Herr Bendel, für die einen ist es eine faszinierende Erfindung, andere erleben sie als Gefahr und warnen vor dem Ende der Menschlichkeit: Warum rufen Liebespuppen und Sexroboter so intensive Reaktionen hervor?
Etwas Menschenähnliches zu schaffen, das löst bei manchen Neugier oder Begeisterung aus. Andere stößt es eher ab. Es ist ein uraltes Thema, das die Menschen schon immer fasziniert hat: Die griechische Mythologie erzählt vom Bildhauer Pygmalion, der sich in die Göttin Aphrodite verliebt hatte. Da sie…
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erzählt vom Bildhauer Pygmalion, der sich in die Göttin Aphrodite verliebt hatte. Da sie für ihn unerreichbar war, schuf er eine Statue nach ihrem Ebenbild. Aphrodite hatte Mitleid mit ihm und erweckte die Statue zum Leben. Im Alpenraum wiederum gibt es die Sage vom Sennentuntschi – einer Liebespuppe, die die Hirten bastelten, um die einsame Zeit auf der Alm zu überbrücken.
Die Älpler misshandelten ihre Puppe. Diese erwacht plötzlich zum Leben – und nimmt blutige Rache an ihren Peinigern. Schon diese alten Legenden zeugen von zwiespältigen Gefühlen gegenüber den künstlichen Liebesdienern. Woher rührt diese Ambivalenz?
Es ist ein sexuelles Thema. Das polarisiert häufig. Der schottische Computerexperte und Autor David Levy erwartet, dass wir mit diesen Puppen eines Tages zusammenleben oder sie gar heiraten könnten. Andere wiederum machen sich Sorgen: Wenn diese perfekt aussehenden Artefakte geschaffen werden, werden dann die menschlichen Liebhaber vielleicht bald von Robotern abgehängt?
Können Silikonfiguren denn ernsthaft zur Konkurrenz für den Menschen werden?
Die Puppen sind immer besser verarbeitet: Zunge, Zähne, Haare – das alles ist sehr gut ausgestaltet. Auch die Haut wirkt täuschend echt. Man hat noch nicht den Eindruck, dass es sich um einen Menschen handelt, aber es fühlt sich nicht mehr nach einem Ding an.
Vielen sind die menschenähnlichen Imitate einfach nicht geheuer. Was steckt dahinter?
Auf einer Konferenz konnte ich mir den Liebesroboter „Harmony“ ansehen. Auf den ersten Blick wirkt Harmony geradezu perfekt, fast wie ein echter Mensch. Dann beginnt sie zu lächeln – und der Charme ist dahin. Es wirkt geradezu unheimlich. Es gibt da einen psychologischen Effekt, den sogenannten uncanny valley effect. Dieser besagt: Bei menschenähnlichen Figuren haben wir sehr hohe Erwartungen, die so im Moment nicht erfüllt werden können. Wir wissen, wie ein Mensch lächelt. Wenn dann ein Artefakt lächelt und es sieht unecht aus, sind wir entsetzt.
Soll heißen: Wir fremdeln also besonders mit solchen Nachbildungen, die echten Menschen schon sehr ähneln?
Ja. Im Moment sind aber ohnehin vor allem Liebespuppen im Umlauf – und nur wenige Sexroboter. Mittlerweile gibt es zwar erste Hersteller. Doch auch diese bieten bislang nur Roboterköpfe an, die sich auf die Puppen aufstecken lassen. Die Körper selbst sind in der Regel noch nicht robotisch.
Was können diese künstlichen Köpfe?
Sie sind unheimlich gut gemacht: Der Mund bewegt sich, die Augenbrauen ziehen sich hoch, die Augen bewegen sich und fokussieren auf den Betrachter. Sie haben Sensoren und können auf äußere Reize reagieren – etwa den Kopf schütteln oder den Mund auf- und zumachen. Und sie können sprechen. Harmony hat übrigens einen schottischen Akzent.
Warum ausgerechnet schottisch?
Angeblich fand der Chef der Herstellerfirma Realbotix diesen Akzent am sinnlichsten. Es gibt aber noch eine andere Erklärung: Das Schottische in der Stimme verdeckt wohl am besten die technischen Schwierigkeiten, die man mit dem Sprachmodul noch hat.
Einfache Liebespuppen ohne robotische Eigenschaften sind auch heute schon verbreitet. Wie nutzen die Kunden ihre Puppen?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige kaufen sich die Puppen einfach zur Triebabfuhr – so wie früher die aufblasbaren Gummipuppen. Es gibt aber auch Menschen, die mit ihrer Puppe sprechen, sie liebevoll ankleiden. Das ist natürlich ein gesellschaftliches Tabu. In der Regel trauen sich nur wenige Betroffene mit ihrer Vorliebe an die Öffentlichkeit. Die wenigsten würden die Eltern zu Besuch kommen lassen und sagen: Schaut, das ist meine neue Freundin. Allerdings sind die Puppen im Vergleich zu Sexspielzeug recht groß und schwer. Sie können also gar nicht so leicht versteckt werden.
Welche Alternativen existieren?
Es gibt mittlerweile einige Freudenhäuser, die auch Liebespuppen im Angebot haben. Die Betreiberin des BorDoll in Dortmund erzählte, ihre Kunden seien keineswegs nur die üblichen Bordellbesucher. Oft seien es eher junge, schüchterne Männer, die zu echten Frauen keinen Kontakt aufbauen können. Einige von ihnen interessieren sich für Manga- oder Fantasyfiguren. In den Puppenbordellen gibt es oft spezielle Ankleidezimmer. Dort personalisieren die Gäste ihre Puppen, etwa mit Make-up oder speziellen Kostümen. Viele gehen sehr zärtlich und behutsam mit den Puppen um. Das widerspricht dem Klischee, dass es sich bei den Kunden um gewalttätige Männer handle, die sich an den Puppen einfach nur auslassen würden.
Die Liebesmaschinen werden immer detailreicher und komplexer – und damit dem Menschen immer ähnlicher. Wie sieht die Zukunft mit Sexrobotern aus?
Vielleicht ist es in zwanzig oder dreißig Jahren so weit: Man trifft leicht betrunken auf einer Party einen attraktiven Mann oder eine schöne Frau, hat einen One-Night-Stand. Und erst am nächsten Morgen merkt man: Es war ein Roboter! Es wird Spieler und Probierfreudige geben, die mit einer solchen Erfahrung gut zurechtkommen. Für andere Menschen wäre es das reine Entsetzen.
Gehen Sie davon aus, dass wir die Roboter irgendwann nicht mehr von Menschen unterscheiden können?
Es gibt einige technische Probleme, die wohl auch in dreißig Jahren noch nicht perfekt gelöst sein werden. Die Roboter riechen beispielsweise nicht menschlich. Denn neben dem Visuellen ist natürlich auch der Geruchssinn sehr wichtig für uns. Wir tüfteln gerade an einem Umarmungsroboter namens „Huggie“. In einer Studie meinte eine Befragte, sie würde sich wünschen, dass der Roboter nach Schokolade riecht. In Zukunft wollen wir den Roboter mit einem Schokoladenduft einreiben und die Reaktionen darauf testen.
Aber ein Hauch Kakao kann doch keinen menschlichen Duft ersetzen!
Natürlich nicht. Allerdings findet man im wahren Leben ja auch nicht immer den Traumpartner oder die Traumpartnerin. In meinem Buch Maschinenliebe habe ich ein provokantes Gedankenexperiment aufgeworfen: Man müsste wie Robinson Crusoe einige Jahre auf einer einsamen Insel verbringen und hätte die Wahl: Entweder könnte man die Zeit mit einem Menschen verbringen, den man völlig entsetzlich findet – geistig wie körperlich. Oder man könnte einen Roboter wie Harmony oder Henry zum Gefährten wählen. Viele würden in einem solchen Szenario ihre strikte Ablehnung gegen Roboter fallenlassen.
Sie schlagen vor, Sexrobotern moralische Regeln einzuprogrammieren. Wozu soll das gut sein?
Ich habe mich gefragt: Wie können wir die Erkenntnisse aus meinem Forschungsfeld, der Maschinenethik, auf Sexroboter anwenden? Eine Idee: Sie könnten den Nutzer zum Beispiel warnen, wenn er zu viel Zeit mit der Puppe verbringt. Für manche Menschen wäre es vielleicht hilfreich, wenn sie nicht komplett der Illusion verfallen würden, eine echte Beziehung zu führen. Die Puppe könnte hin und wieder sagen: „Es ist schön, dass du so viel Zeit mit mir verbringst. Aber bedenke bitte, dass ich nur eine Maschine bin.“ Bei Chatbots implementieren wir bereits heute ähnliche Ansätze.
Aber wer lässt sich schon gern von einem elektronischen Gerät belehren?
Mich nerven die pädagogischen Funktionen an den elektronischen Geräten auch manchmal – etwa wenn mein Handy mir sagt, dass ich die Musik zu laut eingestellt habe. Aber bei Sexrobotern gäbe es sicher einige Regeln, die man sinnhaft einbauen könnte, ohne den Spaß zu verderben.
Einige Kunden könnten die Puppen auch für extreme Zwecke nutzen, etwa für Vergewaltigungsspiele oder pädosexuelle Fantasien. Ist das ein Problem – oder gar eine Chance, um Straftaten zu verhindern?
In der wissenschaftlichen Community diskutieren wir diese Frage schon seit einigen Jahren. Es gibt kritische Stimmen wie etwa die Ethikprofessorin Kathleen Richardson. Sie ist überzeugt davon, dass Sexroboter enormen Schaden in der breiten Gesellschaft anrichten…
…weil sie frauenfeindliche Ideen und Gewalt gegen Kinder normalisieren würden. Richardson hat deswegen 2015 sogar eine weltweite Kampagne gegen elektronische Liebespuppen ins Leben gerufen.
Andere, wie der Robotikforscher Ronald C. Arkin, sind aufgeschlossener: Sie schlagen vor, die Roboter beispielsweise in der therapeutischen Arbeit mit pädokriminellen Tätern einzusetzen. Das Problem dabei: Wir wissen noch nicht, welche psychologischen Folgen das hätte. Bislang gibt es noch zu wenige Erkenntnisse. Deswegen fordere ich eine breitere empirische Forschung zu diesen Themen.
Ein häufiger Kritikpunkt an den intelligenten Robotern lautet, sie seien zu unterwürfig und verbreiteten ein fragwürdiges Frauenbild.
Bereits bei den digitalen Sprachassistentinnen wie Siri oder Alexa gibt es eine breite Diskussion darüber, ob sie zu devot sprechen. Bei der Stimme selbst nehme ich das persönlich nicht so wahr. Allerdings finde ich, dass sie bei Grenzüberschreitungen nicht immer deutlich genug geworden sind. Wenn ein Nutzer etwa „Alexa, du Bitch“ sagt und Alexa das einfach übergeht, finde ich das bedenklich. Manche Hersteller haben das inzwischen korrigiert.
Beim Anbieter Dollpark kommen auf über 150 weibliche Modelle gerade mal zwei männliche. Und selbst diese werden offenbar vor allem von schwulen Männern gekauft. Woher rührt dieser Geschlechterunterschied?
Für Sexspielzeug existiert ein riesiger Markt, der sich vor allem an Frauen richtet – und weitestgehend enttabuisiert ist. Die angebotenen Toys haben einen Trend zu abstrakten Formen, die nicht unbedingt dem männlichen Penis nachempfunden sind. Anscheinend wollen Frauen nicht unbedingt Imitate von männlichen Körpern kaufen. Männer hingegen interessieren sich viel eher für Nachbildungen von Frauen – oder eben von Männern.
Wird der Markt für Liebespuppen und Sexroboter in Zukunft vielfältiger werden?
Bereits heute gibt es einen männlichen Roboter namens Henry. Dieser steht Harmony in nichts nach. Trotzdem ist er beim Hersteller derzeit nicht bestellbar. Die Firma scheint sich da zurückzuhalten.
Für mehr Vielfalt gibt es noch andere anfängliche Versuche. Bei Harmony lässt sich statt einer Vagina beispielsweise auch ein Penis bestellen und montieren. Auf einem Kunstfestival wurde der Sexroboter „Fuckzilla“ präsentiert, der über ein ganzes Arsenal an Spielzeugen verfügte – etwa eine Kettensäge, an der kleine Zungen befestigt waren. In Zukunft könnte hier ein spannendes Experimentierfeld entstehen.
Bislang sieht der Sexpuppenmarkt noch ziemlich monoton aus. Auf mich wirken viele der Modelle eher wie Karikaturen von Frauen – mit übertrieben großen Brüsten und extrem schmaler Taille. Ist es wirklich das, was Männer wollen?
Eine ähnliche Frage kam schon in den 1990er Jahren zur Fernsehserie Baywatch auf. Einige fanden die dort gezeigten Körper hinreißend, andere überhaupt nicht. Auch die heutigen Liebespuppen orientieren sich an Pamela Anderson, Dolly Parton und ähnlichen Frauen. Offenbar wollen viele der Kunden solche Formen. Doch der Markt für Sexpuppen ist bislang eine Nische. Er steht nicht für das männliche Begehren als solches.
Sie beleuchten zahlreiche neue Anwendungsfelder für die Liebespuppen – etwa in militärischen Camps, im Strafvollzug oder in Heimen. Ist es nicht gefährlich, komplexe soziale Probleme mit rein technischen Lösungen beseitigen zu wollen?
Ich sehe diese potenziellen Anwendungsfelder ebenfalls sehr kritisch – mit Ausnahme der Gefängnisse. Dort ist häufig keine einvernehmliche Sexualität möglich, weil der Alltag mit Gewalt und strengen Hierarchien verquickt ist. Vielleicht hätten Sexpuppen dort einen positiven Effekt. Eine solche Frage im Gefängnis empirisch zu erforschen ist aber leider sehr schwierig.
Was hielten Sie davon, Liebespuppen oder Sexroboter für pflegebedürftige Menschen anzubieten – beispielsweise in Seniorenheimen?
Ich finde, das ist keine gute Lösung. Das würde den Betroffenen nicht gerecht werden. Vielleicht gibt es Einzelne, die daran Freude hätten. Andere würde das womöglich verstören. Generell würde ich das Thema lieber in den Händen von professionellen Sexarbeiterinnen und -arbeitern sehen. Schließlich gibt es Menschen, die behutsame Sexualbegleitung für Pflegebedürftige anbieten. Das halte ich für den besseren Weg.
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Oliver Bendel ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sein kürzlich veröffentlichter Sammelband Maschinenliebe vereint ethische und psychologische Perspektiven des Phänomens Sexroboter und Liebespuppen
Die Modelle
Liebespuppen sind mechanische Puppen, mit denen Menschen Sex haben können. Anders als aufblasbare Puppen sind sie täuschend echt gestaltet: Sie besitzen eine künstliche Haut, Augen, Haare und Zähne. Über ein bewegliches Metallskelett können sie verschiedene Positionen einnehmen. Viele Modelle sind erwärmbar oder können Flüssigkeiten absondern.
Werden die Puppen zusätzlich noch mit künstlicher Intelligenz und Sprachmodulen ausgestattet, werden sie mehr und mehr zu Sexrobotern – die Übergänge sind fließend. Diese Hightechmodelle können dann beispielsweise lächeln, ihr Gegenüber mit den Pupillen verfolgen oder Gespräche führen. Die filigrane Technik hat ihren Preis: Je nach Ausstattung werden 2000 bis 20000 Euro fällig