Paare im Stress

Die Liebe ist noch da - aber die Belastungen des Alltags können Paare an die Grenze bringen. Wie wir unsere Beziehung schützen können.

Die Illustration zeigt ein Paar, dass sich gegenübersitzt, wobei die Frau mit einer hingebungsvollen Geste mit dem Mann spricht, der ihr verständnisvoll zuhört
Gespräche miteinander sind umso wichtiger, je mehr Paare alltäglichem Stress ausgesetzt sind. © Magda Wel für Psychologie Heute

Irgendwann konnte Katja Janssen ihren Mann Frank (Namen geändert) nicht mehr ertragen. Wenn er nach der Arbeit nach Hause kam, war sie sofort genervt. Sprach er sie an, hätte sie am liebsten den Raum verlassen. Berührte er sie, reagierte sie gereizt. Dabei hatte er ihr eigentlich nichts Schlimmes getan. Er hatte nur schon eine ganze Weile lang im Job einen nervigen Konflikt mit einem Vorgesetzten und konnte auch zu Hause nicht davon abschalten. Abends war er oft schlecht gelaunt, deprimiert und zog sich…

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konnte auch zu Hause nicht davon abschalten. Abends war er oft schlecht gelaunt, deprimiert und zog sich lieber zurück, als Zeit mit der Familie zu verbringen. Er fühlte sich müde und erschöpft. Aber auch Katja war an der Grenze zur Überlastung. Sie hatte einen 30-Stunden-Job und managte den Großteil des Familienalltags, außerdem hatte eines der Kinder gerade eine schwere Lebensmittelallergie entwickelt, was sie sehr besorgte. Eigentlich hatte sie das Gefühl, selbst mehr Unterstützung zu brauchen. Sie verlor also ziemlich schnell die Geduld mit den Sorgen ihres Mannes. „Sobald ich ihn sah, war ich auf Abstand“, sagt sie, „und ganz schnell auf 180. Ich konnte ihn nicht mehr gut ertragen. Wir hatten plötzlich die Verbindung zueinander verloren.“

Bis dahin hatten die Janssens keine grundlegenden Partnerschaftskonflikte gehabt, sie waren meist gut miteinander ausgekommen und hatten im Alltag immer wieder Momente der Verbundenheit und sogar Verliebtheit gespürt. Aber plötzlich schien das alles weg, und Katja Janssen dachte sogar an Trennung. Dazu kam es nicht: Die Janssens sind nach wie vor zusammen und glücklich miteinander. Die konflikt­reiche Zeit war lehrreich für sie. Denn sie zeigte ihnen, wie schnell es passieren kann, dass ein eigentlich gut funktionierendes Paar angesichts der Lasten des Alltags den Kontakt zueinander verliert. Die hohe Stressbelastung der beiden hatte ihre Bewältigungsmechanismen überstiegen und sich auf ihre Partnerschaft übertragen.

