Wenig Aufwand, viel erreicht

Mit kleinen „weisen“ Interventionen lässt sich das Selbstbild von Menschen so stärken, dass sie mehr erreichen - in Beruf, Schule und Partnerschaft.

Die Studenten im zweiten Semester glaubten, sie würden an einer Umfrage zu ihren ersten Erfahrungen an der Universität teilnehmen. Sie ahnten nicht, dass die Forscher in Wirklichkeit etwas ganz anderes vorhatten: Sie wollten den Studiosi zu besseren Noten verhelfen. Viel taten sie dazu allerdings nicht. Sie legten den Studenten – angeblich zur Einstimmung – ein paar Ergebnisse von fortgeschrittenen Semestern vor. Die gaben beispielsweise zu 67 Prozent an, ihre ersten Noten seien schlechter ausgefallen als…

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seien schlechter ausgefallen als erwartet. 62 Prozent sagten aber, dass sich ihre Noten seither verbessert hätten. Kurze Videos unterstrichen die subtile Botschaft. In ihnen nannten die älteren Studenten detailliert ihre zunächst mäßigen Noten und berichteten dann, wohin sie nun geklettert waren.

Ein paar Umfrageergebnisse, ein paar Videos – das war alles. Die Forscher wollten herausfinden, ob schon solche winzigen Beeinflussungen Einfluss darauf nehmen, wie nicht sehr erfolgreiche und auch nicht sonderlich bemühte Studenten – so waren die Teilnehmer ausgewählt – ihre ersten Misserfolge interpretieren. Die Erfolge waren beachtlich, wie sich eine Woche später zeigte. Nun legten die Psychologen den Teilnehmern einige Fragen vor, wie sie auch in Universitätsprüfungen vorkommen. Die Studenten, die von den Fortschritten ihrer älteren Kommilitonen gehört hatten, schnitten besser ab als solche, die einfach nur an der Umfrage teilgenommen hatten. Das war schon erstaunlich genug.

Die Forscher verfolgten aber auch, wie es mit den Studenten weiterging. „Die Noten im folgenden Jahr haben wir mehr zum Spaß hinzugenommen, nicht weil wir wirklich geglaubt hätten, dass unsere Intervention Verhalten dauerhaft ändern könnte“, erinnert sich der Sozialpsychologe Timothy Wilson von der University of Virginia in einem Interview. „Ich werde nie den Moment vergessen, in dem ich die Ergebnisse bekam und sie zeigten, dass genau das geschehen war– durch eine Sitzung, die nur eine halbe Stunde gedauert hatte.“ Die Studenten, die in den Genuss der aufgemöbelten Umfrage gekommen waren, schnitten bei den Prüfungen im Schnitt fast eine halbe Note besser ab. Das ist zwar nicht riesig viel, kann aber im Einzelfall durchaus den Unterschied zwischen Bestanden und Durchgefallen bedeuten. Nicht schlecht für eine halbstündige Intervention, die noch nicht einmal etwas mit dem Stoff zu tun hatte. Der Erfolg war kein Zufallstreffer. Wilson und andere Forscher haben den mittlerweile klassischen Versuch aus dem Jahr 1982 seither ein Dutzend Mal mit ähnlichen Resultaten wiederholt. Es ist also möglich, mit geringem Aufwand erstaunlich viel zu erreichen.

Wer Wähler als Wähler anspricht, kriegt Wähler

„Eine der aufregendsten Entwicklungen der psychologischen Forschung in den letzten Jahren“, urteilt der Psychologieprofessor Gregory Walton von der kalifornischen Stanford University, „ist das Aufkommen einer neuen Klasse von Interventionen, die alltäglicher sind, kürzer und präziser.“ Walton nennt solche Ansätze „weise Interventionen“. Bei ihnen gilt es, den psychologischen Prozess hinter einem Problem genau zu identifizieren und dann präzise an dieser Stelle den Hebel anzusetzen. Wilson beispielsweise vermutet, dass sich viele Studenten nach den ersten schlechten Noten als nicht unitauglich einstuften. Doch als sie in den Umfragedaten und Videos sahen, dass sich auch andere anfangs schwergetan hatten, sagten sie sich: „Vielleicht bin ich doch kein Irrtum der Zulassungsstelle, der besser auf die Berufsschule gegangen wäre – ich muss mich einfach einarbeiten und mehr anstrengen, so wie die Studenten, die ich gesehen habe.“ Wenn sie dann richtig loslegen, haben sie auch Erfolge, was wiederum ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt. Ein positiver Kreislauf kommt in Gang.

