Männer, das extreme Geschlecht

Männer sind das vielfältigere Geschlecht. Sie unterscheiden sich untereinander stärker als Frauen. Was heißt das für die Gleichberechtigung?

Vergleicht man alle männlichen und weiblichen Individuen einer Kultur in einer beliebigen Eigenschaft, dann zeigt sich eine Art Naturkonstante: Die Werte der Männer „streuen“ stärker, sie schlagen mehr nach oben und unten hin aus, während sich die Frauen nicht ganz so stark vom Mittelwert entfernen. Ob Körpergröße, Geburtsgewicht, Schnelligkeit beim 100-Meter-Lauf oder Anzahl der roten Blutkörperchen: In all diesen Variablen unterscheiden sich Männer untereinander stärker als Frauen untereinander. Also: Es…

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Also: Es gibt sehr große und sehr kleine, sehr schnelle und sehr langsame Männer, während die Unterschiede zwischen großen und kleinen, schnellen und langsamen Frauen nicht so ausgeprägt sind. Die männliche Verteilungskurve ist flacher, dafür aber breiter als die der Frauen. Bei den Frauen häufen sich mittlere Ausprägungen eines Merkmals besonders stark, während Männer an den Rändern der Verteilung stärker vertreten sind. Mit anderen Worten: Männer sind das extremere Geschlecht.

Intelligente Männer, dumme Männer

Psychische Eigenschaften sind davon nicht ausgenommen. Seit längerem ist das bei kognitiven Leistungsmerkmalen belegt, allen voran der Intelligenz. Was den Durchschnitts-IQ angeht, so herrscht mittlerweile unter den Forschern Einvernehmen, dass sich Frauen und Männer praktisch nicht unterscheiden. Zwar sind Männer im Schnitt etwas besser bei Aufgaben, in denen es darum geht, visuelle Objekte in der Vorstellung zu drehen oder zu kippen. Frauen schneiden besser ab, wenn es gilt, Informationen aus dem Langzeitgedächtnis bereitzuhalten und Vorgänge sprachlich zu beschreiben und aufzubereiten. Doch diese Geschlechtsunterschiede in den Teilintelligenzen sind nicht groß, und sie gleichen sich gegenseitig in etwa aus.

Der Biologe Klaus Reinhold von der Universität Bielefeld verweist auf Metaanalysen, in denen die Datensätze vieler Studien rund um den Globus ausgewertet wurden. Tenor: „Wenn man Länder wie China und Indien, in denen viele junge Frauen bei Bildung und Ernährung systematisch benachteiligt werden, aus den Daten herausnimmt, gibt es bei der Intelligenz keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Männern und Frauen.“ So weit die frohe Botschaft, die man in einer Gesellschaft, die auf Gleichberechtigung mit Recht großen Wert legt, gerne hört. Doch es gibt auch eine weniger angenehme Nachricht: Die Geschlechtergleichheit betrifft nur den Mittelwert des IQ. „Bei der Varianz, also der Streubreite der Intelligenz, gibt es aber durchaus Geschlechtsunterschiede“, so Reinhold.

Will heißen: Männer sind an den Rändern der Intelligenzverteilung stärker vertreten als Frauen. Männer überwiegen bei den Personen mit extrem hohem, aber auch bei denen mit extrem niedrigem IQ. „An beiden Enden der Verteilung also dasselbe Muster“, schreibt der amerikanische Sozialpsychologe Roy Baumeister (siehe Heft 3/2008), „je weiter man sich vom Mittelwert entfernt, desto stärker sind Männer vertreten.“ Das gleiche Muster findet man bei praktisch allen kognitiven Fähigkeiten, bestätigt der Persönlichkeitspsychologe Peter Borkenau von der Universität Halle: „Männer sind unter mathematisch Hochbegabten überrepräsentiert, sie sind aber eben auch unter Stotterern und Legasthenikern überrepräsentiert.“

