Schön heute, was?

Psychologie nach Zahlen: Von Aggression bis zu romantischen Gefühlen – 5 psychische Faktoren, auf die das Wetter Einfluss hat

Die Illustration zeigt eine brünette Frau mit langen Haaren, goldenen Ohrringen und schwarzlackierten Fingernägeln, die gutgelaunt die Sonne küsst
Schönwetter hat Einfluss auf die Psyche - von Romantik bis zur Aggression. © Till Hafenbrak

Jeder redet über das Wetter – aber warum eigentlich? Vielleicht weil es uns mehr beschäftigt und mehr beeinträchtigt, als uns bewusst ist, vermutet der schottische Psychologe Trevor Harley. Nach seiner Emeritierung an der University of Dundee hat er sein Steckenpferd zur Profession gemacht und die Forschungsbefunde zur „Psychometeo­rologie“ zusammengetragen. Das Wetter, so sein Fazit, beeinflusst uns auf vielfältige, wenn auch nicht immer eindeutige Weise.

1 Stimmung

Es ist was dran: Sonnenschein hebt unsere Laune und stimmt uns optimistisch. Ist es windig, kalt und der Himmel bewölkt, dann ist auch die Stimmung eher trübe. Dies ergab 2008 eine Studie an der Berliner Humboldt-Universität mit mehr als 1200 Beteiligten, deren Stimmungstagebücher Jaap Denissen mit seinem Team mit den me­teorologischen Daten abglich. Doch der Schönwettereffekt ist insgesamt gering – vielleicht auch deshalb, weil viele Menschen so viele Stunden im Kunstlicht ihres Büros verbringen, dass es kaum eine Rolle spielt, ob es draußen schüttet oder die Sonne scheint.

Menschen, die viel Zeit im Freien verbringen, scheinen laut anderen Studien stärker von der stimmungsaufhellenden Wirkung von Sonnenschein zu profitieren. Jaap Denissen stieß aber auf eine weitere Auffälligkeit: Es gibt starke individuelle Unterschiede in der Wetterfühligkeit. Das gilt auch für die Wettervorlieben. Ein Team um Theo Klimstra von der Universität Tilburg stieß grob auf zwei Typen: auf Sommerfreunde und Sommerverächter. Letztere hatten gerade an kühlen, bewölkten Tagen bessere Stimmung.

Allgemein aber tun kurze Tage mit wenig Licht der Psyche nicht gut. Etwa fünf Prozent – dabei Frauen häufiger als Männer – leiden ab dem späten Herbst unter einer Winterdepression (seasonal affective disorder) mit Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Schläfrigkeit, Gewichtszunahme. Zu wenig Sonnenlicht mindert den Spiegel von Serotonin, einem stimmungsaufhellenden Botenstoff. Das Gegenmittel: an den kurzen Wintertagen so viel Zeit wie möglich im Freien verbringen oder im Büro eine helle Spezialleuchte installieren, die Tageslicht imitiert. Das wirkt sogar bei Menschen stimmungsaufhellend, die nicht an einer saisonalen Depression leiden.

2 Suizid

Man sollte nun meinen, an den depressiv machenden Wintertagen sei die Suizidrate am höchsten. Tatsächlich aber nehmen sich in unseren Breiten die meisten Menschen im späten Frühling und frühen Sommer das Leben, wie schon 1897 der französische Soziologe Émile Durkheim festgestellt hat – im Sommer ­werden 26 Prozent mehr Suizide als im Jahresschnitt gezählt. Besonders ausgeprägt ist der Frühsommeranstieg bei gewaltsamen Selbsttötungen wie In-den-Tod-Springen, Erschießen, Erhängen.

Eine Erklärung: Suizide ereignen sich nicht auf dem Tiefpunkt einer Depression, wenn die Initiative dazu fehlt, sondern wenn – zum Beispiel im Frühjahr – ein wenig Energie zurückkommt. Durkheim vermutete darüber hinaus: Im Frühling beobachten Depressive, wie ringsumher die Lebensgeister erwachen und die Menschen aufblühen – was ihnen den Kontrast zu ihrem eigenen Zustand nur umso schmerzhafter vor Augen führt.