Missverständnisse und Frustrationen

Stress schadet Paaren, das konnte der renommierte Schweizer Paarforscher und Paartherapeut Guy Bodenmann mit einer Längsschnittstudie in den 1990er Jahren belegen, bei der mehr als tausend Paare über fünf Jahre hinweg auf ihrem Werdegang beobachtet worden waren. Demnach beurteilten die chronisch überlasteten Paare ihre Beziehung deutlich schlechter als weniger beanspruchte Paare, auch das Trennungsrisiko der Überlasteten war deutlich erhöht. Und das ist kaum verwunderlich: Ein gestresstes Paar streitet sich öfter und heftiger als ein entspanntes und zufriedenes Paar, gestresste Partner sind insgesamt gereizter, unwirscher und aggressiver, sie ziehen sich schneller zurück und interessieren sich weniger für ihre Gegenüber. „Wenn Menschen gestresst sind, haben sie weniger Empathie und weniger Motivation, einander zuzuhören“, erklärt die Hamburger Paartherapeutin Anke Birnbaum, die über Paarbeziehungen promoviert hat. „Da können viele Missverständnisse und Frustgefühle entstehen. Oft sammelt sich so viel Ärger an, dass diese Mischung sich irgendwann an der falschen Stelle entlädt. Dann knallt es schon bei Themen, die eigentlich banal scheinen. Und schon hat man einen handfesten Konflikt.“ Nicht immer sind es also konträre Vorstellungen von Partnerschaft, unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse und Vorlieben oder ein Abflauen der Liebe, die Beziehungen ins Wanken geraten lassen. Oft genug ist es einfach der hochgetaktete Alltag, der Paare an ihre Grenzen bringt. „Was Partnerschaften richtig zu schaffen macht, sind die kleinen Widrigkeiten“, so Anke Birnbaum, „also der ganze normale Alltagsstress.“ Wenn dann ein Konflikt im Job oder im Freundeskreis dazukomme, könne es kritisch werden, weil eben auch der andere Partner von seinen eigenen Belastungen absorbiert sei.

Im Klein-Klein des Alltags fehlt die Unterstützung

Dass große Stressoren wie der Tod eines nahen Angehörigen, eine schwere Krankheit oder Arbeitslosigkeit Paare auf Dauer belasten können, liegt auf der Hand. Doch warum bringen – wie bei den Janssens – vor allem die kleineren Stressoren Paare aus dem Gleichgewicht? Viele Studien belegen: Der Alltagsstress, auch Mikrostress genannt, erodiert Partnerschaften schleichend. Ob der übervolle Wäschekorb mit schmutzigem Zeug, die unfaire Kritik der Chefin, die konfliktbeladenen Hausaufgaben mit dem Kind oder der tägliche Stau auf dem Nachhauseweg: Es sind die vielen kleinen Dinge, die dafür sorgen, dass Partner im Alltag einen zu hohen Stresspegel entwickeln. Auf diese Stressereignisse reagieren Menschen dann häufig mit Anspannung und Rückzug – sie kommunizieren weniger und schlechter. Selbst zu Beginn einer Partnerschaft, wenn meist noch ausreichend Zeit vorhanden ist, um ins Gefühlsleben des anderen einzutauchen, kann Stress die Beziehungskommunikation massiv beeinträchtigen. So beobachteten die Psychologinnen April Buck und Lisa Neff von der University of Texas in einer Studie, dass selbst bei frischverheirateten Paaren externer Stress die beiden Partner emotional so sehr in Beschlag nahm, dass sie nicht mehr in der Lage waren, genug Energie in ihre Beziehung zu stecken. Ein harmonisches Paarleben war so nicht aufrechtzuerhalten.

Vor allem aber fehlt diese Energie, wenn Kinder im Haushalt sind. Gerade die Jahre nach der Geburt des ersten Kindes sind in dieser Hinsicht gefährlich: Einer Erhebung des Statistischen Bundesamts zufolge hat die Hälfte aller geschiedenen Paare minderjährige Kinder, gut vierzig Prozent dieser Trennungen finden bereits im ersten Jahr nach der Geburt des ersten Kindes statt. Denn in dieser Zeit ist der Stresspegel extrem hoch: Junge Paare müssen als Familie zusammenfinden und gleichzeitig Baby, Haushalt und Job bewältigen. „Bei kritischen Lebensereignissen wie Krankheit oder Jobverlust funktionieren Paare oft lange sehr gut, weil die Umwelt und der Partner viel Verständnis zeigen“, erklärt Anke Birnbaum, „Freunde helfen einem und fragen, ob sie etwas tun können. Aber im ganz normalen Klein-Klein des Alltags mit Job, Kinderbetreuung und Haushalt gibt es für den Einzelnen wenig Unterstützung vom Partner oder sozialen Netzwerk.“

