Wer hätte sich nicht schon die Frage gestellt: Was wäre aus mir geworden, wenn …? Felicitas Hoppe spinnt mit ihrem Roman Hoppe diese Frage aus. Darin nimmt sich die Schriftstellerin alle literarischen Freiheiten und erfindet sich eine zweite, andere Kindheit und Jugend. Eigentlich hat Felicitas Hoppe vier Geschwister, aber in ihrer fiktiven Autobiografie ist sie Einzelkind und wächst allein mit ihrem – meist mit seinen Erfindungen beschäftigten – Vater in Kanada auf. Vater und Tochter verstehen sich…
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ihrem – meist mit seinen Erfindungen beschäftigten – Vater in Kanada auf. Vater und Tochter verstehen sich vorzüglich und lassen sich alle Freiheit, die sie brauchen. So entwickelt die Roman-Felicitas mit Hingabe, Neugier, Tatkraft und ungebremster Energie ihre eigenen Interessen. Sie spielt leidenschaftlich Eishockey, schreibt erste Texte, erfindet großartige Produkte im Rahmen des Handarbeitsunterrichts und hat das absolute Gehör. Felicitas traut sich alles, und sie traut sich auch alles zu. Als Vater und Tochter nach Australien aufbrechen, kristallisiert sich heraus: Felicitas will Dirigentin werden. Wir sehen sie beherzt den Taktstock schwingen, aber mit der Pubertät und dem Heranwachsen wachsen auch Zweifel und Reflexion. Zum Schluss landet sie bei ihrem ersten Buch, und hier begegnet die fiktive der wirklichen Felicitas. Traumleben und wirkliches Leben sind eins, denn wir sind, was wir sind, auch wenn wir uns ein anderes Leben erfinden.
PSYCHOLOGIE HEUTE Frau Hoppe, Ihre erste Autobiografie haben Sie schon als Zehnjährige geschrieben. Wie kommt man als Kind auf so eine Idee?
FELICITAS HOPPE Diese Autobiografie ist natürlich sehr kurz. „Ich, meine Familie, meine Wünsche und mein Leben. Jetzt, da ich dies schreibe, bin ich erst zehn Jahre alt und habe trotzdem schon eine Menge erlebt“, etwa so steht es da, in einer ganz deutlichen, klaren Schrift. Der Wunsch, der eigenen Person Bedeutung zu geben, war offensichtlich schon vollkommen vorhanden. Gleichzeitig natürlich das Wissen, so richtig viel zu bieten hab ich nicht; darum bricht das Ganze dann auch ab. Einerseits ist dieser kindliche Versuch eine unfreiwillige Parodie auf das Schreiben von Autobiografie: Das hat ja auch was mit Wichtigtuerei zu tun. Trotzdem beeindruckt mich heute dieses „Hier bin ich! Ihr müsst mit mir rechnen“. Da meldet sich jemand zu Wort, der für sich in Anspruch nimmt, nicht nur über sich zu sprechen, was schon der Gipfel ist, sondern auch über die Welt. Und zwar obwohl dieses Ich eigentlich nichts erlebt hat. Der Vorwurf, dass das Erzählen nur aus dem Erleben komme, hat mein Schriftstellerdasein lange begleitet. An diesem frühen Beispiel sieht man aber, dass das Ich sich im Akt des Erzählens konstituiert: Indem ich erzähle, markiere ich meine Existenz.
PH Eine Literaturkritikerin hat Ihnen bescheinigt, die „einzige deutsche Schriftstellerin mit einer glücklichen Kindheit“ zu sein. Oft gibt das Elend der eigenen Kindheit den Anlass, nach einer kreativen Form der Bewältigung zu suchen. Das trifft auf Sie nicht zu?