Weise Interventionen können ausgesprochen minimalistisch sein. Im Extremfall machen winzige Formulierungsänderungen einen großen Unterschied. So lässt sich beispielsweise die Wahlbeteiligung steigern, wie Walton in einer 2011 veröffentlichten Studie bewies. Am Morgen einer Gouverneurswahl im US-Bundesstaat New Jersey ließ er gut zweihundert Wahlberechtigten einige Fragen stellen. Sie waren entweder so formuliert, dass sie den Befragten mit einem Substantiv charakterisierten, beispielsweise: „Wie wichtig ist es für Sie, in der bevorstehenden Abstimmung ein Wähler zu sein?“ Oder aber sie zielten mit einem Verb auf das, was der Befragte heute tun würde: „Wie wichtig ist es für Sie, in der bevorstehenden Abstimmung zu wählen?“ Hinterher überprüften die Forscher, wer sich tatsächlich zur Wahl aufgerafft hatte. Wurden die Befragten verführt, sich als „Wähler“ zu sehen, stimmten 90 Prozent ab. Dagegen waren es lediglich 79 Prozent, wenn sie gefragt worden waren, ob Wählen für sie wichtig sei. Zwei weitere Experimente führten zu ähnlichen Ergebnissen.

Formulierungen können Beziehungen verändern

Das Geheimnis dieser weisen Intervention: Die Formulierung mit dem Substantiv ändert das Selbstbild der Personen. Sie sehen sich nun als Wähler, also gehen sie zur Wahl. Schon Kinder verstehen dieses sprachliche Prinzip intuitiv. Wenn sie hören, ein Kind sei ein „Karottenesser“, verspeist es ihrer Meinung nach mehr Karotten, als wenn es „Karotten isst, wann immer es kann“.

Unscheinbare Formulierungsunterschiede können auch Folgen für Beziehungen haben. Das demonstrierte Denise Marigold von der University of Waterloo im kanadischen Ontario in mehreren Experimenten mit Menschen, denen es an Selbstbewusstsein mangelte. Solche Selbstunsicheren können mit einem Kompliment ihres Partners wenig anfangen. Sie bezweifeln, dass die Bewunderung ehrlich gemeint ist. Denise Marigold legte ihnen aber auf ihre Weise nahe, das Kompliment ernst zu nehmen. Sie bat die Teilnehmer mit Blick auf das letzte eingeheimste Kompliment aufzuschreiben, „warum Ihr Partner Sie bewundert hat“. Das Wort „bewundern“ implizierte, so Denise Marigold, dass der Partner den Teilnehmer nicht nur im Moment des Kompliments gut fand, sondern überhaupt.

Selbst indirekte Interventionen sind hilfreich

Die weise Intervention wirkte wie erhofft. Verglichen mit selbstunsicheren Teilnehmern, die einfach nur das Kompliment im Detail beschrieben hatten, fühlten sich die, die das Kompliment als Bewunderung interpretieren mussten, noch Wochen später in ihrer Beziehung wohler und besser aufgehoben. Sie hatten sogar das Gefühl, dass ihr Partner ihnen gegenüber aufgeschlossener war. Offenbar verhalten sich so zu einer selbstbewussten Sicht Verleitete auch selbst positiver, wie eine weitere Studie ergab. Sie kritisierten ihre Partner weniger – und zwar nach deren Empfinden.

Ähnlich eindrucksvoll waren die Ergebnisse einer Minimalintervention, die Walton zusammen mit dem Beziehungsspezialisten Eli Finkel von der Northwestern University bei Chicago testete. Sie ließen 120 Ehepaare zwei Jahre lang alle vier Monate über das Internet Fragen zu ihrer Beziehung beantworten. Im ersten Jahr konnten die Forscher verfolgen, dass sich die Ehen so entwickelten, wie sie es normalerweise tun: Sie wurden schlechter. Im zweiten Jahr aber absolvierte die Hälfte der Ehepaare eine kleine Übung. Dazu notierten sie zunächst detailliert einen Konflikt aus der jüngsten Zeit. Dann mussten sie beschreiben, wie eine neutrale, allen wohlgesonnene Person den Ehekrach wahrnehmen würde, und beantworten, ob diese vielleicht auch positive Folgen darin sehen könnte. Zum Schluss wurden die Eheleute gebeten, Streitereien in den nächsten Monaten aus dieser neutralen Perspektive zu betrachten.

