„Wenn ich Nein sage, werde ich nie wieder gebucht“

Im Konflikt zwischen Kunst, Arbeitsrecht und Budget – ein Regieassistent erzählt, wie er gelernt hat, dass er nicht alle Forderungen erfüllen muss

Die Illustration zeigt einen Regieassistenten, der während eines Drehs auf einer Stange balanciert und versucht es allen recht zu machen
Zwischen Kreativität, Budget und Arbeitsrecht fühlt sich sein Job oft an wie ein Balanceakt. © Luisa Stömer für Psychologie Heute

Eines Nachts bin ich um vier Uhr aufgewacht. Ich war schweißgebadet, hatte Herzrasen: eine Panikattacke. Für eine Fernsehproduktion übernachtete ich in einer fremden Wohnung in einer anderen Stadt. Als ich mich etwas beruhigen konnte, habe ich auf dem Handy „psychiatrische Notaufnahme“ ge­googelt. Vier Stunden später saß ich dort vor einem Arzt, habe geweint und gesagt: „Es geht nicht mehr.“

Ich bin Regieassistent für Film- und Fernsehproduktionen. Der Titel ist irreführend, denn ich bin weder Assistent, noch arbeite ich für die Regie. Mein Beruf besteht darin, den Drehplan zu schreiben und dafür zu sorgen, dass er umgesetzt wird. Ich muss die kreativen Ideen von Maske über Szenenbild bis Kamera zusammentragen und so planen, dass sie zu den wirtschaftlichen und rechtlichen Vorgaben passen. Sobald der Dreh beginnt, sorge ich dafür, dass der Plan eingehalten wird, und überarbeite ihn weiter.

Ein Beispiel: Wir drehen in einem Wohnhaus und ein Zimmer soll grün gestrichen werden. Dann stellt sich heraus, dass wir erst eine Woche später als erwartet in das Haus können. In dieser Woche arbeitet das Szenenbildteam dann aber bereits an einem anderen Set. Jetzt müssen wir entscheiden: Können wir es uns leisten, drei weitere Arbeitskräfte einzustellen, um das Zimmer zu streichen? Bleibt es weiß? Oder kann ich den Drehplan so umstellen, dass wir noch später drehen? Passt das allen anderen Abteilungen?

Konflikte zwischen Kreativen

Ich mache die Arbeit sehr, sehr gern, aber es ist eine Hochenergie-Branche. Wo so viele kreative Menschen mit unterschiedlichen Berufen an einem Projekt zusammenarbeiten, gibt es immer Konflikte. Ich muss mich Sachzwängen beugen – zum Beispiel dem Budget, dem Tarifvertrag oder dem Arbeitsschutz –, aber manche Personen sehen das anders und denken, ich wolle ihre künstlerische Arbeit beschneiden. Sie sind beleidigt, gehen mich an.

Ich bin in diesen Beruf gestartet mit dem Ansatz, allen gerecht zu werden. Ich dachte, ich mache meinen Job nur gut, wenn ich alle Erwartungen erfülle, und zwar genau so, wie sie an mich herangetragen werden. Ich dachte, wenn ich mich mehr und mehr reinhänge, dann kann ich alle Probleme lösen und den Moment vermeiden, in dem ich sagen muss: „Sorry, das geht nicht.“

Schlaflose Nächte

Die Jahre vergingen, ein Projekt folgte auf das nächste, Kino, TV, Filme, Serien. Ich habe 110 Prozent gegeben, 120, 145. Die permanente Leistungssteigerung wurde mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. „Der brennt“, hieß es über mich, „der schafft was weg.“

Tatsächlich brannte ich aus. Nachts drehte ich mich oft von rechts nach links, konnte nicht mehr schlafen. Im Kopf malte ich mir Katastrophenszenarien aus. Fast alle Jobs werden über Empfehlungen vergeben. Man erinnert sich, mit welcher Person man gut zusammengearbeitet hat, und ruft sie wieder an, sobald die nächste Produktion ansteht. Ich dachte: Wenn ich nein sage und Forderungen nicht erfülle, werde ich nie wieder gebucht. Und dann?