HOPPE Das Bedürfnis zu schreiben ist unabhängig davon, ob man glücklich oder unglücklich ist. Zwar setzen sich viele Autoren mit belastenden Situationen, die sie erfahren haben, auseinander, aber man darf daraus nicht im Umkehrschluss ableiten, dass das Unglück die Wurzel aller Kreativität sei. Nicht alle unglücklichen Menschen schreiben. Und nicht alle glücklichen tun es nicht. Allerdings erinnere ich mich, dass meine Mutter eines Tages nach der Lektüre meiner frühen Geschichten weinend zu mir kam und mich fragte: „Ist denn dein Leben wirklich so schrecklich?“ Ich habe sie dann beruhigt, alles sei bestens, aber in der Literatur müsse Unglück vorkommen, sonst hätte man ja nichts Aufregendes zu erzählen. Drama wird eben durch Unglück erzeugt. So kamen denn auch all die traurigen Figuren in meine Kurzgeschichten.
PH Viele Jahre nach Ihrer ersten Autobiografie haben Sie eine zweite geschrieben, den Roman Hoppe. Ein Buch, mit dem Sie sich ganz kühn eine Autobiografie erfinden. Dieses Buch regt zu Fragen an: Wie faktentreu kann eine Autobiografie überhaupt sein? Was sind Erinnerungen?
HOPPE Wir berufen uns zwar immer wieder gern auf Fakten und Daten, aber ich habe noch niemanden getroffen, der sich durch einen tabellarischen Lebenslauf hinreichend charakterisiert fühlt. Andererseits gehört die erzählte Erinnerung zum Unzuverlässigsten, das man sich denken kann. Da ich vier Geschwister habe, kann ich die Probe aufs Exempel immer wieder machen – vor allem im Hinblick auf die emotionale Bewertung von Ereignissen. Manchmal habe ich das Gefühl, als ob meine Geschwister und ich nicht im selben Haus aufgewachsen wären. Deshalb ist das „Unternehmen Autobiografie“ extrem unzuverlässig und ergiebig zugleich. Weil es gewissermaßen das flankiert, was alltäglich passiert: das Umerzählen und Neuerzählen und Uminterpretieren der eigenen Geschichte. Wenn man Kraft und Zeit hätte, alle fünf bis zehn Jahre eine Autobiografie zu schreiben, käme man zu sehr interessanten Ergebnissen. Wobei sich bestimmte Grundmuster wohl wiederfinden würden. So wie verschiedene Bücher eines Autors sehr verschieden sein können und sich doch in irgendeiner Weise ähneln.
PH Eine Autobiografie umreißt nach unserer Vorstellung ein Lebensganzes. Sie schreiben schon in der Mitte des Lebens eine Autobiografie, die sich per se noch nicht vollenden konnte.
HOPPE Das Buch endet dort, wo die Felicitas der Autobiografie in ihr Schriftstellerleben eintritt. Eine Rundung gibt es nicht in dem Sinne, wie wir uns eine Rundung unseres Lebens wünschen, aber es gibt eine Kreisbewegung. Das Buch beginnt, als Felicitas fünf Jahre alt ist, und es endet mit der Vision eines Museumswärters in einer Porträtgalerie, der ein fünfjähriges Mädchen mit einem Adventskranz auf dem Kopf sieht, das die Reihe dieser Bilder abschreitet. Das heißt, Felicitas kommt am Ende des Buches durch die Hintertür genauso alt wieder herein, wie sie am Anfang war. Es ist mir selbst erst viel später aufgefallen: Dieses Kind wird gar nicht erwachsen! Das Leben erscheint als eine Aneinanderreihung von Abenteuern, es gibt auch den Wunsch, irgendwo hinzukommen, etwas zu leisten, zu wachsen, und gleichzeitig ist da eine Absage an dieses Wachstum. Ich glaube, die Vorstellung von Entwicklung, die uns der Bildungsroman vermittelt, dass das Leben irgendwohin führt, sich vollendet, ist eine Illusion. Ich sehe das Leben – und das meine ich überhaupt nicht negativ – als ein ständiges Versuchen und Wiederangehen, und was mich ganz persönlich betrifft, so habe ich das Gefühl, mein Schreiben ist ein Versuch, meine Kindheit zurückzugewinnen. Das ist zwar nicht möglich, aber ich möchte ganz stark dorthin zurück, wo es begonnen hat, zu der Autobiografie der Zehnjährigen, zu diesem Selbstbewusstsein – sich hinzustellen und zu sagen: „Seht, da bin ich! Ich spreche!“ Diese Fähigkeit wächst ja interessanterweise nicht mit dem Erwachsenwerden, sondern man verliert sie. Das ist für mich selbst die Lehre aus dem Hoppe-Buch. Ich sehe den Verlust, und er lässt sich nicht rückgängig machen.
