Daniel Glattauer macht es anderen Menschen leicht. Zum Interview in einem Wiener Kaffeehaus erscheint der Schriftsteller eine Viertelstunde zu früh, beginnt sofort eine verbindende Konversation über die Kaffeehauskultur seiner Heimatstadt und wie sie sich in den letzten Jahren verändert hat. Während des Gesprächs sitzt er aufrecht und hört aufmerksam zu, bemüht, auf jede Frage gut und möglichst präzise zu antworten. Dass Glattauer seit mehreren Jahren Österreichs erfolgreichster Autor ist, dass seine…
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präzise zu antworten. Dass Glattauer seit mehreren Jahren Österreichs erfolgreichster Autor ist, dass seine E-Mail-Beziehungsromane Gut gegen Nordwind und Alle sieben Wellen sich weltweit drei Millionen Mal verkauft haben, merkt man ihm keine Sekunde lang an. Der 51-Jährige wirkt bescheiden und zurückhaltend, man würde ihn auf den ersten Blick für einen Lehrer oder Psychotherapeuten halten. Und an dem Eindruck ist auch etwas dran. Glattauer hat im Bereich Pädagogik promoviert, ist erst danach Journalist geworden und hat 15 Jahre lang in der Zeitung Der Standard eine Seite-eins-Kolumne geschrieben.
Die humorvolle und empathische Haltung, mit der er dort seine Leser angesprochen und gebunden hat, findet man auch in seinen Büchern wieder. Seit einiger Zeit zieht es ihn aber auch zu seinem Erstberuf zurück. 2012 hat Glattauer eine umfangreiche Ausbildung zum psychosozialen Berater absolviert, sich unter anderem im Bereich Psychologie weitergebildet. Das habe ihn schon immer interessiert. „Und jetzt, wo die Bücher sich ganz gut verkaufen, hab ich gedacht, ich kann mir das mal gönnen“, erzählt er. Ein neues, teures Auto hat er sich trotz Millioneneinnahmen nicht geleistet. Sein Geld, sagt er, gibt er lieber für etwas Sinnvolles aus.
PSYCHOLOGIE HEUTE Sie haben zwei Romane über Leo und Emmi geschrieben, ein Paar, das zwei Jahre lang nur über Mails kommuniziert, ohne sich je zu sehen. Was haben Sie durch das Schreiben über Nähe und Distanz in Beziehungen gelernt?
DANIEL GLATTAUER Vor allem über Nähe habe ich viel erfahren: dass sie zwischen zwei Menschen auch entstehen kann, obwohl sie sich nicht sehen, sondern nur über das geschriebene Wort kommunizieren. Trotzdem wird ihr Interesse aneinander immer größer, die Beziehung verlässlicher und tiefer, die beiden flirten und streiten per Mail und versöhnen sich wieder. Dass das funktioniert, hat mich während des Schreibens selbst überrascht.
PH War es von Anfang an geplant, dass die beiden Protagonisten sich nur per E-Mail begegnen?
GLATTAUER Nein. Ich fand es zeitgemäß, dass die beiden sich per Mail kennenlernen, wollte aber, dass sie sich bald persönlich treffen. Aber dann merkte ich beim Schreiben, dass die Spannung, die durch das Nichtsehen entstand, so groß wurde, dass ich einfach so weitermachte. Als zwei Drittel des Buches fertig waren, dachte ich immer noch, dass die beiden sich jetzt bald treffen, zögerte es aber immer weiter hinaus. Irgendwann war ich am Ende der Geschichte, suchte einen würdigen Abschluss – und entschied schließlich, dass Leo und Emmi sich gar nicht sehen.
PH Kann man sich denn tatsächlich allein über die Magie der Worte in jemanden verlieben oder sogar spüren, ob man wirklich zusammenpasst?
GLATTAUER Doch, ich glaube, das ist eine realistische Möglichkeit. Vielleicht sehe ich das auch nur so, weil ich Autor bin. Aber ich finde schon, dass sich über das geschriebene Wort der Gleichklang von zwei Menschen zeigen kann. Meine beiden Protagonisten sind ja eigentlich sehr verschieden: Emmi ist offensiv, zynisch, schnell beleidigt, Leo ist vorsichtiger, freundlicher. Trotzdem gibt es in Ton, Witz und Rhythmus der Sprache viele Parallelen – und das spüren beide von Anfang an.