Auch in ihrer Persönlichkeit extremer

Eine Zeitlang schien es, als seien temperamentsbezogene Persönlichkeitseigenschaften wie etwa Neugier, Sturheit oder Geselligkeit von diesem Geschlechtergesetz ausgenommen. Studien mit Persönlichkeitsfragebögen jedenfalls erbrachten nicht durchgängig Belege dafür, dass Männer sich auch in solchen Wesensmerkmalen untereinander stärker unterscheiden, als dies bei Frauen der Fall ist. Doch diese Studien hatten ein erhebliches methodisches Handicap: Sie beruhten auf Selbstauskünften. Die männlichen und weiblichen Studienteilnehmer schätzten also jeweils selbst ein, inwieweit die Aussagen des Persönlichkeitsfragebogens auf sie selbst zutrafen. Dies ist aber bei einem Geschlechtervergleich ein problematisches Vorgehen, meint Borkenau, „denn bei den Selbstbeurteilungen ist das Geschlecht des Beurteilers immer unlösbar verquickt mit dem Geschlecht der beurteilten Person“. Frauen geben jedoch bei solchen Persönlichkeitseinschätzungen differenziertere Urteile ab als Männer, Frauen nutzen eher die gesamte Bandbreite der vorgegebenen Skalen. Das verfälscht natürlich den Vergleich.

Um diese Fehlerquelle auszuschließen, analysierte Peter Borkenau mit einem internationalen Forscherteam die Daten zweier Bevölkerungs- und zweier Studentenstichproben. Das Besondere daran: Die insgesamt 3046 Teilnehmer, davon 1833 Frauen, wurden nicht nur von sich selbst, sondern auch von Verwandten oder Freunden beurteilt. Das Ergebnis: Schaut man sich die Persönlichkeitseigenschaften allein anhand dieser Fremdbeurteilungen an, dann trifft man auf die bereits vertraute Geschlechterverteilung: Bei den Männern streuten die meisten der abgefragten Merkmale stärker als bei den Frauen, die Männer schlugen also auch in ihrem Temperament mehr zu den Extremen hin aus. Dies war bei vier der fünf grundlegenden Persönlichkeitszüge (Big Five) der Fall.

Gesellige Männer, stille Männer

So fanden sich mehr Männer als Frauen unter den besonders geselligen Teilnehmern, die im Leben meist sehr leutselig, verbindlich und gutgelaunt sind. Doch auf der anderen Seite entpuppten sich auch mehr Männer als stark introvertiert, also in sich selbst zurückgezogen. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer Beobachtungsstudie, die Matthias Mehl von der Universität von Arizona zusammen mit James Pennebaker und seinem Team an der Universität von Texas vor einigen Jahren durchführte. Die studentischen Versuchspersonen wurden mit einem tragbaren Rekorder ausgestattet, der unerbittlich sämtliche Lautäußerungen aufzeichnete, die sie den lieben langen Tag von sich gaben. Überraschendes Ergebnis: Entgegen dem Klischee von den unentwegt plappernden Weibsbildern sprachen Studentinnen gar nicht bedeutend mehr als Studenten – im Durchschnitt jedenfalls. Doch die Standardabweichung der Messwerte war bei den Männern wieder einmal größer als bei den Frauen. Will heißen: Es gab auf der einen Seite Männer, die sehr viel redeten, auf der anderen Seite aber auch große Schweiger. Bei Frauen waren diese Unterschiede zwischen Redseligen und Wortkargenwieder einmal weniger stark ausgeprägt.

Ein ähnliches Bild ergibt sich nach der Studie von Borkenau und seinen Mitforschern im Persönlichkeitszug „Gewissenhaftigkeit“. Darunter fallen Eigenschaften wie Fleiß, Ehrgeiz oder Selbstdisziplin, die unter anderem für den Berufserfolg wichtig sind. Auch hier sind Männer an beiden Extremen etwas stärker vertreten als Frauen: unter den Strebern ebenso wie unter den Leichtfüßen, die sich so gar nicht im Griff haben und die Dinge treiben lassen.

In ihrer „Offenheit für Neues“ schöpfen Männer ebenfalls die ganze Bandbreite aus: Mehr Männer als Frauen sind neugierig auf neue Länder und Abenteuer. Doch auch am anderen Ende, unter den selbstgenügsamen Stubenhockern, denen nichts über die vertrauten Alltagsroutinen geht, sind Männer stärker vertreten. Bei zwei Facetten des Persönlichkeitszugs „Offenheit“ gibt es allerdings nicht nur an den Extremen, sondern auf breiter Front Unterschiede zwischen Frauen und Männern, erläutert Borkenau: „Die Offenheit für Ideen ist im Durchschnitt bei Männern höher, die Offenheit für Gefühle hingegen bei Frauen.“ Manche Geschlechtsunterschiede beruhen eben doch nicht bloß auf einem Klischee!