Die Belastung eines Paares hängt außerdem von dem individuellen Stresspegel und den individuellen Stressbewältigungsmechanismen ab. Denn Stress ist ein zutiefst subjektives Gefühlsgeschehen. Wie Menschen darauf reagieren, ist abhängig von verschiedenen Faktoren, etwa von Persönlichkeitsmerkmalen wie Ängstlichkeit oder Gewissenhaftigkeit, früheren Lebenserfahrungen und auch der momentanen Stimmung und Belastbarkeit. Das erklärt, warum Menschen in derselben Situation oft völlig unterschiedlich auf vermeintlich belastende Reize reagieren: Ist ein Partner außerstande, im Stau die Nerven zu bewahren, kann der andere geduldig und entspannt warten, bis die Fahrbahn wieder frei ist. Stress ist also stets eine Wechselwirkung aus einem Ereignis, der aktuellen Grundstimmung, den Vorerfahrungen und der Persönlichkeitsstruktur.

Insgesamt steigt der Stresspegel in unserer Gesellschaft und damit auch die Belastung des Einzelnen. Die digitalisierte Arbeitswelt mit ihrer wachsenden Arbeitsdichte und ihren erhöhten Anforderungen an Flexibilität kostet so viel Konzentration und Nerven, dass abends die Zeit nicht reicht, um vom Job abzuschalten. Einer aktuellen Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zufolge fühlen sich 52 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland sehr oft oder oft bei der Arbeit gehetzt und unter Zeitdruck. Hinzu kommt bei manchen die Erwartung einer ständigen Erreichbarkeit. Dadurch „wird es immer schwieriger, Grenzen zu ziehen“, sagt Anke Birnbaum. „Häufig geht es zu Hause dann um die Frage: Wie wichtig sind wir dir überhaupt noch?“

Sie redete sich den Mund fusselig – nichts half

Paarforscher Guy Bodenmann glaubt, dass der Großteil der Beziehungskonflikte, die Paare erleben, eigentlich in externem Stress begründet ist. Auf Dauer wird aus diesem „paarexternen Stress“ „paarinterner Stress“. Doch was genau passiert bei der Einwirkung von Stress auf die Paarbeziehung? Wie entsteht die emotionale Entfremdung, die auch die Janssens so schnell spürten? Zunächst reduziert Stress die gemeinsame Zeit. Dadurch entstehen weniger Möglichkeiten, sich tiefergehend emotional auszutauschen, die Kommunikation wird alltagsbezogener und oberflächlicher. Schritt für Schritt nehmen Nähe und Intimität ab, das „Wir-Gefühl“ des Paares leidet.

Außerdem neigen gestresste Partner zum Grübeln und Gedankenkreisen. So konnte eine Untersuchung der kanadischen Psychologen Anita DeLongis und David King von der University of British Columbia mit dem Titel When Couples Disconnect zeigen, dass belastende Ereignisse im Beruf die Betroffenen mental noch lange in Beschlag nahmen und sich dadurch unmittelbar auf deren Partnerschaften auswirkten: Die Studie unter knapp neunzig Rettungssanitätern und deren Partnern belegte, dass die Sanitäter nach fordernden Einsätzen zu Hause häufig nicht mehr „runterkamen“ und ihre Partner daraufhin mit innerem Rückzug reagierten. Schon nach wenigen Wochen fühlten sich die Paare einander nicht mehr nahe, es kam zu Spannungen. „Bei Stress sinkt nicht nur die gemeinsame Zeit mit dem Partner, sondern auch die Qualität der Kommunikation“, ergänzt Anke Birnbaum. „Man ist ständig auf einer Abwicklungsschiene, aber nicht mehr in Kontakt.“

Schon wenn nur einer von beiden starken und anhaltenden Stress hat, kann die Beziehung also leicht in eine Schieflage geraten. Denn obwohl der entspanntere Partner den belasteten zunächst noch eine Zeit lang auffangen kann, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Unterstützung ambivalent wird. Katja Janssen redete sich den Mund fusselig, um Frank zu helfen und ihn zu entlasten, aber es half nicht. So kam bei ihr eine frustrierte Feindseligkeit ins Spiel. Daraufhin fühlte sich ihr Partner noch gestresster und zog sich weiter zurück. Beide Reaktionen waren verständlich, hatten aber das Potenzial, in einer Eskalationsspirale zu enden.

