Streitet euch!

Wir sind harmoniesüchtig, meint Meredith Haaf – und plädiert in Ihrem Buch „Streit!“ für ein „besseres Gegeneinander“.

Kaum einer streitet gern. Die Wut herauszulassen – das tut zwar gut, nicht aber, die Wut des anderen abzukriegen, stellt die Feministin Meredith Haaf in ihrer engagierten Gegenwartsanalyse fest.

Die gereizte Stimmung, der wir überall begegnen und letztlich selbst erliegen, belegt sie in zahlreichen Beispielen: Im Büro provozieren die Kollegen. Zu Hause nervt der Partner. Auch im Netz und in der Politik: Zankerei. Einer der größten Widersprüche unserer Zeit tut sich da auf. Angst und Überanpassung auf der einen, entfesselte Aggression auf der anderen Seite.

Haafs historische Herleitung der Misere überzeugt: Waren die 68er noch damit beschäftigt, ihren Widerspruchsgeist zu pflegen, kam nach 9/11, so Haaf, die „autoritäre Wende“. Seither regieren Angst­debatten und Konsensfixierung den Diskurs im Öffentlichen wie im Privaten. Der gute alte Streit um die Sache dagegen, der zur Demokratie gehört wie Kritik und Abstimmung – der scheint ein Schattendasein zu fristen.

Sich aus der Komfortzone wagen

Eine Ermutigung hat Meredith Haaf da verfasst, die den Verzagten hilft, sich aus der Komfortzone zu wagen. Ja, die meisten von uns sind ziemlich konsens- und harmonieverliebt. Darum verordnen sich viele vor dem nächsten Familientreffen, bestimmte Themen besser auszuklammern. Flüchtlinge, MeToo: lieber nicht am Kaffeetisch. Man hat schlicht keine Lust auf Stress, „kein Wunder, wenn Selbstoptimierung, Disziplin und Stilsicherheit die dominanten Werte sind“. Sich wieder einmischen, heikle Themen ansprechen, Differenzen aushalten: Das wäre die lohnende Alternative.

Wer richtig streiten könne, tue dies respektvoll und intelligent und begreife die Auseinandersetzung als notwendigen Akt gegenseitiger Anerkennung. Denn Streit sei nicht nur unvermeidlich – er sei auch legitim. Anders als im wohltemperierten Gedankenaustausch stehe im Streit tatsächlich etwas auf dem Spiel. Emotionen kochten hoch – und müssten beruhigt werden. Streit sei insofern auch eine Frage des richtigen Abstandes zu sich selbst und seinen Gefühlen.

Absolute Einigkeit? Unwichtig!

Der Text ist flott und im Ton einer gewissen Dringlichkeit geschrieben. Man mag manches redundant finden, anderes erscheint allzu selbstverständlich, um erwähnenswert zu sein. Warum unbedingt Streit genannt werden muss, was genauso gut Diskussion heißen könnte, erschließt sich nicht sofort. Andererseits ist genau das Haafs Verdienst: die Emotionalität, die jede Auseinandersetzung begleitet, nicht aus-, sondern einzuschließen. Das Unwohlsein, welches das Streiten begleitet. Die Enge in der Brust, wenn man kritisiert wird. Die körperlichen Reaktionen der Wut. Sich da die Freiheit zu nehmen, Streit richtig und gut zu finden: Das verlangt eine gewisse Größe. Die Hoffnung, das bessere Argument werde gewinnen allerdings, warnt Haaf, ist trügerisch. Nicht nur im politischen Streit wird man meist keine absolute Einigkeit erreichen. Auch im Privaten sollte man wohl kleinere Brötchen backen. To agree to disagree – einig zu sein darüber, uneins zu sein –, das ist wohl das Beste, was sich erreichen lässt.

Meredith Haaf: Streit! Eine Aufforderung. Dtv, München 2018, 286 S., € 18,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2019: Die Kraft des Atmens
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