Männer: weniger verträglich

Gleich doppelt aus der Reihe fallen Männer am unteren Ende des Persönlichkeitszugs „Verträglichkeit“. Das liegt zum einen wiederum an der größeren Streubreite dieses Merkmals bei den Männern, zum anderen aber auch an deutlichen Mittelwertsunterschieden: Männer sind nicht nur in Ausnahmefällen, sondern insgesamt weniger verträglich als Frauen. Man trifft also auf deutlich mehr männliche als weibliche Individuen, die von ihrer ganzen Art her misstrauisch, berechnend, egoistisch, unbescheiden, hartherzig sowie feindselig und aggressiv sind. Es verwundert also nicht, dass Gewaltdelikte eine Männerdomäne sind. Die Tatsache, dass sich weltweit deutlich mehr Männer als Frauen das Leben nehmen, könnte man als Ausdruck von Autoaggression deuten – das würde ins Erklärungsschema passen.

Man kann Suizid aber auch als das Resultat schwerer Depressionen sehen – und damit geriete man in Erklärungsnöte, denn auf Depressionen und Ängste sind eher Frauen als Männer abonniert. Die Neigung zu diesen Gemütszuständen drückt sich in dem Persönlichkeitszug „emotionale Instabilität“ (oder „Neurotizismus“) aus. Dieses Merkmal ist bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern. Dafür ist die Bandbreite dieser Eigenschaft bei den Männern nicht größer als bei den Frauen – eine Ausnahme von der Regel also.

Was macht Männer so verschieden?

Jetzt ist es Zeit für die Preisfrage: Was ist der Mechanismus hinter dieser Regel? Was in aller Welt bewirkt, dass Männer in so vielerlei Hinsicht unterschiedlicher sind als Frauen? Was macht sie zum extremen Geschlecht?

Die gängigste Erklärung geht davon aus, dass die Vielfalt der Männer auf einem Mangel beruht. Dieser Mangel betrifft die Träger des Erbguts im Inneren des Kerns jeder unserer Körperzellen: Statt 46 vollständiger Chromosomen, wie die Frauen, besitzen Männer derer nur 45 – plus ein verkrüppeltes, nämlich das winzige Y-Chromosom. Die wahrscheinlich einzige Aufgabe dieses Winzlings, der nur wenige Gene beherbergt, besteht darin, die Geschlechtsentwicklung in Richtung Mann zu steuern. Frauen haben also zwei vollständige Geschlechtschromosomen (XX), Männer nur eines plus Anhängsel (Xy).

Daraus folgt: Für jedes Gen, das auf dem X-Chromosom sitzt (und wie man weiß, beherbergt gerade das X-Chromosom viele Gene, die für die psychische Entwicklung bedeutsam sind), hält jede Frau sozusagen ein Reservegen auf ihrem zweiten X-Chromosom bereit. Steuert das eine Gen also in Richtung einer extremen Merkmalsausprägung – etwa starken Körperwachstums oder geminderter Denkfähigkeit –, kann sich das zweite Gen mäßigend einmischen. Das ist bei Männern nicht möglich: Was immer auf dem X-Chromosom kodiert ist, schlägt bei ihnen voll durch.

Kein zweites X-Chromosom zur Mäßigung

Die Hypothese vom ausgleichenden weiblichen Doppel-X klingt plausibel. Doch obwohl sie schon seit mehreren Jahrzehnten in Umlauf ist, gab es bislang kaum Belege. Die steuerten nun Klaus Reinhold und sein Kollege Leif Engqvist bei, und zwar artenübergreifend. Sie nahmen sich in einer gigantischen Fleißarbeit die biologische Fachliteratur vor, mehrere tausend Arbeiten, und durchforsteten die publizierten empirischen Daten zur Körpergröße von Männlein und Weiblein bei knapp 400 Tierarten. Nun verglichen sie zum einen bei den Wirbeltieren, zum anderen bei den Insekten jeweils zwei Gruppen von Spezies. Die eine Gruppe bildeten Arten, bei denen – wie beim Menschen – die Weibchen zwei vollständige Geschlechtschromosomen haben, die Männchen hingegen sich mit einem begnügen müssen. Und die Vergleichsgruppe bestand aus Arten, die es genau umgekehrt halten: Dort besitzen nicht die Damen, sondern die Kerle zwei gleichartige Geschlechtschromosomen. Im Insektenreich gibt es diese Umpolung der Geschlechterverhältnisse bei den Schmetterlingen, und bei den Wirbeltieren halten es die Vögel so.