Abwärtsspirale

Katja Janssen erinnert sich an Streitgespräche, die von wenig Verständnis füreinander und von viel Kritik geprägt waren. „Am Ende ging es fast nur noch um Anschuldigungen“, sagt sie, „wir haben uns nicht mehr gesagt, was wir uns vom anderen wünschen, sondern nur noch, was der andere alles nicht hinbekommt. Und nach diesen Streits, die letztendlich ja nirgends hingeführt haben, ist jeder in ein anderes Zimmer verschwunden. Abends lagen wir total sauer nebeneinander im Bett.“ Damit sind Paare schnell in einer Abwärtsspirale gefangen. Denn je weniger die Partner sich emotional austauschen, umso negativer wird ihre Kommunikation, und je negativer sie kommunizieren, umso weniger schütten sie sich ihr Herz aus. So erschöpft sie der Konflikt immer mehr, was sie erst recht reizbar macht.

Aus dem Initialstress entwickelt sich also eine Art Teufelskreis, der bei Paaren oft zu Frust, Enttäuschung und Desillusionierung führt. Auch auf Kinder wirken sich diese Konflikte häufig aus, nicht selten beginnen sie, Symptome zu zeigen, was die Anspannung innerhalb der Familie wiederum erhöht. Irgendwann ist die Gefahr real, dass ein Paar sich angesichts der vielen negativen Interaktionen trennt. „Wir wissen heute, dass die Liebe – so groß sie am Anfang auch gewesen sein mag – durch die Alltagsanforderungen verschüttet und erdrückt werden kann“, erklärt Guy Bodenmann. „Der Stress im Alltag lässt der Liebe und ihrer Pflege oft keinen Raum, außer man nimmt sich Zeit dafür und setzt seine Prioritäten so, dass der Liebe Sorge getragen werden kann.“

Die Urlaubspostings auf Facebook, das perfekte Grillrezept

Doch wie genau gelingt das: Sorge für die Liebe tragen inmitten des Alltagstrubels? Scheinbar banale Dinge können da erwiesenermaßen sehr hilfreich sein: Allein durch gute Organisation und Planung lässt sich Stress im Paar- und Familienleben reduzieren. Wer permanent am Limit ist, sollte Prioritäten setzen und seinen Alltag daraufhin überprüfen, welche Anforderungen wegfallen können: Muss ich mich für den Gartendienst an der Grundschule eintragen, wenn mir ohnehin schon alles zu viel ist? Sollte ich mich weiterhin aus Schuldgefühlen mit der dauerleidenden Freundin treffen, deren Monologe schon lange eher anstrengend sind? Muss ich im Job alles hundertzwanzigprozentig machen oder würden 80 Prozent für meine Karriere oft völlig ausreichen? Und muss ich wirklich den Dachboden aufräumen und die hinterste Ecke im Garten, um mich dann erst entspannen zu können?

Die eigenen Ansprüche an ein vermeintlich perfektes Leben zu hinterfragen und sich einfach mit weniger zufriedenzugeben kann befreien. Müssen die Kinder also wirklich jede Woche zum Klavierunterricht gefahren werden? Braucht es tatsächlich ein neues Auto, nur weil die alte Familienkutsche etwas heruntergekommen aussieht? Und ist es sinnvoll, die Urlaubsvorbereitungen auf Facebook mit Freunden zu teilen und in Foren über die besten Grillrezepte zu diskutieren? Allein das Downsizing kann eine Entlastung sein. Doch genauso wichtig ist eine vorausschauende Planung. Lässt sich absehen, dass eine Phase anstrengender werden wird, sollte man frühzeitig organisieren, wer die Kinder in den kritischen Phasen betreut, wer den Haushalt an den Tagen XY schmeißt und wer zur Not als Aushilfe einspringen könnte.

