Inwiefern haben es verwöhnte Kinder schwer in der Schule?

Viele Eltern übertreiben es mit der Fürsorge für ihr Kind. Beate Letschert-Grabbe erklärt, warum es verwöhnte Kinder in der Schule schwer haben

Die Illustration zeigt die Schulleiterin einer Grundschule und Lehrbeauftragte im Fachbereicht Erziehungswissenschaften an der Uni Hamburg, Dr. Beate Letschert-Grabbe
Beate Letschert-Grabbe war Schulleiterin ­und Lehr­beauftragte am Fachbereich ­Erziehungswissenschaften. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Warum ist es schädlich, Kinder zu verwöhnen?

Diese Frage ist berechtigt, denn unter „Verwöhnung“ verstehen wir eigentlich etwas Positives, etwas, das auf jeden Fall gut gemeint ist. Viele Eltern verwöhnen ihr Kind, weil sie es lieben und nur das Beste wollen: Ihr Kind soll es guthaben, es soll sich nicht zu sehr anstrengen, es soll nicht in schwierige Situationen geraten, nirgends zurückstehen müssen und vor allem nicht leiden. Das ist einerseits verständlich, andererseits gibt es aber Eltern, die ihre Fürsorge übertreiben, und dann schaden sie ihrem Kind.

Was meinen Sie mit „übertreiben“?

Wenn Eltern ihrem Kind Dinge abnehmen, die es selbst bewältigen könnte, wenn sie vorschnell eingreifen in Lernprozesse, wenn sie ihm die Konsequenzen seines Handelns ersparen, ihm die Schultasche tragen oder ihm hinterherbringen, was es vergessen hat – dann übertreiben sie. Wir müssen uns klarmachen: Alles, was wir einem Kind abnehmen, das kann es nicht lernen.

Mit übertriebener Hilfestellung oder Behütung vereiteln Eltern nicht nur wichtige Lernchancen, an denen ihr Kind wachsen könnte; sie verhindern auch, dass es lernt, Verantwortung zu übernehmen. Denn mit jeder Hilfestellung signalisieren sie auch Hilfsbedürftigkeit, das heißt, die Eltern geben dem Kind zu erkennen, dass sie ihm nicht viel zutrauen und seine Fähigkeiten geringschätzen. Andererseits halten sie aber den Anspruch, den sie an das Kind haben, weiterhin hoch. Folglich steht das Kind zwischen geringem Selbstwertgefühl und hohem Leistungsanspruch, und nicht selten scheitert es an dieser Diskrepanz.

Was passiert mit den Kindern, wenn sie an dieser Diskrepanz scheitern?

Irgendwann fühlen sich die Kinder den täglichen Anforderungen nicht mehr gewachsen, denn Fähigkeiten, die sie zur Bewältigung ihres Lebens bräuchten, wurden nur unzureichend ausgebildet. Es ist etwa so, als wollte man von einer Sportlerin Höchstleistungen erwarten, ihr aber das dafür nötige Training nicht zumuten, weil das zu anstrengend sein könnte. So kommt es, dass Kinder, die von ihren Eltern verwöhnt werden, irgendwann auch tatsächlich überfordert sind und Gefahr laufen, ein Minderwertigkeitsgefühl zu entwickeln.

Wie äußert sich dieses Minderwertigkeitsgefühl?

Um beachtet zu werden und irgendwie mithalten zu können, muss dieses Minderwertigkeitsgefühl kompensiert werden, und um das zu erreichen, greifen viele Kinder auf destruktive Verhaltensweisen zurück, besonders in der Schule. Fast immer sind sie extrem empfindlich, fühlen sich übersehen, ungerecht behandelt und schnell angegriffen, oder sie weigern sich, selbständig zu arbeiten, und belasten den Unterricht mit ständigen Machtkämpfen.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder an dieser Stelle zu unterstützen?

Sie sollten darauf achten, dass sie ihrem Kind nichts abnehmen, was es aus eigener Kraft erledigen könnte. Ermutigend wäre es, dem Kind Anerkennung zu geben und ihm bei Erfolg bewusstzumachen, dass ihm etwas gelungen ist, und sich auch mit ihm darüber zu freuen. Abraten möchte ich dagegen von Bewertungen, und zwar auch von positiven Bewertungen wie etwa einem pauschalen Lob wie „super“.

Das Selbstbewusstsein eines Kindes entsteht nicht dadurch, dass wir alles gut finden und das Kind viel loben, sondern dadurch, dass wir es auf seine Fähigkeiten hinweisen, so dass es selbst deren Wert erkennen kann. Begleiten und fördern, Interesse zeigen an dem Kind und viel mit ihm sprechen – nicht nur über Schule, Hausaufgaben und die Organisation des Alltags: Das ist das Wichtigste.

Dr. phil. Beate Letschert-Grabbe war Schulleiterin ­einer Grundschule, Lehr­beauftragte am Fachbereich ­Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg und mitverantwortlich für die Lehrerausbildung am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg

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Beate Letschert-Grabbes Buch Raus aus den Machtkämpfen. Ermutigung, pädagogisches Handeln und Gespräche mit Kindern ist bei Beltz Juventa erschienen (350 Seiten, € 20,–)

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