Die Ergebnisse des systematischen Vergleichs bestätigten den Verdacht: Tatsächlich sind bei den Schmetterlingen und den Vögeln die Weibchen das variablere Geschlecht. Bei den restlichen Insekten und den restlichen Wirbeltieren hingegen unterscheiden sich die Männchen untereinander stärker als die Weibchen. Das spricht stark für die Theorie vom mäßigenden Einfluss des zweiten Geschlechtschromosoms.

Der Drang, sich abzuheben

Doch ist das die einzige Erklärung dafür, dass Menschenmänner verschiedenartiger sind als Menschenfrauen? Roy Baumeister vermutet, dass in der Evolution des Homo sapiens auch die sexuelle Selektion bei der Ausgestaltung seiner männlichen Exemplare mitmischte. Erbgutanalysen hätten ergeben: „Die heutige Menschheit stammt von doppelt so vielen Frauen wie Männern ab.“ Das heißt, bei unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren hatten viele der Frauen Nachkommen, aber von den Männern pflanzten sich deutlich weniger fort. Zahlreiche Männer gingen mithin bei der Partnerwahl leer aus, während sich manche der anderen einen ganzen Harem leisteten. Männer standen also unter gehörigem Druck, bei Frauen Eindruck zu schinden. Dies habe die Ausbildung extremer Persönlichkeitszüge wie etwa Neugier, Wagemut und Dominanz befördert, so Baumeister: „Als erfolgreiche Eroberer, Krieger, Handelsleute hatten Männer bessere Chancen auf dem Partnermarkt – und damit die Chance, die eigenen Gene weiterzugeben.“

Das Problem mit der These von der sexuellen Selektion ist aber folgendes: Sie liefert zwar eine mehr oder weniger einleuchtende Erklärung dafür, warum Männer in mancherlei Hinsicht anders sind als Frauen. Sie erklärt aber nicht, warum sie vielfältiger sind. Dass der Erfolgsdruck der sexuellen Selektion dazu führte, Männer mutig, neugierig und kreativ zu machen, mag man überzeugend finden. Dafür, dass sie auf der anderen Seite des Spektrums auch ebenso viele besonders mutlose, interesselose und einfältige Männer hervorgebracht haben soll, ist hingegen kein logischer Grund ersichtlich.

Interessanterweise fällt just dem Biologen Klaus Reinhold eine mutmaßliche psychologische Begründung für die Extremität männlicher Verhaltensweisen ein: Männer wollen auffallen. „Wenn man sich anschaut, wie Jungs schon im Grundschulalter irgendetwas suchen, was sie aus der Masse heraushebt – sei es, wie viele Dinosaurier man kennt oder wie viele Automarken man am Motorgeräusch unterscheiden kann: Bei allem, was so ein wenig abgedreht ist, sind Jungen und Männer in der Überzahl.“ Und das Auffallenwollen kann in beiderlei Richtung funktionieren: „Entweder sie versuchen, in ihren Lieblingsdisziplinen besonders gut zu sein. Und wenn sie in einem Schulfach schlecht sind, dann eben gleich richtig schlecht.“

Variable Persönlichkeit, liberale Kultur

Sind Jungen und Männer nun von Natur aus so, oder wird ihre psychische Verschiedenartigkeit und ihre Motivation, aus der Masse herauszustechen, von der Kultur gesteuert? Dem Einfluss der Kultur auf die Persönlichkeitsvielfalt von Männern und Frauen sind Peter Borkenau, Robert McCrae und Antonio Terraciano im Jahr 2013 in einer weltumspannenden Vergleichsstudie nachgegangen. Mehr als 12 000 Menschen aus 51 Nationen – von Argentinien über Deutschland, Japan und Kuwait bis hin zu Uganda und den USA – wurden von ihnen nahestehenden Personen in ihren Persönlichkeitseigenschaften charakterisiert.

Insgesamt bestätigen die Ergebnisse, dass die Persönlichkeitseigenschaften der Männer breiter streuen und stärker zu den Extremen hin ausschlagen als die der Frauen. Doch die Befunde waren über die 51 Nationen hinweg nicht einheitlich. In manchen Ländern fielen die Geschlechtsunterschiede in der Streubreite der Persönlichkeit stärker aus als in anderen. In 15 Kulturen wurden sogar die weiblichen Teilnehmer extremer als die männlichen charakterisiert, mit den stärkeren Ausschlägen hin zu den Rändern der Persönlichkeitsskalen.

