Eintreten und abschalten

Vordergründig ein Ort kulinarischer Zweckmäßigkeit, genauer besehen ein Quell von Inspiration und Austausch: über die Psychologie der Teeküche

Eine Frau steht in der Büroküche und bedient den Kaffeeautomaten, während hinter ihr zwei Kolleginnen warten, bis sie dran sind
© Luis Alvarez/Getty Images

Meist sind Teeküchen kleine, funktional eingerichtete Räume: Außer einer Küchenzeile und höchstens einem Tisch mit Stühlen enthalten sie nichts. Als „Pausenbereich“ dienen sie als Ort, um Getränke oder eine Kleinigkeit zu essen zubereiten zu können. Gibt es keine Kantine, sind Teeküchen unter Umständen sogar Pflicht.

Oft spricht man auch von Kaffeeküchen, was dem tatsächlichen Gebrauch auch eher entsprechen dürfte, ist doch das Kaffeetrinken eine der Hauptbeschäftigungen vieler Menschen in kurzen Pausen.…

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Kaffeetrinken eine der Hauptbeschäftigungen vieler Menschen in kurzen Pausen. Zwar erweist sich dieses an sich als wenig förderlich für eine Steigerung an Vitalitätsempfinden, die Teeküche aber hält zusätzlich entscheidende Erholungsqualitäten bereit. Aus psychologischer Perspektive ist sie ein zentraler Ort für „Mikropausen“ mit einer durchschnittlichen Dauer von circa zehn Minuten, die dazu dienen, sich von arbeitsbezogenem Stress zu erholen.

Für eine theoretische Einordnung nützt ein erholungspsychologisches Modell: Danach gelingt Erholung, wenn wir von der Arbeit abschalten, uns Herausforderungen stellen sowie Handlungsspielraum und Verbundenheit erleben. Die Teeküche hält besonders gute Gelegenheiten bereit, um auf andere Gedanken zu kommen und die eigene Komfortzone zu verlassen.

Volle Spülen und Kaffeekunst

Ein häufig zu beobachtendes Phänomen ist, dass sich Geschirr erst in und dann auch neben der Spüle stapelt, bis jemand die sich entwickelnden mikrobiologischen Organismen und farbenfrohen Schimmelkulturen mittels eines Fotos in Szene setzt – und dieses dann via E-Mail-Verteiler an alle potenziellen Nutzerinnen und Nutzer schickt. Die Antworten, die folgen, sind meist nicht weniger kreativ.

Oftmals ziehen sie auch analog in Form von mit vielen Imperativen, mindestens mitgedachten Ausrufezeichen oder in Großbuchstaben gestalteten Hinweisschildern in die Teeküche ein („Das Geschirr spült sich nicht von allein!“). Dies wiederum setzt bei anderen Ressourcen frei, sich kreativ zu betätigen und entsprechend zu reagieren („Dann muss es seine Einstellung ändern!“).

Eine weitere beliebte Möglichkeit, sich gedanklich von der Arbeit zu distanzieren und in der Pause einer Herausforderung zu stellen, bietet die Anschaffung eines Kaffeevollautomaten zur allgemeinen Nutzung. Dieser verspricht zwar, alle Barista-Funktionen auf einmal zu erfüllen, bei täglichem Gebrauch aber wird schnell deutlich, welchen Aufwand eine reibungslose Bedienung erfordert: Kaffeesatzbehälter, Wasserauffang leeren, Kaffee, Wasser, Milch nachfüllen, das Reinigungsprogramm durchführen und so weiter.

In so manchem Unternehmen bilden sich gar eigene Arbeitsgruppen, um zu untersuchen, welches die perfekte Kombination von Bohnensorte, Milchart oder Milchersatz (Soja, Hafer, Reis, Mandel) sowie Mahlgrad, Stärke des Kaffees in den Varianten Latte, Cappuccino und Milchkaffee ist. In mindestens einem Fall übertraf ein Mitarbeiter sich selbst, indem er es nach viel Übung sogar vermochte, in latte art das Firmenlogo in den Kaffee zu tropfen.

Spruchtassen und erste Kuchen

Zur Erholung trägt in der Teeküche maßgeblich auch der erlebte Handlungsspielraum bei: frei entscheiden und ganz man selbst sein können. Ein typisches Feld dafür bietet das Mitbringen der eigenen Tasse. Hier ist viel Raum, sich durch Bilder oder Sprüche darzustellen. Es gibt eine nahezu unbegrenzte Anzahl an Möglichkeiten, den Kolleginnen und Kollegen sowie den Führungskräften etwas über die eigene Persönlichkeit mitzuteilen („Ich bin hier der Chef“, „Für Pillepalle ist jemand anders zuständig“).

Zudem kann man andere an seiner Einstellung zur Arbeit teilhaben lassen, ohne zu fürchten, dass diese für die Beurteilung im Mitarbeitergespräch herangezogen wird („Das Beste am Tag ist, wenn die Arbeit zu Ende ist“, „Team heißt: Toll, ein anderer macht’s“). Für diejenigen, die sich nicht mit einer Spruchtasse einbringen wollen, gibt es immerhin die Option, zu Hause unbeliebte Becher („Borussia forever“) mitzubringen, ohne sich ganz davon trennen zu müssen.

Eine weitere wichtige Erholungsqualität der Teeküche ist das Erleben von Verbundenheit. Teeküchen gelten als eine zentrale Anlaufstelle für informellen Austausch, sie dienen dem Netzwerken, der Erweiterung des Wissens über organisatorische Abläufe, Hintergründe und Strukturen, der Koordination von Arbeitsschritten, der Problemlösung und dem Flurfunk. „Hast du schon gehört?“ „Wusstest du, dass…?“ In der Teeküche erhält man Informationen, zu denen der Zugang sonst nicht leicht ist.

Auch jegliches kleinere Fest wird in der Teeküche mindestens vorbereitet oder gar gefeiert, sei es zum Jobeinstieg oder -ausstieg, zu Geburtstag, Jubiläum, Teamerfolg; Meilensteine eines Arbeitsalltags. Aus sozialpsychologischer Sicht markiert der erste mitgebrachte (und gegessene) Kuchen die Initiation, nun fester Teil des Teams zu sein. Der letzte Sekt zur Abschiedsrede ist fest mit dem Ende eines Karriereabschnitts verbunden. Lernpsychologisch verbindet sich der in der Teeküche gefeierte Projektabschluss durch die Verknüpfung von Erfolg und Belohnung mit der Hoffnung auf eine weitere Motivationssteigerung.

Die Teeküche hält also weit mehr als Tee (oder Kaffee) bereit. Aus Sicht der Erholungspsychologie ist sie ein oft unterschätzter Ort mit nicht zu unterschätzendem Potenzial – nicht nur für die Arbeitspausen.

Literatur

David B. Newman u.a.: Leisure and subjective well-being: A model of psychological mechanisms as mediating factors. Journal of Happiness Studies, 15/3, 2014, 555–578

Charlotte Fritz u.a.: It’s the little things that matter: An examination of knowledge workers’ energy management. Academy of Management Perspectives, 25/3, 2011, 28–39

Hannes Zacher u.a.: Micro-breaks matter: A diary study on the effects of energy management strategies on occupational well-being. Journal of Vocational Behavior, 85/3, 2014, 287–297

Dr. Christine Syrek ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen ­Arbeitsstress und Erholung, Führung und Zusammenarbeit sowie e-mental health

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2022: Nein sagen lernen