PH Klappt das nur im Roman, oder kann man auch in den Mails, die wir im Alltag bekommen, etwas über die Menschen, die uns schreiben, erfahren?
GLATTAUER Ich habe anfangs Unmengen von Mails von Lesern bekommen. Viele waren inhaltlich ähnlich. Trotzdem gab es große Unterschiede. Viele Nachrichten waren freundlich, aber auch irgendwie neutral. Und dann gab es immer mal wieder Mails dazwischen, da spürte ich, es wird Neugier geweckt, ich würde gern wissen, was das für ein Mensch ist, der mir da schreibt. Obwohl ich nicht bewusst sagen könnte, was mich angesprochen hat. Ich denke, es hat etwas mit Formulierungen zu tun, mit Sprachwitz, mit Leichtigkeit. Also eigentlich ähnlichen Zutaten wie in Gesprächen, in denen die Chemie stimmt.
PH Wie haben Sie es beim Schreiben geschafft, dass die beiden sich mit Worten berühren und treffen? Haben Sie versucht, besonders eloquent und pointenreich zu schreiben?
GLATTAUER Nein, ich feile erst einmal nicht bewusst an der Sprache. Wichtiger ist, dass ich mich präzise in die Figuren hineindenke. Nicht nur, dass ich mich wechselseitig in Leo und Emmi hineinversetze. Ich denke mich auch in deren Beziehung rein, stelle mir vor, was Emmi denkt, wenn Leo diesen Satz schreibt, und wie sie dann tatsächlich darauf reagiert. Auf solche Denkschleifen, eine Art Empathie zweiter Ordnung, ist der Roman aufgebaut. Ich habe mir zwischendurch zum Beispiel auch immer wieder die Frage gestellt: Wie schreibt ein Mann, den Emmi wirklich mag? Wenn ich den Ton gut getroffen habe, nahm der Text sofort an Fahrt auf.
PH Ist diese Art, sich einzufühlen, Ihre Haltung als Autor, oder ist sie ein Charakterzug?
GLATTAUER Die E-Mail-Romane haben viel mit mir selbst zu tun. Ich fühle mich wohl, wenn ich mich in andere hineinversetze, wenn ich versuche zu verstehen, was in ihnen vorgeht. Ich tue es häufig. Wenn beispielsweise in Gesellschaft jemand etwas sagt, frage ich mich nicht nur, warum er das sagt, ich denke auch darüber nach, was alle anderen im Raum denken, welche Dynamik das auslöst, welche Gefühle.
PH Woher kommt diese ausgeprägte Empathiefähigkeit?
GLATTAUER Genau weiß ich es nicht. Sie war schon immer da. Bereits in meiner Jugend habe ich gerne Freunden und, ja auch Frauen zugehört. Viele haben mir gesagt, dass es ihnen danach besser ging, dass ihnen meine Anteilnahme geholfen hat. Seitdem weiß ich: Das ist eine Stärke von mir.
PH Wie wirkt sich das Einfühlungsvermögen auf Ihre Autorentätigkeit generell aus? Bestimmt es die Themen oder die Form, in der Sie schreiben?
GLATTAUER Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass Schreiben mir am besten gelingt, wenn ich aus jemandem heraus spreche, einen inneren Monolog oder Dialoge zwischen Personen formuliere. Klassisches Geschichtenerzählen fällt mir ungleich schwerer. Als Gerichtsreporter habe ich allerdings auch lange geübt, Dialoge zu hören und zu schreiben. Man sitzt stundenlang im Prozess, es geht zu wie in einem Theater. Richter, Gutachter, Angeklagter, jeder hat seine Rolle, jeder spricht, bringt Gefühle ein. Oft war das so vielschichtig, dass ich selbst nicht wusste, wie ich die Aussagen bewerten sollte. Dann habe ich mich in die Dialogform gerettet, verschiedene Aussagen zitiert, damit die Leser sich selbst ein Bild machen konnten.
PH Sind denn Dialoge neutraler? Helfen sie wirklich, dass man sich vorurteilsfreier eine Meinung bilden kann?