Ich bin relativ spät zu diesem Beruf gekommen, mit Anfang dreißig. In einem Alter, in dem andere schon den Vertrag fürs Eigenheim unterschreiben, war meine finanzielle Lage prekär. Bei der Regieassistenz wusste ich gleich: Das ist es, was ich machen will. Aber ich redete mir auch ein: Das ist jetzt der letzte Versuch. Das muss gelingen. Und wie gelingt es? Indem ich meine Maßstäbe und Ziele so hoch setze und so gut bin, dass mich alle wiedereinstellen. Ich muss leuchten. Das Mindset – die eigene Überforderung – kam von mir, das kann ich nicht der Branche anlasten, aber es fiel auf fruchtbaren Boden.

Jeder ist für sich selbst verantwortlich

In der Filmbranche ist jeder für sich selbst verantwortlich. Es gibt keinerlei Strukturen, um Mitarbeitende zu entlasten. Andere Unternehmen richten vielleicht Ruheräume ein oder bieten Yogakurse an, weil sie wissen, dass sich das Investment in die Mitarbeitenden langfristig auszahlt. Aber beim Film arbeiten fast alle projektbezogen. Warum sollten Unternehmen in Leute investieren, die sie nur ein paar Wochen oder Monate lang beschäftigen?

So blieb ich allein mit meiner Überarbeitung. Dann kam wieder eine Produktion, und plötzlich konnte ich keine E-Mails mehr lesen. Ich saß vor dem Monitor, starrte auf den Text und verstand ihn nicht. Mit jedem Tag wuchs meine Angst – bis zu der Panikattacke in der Nacht.

Der Arzt in der Notaufnahme hat mich sofort für sechs Wochen krankgeschrieben. Ich habe zuerst Antidepressiva bekommen und später zusätzlich mit einer ambulanten Psychotherapie begonnen. Das hat mir geholfen, selbstsicherer zu werden. Ich habe meine Angst verloren und erlebt: Ich kann nein sagen und es passiert: nichts. Es gibt Auseinandersetzungen, das schon, aber sie bedrohen weder mich als Person noch meine wirtschaftliche Existenz. Ich werde weiter gebucht.

Strukturelle Probleme der Branche anpacken

Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die Ähnliches erleben, ist für mich fast wie eine Selbsthilfegruppe. Er entlastet mich von dem Gefühl, für alles selbst verantwortlich zu sein, und gleichzeitig kann ich zusammen mit anderen etwas gegen die strukturellen Probleme in der Branche tun.

Trotzdem ist meine Arbeit kein Spaziergang durch die Blumenwiese. Die Kommunikation bleibt anstrengend. Jede kreative Abteilung will für sich die künstlerische Maximalidee herausholen, und oft geht es nicht. Diskurse beginnen so: Ich: „Wir haben nicht genügend Geld, um 20 Autos explodieren zu lassen. Wir dürfen nicht 16 Stunden am Stück drehen.“ Antwort der anderen Person: „Dann sieht es halt scheiße aus.“

Also mache ich dem anderen klar: Ich bin nicht der Feind. Ich bin auch kein wandelnder Taschenrechner. Aber du kannst mir deine Maximalforderung nicht einfach vor die Füße werfen. Lass uns gemeinsam versuchen, das Maximum für alle zu erreichen. Mir liegt genauso wie dir daran, dass das Ergebnis visuell überzeugend ist. Aber ich kann eben keine zweite Million vom ZDF einwerben oder das Arbeitsschutzgesetz ändern. – Meist finden wir auf diese Weise eine Lösung. Aber selbst wenn ich nicht allen gerecht werden kann, schlafe ich nachts wieder durch.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie außerdem den psychologischen Hintergrund zu Rollen und Anforderungen im Arbeitskontext in Allen gerecht werden im Beruf.

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