Keine Angst … vorm Blick aufs Konto

Nach der Übernahme eines Cafés lähmten Norbert Kestel die Finanzen. Doch heute nicht mehr.

Norbert Kestel erzählt: Irgendwann konnte ich nur noch mit Alkohol einschlafen. Ich wusste nicht weiter. Bald nach meinem Studium hatte ich ein Bistro-Café übernommen, das eigentlich gut lief. Doch durch den Knebelvertrag mit der Brauerei war das Lokal über die Jahre schleichend ins Minus gerutscht.

Als der Gerichtsvollzieher zum ersten Mal kam, hatte ich ziemlich Angst, aber zum Glück war er mit 1000 Mark zufrieden, die ich von meinem DJ-Nebenjob hatte. So ging das dann bald jeden Monat.

Als nach zwölf Jahren der Mietvertrag endete, wollte ich das Lokal an mei­nen Nachfolger übergeben. Mit dem Abstand hätte ich meine 40000 Mark Schulden bezahlt. Aber der Hauseigentümer starb und seine Frau wollte das Lokal nicht im Haus. Das war ein Riesenfiasko.

Ein neues Leben!

Kurz darauf hatte ich einen Kollaps und lag vier Wochen im künstlichen Koma. Per Gerichtsbeschluss brachte man mich in eine betreute Einrichtung der übelsten Sorte, weil man mir nicht mehr zutraute, allein klarzukommen. Das war das Schlimmste für mich. Ich wollte nur noch sterben.

Und wahrscheinlich wäre es auch ir­gendwann dazu gekommen, wenn sich nicht ein Sozialarbeiter der Einrichtung und meine gesetzliche Betreuerin um ein Privatinsolvenzverfahren bemüht hätten. In eine eigene Wohnung ziehen durfte ich auch. Ein neues Leben! Als die Forderungen der Gläubiger sechs Jahre später nicht mehr vollstreckbar waren, war ich schuldenfrei.

Wenn ich heute auf mein Konto gucke, fühlt sich das Leben ganz leicht an – obwohl ich seit dem Kollaps eine Gangstörung habe und von Grundsicherung lebe. Ich komme wunderbar zurecht. Ich weiß, dass meine Geldsorgen nur mit dem Lokal zusammenhingen.

Norbert Kestel, ehemaliger Betreiber eines Bistros

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2021: Wege aus der Depression
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