Aber egal wie lässig und durchdacht wir unseren Alltag organisieren: Im Leben wird es immer wieder stressige Phasen geben. Und dann brauchen wir einen guten Umgang mit der Belastung. Wie dieser Umgang aussehen kann, kann man sich bei glücklichen Paaren abschauen: Viele Studien haben gezeigt, dass zufriedene Paare den Stress häufiger gemeinsam bewältigen, die Lasten des Partners sensibler wahrnehmen und auch besser auf dessen Bedürfnis nach Unterstützung eingehen. Die Partner suchen bei anstrengenden Situationen also gemeinsam nach Lösungen und stehen einander bei. Statt sich wechselseitig emotional hochzuschaukeln, gelingt es ihnen, die Anspannung gemeinsam abzubauen. Guy Bodenmann spricht in diesem Zusammenhang von „dyadischer Stressbewältigung“ oder auch günstigem „dyadischem Coping“.

Man muss sich aufraffen

Wichtig ist vor allem, dass die Partner regelmäßig im emotionalen Austausch bleiben, also auch in Phasen voller Druck häufig und ausführlich miteinander sprechen und sich ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ziele mitteilen. Das ist im Alltag nicht immer einfach, aber extrem notwendig: Die Partner müssen über das Innenleben des anderen auf dem Laufenden sein, um sich in dessen Gefühlsleben einklinken und weiterhin Intimität und Nähe spüren zu können. „Die Zeit dafür muss man sich nehmen“, sagt auch Paartherapeutin Anke Birnbaum. „Das ist Beziehungsarbeit und ein bisschen so wie zum Sport gehen nach einem langen Arbeitstag. Man muss sich aufraffen, aber wenn man es dann doch tut, fühlt man sich viel besser.“

Diese tägliche Kommunikation, die häufig irgendwann zwischen Job, Abendessen und Kinder-ins-Bett-Bringen stattfindet, setzt ehrliches Interesse am Austausch voraus. Zentral ist, sich emotional zu öffnen und sich empathisch zuzuhören. Wer sich mit seinem Partner also über den Druck im Job oder den Ärger mit dem Kumpel austauschen möchte, sollte wirkliches Interesse am Erleben des anderen haben, um überhaupt helfen zu können. Die Psychologin Lorena Leuchtmann forscht an der Universität Zürich über dyadisches Coping und betont, dass diese Form der gemeinsamen Bewältigung nur dann funktioniert, wenn Partner bereit sind, sich voll auf den anderen einzulassen. „Eine positive Form des dyadischen Copings ist etwa, der Partnerin aufmerksam zuzuhören und ihr zu signalisieren, dass man für sie da ist“, erklärt Leuchtmann. „Auch das Angebot, das Problem miteinander durchzugehen oder einen Ratschlag zu geben, gehört dazu. Eine negative Form ist zum Beispiel, das Problem des Partners kleinzureden und ihm zu erklären, dass es doch gar nicht so schlimm sei und er überreagiere. So fühlt er sich nicht ernst genommen. Der gestresste Partner spürt dann vielleicht, dass man ihm die Unterstützung nur widerwillig gibt, und fühlt sich unverstanden.“ Auf diese Weise legt sich weder der emotionale Aufruhr, noch kann eine konstruktive Lösung gefunden werden. „Es geht bei diesen Begegnungen definitiv nicht darum, alles loszuwerden, sondern darum, sich wirklich zu verstehen“, erklärt auch Birnbaum, „also sich gegenseitig zu fragen: Wie geht es dir mit deiner Situation? Unter dem ganzen Frust und der Wut liegen ja oft ganz andere Gefühle. Sich über die zu unterhalten baut Stress ab und bietet eine gute Basis, um sich gemeinsam helfen und entlasten zu können.“

