen gelingt besser, wenn man vorsichtig und mit Sorgfalt an die Arbeit geht. Kreative und ungewöhnliche Ideen dagegen lassen sich leichter entwickeln, wenn man sich nicht zu sehr um mögliche Fehltritte kümmert.

Auch wer ein Auto oder ein Haus kaufen will, stellt sich wahrscheinlich mit einer Gewinnermentalität besser. Adam Galinsky, Sozialpsychologe und Wirtschaftsprofessor an der Columbia Business School, und Kollegen ließen vor einigen Jahren 54 Teilnehmer eines Verhandlungsseminars jeweils in Paaren um eine Pharmafabrik feilschen. Promotionsorientierte Käufer wählten ihr Eröffnungsangebot fast vier Millionen Dollar niedriger als präventionsorientierte Käufer. Und diese offensive Strategie zahlte sich aus: Sie konnten die Fabrik im Schnitt für 21,24 Millionen Dollar erwerben, während ihre auf Sicherheit eingestimmten Kommilitonen 24,07 Millionen Dollar berappen mussten. Ein Unterschied von 14 Prozent. „Eine promotionsorientierte Denkweise hilft, sich ganz auf das eigene Preisziel zu konzentrieren“, schreiben Higgins und Halvorson. „Ein Präventionsfokus dagegen verleitet dazu, sich zu sehr über einen Misserfolg oder eine Pattsituation zu sorgen, was anfällig für nachteilige Deals macht.“

Glücklicherweise können Menschen relativ leicht von einer Orientierung in die andere wechseln, verraten die beiden Autoren – „zumindest vorübergehend“. In ihrem Buch listen sie eine Reihe von hilfreichen Strategien auf. Es sind überwiegend Techniken, die Forscher in ihren Studien benutzen, um bei Teilnehmern gezielt einen der beiden Fokusse zu erzeugen, aber sie lassen sich auch im Alltag einsetzen:

Was wird passieren? Die vielleicht einfachste Art, in den Promotionsfokus zu wechseln, besteht darin, sich die positiven Veränderungen vorzustellen, die eintreten werden, wenn man etwas tut. „Wenn ich das Jobangebot annehme, werde ich mehr Geld verdienen.“ Wenn man sich dagegen die Verluste vor Augen führt, die wahrscheinlich sind, wenn man etwas unterlässt, schwingt man sich auf einen Präventionsfokus ein („Wenn ich das Dach nicht repariere, werden die Wände schimmelig“).

Über Hoffnungen und Pflichten reflektieren: Wissenschaftler lassen Studienteilnehmer gerne ein paar Sätze über ihre Hoffnungen (tollen Job finden, Weltreise machen) beziehungsweise Pflichten (für die Rente sparen, zuverlässiger Partner sein) schreiben. Dies funktioniert sowohl in Richtung Zukunft (Träume/Verpflichtungen, die man erfüllen will) als auch vergangenheitsbezogen (solche, die man bereits erfolgreich erfüllt hat). In beiden Fällen stimmt es den Teilnehmer auf eine gewinnsuchende beziehungsweise verlustvermeidende Sichtweise ein.

Formulierung verändern: Praktisch jeden Anreiz kann man als Gewinn oder Verlust formulieren und so den regulatorischen Fokus verändern. Beispiel: Ein Lehrer kann sagen: „Kinder, die ihre Hausaufgaben pünktlich abgeben, dürfen mit auf den Ausflug“ (Promotion), oder aber: „Alle Kinder dürfen mit auf den Ausflug, außer diejenigen, die ihre Hausaufgaben nicht pünktlich abgeben“ (Prävention).

Motto wählen: Man kann seinen Gewinner- oder Bewahrerinstinkt wecken, indem man sich ein entsprechendes Motto setzt. Studien zeigen, dass Menschen promotionsorientierter werden, wenn man ihnen sagt, ihr neues Team habe das Motto „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“, dagegen präventionsorientierter beim Motto „Vorsicht ist besser als Nachsicht“.