Diese Übung machten sie bei drei Befragungen, was jedes Mal sieben Minuten dauerte, insgesamt also gerade mal 21 Minuten. Doch die sorgten dafür, dass es mit dem Eheglück nicht weiter bergab ging. Auch hier kam ein positiver Kreislauf in Gang, vermutet Walton. Wenn alsbald der nächste Konflikt eintritt, machen sich die Eheleute eher klar, dass der andere auch nicht völlig grundlos und bösartig agiert. So verläuft die Auseinandersetzung friedlicher. Dadurch gehen die beiden mit weniger aufgestauter Wut in den nächsten Konflikt. „Die Intervention hat die Zahl der Konflikte nicht verringert“, erläutert Walton, „aber sie hat die Belastung durch die Konflikte verringert, von der die Paare berichten, und das führt zu einer Stabilisierung der Ehequalität.“

Weise Interventionen lenken den Blick auf das Wesentliche

Weise Interventionen müssen nicht einmal direkt auf das Problem zielen, um das es geht. Waltons Stanford-Kollege Geoffrey Cohen hat in vielen Studien bewiesen, dass oft eine kurze Übung reicht, die ganz allgemein der Selbstbestätigung dient. Cohen geht davon aus, dass Menschen oft weniger erreichen, als sie könnten, weil sie ihr Selbstbild bedroht sehen. Zum Beispiel fühlen sich farbige Schüler an einer überwiegend weißen Schule oft nicht anerkannt, geraten dadurch unter Stress und leisten weniger, als in ihnen steckt. „Jede Widrigkeit scheint aufs Neue die Frage aufzuwerfen, ob sie dazugehören“, vermutet Cohen. Um diesen Effekt zu vermeiden, half er solchen Schülern, sich ihrer selbst zu vergewissern.

Ein gutes Mittel dazu ist, sich darauf zu besinnen, was einem eigentlich wichtig im Leben ist. Auf Cohens Bitte ließen Lehrer ihre Siebtklässler mehrmals zehn Minuten lang darüber schreiben. Die Schüler vergegenwärtigten sich beispielsweise die große Bedeutung von Kreativität, Tanz, Musik oder auch Politik für ihr Leben und vor allem den Wert von Freunden und Familie. „Ich könnte ohne Familie nicht leben“, notierte ein Teenie. „Ich kann albern, seltsam und verrückt sein, das macht ihnen nichts aus, sie akzeptieren mich als das, was ich bin.“

Diese einfache Übung stärkte den Schülern so sehr den Rücken, dass sie nur noch halb so viele schlechte Noten kassierten wie andere, die nicht über die ihnen wichtigen Werte geschrieben hatten. Die schwächsten und unsichersten Schüler profitierten am meisten. Ihr Zeugnis fiel im Schnitt eine halbe Note besser aus.

Nachhaltig wirksam gegen Probleme in der Schule

Auch hier kommt wieder ein positiver Kreislauf in Gang. Wenn ein farbiger Junge dank der psychologischen Hilfe in den nächsten Wochen ein paar gute Noten schreibt, traut ihm die Lehrerin mehr zu und unterstützt ihn eher. Das wiederum fördert den Lerneifer weiter, und der Schüler gerät in eine Aufwärtsspirale. Wie eine Studie zeigt, gelingt das am besten, wenn die weise Intervention gleich in der ersten Schulwoche stattfindet – bevor umgekehrt ein Teufelskreis beginnt, bei dem geringes Selbstbewusstsein, schlechte Noten und düstere Lehrererwartungen ineinandergreifen.

Auch hier zeigt sich: Kurze Interventionen wirken nachhaltig. Noch im Jahr nach der Übung fielen nur fünf Prozent der schwachen schwarzen Schüler durch oder mussten von der Schule speziell gefördert werden. Bei ihren nicht bestärkten Klassenkameraden waren es 18 Prozent. Die einmalige Intervention reichte. Eine Wiederauffrischung im zweiten Jahr hatte keinen zusätzlichen Effekt.

Die Rolle des Selbstbewusstseins beachten

Solche weisen Interventionen sind kein Allheilmittel. Sie können nur greifen, wenn die Probleme im Psychologischen liegen und ansonsten alle Voraussetzungen für einen Erfolg gegeben sind. Die Lehrer in Cohens Studien beispielsweise wollten den Schülern etwas beibringen, und die wollten lernen, sie trauten sich nur zu wenig zu. Wenn allerdings die Schule nichts taugt, die Kinder von ihren Eltern vernachlässigt werden oder tiefgreifende Probleme eine glückliche Beziehung verhindern, braucht es andere, aufwendigere Ansätze.

Unter günstigen Umständen lässt sich mit weisen Interventionen auch in anderen Bereichen eine Menge ausrichten. So versuchen Psychologen, bei der Prävention von Krankheiten mitzuwirken. Beispielsweise leiden bisherige Bemühungen oft darunter, dass Raucher Warnungen als Kritik an ihrem Lebensstil und damit an sich selbst verstehen. Wird zunächst ihr Selbstbewusstsein gestärkt, sind sie eher bereit, die Botschaft an sich heranzulassen. Studenten wiederum nahmen in diesem Fall ein Aufklärungsvideo über Aids ernster und kauften mehr Kondome.