Bemerkenswert ist vor allem folgender Befund: Jene Länder, in denen – wie in Deutschland – die Männer in ihrer Persönlichkeit variabler sind als die Frauen, sind im Schnitt eher liberale Kulturen, die den Individuen mehr Freiheiten einräumen. Dies kann man so interpretieren: Liberale Gesellschaften haben vor allem den Männern mehr Freiheiten gebracht, während die Frauen nicht voll und ganz aus der Rolle der Kinderhüterin und Bewahrerin entlassen wurden. Man könnte es aber auch so deuten: Liberale Kulturen bieten Männern und Frauen gleichermaßen mehr Freiheiten – doch die Männer profitieren von diesen Freiheiten stärker, weil sie es ihnen gestatten, die natürliche Verschiedenartigkeit ihrer Persönlichkeiten auszuleben. Also: Suchen Sie sich eine Erklärung aus.

Achtung: vermintes Terrain!

Was folgt nun aus alledem für den Geschlechterkampf und den Geschlechterfrieden? Wer dieser Frage nachgeht, begibt sich auf vermintes Terrain. Das musste im Jahr 2006 der Ökonom Larry Summers – später Wirtschaftsberater der Regierung Obama – erfahren, als er sich zwar nicht um Kopf und Kragen, aber um sein Präsidentenamt an der Eliteuniversität Harvard redete. Summers hatte den Männerüberschuss in Spitzenprofessuren, vor allem in den Naturwissenschaften, eben mit der höheren männlichen Streubreite von Intelligenz und Begabung und mit der Hypothese vom X-Chromosom in Verbindung gebracht. Ein nicht enden wollender Aufschrei der Genderentrüstung zwang Summers schließlich zum Rücktritt. Leider zeigt das Beispiel, dass in solchen Debatten oft nach dem Muster argumentiert wird, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.

Dabei hätte man der These von der Naturgegebenheit der männlichen Übermacht in Spitzenpositionen ganz nüchtern zweierlei entgegenhalten können. Erstens: Wer sagt denn, dass für renommierte Hochschulprofessuren – und erst recht für Posten im Topmanagement – höchste Ausprägungen im IQ erforderlich oder überhaupt nur begünstigend sind? Die Abiturnoten an deutschen Schulen und die Studienabschlüsse belegen, dass überproportional viele junge Frauen mit sehr hoher Intelligenz und Leistungsbereitschaft ins Arbeitsleben eintreten. Nur bei Personen mit extrem hoher Intelligenz sind junge Männer statistisch in der Überzahl; ob das wirklich als Wettbewerbsvorteil ins Gewicht fällt, kann man bezweifeln. Vielleicht sind – eine hohe Intelligenz vorausgesetzt – Eigenschaften wie gesunder Menschenverstand oder ein Talent zum Ausgleich in Führungspositionen wichtiger als ein Extrasonderbonus an IQ.

Zweitens: Frauen und Männer unterscheiden sich nicht nur aus gesellschaftlichen, sondern auch aus biologischen Gründen in mancherlei Hinsicht. „Wir sollten diese Differenziertheit akzeptieren und nicht leugnen“, appelliert Persönlichkeitsforscher Borkenau. Das heißt aber nicht, dass man die Biologie zum Kompass politischen Handelns oder Unterlassens machen muss. „Es kommt eben darauf an“, so Borkenau, „welche politischen Ziele man in einer Gesellschaft verfolgen will. Und dies können eben auch Ziele sein, die den psychischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern entgegenwirken.“

Literatur

Roy Baumeister: Wozu sind Männer gut? Psychologie Heute, Heft 3/2008, 21–29

Peter Borkenau, Martina Hrebicková, Peter Kuppens, Anu Realo, Jüri Allik: Sex differences in variability in personality: A study in four samples. Journal of Personality, 81, 2013, 49–60. DOI: 10.1111/j.1467-6494.2012.00784.x

Peter Borkenau, Robert McCrae, Antonio Terraciano: Do men vary more than women in personality? A study in 51 cultures. Journal of Research in Personality, 47, 2013, 135–144. DOI: 10.1016/j.jrp.2012.12.001

Klaus Reinhold, Leif Engqvist: The variability is in the sex chromosomes. Evolution, 67, 2013, 3662–3668. DOI: 10.1111/evo.12224

Thomas Saum-Aldehoff: Big Five. Sich selbst und die anderen erkennen. Patmos, Ostfildern 2012 (2. Auflage)

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2014: Richtig entscheiden