Hilfreich: geplante Zärtlichkeit

Auch die Janssens haben das inzwischen verinnerlicht. Eine gemeinsame Freundin riet ihnen, sich eine tägliche Gesprächszeit einzurichten, um überhaupt erst mal wieder emotional aneinander anzudocken. Statt wie üblich nach dem Abendbrot die Kinder ins Bett zu bringen und dann vor Netflix zu kollabieren oder im Internet zu surfen, setzten sich die Janssens in den Garten und redeten – über ihren Tag, ihre Arbeit, den alltäglichen Kleinkram und die großen Lebensfragen. Die Kinder durften währenddessen eine halbe Stunde länger in ihren Zimmern spielen. Allein das half. „Eigentlich hatten wir immer gut miteinander reden können“, wundert sich Katja Janssen heute. „Aber in unserer Stressphase hatten wir irgendwie vergessen, es zu tun.“ Das Ritual haben sie bis heute beibehalten: Nach dem Abendbrot wird immer noch eine halbe Stunde gequatscht. „Es hilft uns beiden schon dadurch, dass wir genauer wissen, was den anderen bewegt“, sagt Katja Janssen. „Wir können uns so besser verstehen und unterstützen. Natürlich ist immer noch nicht alles perfekt. Aber zumindest wissen wir inzwischen wieder, warum wir uns mal ineinander verliebt haben.“

Wichtig ist aber auch, dass die Partner in Phasen der Anspannung noch Zeit finden, einander ihre Zuneigung zu zeigen. Sich gegenseitig zu loben, Komplimente zu machen, Zärtlichkeiten auszutauschen – all das fällt schnell weg und ist dennoch eine Voraussetzung dafür, um überhaupt Intimität zulassen zu können. „Wenn diese Form der körperlichen Kommunikation fehlt, weil beide nur noch eng getaktet nebeneinander herlaufen, dann ist auch die Exklusivität der Paarbeziehung bedroht“, sagt Anke Birnbaum. „Der Stress bedroht damit die körperliche Nähe. Aber sie ist das, was einen Partner von einem WG-Mitbewohner oder einem guten Freund unterscheidet.“ Weil genau das schwierig ist – Zeit für Zärtlichkeiten und Sex zu finden –, raten viele Paartherapeuten zu einer „Verabredung zum Sex“. Statt also nur Termine mit dem Kumpel oder den Geburtstag der Tante in den Kalender einzutragen, kann genauso gut ein gemeinsamer Abend mit der Partnerin im Wochenplaner notiert werden.

Regelmäßiger Austausch und gegenseitige Einfühlung sind also der Schlüssel zu einer guten gemeinsamen Stressbewältigung als Paar. Ist das gegeben, können Paare sich im Alltag auf verschiedene Arten gut unterstützen, je nachdem ob nur einer oder beide Partner von Stress betroffen sind. In jenen Fällen, in denen nur einer der beiden unter Anspannung steht, kann der ruhigere Part zunächst durch Zuhören und, falls erwünscht, auch durch konkrete Hilfestellungen dem anderen zur Seite stehen. Sind beide Partner gestresst, gilt es, einander zu regulieren und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu entlasten. Auch hierbei kommt der individuellen Situation der Partner und der Kommunikation wieder eine wichtige Rolle zu.