GLATTAUER Ich finde schon. Im Dialog entsteht eine Schwebung, man muss zwischen den Zeilen lesen, Details und Nuancen wahrnehmen, sich selbst einen Reim machen. Ich habe in den Gerichtsreportagen auch immer mit aufgezeichnet, wie die Akteure aufeinander reagieren, welcher Sprachduktus, welche Dialekte im Spiel waren. So denkt man nicht für den Leser vor, bewertet nicht, sagt nicht „eine ungebildete Person“ oder „ein herrischer Richter“, sondern lässt die Worte für sich sprechen.
PH Einige Psychologen gehen davon aus, dass jeder Mensch einen bevorzugten Wahrnehmungskanal hat, also mit den Augen, Ohren oder eher haptisch die Welt begreift. Wie ist es bei Ihnen? Sind Sie ein Ohrenmensch?
GLATTAUER Das ist zwar eine interessante Theorie, aber ich bin auch ein leidenschaftlicher Beobachter. Ich würde sagen: Die Augen und die Ohren sind tätig, und mit beiden geht es mir immer darum, Nuancen wahrzunehmen. Ich beobachte auch gern Jugendliche im Bus, wenn sie eine SMS bekommen, wie sich dann ihre Mimik verändert. Dieser leicht verschämte, verschmitzte oder ratlose Gesichtsausdruck, da kann man viel draus lesen. Am liebsten würde ich sie fragen, was in der Nachricht steht – denn oft habe ich das Gefühl, ich weiß es schon.
PH Sie haben im November 2012 eine Ausbildung zum psychosozialen Berater abgeschlossen. Helfen Ihre feinen Antennen Ihnen in der Beratung?
GLATTAUER Ich muss zugeben, dass ich noch nicht viel Erfahrung habe. Schon während der Ausbildung habe ich gemerkt, dass ich ein Rollenproblem habe. Ich brauchte ja 150 Praxisstunden, habe im Bekanntenkreis rumgefragt, ob jemand mir Probeklienten vermitteln kann. Viele haben sich gemeldet. Sie wollten den Autor Daniel Glattauer gern mal persönlich kennenlernen. Natürlich haben die Klienten mir trotzdem ihre Probleme geschildert, es war eine normale Beratung, aber der Grundsatz der Neutralität war verletzt. Die Menschen, die ich berate, wissen sehr viel über mich, wie ich lebe, wer ich bin. Ich finde, das sollte keine Rolle spielen. Am Schluss habe ich doch noch einen Ausweg gefunden: Ich habe ein Praktikum in einer Onlineberatung der Telefonseelsorge gemacht, dort anonym Hilfesuchende beraten. Das hat mir viel Freude bereitet. Das werde ich weitermachen.
PH Was ist denn beim E-Mail-Roman-Schreiben anders als bei der Onlineberatung von Klienten?
GLATTAUER Beim Romanschreiben bin ich auf der sicheren Seite. Ich kann die Dynamik aufdrehen, wann ich will, und runterfahren, wann ich will. Und ich kann mir den Zeitpunkt aussuchen, wann ich in die empathische Auseinandersetzung mit Figuren reingehe und wann ich es sein lasse. Das finde ich schön. Denn bei aller Fähigkeit, einfühlsam zu sein, gibt es doch auch Phasen, in denen ich nicht offen bin, keine Lust habe, andere an mich ranzulassen. Das geht in der Onlineberatung natürlich nicht, da gibt der Klient das Tempo mit vor. Beim Schreiben habe ich also wesentlich mehr Kontrolle.
PH Fehlt es Ihnen auch, dass Sie in der Beratung kein Happy End aus dem Hut zaubern können?
GLATTAUER Auch das spielt eine Rolle. Wenn ich mit einem Klienten hin und her schreibe, dann kann die Kommunikation ja auch scheitern. Ich gebe zu, dass es mir viel ausmacht, wenn sich die Beratung nicht so positiv entwickelt, wie ich es mir wünsche, wenn man lange auf der Stelle tritt oder jemand die Hilfe nicht annimmt. Das ist für mich eine neue Erfahrung, dass das auch mal passiert. Durch die Ausbildung bin ich aber gut darauf vorbereitet.
PH War es Ihr Ziel, als Berater tätig zu werden, oder gab es noch andere Gründe, sich psychologisch weiterzubilden?