PH Das Kind Felicitas ist das Begeisternde an Hoppe. Der Mut, auch der Übermut, die Kraft und Lust des Kindes, sich die Welt anzueignen – im Vertrauen auf sich selbst. Man möchte es sofort Felicitas nachtun, alle inneren Zweifel über Bord werfen und endlich machen, was man schon immer wollte und sich nicht traute. Das könnte gerade für Frauen eine Ermutigung sein, die sich oft als unvollkommen und, wenn sie allein sind, als unvollständig empfinden.
HOPPE Ich erlebe eher, dass das Buch von manchen Frauen als Affront gesehen wird. Obwohl die Felicitas im Buch ja weiß Gott keine Superwoman ist. Sie sagt nur einfach:„Hier bin ich, das will ich, das mach ich.“ Das finden einige Leserinnen offenbar zu selbstbezogen.
PH Vielleicht hat das damit zu tun, dass Felicitas weibliche Rollenbilder überhaupt nicht kümmern?
HOPPE Ja, es ist erstaunlich, wie sehr wir noch immer in diesen Mustern denken. Ich sehe oft bei Frauen einen Selbsthass, eine Selbstverachtung, eine Angst vor ihrem Potenzial, obwohl sie wissen, dass sie ungeheure Qualitäten haben. In Hoppe heißt es an einer Stelle, es ist für Felicitas egal, ob jemand Mann oder Frau ist, es gilt eine geradezu ungeheuerliche Parität. Ich weiß, dass es diese Gleichheit in unserer Gesellschaft nicht gibt, aber ich habe immer einen Widerstand gegen diese Geschlechterfrage gehabt, weil sie von einer ursächlichen Unterschiedlichkeit ausgeht und einer potenziellen Minderwertigkeit. Mir aber geht es um die Wesenhaftigkeit, um die Aussage: Ich bin ein Mensch. Ich bin dieses Wesen, mit meinen Begabungen und meinen spezifischen Möglichkeiten. Dass wir der Ergänzung bedürfen durch andere, auf vielfältige Weise, das ist klar, aber das heißt ja nicht, dass man selbst erst existiert durch einen anderen! Wenn ich im Buch sexuelle Fantasien, Beziehungsquerelen und -qualen ausgebreitet hätte, könnten sich Frauen, die sich hauptsächlich über ihre Beziehungen definieren, vielleicht leichter mit Felicitas identifizieren.
PH Dass es darum gerade nicht geht, verstört. Das ist der wahre Tabubruch dieses Buchs. Aber ich möchte noch auf eine gegenläufige Bewegung zu sprechen kommen, die es im Buch gibt. Als Kind in Kanada will Felicitas Eishockeyspielerin werden, später in Australien Dirigentin. Dann aber schleicht sich mit der Pubertät eine andere Seite ein – Zweifel, Einsamkeit, Gefühle des Scheiterns. Diese fiktive Biografie ist schonungslos ehrlich. Sie erlaubt eine extrem nahe Begegnung mit Ihnen.
HOPPE Das Schreiben war durchaus ein schmerzhafter Prozess. Die von Ihnen geschilderte Gegenbewegung spüre ich seit meiner Kindheit. Damals hab ich sie noch ziemlich locker weggesteckt, dann wurde sie stärker. In mir sind Vorwärtsdrang und zögernder Zweifel. Ich muss schnell schreiben, ehe mich die Zweifel einholen. Denn dann werde ich aufhören zu schreiben und aufhören, die zu sein, die ich sein könnte. Es ist ein extrem anstrengender Kampf, aber aus diesem Hinfallen und Aufstehen werden auch pathetische Funken geschlagen. Die Ehrlichkeit des Buches ist doch ein Beweis, dass man durch die Fiktion an einen Kern herankommt, an den man direkt nie herangekommen wäre. Da sieht man doch, was bei aller Qual im Schreiben möglich ist!