Doch hat auch das konkrete Wetter an einem bestimmten Tag Einfluss auf die Suizidgefährdung? Mit seiner Kollegin Fhionna Moore hat Trevor Harley die Statistiken aus Schottland durchforstet – und festgestellt: An regnerischen Tagen gingen bei der einschlägigen Telefonhotline des National Health Service mehr Notrufe ein. Lässt man die Jahreszeiten außer Acht, dann befördern wohl eher trübe Tage eine sui­zidale Stimmungslage.

3 Aggression

In verschiedenen Studien wurde eine Verbindung von hohen Temperaturen und aggressivem Verhalten beobachtet. In tropischen Ländern werden in Jahren mit drückend warmen El-Niño-Wetterlagen mehr Konflikte registriert. In den USA steigt an heißen Tagen die Zahl von Delikten, vor allem von Gewaltverbrechen wie Mord, Vergewaltigung, Überfall, Raub.

In einer Studie in Phoenix, Arizona wurde an einer bestimmten Kreuzung immer wieder dasselbe Schauspiel aufgeführt: Die Ampel sprang auf Grün, aber die Forschungsassistentin saß unbewegt in ihrem Auto und fuhr nicht an. Es folgte das erwartbare Hupkonzert. Bei heißem Wetter, so stellte sich heraus, wurde besonders oft und lange gehupt.

4 Kognition

Eine euphorische Stimmung, wie sie viele bei Sonnenschein überkommt, ist nicht gut für die Konzentration und das Dranbleiben beim Arbeiten. Studien mit Bankangestellten in Japan oder Onlinebeschäftigten in den USA kamen zu dem Ergebnis: Bei schlechtem Wetter sind die Leute produktiver. Auch das Gedächtnis arbeitet dann wohl besser. Zum Beispiel konnten sich Kunden eines Ladens in Australien die Standorte von Kleinwaren wie Modellautos oder Spardosen an wolkigen Tagen dreimal so gut merken wie an sonnigen. Schönes Wetter ist also dem fokussierten Denken nicht allzu bekömmlich, dafür führt es zu einer breiter gefächerten Aufmerksamkeit: Man ist aufnahmebereiter für neue Ideen und kreativer.

Laut Statistiken in den USA werden in Regionen mit vielen Sonnenstunden mehr brauchbare Patente angemeldet. Der spanische Sozialpsychologe Uri Simonsohn hat untersucht, wie das Wetter den Eindruck von 682 jungen Menschen beeinflusste, die sich für ein Studium bewarben. An sonnigen Tagen achteten die Interviewerinnen und Interviewer mehr auf den Gesamteindruck, an wolkigen verengte sich ihr Blick auf das rein akademische Profil. Wer jenseits des Hörsaals nicht allzu viel hermacht, stellt sich am besten an einem Regentag vor.

5 Romantische Gefühle

Die vom Sonnenschein angefachte Offenheit für das Neue scheint auch Liebesabenteuer einzuschließen. In einer französischen Studie wollten an einem Wolkentag 14 Prozent der Frauen die offerierte Verabredung mit einem „attraktiven Fremden“ annehmen – bei schönem Wetter stieg die Quote auf 22 Prozent. Auch Liebesfilme werden häufiger angeschaut, wenn es draußen warm ist; in der Kälte finden Komödien mehr Anklang. Eine polnische Studie mit 100 heterosexuellen Männern hingegen lässt auf einen erotischen Nachholbedarf in der kalten Jahreszeit schließen. Jedenfalls fanden die Probanden Frauen in Badeanzügen, deren Silhouette man ihnen auf Fotos präsentierte, im Winter attraktiver als im Sommer.

Zum Weiterlesen:

Trevor Harley: The Psychology of Weather. Routledge, Abingdon 2019

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2021: Erfüllter leben
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