„Der Raum ist ein Spiegel“

Wie muss ein Büro gestaltet sein, damit wir uns gut konzentrieren können? Expertin Stephanie Wackernagel über Clean Desks und das Paradox des Einzelzimmers.

Allein, mit einem, mit vielen Kollegen in einem Raum: Was ist die beste Organisationsform? © Getty images

Frau Wackernagel, eine Grundsatzfrage, die sich vermutlich viele Arbeitnehmer stellen: Wo kann ich mich am besten konzentrieren: im Einzelzimmer, im Zwei-Personen-Büro oder in einer offenen Bürostruktur mit vielen Kollegen?

Vielleicht vorab zur Einordnung: Unsere Erhebungen zeigen, dass sich der durchschnittliche Büroarbeitende zu etwa 50 Prozent seiner Zeit in Alleinarbeit konzentrieren muss. Die restliche Zeit geht in kommunikative Tätigkeiten. Wenn Sie jetzt allein in einem Büro sitzen, heißt das, dass Sie 12-, 14-mal am Tag bei Ihrer Arbeit unterbrochen werden, weil jemand in Ihrer Tür steht und mit Ihnen reden möchte. Das ist das Paradox: Weil die Kommunikationsanforderungen heute so hoch sind, kann der Raum nicht mehr das leisten, wofür er eigentlich gedacht ist. Deshalb kann man sagen: In einem Raum mit einem Einzelarbeitsplatz, in dem ich ungestört bin, kann ich mich am besten fokussieren. Oder in einem großen Raum, in dem die Vereinbarung gilt, dass niemand spricht – wie in einer Bibliothek, da funktioniert das ja auch hervorragend.

Aber was ist denn der Sinn eines gemeinsamen Raumes mit vielen Kollegen, wenn man mit denen dann nicht sprechen darf?

Tatsächlich ist ein Aspekt von offenen Arbeitsbereichen, dass man Fläche einspart, um zusätzliche Raumangebote und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Ein weiterer Vorteil von offenen Arbeitsbereichen ist, dass sich Kolleginnen und Kollegen direkt miteinander austauschen können. Kurze, leise Gespräche stören uns da auch nicht weiter, daran gewöhnen wir uns. Erst wenn die Sprachverständlichkeit da ist, sind wir abgelenkt. Unbestimmte Nebengeräusche gehen in einem Grundrauschen unter.

Das heißt, ein Grundrauschen ist nichts, was meine Konzentration mindert?

Genau, ein Grundrauschen ist kein Problem. Viele Menschen können ja auch sehr gut im ICE oder am Flughafen arbeiten, wo Trubel herrscht. Es ist die Sprachverständlichkeit, die den Unterschied macht.

Das klingt dann aber so, als wäre das Zwei-Personen-Büro die schlechteste Wahl, da versteht man ja nun jedes Wort.

Sie haben es exakt erkannt. Das Zwei- oder Drei-Personen-Büro ist akustisch gesehen für die Konzentration die schlechteste Situation. Solche Räume sind nur dann sinnvoll, wenn die Kollegen am gleichen Projekt arbeiten und der Fokus darauf liegt, dass alle immer den gleichen Informationsstand haben.

Spielt es eine Rolle, worauf ich mich gerade konzentrieren muss? Ob ich zum Beispiel Zahlen in einer Excel-Tabelle kontrollieren möchte oder eine kreative Überschrift texte?

Auf jeden Fall. Für hohe Konzentrationsleistung – wenn ich zum Beispiel, wie Sie sagen, eine Excel-Tabelle kontrollieren muss oder einen Quellcode schreibe, brauche ich wirklich einen sehr ruhigen Raum. Zwei Programmierer können sehr gut in einem Raum zusammensitzen, wenn sie kaum kommunizieren. Die Anwesenheit des anderen ist nichts, was uns ablenkt – natürlich vorausgesetzt, dass es Kollegen sind, mit denen wir uns wohlfühlen. Kreative Tätigkeit hingegen lebt davon, dass wir ungerichtete Stimuli bekommen. Dass wir akustisch etwas wahrnehmen, dass der Raum bestimmte Merkmale hat, die uns inspirieren, wie verschiedene Farben, ungewöhnliche Formen, bestimmte haptische Erlebnisse, Gerüche, aber auch Pflanzen oder andere natürliche Elemente. Und es ist tatsächlich so, dass für kreative Tätigkeiten hohe Zimmer gut sind, in denen der Geist Raum hat. Während es für tiefe Konzentrationsleistungen eher niedrige Decken sein dürfen, etwas höhlenartiger, so dass wir uns fokussieren können und der Geist nicht so weit nach oben ausschweift.