PH Landet man, wenn man sich eine andere als die eigene Lebensgeschichte fantasiert, doch wieder bei sich selbst? Weil auch die Fantasien an den eigenen Charakter gebunden sind?
HOPPE Ich würde sogar noch weiter-gehen und sagen, man kann überhaupt nichts erfinden. Die Fantasie ist ja keine eigene Welt, sondern nur das Mittel, mit dem wir die Dinge betrachten. Ich bin in jedem meiner Bücher sehr stark enthalten, so fantasievoll sie auch sein mögen, ich kann mich nicht verleugnen. Das ist auch tröstlich: Was immer ich erzähle, das bin ich.
PH Dann erübrigt sich die Frage, in welcher Autobiografie Sie sich wohler fühlen – in der wirklichen oder der fiktiven?
HOPPE Ja. Das Buch räumt auf mit der Vorstellung, dass wir uns ein besseres Leben erfinden können, und sogar mit der Vorstellung, dass es ein besseres Leben gäbe. Hoppes Leben im Buch ist nicht schöner und nicht interessanter als mein wirkliches. Das wäre auch gar nicht mein Ziel. Ich will nicht etwas erreichen, sondern etwas erkennen. Das sind zwei Paar Schuhe. Die Menschen unterschätzen die Lust und die Schönheit des Erkennens. Der sogenannte „innere Frieden“ beruht nicht auf Erfolg, sondern auf Erkenntnis. Das ist übrigens mit viel Arbeit und Risiko verbunden. Aber das Einzige, was am Ende bleibt. Habe ich auch nur ein Gran von dem begriffen, was mir hier widerfahren ist auf dieser Welt?
PH Man hat Ihnen schon Größenwahn unterstellt. Aber Hoppe ist ja geradezu das Gegenteil einer „Traumbiografie“, wie wir sie uns gern für Stars denken. Sie finden aber trotzdem, dass man sich hier und da „selbst die Krone aufsetzen muss, auch wenn man nicht weiß, wie krönen geht“?
HOPPE Ja, absolut. Das sieht man ja bei den Kindern. Kinder werden oft kleingemacht, gedemütigt. Aber im Normalfall machen die sich nicht klein, sondern steigen auf den Stuhl, strecken die Arme nach oben und zeigen, dass sie groß sind. Das ist ein Wunsch nach Expansion. Später sieht man dann eher – vor allem bei Frauen wieder – die Deformation, weil sie sich immerzu zurücknehmen. Diese Selbsterniedrigung, die man so oft beobachtet! Der Prototyp ist die Frau, die bei einer Einladung die Tür aufmacht und sagt, während man die Blumen auspackt: Es tut mir leid, heute ist wieder mal alles schiefgegangen … Dann weiß man, jetzt muss man beteuern, dass das Essen trotzdem toll ist. Da möchte ich auf der Schwelle umdrehen. Wenn meine Mutter sich mal verkochte, sagte sie, das sei ein neues Rezept. So muss man leben und arbeiten! Das hat nichts mit Selbstüberschätzung zu tun.
PH Und auch nicht mit Narzissmus? In unserer narzisstischen Gesellschaft sind Größenfantasien ziemlich in Misskredit geraten.
HOPPE Ich sehe einen riesigen Unterschied zwischen Narzissmus und einer gesunden und unerlässlichen Selbstliebe. Die extreme Ichbezogenheit ist ja der Wunsch, den eigenen Mangel zu kompensieren durch gesteigerte Aufmerksamkeit. Und wenn ich die nicht bekomme, muss ich sie auf mich selbst richten. Heute haben ja alle irgendwelche Probleme, wegen derer sie zum Beispiel dieses oder jenes nicht essen dürfen. Diese Menschen haben etwas, was sie als Mängelwesen eben gerade wieder auszeichnet und hervorhebt. Das ist mir zum Beispiel vollkommen fremd, die Art, sich wichtig zu tun durch die eigene Bedürftigkeit. Das ist nicht Selbstliebe und auch nicht Selbstkrönung. Das ist der Unterschied zum Selbstausdruck, der souverän ist und auch unabhängig und keines ständigen Zuspruchs bedarf. Der Selbstkröner braucht nicht dauernd das Publikum und dessen Anerkennung.
