Männer mit Depressionen

Beruflich hoch ambitionierte und zugleich traditionelle Männer, die nicht mit Stress umgehen können, haben ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken.

Männer, die sich an Normen traditioneller Männlichkeit orientieren, sind stärker gefährdet als andere, depressiv zu werden – und lehnen es häufiger ab, sich dann Hilfe zu suchen. Dies legen Forschungen schon länger nahe. Deutsche Forscher befragten nun 250 Männer einer nichtrepräsentativen Stichprobe, die zum Untersuchungszeitpunkt wegen einer Depression ambulant oder stationär behandelt wurden und stellten fest: Am stärksten gefährdet waren die besonders beruflich ambitionierten Probanden, die zugleich an herkömmlichen männlichen Normen festhielten. Bei diesen Männern fanden die Forscher zudem eine gering ausgeprägte Fähigkeit, beruflichen Stress und Belastungen zu meistern.  

Die Psychologen raten deshalb davon ab, die Priorität der Arbeit in der Therapie allzu sehr in Frage zu stellen. Die Arbeit könne für Männer beides sein, eine Quelle persönlichen Erfolgs und sozialer Anerkennung, aber auch von emotionaler Belastung und dem Risiko zu scheitern. Deshalb gehe es eher darum, ihnen zu etwas mehr Ausgewogenheit zwischen Berufs- und Privatleben zu verhelfen. Es könne jedoch das Wohlbefinden verbessern, die traditionellen Männlichkeitsvorstellungen zu lockern und zudem die Widerstandskraft der Männer zu stärken.

Die Forscher legten den Versuchsteilnehmern verschiedene Fragebögen vor und erfassten dabei, wie stark sie sich an männlichen Rollennormen orientierten, etwa wie wichtig ihnen Status oder Tüchtigkeit waren und ob sie eher „antiweiblich“ eingestellt waren. Zudem ging es in einem der Fragebögen darum, wie die Männer Depressionen beurteilten, ob sie darin etwa eine typische „Frauenkrankheit“ sahen und es für unmännlich hielten, selbst an einer Depression erkrankt zu sein (Selbst-Stigmatisierung). Außerdem erhoben die Wissenschaftler, wie lange die Depressionen vor der Therapie unbehandelt geblieben war – im Durchschnitt waren das 3,7 Jahre, in Einzelfällen erheblich mehr.

Die Fähigkeit, Stress zu meistern, ist besonders wichtig

Die Auswertung zeigte außerdem, dass Männer mit Depressionen keine homogene Gruppe seien, berichten die Forscher. Vielmehr kristallisierten sich drei Gruppen heraus. Bei einer Gruppe zog eine geringere Orientierung an herkömmlichen männlichen Rollenvorgaben ein geringeres Risiko für psychische Probleme nach sich, aber nur dann, wenn dies mit einem mittleren Maß an beruflichen Ambitionen einherging. Die zweite Gruppe: Genauso depressionsgefährdet waren Befragte, bei denen die traditionelle Rollenorientierung nicht ausgeprägt war, ebenso wenig ihre beruflichen Ambitionen. Am günstigsten für ein geringes Depressionsrisiko bei Männern ist offenbar die folgende Konstellation: ein mittleres Maß an beruflichen Ambitionen, eine ausgeprägte Fähigkeit, beruflichen Stress zu meistern und eine geringe Orientierung an herkömmlichen Männlichkeitsvorstellungen – wie bei der dritten Gruppe.

Reinhold Kilian u. a.: Masculinity norms and occupational role orientations in men treated for depression. PLOS ONE, 2020. DOI: 10.1371/jounal.pone.0233764

Artikel zum Thema
Starre Vorstellungen von Männlichkeit können einengen. Manchmal richten sie sogar handfesten Schaden an. Sie zu ändern, ist jedoch nicht einfach.
Frauen sind das depressive Geschlecht. Diese Vorstellung hält sich hartnäckig. Unter anderem auch deshalb, weil gängige Diagnoseverfahren die spezifischen…
Arbeitssucht: Wie zu viel Arbeit krank macht und das Leben einschränkt. Eine Rechtswissenschaftlerin aus Franken berichtet über ihre eigene Erfahrung.
Anzeige
Psychologie Heute Compact 79: Das Leben aufräumen