Sich ihrer selbst zu versichern kann Menschen sogar friedlicher machen. Anders als oft behauptet, verfügen gewalttätige Zeitgenossen zwar nicht über ein besonders niedriges Selbstbewusstsein. Oft haben sie sogar eine unangemessen hohe Meinung von sich und sind überdurchschnittlich narzisstisch. Doch sie reagieren sehr empfindlich und aggressiv, wenn andere diese hohe Meinung nicht teilen. Besonders Jugendliche schlagen dann schon mal zu.

Gestärktes Selbstbewusstsein kann Völkerverständigung befördern

Walton unternahm daher zusammen mit seinem Kollegen von der Universität Utrecht einen Versuch, dieses Verhaltensmuster zu durchbrechen. Teilnehmer waren 400 Schüler an einer niederländischen Mittelschule. Die Forscher ließen die Sechst- und Siebtklässler sich schriftlich auf ihre eigenen Werte besinnen, um sie weniger abhängig vom Urteil ihrer Kameraden zu machen. Davor und danach mussten die Schüler aufschreiben, wer in der Klasse andere schlug, beschimpfte oder Gerüchte verbreitete. Eine Woche später zeigte sich: Die viertelstündige Schreibübung hatte tatsächlich verhindert, dass narzisstische Schüler aggressiv wurden, wenn ihr Selbstbewusstsein gerade angekratzt war.

Was Gewalt im Klassenzimmer reduziert, hilft vielleicht auch bei größeren Konflikten. Sabina Čehajić-Clancy von der Hochschule in Sarajevo gelang es in mehreren Studien in Bosnien und Herzegowina sowie in Israel, Studenten dazu zu bringen, die örtlichen Konflikte in einem anderen Licht zu sehen. Kurz vor einer Studie in Israel hatte die jüdische Armee drei Töchter und eine Nichte eines palästinensischen Arztes in dessen Haus getötet. Das Forscherteam bat 139 israelische Studenten um ihre Meinung zu Aussagen wie: „Ich halte Israel für verantwortlich für Grausamkeiten wie die Tötung der Familie des Doktors.“ Vor solchen Fragen baten sie einen Teil der Studenten, einen persönlichen Erfolg zu beschreiben. Die Idee dabei: Wer so in einem Teil seiner Identität gestärkt wird, tut sich leichter, Probleme in einem anderen Teil seiner Identität zuzugestehen – in diesem Fall seiner nationalen. Tatsächlich waren diese Probanden eher als andere bereit, die Schuld aufseiten Israels zu sehen. Sie waren auch eher dafür, dass Israel gegenüber den Palästinensern Wiedergutmachung leisten sollte.

Ob der Ansatz tatsächlich zur Völkerverständigung beitragen kann, muss sich erst noch zeigen. Gregory Walton ist jedenfalls überzeugt, dass sich mit weisen Interventionen viele Probleme der Gesellschaft anpacken ließen. Ob Konflikte, Kriminalität, Armut, Rassismus oder Klimawandel, „bei fast jedem Problem spielen psychologische Momente eine Rolle“, und es sei die Aufgaben der Psychologen, sie zu finden „und Methoden zu entwickeln, um sie anzugehen“.

Literatur

Gregory M. Walton: The new science of wise psychological interventions. Current Directions in Psychological Science, 23/1, 2014, 73–82

Geoffrey L. Cohen, David K. Sherman: The psychology of change: Self-affirmation and social psychological intervention. Annual Review of Psychology, 65, 2014, 333–371

Geoffrey L. Cohen u. a.: Recursive processes in self-affirmation: Intervening to close the minority achievement gap. Science, 324/5925, 2009, 400–403

Sabina Čehajić-Clancy u. a.: Affirmation, acknowledgment of in-group responsibility, group-based guilt, and support for reparative measures. Journal of Personality and Social Psychology, 101/2, 2011, 256–270

Eli J. Finkel u. a.: Brief intervention to promote conflict reappraisal preserves marital quality over time. Psychological Science, 24/8, 2013, 1595–160

Sander Thomaes u. a.: Reducing narcissistic aggression by buttressing self-esteem: An experimental field study. Psychological Science, 20/12, 2009, 1536–1542

Timothy D. Wilson: Redirect: The surprising new science of psychological change. Little, Brown and Company, New York 2011

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2014: Ärger!