PH Ich möchte noch kurz auf das Motiv des Reisens kommen. Sie sind in Hoppe auf verschiedenen Kontinenten unterwegs und haben auch in der Realität auf einem Schiff die Welt umrundet. Warum ist Reisen wichtig?
HOPPE Das Reisen passt gut ins Bild der Bewegung und Gegenbewegung. Für mich ist das Schönste am Reisen das Zurückkommen. Zu Hause sein gibt es nur, weil es auch ein Wegsein gibt. Die Containerschiffreise habe ich eigentlich nur gemacht, weil man mich damals fragte, was ich mit dem Literaturpreisgeld, das ich gewonnen hatte, machen wolle. Ich habe geantwortet, ich reise um die Welt. Da musste ich das dann. Das ist mein Selbstüberlistungsprogramm – etwas behaupten, um es tun zu müssen. Aber jetzt merke ich eine starke Gegenbewegung. Als man mich nach der Verleihung des Büchnerpreises fragte, ob ich jetzt wieder auf Reisen gehe, sagte ich: Nein, ich kauf mir ein Haus am Genfer See. Das ist natürlich rührend angesichts meiner finanziellen Verhältnisse, aber da äußert sich jetzt doch ein Sesshaftigkeitswunsch. Das Haus als Besitz interessiert mich nicht, es geht eher um das Thema Gast und Gastgeber. Es ist extrem anstrengend, Gast zu sein. Und da ich ein höflicher Mensch bin, ist Gast sein für mich immer auch ein Hemmnis. Es schränkt die Freiheit ein.
PH Sie haben einmal gesagt, eine Ihrer Fantasien fürs Alter sei, Wirtin zu sein und zu sagen: „Kommt rein, macht’s euch gemütlich. Ihr könnt hier machen, was ihr wollt.“ In Hoppe scheint die ganze Welt für Felicitas so ein riesiges Wirtshaus zu sein, in dem man sich umtun kann, das man erforschen, erobern und in dem man sich – wenigstens vorübergehend – niederlassen und tun kann, was man will. Felicitas Hoppe als „Frau Welt“ – das ist doch eine schöne Größenfantasie: Als Schriftstellerin dirigiert man die Welt nach eigenen Vorstellungen, ist dabei faktisch aber allein. Die Wirtin legt den Taktstock aus der Hand. Sie ist einfach da, von Freunden umgeben. Dichtend, aber nicht allein.
HOPPE Toll. In dem Bild „Frau Welt“ liegt Freiheit und Sättigung. So könnte ich mich sehen. Ich bin nämlich – vom Erkenntnisdrang abgesehen – kein getriebener Mensch und auch eine große Müßiggängerin und Zeitverschwenderin, obwohl ich nach außen einigermaßen effizient wirke. Bei mir zu Hause, in meiner Wohnküche, steht ein großer Tisch, an dem viele Leute, dunkle und helle Geschichten gleichermaßen ihren Platz haben. Mein Klavier steht übrigens auch da. Dort finden öfter Küchenfeste statt, mit wenig Aufwand. Und das ist für mich eigentlich der Ort des Glücks. Der Sehnsuchtsort. Ja, darüber sollte ich mein neues Buch schreiben. Ich nehme das jetzt mal als Zeichen, was Sie mir da anbieten. Warum sollte man keine Wirtin sein dürfen?
Felicitas Hoppe, geboren 1960 in Hameln, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin – wenn sie nicht gerade auf ausgedehnten Reisen ist. Sie schreibt Erzählungen und Romane. 1996 erschien ihr Debüt Picknick der Friseure, 1999, nach einer Weltreise auf einem Frachtschiff, der Roman Pigafetta, 2003 Paradiese, Übersee, 2004 Verbrecher und Versager. 2006 folgte der Roman Johanna und 2012 die vielbeachtete fiktive Autobiografie Hoppe. Für ihr Werk wurde Felicitas Hoppe mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Aspekte-Literaturpreis (1996), dem Ernst-Willner-Preis im Bachmann-Literaturwettbewerb (1996), dem Brüder-Grimm-Preis (2005), dem Bremer Literaturpreis (2007) und dem Büchnerpreis (2012). Ihre Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt.