Von Hunden und Menschen

Zwei Bücher werden besprochen, die sich beide mit dem besten tierischen Freund des Menschen befassen, aber sonst wenig gemeinsam haben.​

Der österreichische Biologe und Verhaltensforscher Kurt Kotrschal entschied sich 2012 für einen riskanten Bucheinstieg. In Wolf – Hund – Mensch des Wiener Professors las man als ersten Satz: „Wölfe und Hunde sind seit jeher in einem erstaunlichen Ausmaß unser wesensmäßiges Alter Ego.“

Alter Ego? Wie kam es dazu, dass Hunde Kinder- und Freundesersatz wurden, sie als Familienmitglieder betrachtet werden? Gab und gibt es biopsychologische Konstanten? Davon handelt das Buch Darwins Hund von Bryan Sykes, viele Jahre lang Professor für Humangenetik an der University of Oxford und Spezialist für genetische Herkunftsbestimmungen. Er beginnt mit einer Fantasie über die Jagd eines altsteinzeitlichen Wolfsrudels in den Karpaten, das auf den Homo sapiens stößt, und beschreibt, wie über Generationen hinweg eine immer engere intelligente Kooperation eingegangen wird – zum Nutzen beider.

Sykes stützt sich auf bahnbrechende Erkenntnisse der Genforschung der vergangenen fünfzehn Jahre: Der Hund – auch Rassen wie der Zwergspitz oder der Peruanische Nackthund – geht genetisch völlig unstrittig auf den Wolf zurück. Instruktiv skizziert er Jahrtausende der Entwicklung beider Spezies. Er schreibt über Fossilien und Bioforensik, über Vererbungsketten und mitochondriale, von der mütterlichen Linie weitergegebene DNA und rückt tradierte verzerrende Mythen und Vorurteile über Wölfe zurecht.

„Wir verdanken unser Überleben den Hunden“

Noch stärker revidiert er die behauptete Reinrassigkeit von Hunden, indem er kundig die Sequenzierung, die Entschlüsselung von Genomen darlegt und schildert. Eine Rekombination über höchst unterschiedliche Rassengrenzen hinweg ist mehr oder weniger der Regelfall. Deutlich wird, wie mittels Co-Evolution und Kooperation für Mensch und Hund eine genetisch erfolgreiche globale Verbreitung im Vergleich zu anderen Spezies möglich wurde: „Wir verdanken unser Überleben den Hunden. Und sie verdanken ihr Überleben uns.“

Merkwürdigerweise gibt es gegen Ende des Buches einen dramaturgischen Bruch. Hier tritt Sykes’ Frau, eine Malerin, auf den Plan. Die letzten 80 Seiten bestehen aus einer Aneinanderreihung von Zufallsinterviews mit Hundehaltern, die Ulla Sykes geführt hat. Der finale Ausklang des Buches kreist noch knapp um das Thema Klonen und leider noch knapper um die psychischen Bande von Menschen und Hunden.

Bryan Sykes schreibt zugänglich und verständlich, wenn auch hie und da etwas arg popularisierend. Vieles vermag er eingängig zu erklären. Die conditio humana ist ohne die conditio canis, des Hundes nicht denkbar. Das wird im Buch des Humangenetikers überdeutlich. Er selbst bekennt, dass er Hunde keineswegs von Herzen liebt, eher im Gegenteil, was er einem aggressiven Exemplar verdankt, an dessen Grundstück er als Kind auf dem Weg zur Schule jeden Tag vorbeimusste.

Für Stephanie Lang von Langen hingegen ist ein Leben ohne Hund undenkbar. Die studierte Tierpsychologin, Hundetrainerin und Ausbilderin für Hundetrainer und Therapiehunde hat gemeinsam mit Shirley Michaela Seul den Titel Therapie auf vier Pfoten geschrieben.

An der Grenze zur unfreiwilligen Komik

Verdankt sich der flotte und auf vielen Seiten aufgekratzte Tonfall der Co-Autorin? Seul ist eine rege Schriftstellerin, die seit 2011 drei Hundekrimis herausbrachte und anderen Autoren publizistisch assistierte. Zusammen haben Lang von Langen und Seul bereits zwei Vorgängerbände geschrieben. – Geschrieben? Partiell mutet der Stil an, als habe das Autorinnenpaar ein Gespräch mitgeschnitten. Nicht selten klingen die Sätze umgangssprachlich. An anderen Stellen werden sanft die Grenzen zur unfreiwilligen Komik ausgetestet.

So heißt es an einer Stelle: „Viele Tiere, allen voran Hunde, zeigen Eigenschaften, die wir uns von einer guten Psychologin wünschen. Sie sind aufrichtig, einfühlsam und ehrlich. Sie hören ihrem Menschen vorurteilsfrei zu, ohne sich selbst mit ihren Meinungen und Interpretationen einzumischen. Sie sprechen wenig, beziehungsweise gar nicht, deshalb bewahren sie auch absolute Diskretion.“

Aus Therapie auf vier Pfoten muss der Leser die Erkenntnisse selbst destillieren. So ist der abgedruckte Ablauf eines Seminars mit Therapiehunden interessant. Über die „Möglichkeiten und Grenzen der tiergestützten Arbeit“, das „Basiswissen Alterserkrankungen und Demenz“ oder die „Verhaltensbiologie des Hundes“ würde man gerne weniger anekdotisch Verpacktes erfahren.

Was Sykes’ Buch in seinen besten Passagen auszeichnet – Reflexion, Selbstreflexion und kluger wie sorgsamer Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen –, fehlt in Lang von Langens gefühligem Band. Simple Einsichten werden simpel präsentiert: „Zusammengefasst ist es ganz einfach: Tiere berühren uns im tiefsten Inneren. Und dort heilen sie.“ Was verbirgt sich hinter „Heilung“? Wie genau vollzieht sich dies innerhalb des anthropologisch-evolutionären Rahmens? Das wird nicht reflektiert. Anstelle von Analysen werden „Herzenskontakt“ sowie „Seelenbegegnungen“ geboten – eine Anthropomorphisierung, eine Vermenschlichung also.

Sykes hingegen erweitert an einer Stelle aufregend den Fokus der Mensch-Hund-Bindung hin zur biopsychologischen Urfrage nach Determination und Willensfreiheit: „Die Suche nach genetischen Ursachen für das aggressive Verhalten des Pitbull lässt sich leicht auf unsere eigene Spezies übertragen. Wie weit geht die individuelle Verantwortung für Gewalt, wenn sich herausstellt, dass sie in einer Mutation im Genom begründet ist?“

Stephanie Lang von Langen (mit Shirley Michaela Seul): Therapie auf vier Pfoten. Wie Hunde uns gesund und glücklich machen. Piper, München 2019, 256 S., € 11,–

Bryan Sykes: Darwins Hund. Die Geschichte des Menschen und seines besten Freundes. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Klett-Cotta, Stuttgart 2019, 320 Seiten, € 22,–

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