Wie beurteilen Sie Räume mit gläsernen Türen und Wänden?

Wenn es neu ist, dass jemand an der gläsernen Wand des Raumes vorbeigeht, den ich gerade nutze, dann horchen mein Körper und mein Verstand auf, wenn ich das wahrnehme. Denn dann ist das für mich das Signal: Da kommt jemand, der etwas von mir will. Wenn es der Normalfall ist, dass Menschen an meinem aktuellen Arbeitsplatz vorbeigehen, dann nehme ich das irgendwann nicht mehr wahr. Dann merke ich erst auf, wenn einer stehenbleibt. Es kommt darauf an, wie wir konditioniert sind. Und wir können uns umkonditionieren.

Viele finden es dabei ja weniger störend, andere zu sehen, als ständig selbst gesehen zu werden.

Ja, bei Transparenz ist entscheidend, wie sie bewertet wird. Wir erleben das in der Forschung sehr stark, dass sie entweder positiv beurteilt wird, weil wir viel mitbekommen und schnell auch mal ein nonverbales Zeichen austauschen können, ein Kopfschütteln, ein 5-Minuten-Zeichen. Das ist im Zweifelsfall dann weniger störend, als wenn jemand unsere Tür öffnet und sagt: „Hast du mal eine Minute?“ und wir dann sagen: „Nein, aber ich komme in einer Viertelstunde bei dir vorbei.“ Andererseits gibt es Unternehmen, in denen eine Kultur des Misstrauens herrscht und Menschen das Gefühl haben, sie werden kontrolliert. Dann ist man in einem transparenten Raum natürlich ständig in Alarmbereitschaft. Aber es ist bei jedem Menschen auch immer ein bisschen tagesformabhängig: Jeder hat mal den Wunsch, nicht gesehen zu werden, egal, an welchen Inhalten er gerade arbeitet. Dann ist es gut, wenn es Räume gibt, in die man sich zurückziehen kann. Ein hohes Maß an Privatheit erlebt man natürlich in nicht-einsehbaren Räumen und Arbeitsbereichen.

Welche Büroform uns entspricht und wo wir uns gut konzentrieren können: Hängt das auch von unserer Persönlichkeit ab?

Es gibt tatsächlich Forschung dazu. Sie betrachtet hauptsächlich, wie introvertiert oder extravertiert eine Person ist. Da gibt es eindeutige Ergebnisse, dass Introvertierte mehr Rückzug und Geschlossenheit benötigen und Extravertierte durchaus offenere Räume bevorzugen. Nur: ich halte es für einen Trugschluss, dass Extravertierte keine Rückzugsorte brauchen, auch sie müssen sich ja konzentrieren. Ich persönlich lege eher Wert darauf, allen Mitarbeitern unterschiedliche Raum-Möglichkeiten anzubieten und im Team zu besprechen, wer welche Anteile davon braucht.

Menschen sind territoriale Wesen. Wie wichtig ist für Mitarbeiter das Gefühl: Das ist mein ganz eigener, fester Platz?

Durchaus wichtig, das ist ja tief in uns verwurzelt. Wir sehen in der Forschung, dass ein Territorium Menschen Sicherheit gibt. Aber es können auch andere Dinge sein, die uns das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle vermitteln: Meine Kollegen, meine klare Rolle im Team oder dass ich mit meiner Führungskraft gut auskomme.

Wenn ich jeden Morgen mein Laptop nehme und mich woanders hinsetzen soll: Muss die Kontrolle, die mir über den Raum genommen wurde, dann durch die Kontrolle auf anderen Feldern ersetzt werden? Dass ich zum Beispiel weiß: Mittags gehe ich immer mit diesem oder jenen Kollegen essen. Ich habe meine Lieblingstasse. Oder mein Chef hat einen festen Jour fix mit mir, in dem ich alles ansprechen kann. Ist es so, dass man fehlende territoriale Kontrolle ausgleichen sollte?

Nicht nur sollte, im besten Fall ist das fester Bestandteil des Miteinanders, auf das hingearbeitet wird. Ganz klar sichtbar ist, dass, wenn ich nicht weiß, wie mein Beitrag im Unternehmen ist oder ob mir jemand wohlgesonnen ist, ich mich umso stärker territorial an meinem Arbeitsplatz verankere. Dann suche ich Halt in dem Foto meines Partners, das auf meinem immer gleichen Schreibtisch steht. Ich glaube, das ist ein Ausdruck dessen, dass ich mich erkennen möchte: Wer bin ich und was bedeute ich an diesem Ort? Aber wenn wir eine Arbeitsumgebung haben, die mich ganz anders spiegelt, nämlich mit Wertigkeit und interessanter Möblierung, dann brauche ich vielleicht auch nicht mehr diese Zusatz-Elemente wie persönliche Fotos.

Das heißt, die Qualität der Büromöbel spielt eine Rolle?

Ja, wir erleben es, dass Menschen, die mit dem Prinzip „Clean Desk“ arbeiten – das heißt, man kommt morgens an einen Arbeitsplatz und räumt ihn abends wieder komplett leer –, gut zurechtkommen, wenn sie sich an wertigen Elementen und qualitativen Möblierungen erfreuen können. Die Mitarbeiter registrieren das und bemessen daran ihren Wert. Wenn der Tisch halb auseinanderfällt, an dem ich arbeite, dann sehe ich, dass ich nicht viel für das Unternehmen wert bin. Gleichzeitig ist wichtig, dass ich weiß: Mein Job ist sicher und zukunftsfähig, im doppelten Wortsinne: Ich habe hier meinen Arbeitsplatz. Da ist der Raum einfach nur ein Spiegel. Wir wollen uns erkennen in der Welt, wir wollen die Welt in uns integrieren können, und das machen Räume sichtbar.

Ich höre bei Ihnen ein starkes Plädoyer für eine so genannte Multispace-Arbeitsumgebung, die den Mitarbeitern ganz verschiedene Arten von Räumen zur Verfügung stellt. Weiß man denn als Mitarbeiter intuitiv, wann man für welche Tätigkeit welchen Raum nutzen sollte? Oder muss ein Unternehmen dafür Regeln aufstellen?

Nein, das wissen wir nicht automatisch – woher sollen wir es wissen, wenn wir es nicht kennen? Und nein, Regeln muss das Unternehmen nicht zwingend aufstellen. Wichtiger ist, frühzeitig gemeinsam die Räumlichkeiten zu entwickeln. Im Team zu fragen: Welche Varianz brauchen wir? Wozu brauchen wir was, eine offene Bürostruktur, Rückzugs-Zellen, Pausenräume, kreative Zimmer? Das Miteinander muss grundsätzlich diskutiert werden. Und dann entscheide ich als Mitarbeiter intuitiv richtig, weil ich es mitentwickelt habe und weiß, wozu es mir persönlich nützt. Wenn ich es nicht verstehe, dann habe ich nur das Gefühl: Da wurde mir ein neuer Raum vor die Nase gesetzt – den nutze ich nicht. Das sehen wir in der Tat sehr oft.

Für unsere Konzentration spielt auch das Licht in den Räumen eine zentrale Rolle.

Ja, bei Licht ist es zunächst wichtig, dass es natürlich auf uns wirkt. Wie hell das Licht sein sollte, wählen wir intuitiv nicht immer richtig. Es ist ähnlich wie bei den ergonomischen Einstellungen: Wenn Arbeitnehmer zum Beispiel einen höhenverstellbaren Tisch haben, ist er in den meisten Fällen falsch eingestellt. Dass ich die Möglichkeit habe, meinen Tisch, meinen Stuhl einzustellen, das lässt mich schon zufriedener sein. Richtig justieren tue ich ihn deswegen aber nicht. Ein Team am Fraunhofer-Institut arbeitet deshalb gerade beim Thema Licht und anderen ergonomischen Einstellungen daran, dass es sich automatisch auf die aktuellen Anforderungen einer Person einstellt.

Wie könnte eine solche Lichtregulierung aussehen?

Ähnlich wie bei Fitnessarmbändern würden Körpersignale des Mitarbeiters gemessen, zum Beispiel der Puls, die Herzfrequenz, der Schweiß. Und das würde an den Raum übertragen, so dass der weiß, was der Mitarbeiter gerade braucht. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Stephanie Wackernagel ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2019: Konzentration finden
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