GLATTAUER Als ich vor ein paar Jahren meine Festanstellung als Journalist aufgab, war ich in einer kleinen Krise. Ich brauchte die Stelle finanziell nicht mehr, war auch stolz, nur noch freier Schriftsteller zu sein. Ich hatte aber auch Zweifel, ob es mir guttut, nur allein zu Hause zu sitzen und zu schreiben. In der Phase kam die Ausbildung gerade recht. Wir waren dort 18 Frauen und Männer, haben auch viel über unsere eigenen Probleme gesprochen – um daran zu üben. Ich habe zahllose gute Anregungen für mein Leben bekommen – und viel über neue psychologische Ansätze gelernt.
PH Welche der psychologischen Theorien hat Sie besonders angesprochen?
GLATTAUER Der Konstruktivismus. In der Denkschule geht es darum, dass jeder in seiner eigenen Welt lebt, Wirklichkeit also relativ ist. Das finde ich hilfreich, weil wir ja oft glauben, alle anderen denken und fühlen wie wir. Der Ansatz erklärt, warum das nicht so ist, und empfiehlt, möglichst alle Positionen wahrzunehmen. Mich hat das angesprochen, ich habe jetzt quasi eine wissenschaftliche Absicherung dafür, dass Toleranz richtig ist. Mal sehen, wohin das führt: Ich bin ohnehin jemand, der alles abwägt, was andere sagen. Meine Frau regt sich schon manchmal darüber auf, dass ich auch noch für das blödeste Verhalten von anderen Menschen eine Rechtfertigung habe. Sie sagt dann: Musst du denn immer alles verstehen?
PH Was für eine Beratung eine gute Grundhaltung ist, muss aber doch nicht auch für den Alltag passend sein, oder?
GLATTAUER Das stimmt. Manchmal will man ja auch einfach nur ein bisschen lästern und nicht fair sein. Da sagt man dann: Diese beiden da, hast du gehört, die haben sich schon wieder gestritten, und ich finde, er hat recht mit dem, was er sagt. Das tut ja auch gut. Gelegentlich.
PH Sie haben Pädagogik studiert. Gab es in Ihrem Leben immer diese Pendelbewegung zwischen Schreiben und Psychologie beziehungsweise Pädagogik?
GLATTAUER Ja, unsere ganze Familie findet das Spannungsfeld zwischen Psychologie und Schreiben anscheinend sehr interessant. Mein Bruder war früher Autor, hat Sachbücher übers Schulsystem geschrieben. Heute ist er Lehrer. Mein Vater war Journalist und meine Tante Lehrerin. Ich selbst wollte nach dem Pädagogikstudium in die Fußstapfen meines Vaters treten. Den Journalismus hab ich sehr gemocht, aber immer wieder gedacht: Wenn ich nicht Schreiber wäre, würde ich auch gern eine therapeutische Arbeit machen.
PH Das psychologische Interesse zeigt sich auch thematisch in Ihren Büchern. Sie haben sich zum Beispiel im letzten Roman Ewig Dein mit Stalking beschäftigt. Was hat Sie daran interessiert?
GLATTAUER Die Stalkinggeschichte hatte ich schon lange im Kopf. Sie geht auf Fälle zurück, die ich als Gerichtsreporter erlebt habe. Es hat mich schon damals fasziniert, dass dieses Verbrechen so schwer zu greifen ist. Wenn da jemand ist, der einfach nicht von einer Beziehung abrückt, nicht locker lässt, Blumen schickt, dem neuen Freund auflauert, dann sieht man das schnell als Kavaliersdelikt. Dieses schwer Fassbare wollte ich beschreiben. Anders als bei anderen Buchprojekten hatte ich dieses Mal auch ein konkretes Bild von einem Stalker vor Augen: einen sehr gepflegten Mann mit guten Umgangsformen, den ich damals bei Gericht erlebt habe.
PH Sie lieben es ja, sich in Beziehungen hineinzudenken. Was ist beim Stalking los? Gehören dazu auch immer zwei?
GLATTAUER Nein, das würde ich nicht sagen. Meine weibliche Hauptfigur Judith ist jedenfalls nicht besonders pathologisch. Sie redet sich einen Mann schön, von dem sie von Anfang an das Gefühl hat, dass er nicht perfekt passt. Und der lässt dann überhaupt nicht locker, als sie Schluss machen will. Judith ist meiner Meinung nach von einem gesellschaftlichen Druck getrieben. Noch heute haben viele Singlefrauen ab Mitte 30 das Gefühl, dass sie nichts gelten oder sich rechtfertigen müssen, wenn sie nicht verheiratet sind.