Guy Bodenmann unterscheidet zwischen verschiedenen Formen des dyadischen Copings. Beim „gemeinsamen dyadischen Coping“ bewältigen beide Partner eine schwierige Situation zusammen, vielleicht indem sie gemeinsam eine gute Lösung für die belastende Arbeitsphase eines Partners finden oder zusammen zu joggen beginnen, weil ein Partner aus gesundheitlichen Gründen abnehmen muss. Beim „supportiven dyadischen Coping“ unterstützt ein Partner den anderen, ohne ihm dabei jedoch die gesamte Bewältigungsarbeit abzunehmen: etwa indem die Frau ihrem Mann dabei hilft, sich auf einen wichtigen Geschäftstermin vorzubereiten, und noch mal die Folien für die PowerPoint-Präsentation zur Übung mit ihm durchgeht. Beim „delegierten dyadischen Coping“ hingegen tritt ein Partner die komplette Bewältigungsarbeit an den anderen ab, zum Beispiel im Falle von starker Überforderung: Die Ehefrau übernimmt dann etwa ein schwieriges Gespräch mit dem Vermieter, obwohl ursprünglich der Mann den Termin angemeldet hatte. All diese Formen des Copings haben in stressigen Phasen eine entlastende Funktion und verhelfen den beiden zu mehr Nähe.

Kommunikative Fertigkeiten, Verständnis und Interesse füreinander, Wertschätzung und Einfühlungsvermögen – das kann man lernen, unter anderem auch in speziellen Kommunikationstrainings für Paare. Partnerschaftliche Gesprächstrainings wie EPL („Ein Partnerschaftliches Lernprogramm“) oder auch KEK („Konstruktive Ehe und Kommunikation“) vermitteln in sechs bis sieben Seminareinheiten die Grundzüge der konstruktiven partnerschaftlichen Kommunikation und helfen, grundlegende Gesprächs- und Problemlösefertigkeiten einzuüben. In der Schweiz ist zudem das Präventionsprogramm „Paarlife – was Paare stark macht“ von Guy Bodenmann weit verbreitet, das bei Paaren in Stresssituationen die Kompetenzen in Kommunikation, Problemlösung und Stressbewältigung verbessert.

Nach der Arbeit kurz zur Ruhe kommen

Dennoch gilt auch beim Thema Coping: Jeder Partner sollte einen Großteil der Alltagsbelastungen möglichst selbständig bewältigen können. Je besser jeder selbst mit Stress umzugehen in der Lage ist, umso weniger wirkt dieser auf die Beziehung ein – der Alltagsstress kann dann quasi vor der Haustür bleiben. Anke Birnbaum empfiehlt ihren Klienten, sich auch gut um sich selbst zu kümmern: „Diese Proaktivität, für sich selbst Sorge zu tragen, muss jeder aufbringen.“ Sie empfiehlt, dass jeder einen Abend in der Woche als Ausgleich für sich selbst reserviert, etwa für Sport, Treffen mit Freunden oder andere Hobbys. Zudem sei es wichtig, nach stressigen Arbeitstagen zunächst etwas zur Ruhe zu kommen, bevor man durch die Haustür tritt – um nicht sofort alles bei der Familie abzuladen. „Viele Menschen brauchen Zeit, um erst mal umzuswitchen, vielleicht gehen sie nach der Arbeit noch kurz einen Kaffee trinken oder bleiben noch einen Moment im Auto sitzen. Jeder muss seinen Mechanismus finden und dafür eine Struktur schaffen, sonst ist Stress in der Familie programmiert.“ Manchmal hilft auch schon die Heimfahrt mit dem Rad, um nach der Arbeit den Kopf freizubekommen. Stress muss also gleichermaßen individuell wie als Paar bewältigt werden – damit die Partnerschaft und die Familie nicht darunter leiden.

Quellen

April Buck, Lisa Neff: Stress spillover in early marriage: the role of self-regulatory depletion. Journal of Family Psychology, 26/5, 2012, 698–708

Guy Bodenmann: Stress und Partnerschaft. Gemeinsam den Alltag bewältigen. Huber, Bern 2007 (4., überarbeitete Auflage)

David B. King, Anita DeLongis: When couples disconnect: Rumination and withdrawal as maladaptive responses to everyday stress. Journal of Family Psychology, 28/4, 2014, 460–469

Caroline Fux, Guy Bodenmann: Was Paare stark macht. Das Geheimnis glücklicher Beziehungen. Beobachter Edition, Zürich 2013

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2019: Paare im Stress