Wer sich diese Strategien zunutze macht, dem wird es möglicherweise auch gelingen, endlich langfristig abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören. In einer Untersuchung des Sozialpsychologen Paul Fuglestad und seiner Kollegen von der Universität Minnesota waren promotionsorientierte Teilnehmer deutlich besser darin, in den ersten sechs Monaten die Pfunde purzeln beziehungsweise die Glimmstängel in der Schachtel zu lassen. Ihr Eifer und Enthusiasmus halfen ihnen, das schwierige Ziel erfolgreich anzugehen. Im darauffolgenden Jahr dagegen konnten die präventionsorientierten Teilnehmer ihre Stärken ausspielen. Es gelang ihnen eher, das Gewicht zu halten beziehungsweise nicht wieder zu rauchen. Ihre Wachsamkeit und Gewissenhaftigkeit verhinderte, dass sie in ungesunde Gewohnheiten zurückfielen. Die Studie macht keine Aussage darüber, aber man kann spekulieren: Abzunehmen und mit dem Rauchen aufzuhören klappt am allerbesten, wenn man zunächst mit einem Promotions- und dann mit einem Präventionsfokus an die Sache geht.

Wie ein dominanter Fokus entsteht

Ob jemand eher promotions- oder präventionsorientiert ist, hat nach der Fokustheorie viel mit dem Erziehungsstil der Eltern zu tun. Manche Eltern lassen sich von ihren Hoffnungen und Wünschen für die Zukunft des Kindes leiten. Sie versuchen sein Verhalten mit positiven Rückmeldungen zu lenken. Eine gute Schulnote, ein Sieg im Sport wird von ihnen begeistert applaudiert oder sogar mit Geschenken honoriert. Bei unbefriedigenden Ergebnissen geben sie ihrer Enttäuschung durch Distanz oder Rückzug Ausdruck. So vermitteln sie dem Kind, im Leben komme es darauf an, Fortschritte zu machen und seine Ideale zu erreichen. Und wenn man dies tue, könne man die Liebe und Achtung anderer gewinnen (Promotionsfokus).

Andere Eltern dagegen denken mehr in Kategorien von Verantwortung und Sicherheit. Sie wollen, dass ihr Kind bestimmte Standards erfüllt, und versuchen dies durch den Einsatz von negativem Feedback zu erreichen. Solange es sich an die Regeln hält und sich korrekt verhält, herrscht Ruhe. Andernfalls schimpfen sie oder bestrafen es. Das Kind lernt das Leben als Pflichterfüllung zu sehen. Wenn man Fehler macht oder Vorgaben nicht erreicht, muss man mit negativen Folgen rechnen (Präventionsfokus). Empirische Belege stützen diese These.

Eltern (und andere Erziehungspersonen) sind allerdings nicht der einzige Einfluss. Auch das Temperament spielt eine Rolle, wie Higgins und Halvorson in ihrem Buch erläutern. Manche Babys reagieren von Geburt an besonders stark auf positive Stimuli (Lächeln der Mutter, Essen); andere sprechen mehr auf negative Reize an (unangenehme Geräusche, angsteinflößende Tiere). Es gibt empirische Hinweise darauf, dass erstere eher einen Promotionsfokus entwickeln, weil die Präsenz (oder das Fehlen) eines positiven Reizes sie stärker beeinflusst, während letztere entsprechend zu einem Präventionsfokus neigen. Und schließlich macht es auch einen Unterschied, in welcher Kultur man groß geworden ist. Studien belegen, dass US-Amerikaner, aber auch Italiener, Deutsche und Holländer eher promotionsorientiert sind, während in Ländern wie Japan, China und Indien ein Präventionsfokus vorherrscht. Im Lichte der Fokustheorie ist das plausibel: Westliche Kulturen schätzen Autonomie, das Streben nach persönlichem Fortkommen und individuelle Leistungen. In östlichen Kulturen dagegen werden die Gemeinschaft, Pflichtbewusstsein und Selbstaufgabe zugunsten des Gruppenwohls betont.

Literatur

  • Heidi Halvorson, Tory Higgins: Focus. Use different ways of seeing the world for success and influence. Hudson Street Press, New York 2013

  • Heidi Halvorson, Tory Higgins: Do you play to win – or to not lose? Harvard Business Review, März 2013, Reprint 1303L

  • Paul Fuglestad u. .: Getting there and hanging on: The effect of regulatory focus on performance in smoking and weight loss interventions. Health Psychology, 27/3, 2008, 260–270

  • Johannes Keller: On the development of regulatory focus: The role of parenting style. In: European Journal of Social Psychology, 38, 2008, 354–364

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2014: Das reicht mir!