PH Ewig Dein beschreibt eine besessene Beziehung. Aber auch in den Mailromanen entsteht die Dynamik durch eine gewisse Gier nach der nächsten Mail des Partners. Was interessiert Sie an diesem süchtigen Sog?
GLATTAUER Ich kann nur sagen: Ich war selbst komplett drin in dem Sog. Ich war gefesselt von den Figuren, wollte, dass die beiden sich immer weiter miteinander beschäftigen. Ich war so hin und weg von der Kommunikation zwischen Leo und Emmi, dass ich ja sogar eine Fortsetzung geschrieben habe. Dazu kam in dem Fall auch noch, dass ich von Tausenden von Lesern gebeten wurde, die Geschichte doch bloß nicht enden zu lassen. Sie alle wollten eine zweite Chance für das Paar. Und ich auch. Ich wollte es eben auch weiter erleben.
PH Viele Autoren behaupten, dass sie sich nicht für die Meinung ihrer Leser interessieren. Bei Ihnen ist das anders. Sie beziehen Leser sogar mit ein. Warum?
GLATTAUER Weil Schreiben für mich ein kommunikativer Prozess ist. Ich möchte Leute berühren, möchte, dass es ihnen gefällt. Sogar beim Schreiben selbst denke ich an meine Leser. Mir gehen immer so fünf bis zehn Leute durch den Kopf, die ich kenne oder mit denen ich auf Lesungen gesprochen habe. Und dann frage ich mich: Was würden die jetzt dazu sagen? Mich blockiert diese Art zu denken nicht. Im Gegenteil. Sie hilft mir zu entscheiden, wie es im Text weitergeht.
PH Ihre Figur Leo, dieser sensible, einfühlsame Mann löst bei vielen Leserinnen Begeisterung aus. Wissen Sie, warum das so ist? Gibt es zu wenig sensible Männer?
GLATTAUER Tatsächlich habe ich nach dem Erfolg der Romane auch lange über Männer nachgedacht. Denn es stimmt: Viele schwärmen von Leos Einfühlungsvermögen, als wäre es eine seltene Gabe. Wenn ich mich aber in meinem Bekanntenkreis umschaue, dann sind die Männer fast alle sensibel, manchmal sogar ein bisschen zu weich, und die Frauen eher die Macherinnen. Ich dachte immer, mein Freundeskreis sei halbwegs repräsentativ, aber vielleicht stimmt das nicht.
PH Haben die Leser den Wechsel von den heiteren Mailromanen zum Stalkingroman, der ja als Thriller endet, eigentlich mitgemacht?
GLATTAUER Der Roman hat sich gut verkauft. Aber die Mailromane sind ungleich erfolgreicher. Ich selbst habe mir überlegt, dass ich als Nächstes lieber wieder etwas Heiteres schreibe. In Dialogen. Es wird ein Drei-Personen-Theaterstück über Paartherapie. Es gibt einen Therapeuten, der ein ziemlicher Profi ist. Und es gibt ein Paar, das so zerstritten ist, sich so gut gegenseitig die Schuld zuschieben kann, dass sogar der erfahrene Therapeut ziemlich an die Wand gedrückt wird. Und dann gibt es, wie immer, eine überraschende Wendung.
PH Klingt interessant. Sind Sie während der Ausbildung auf diese Idee gekommen?
GLATTAUER Nein, ich hatte schon vorher mal darüber nachgedacht. Ausgegangen bin ich von den vielen Floskeln, die sich in Therapiesitzungen immer wiederholen. Sätze wie „Was macht das mit Ihnen?“ oder „Können wir das so stehenlassen?“ bergen für mich viel Komik. Aber im Zuge meiner Ausbildung hat sich da etwas verändert, das therapeutische Setting hat ja auch etwas Faszinierendes an sich. Jetzt habe ich irgendwie das Gefühl, ich müsste das verteidigen. So ist das bei mir – ich will allen Positionen gerecht werden.
Daniel Glattauer lesen – einige Vorschläge:
Die Ameisenzählung. Kommentare zum Alltag. Goldmann, München 2009
Darum. Goldmann, München 2009
Gut gegen Nordwind. Goldmann, München 2008
Alle sieben Wellen. Goldmann, München 2011
Theo. Antworten aus dem Kinderzimmer. Goldmann, München 2012
Ewig Dein. Deuticke, München 2012