Die Kraft des Magneten hat Menschen schon früh beschäftigt und magisches wie auch das wissenschaftliche Denken angeregt. Paracelsus empfahl ihn im 16. Jahrhundert als Mittel gegen Fisteln, Krebs, Brüche, Gelbsucht und Blutflüsse. Franz Anton Mesmer (1734 bis 1815) kurierte eine Dame, die an Magenkrämpfen litt, durch Magnete, die man damals durch das Bestreichen von Stahl mit dem von Natur aus magnetischen Eisenerz Magnetit fertigte.
Mesmer fand heraus, dass diese Heilungen auch dann gelangen, wenn er die Kranken ohne den Magneten berührte. Er konnte so Schmerz oder Spannung aus dem Körper „herausziehen“ und hatte eine uralte, bereits von den Schamanen der Jägerkulturen praktizierte Heiltechnik wiederentdeckt.
Mesmer spricht von einem animalischen oder tierischen Magnetismus. Es beginnt seine erstaunliche Karriere, die Thomas Knubben spannend und anschaulich nacherzählt in dem Buch Franz Anton Mesmer oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes, das nun in einer ergänzten Neuauflage erschienen ist.
Mesmer war, was man heute eine charismatische Persönlichkeit nennt. Im Jahr 1779 formulierte er seine Lehre in 27 Thesen, die er an alle Akademien Europas schickte. Die überwiegende Mehrzahl dieser Thesen versucht, die Natur eines Fluidums zu bestimmen, das die Menschen und Tiere, die Kräfte des Mondes und der Planeten verbindet. Wenn die Elektrizität und der mineralische Magnetismus den Kranken nützen, erklärt Mesmer, dann nur deshalb, weil sie von tierischem Magnetismus begleitet werden.
Wenn die Persönlichkeit wirkt
Mesmer erkannte durchaus, dass die Wirkungen, die von seiner Person ausgingen, nicht dem Wissen der Physik entsprachen. Doch suchte er keine psychologische Erklärung. Er wollte das Lehrgebäude der Physik umstürzen, die seit Galilei und Newton auf festen Füßen stand.
Seine Lehre konnte von einem geschulten Physiker nicht ernst genommen werden. Mesmer hingegen wurde in seinen Ansichten immer wieder bestätigt, da er sie ja an Menschen bewies, wohin ihm nun wiederum die Physiker nicht folgten. So liegt die Tragik Mesmers darin, dass er Phänomene durch eine ungeeignete Theorie erklärte, während seine wissenschaftlichen Gegner mit ihren Argumenten seine Beobachtungen aus der Welt zu schaffen glaubten.
Knubben ist Historiker und Philologe, kein Psychologe, und daher ist beispielsweise seine Schilderung der dramatischen Heilung und des ebenso dramatischen Rückfalls der Maria Theresia Paradis, einer Pianistin, die seit ihrem fünften Lebensjahr blind war, historisch genau, aber ohne Vertiefung in die Psychodynamik einer jungen Frau, die vergeblich versucht, sich von ihrem Vater und ihrem Symptom zu lösen.
Die Entdeckung des Blindversuchs
Knubben gelingt es, die Macht von Mesmers Lehre in einer Zeit anschaulich zu machen, die ihre kritischen Werkzeuge erst finden musste. So hat die französische Akademie der Wissenschaften in dem königlichen Auftrag, die Existenz des magnetischen Fluidums zu widerlegen, den Blindversuch entdeckt. Nur wo sie von Mesmers Einfluss wussten, zuckten die Kranken, die von ihm magnetisiertes Wasser tranken. Wussten die Kranken nichts von der Magnetisierung durch den Heiler, blieb das Wasser bei ihnen genauso wirkungslos wie bei den skeptischen Forschern.
Eindrucksvolle Apparate, die sogenannten Baquets (Zuber), sollten die Kraft des animalischen Magnetismus zur Heilung von Krankheiten in Gruppensitzungen nutzbar machen, in denen sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wechselseitig in ihre Trancezustände hineinsteigerten. Aus einer geheimnisvollen, nur vom Meister verstandenen Konstruktion ragten Eisenstäbe, die von den Kranken an den Ort ihrer Leiden geführt wurden. Zu dem heilenden Ritual gehörte eine Anfangsverschlimmerung mit Zuckungen, Schmerzen und Schläfrigkeit, die durch den Einfluss der Gruppe verstärkt wurden.
In seiner Einschätzung der Bedeutung Mesmers für die Entwicklung der Psychotherapie folgt Knubben Stefan Zweig, der 1931 in seinem Essay Die Heilung durch den Geist Mesmer als weitreichenden Gründer feierte. Da sind Zweifel angebracht. Mesmers Physikalismus führte ihn in eine Sackgasse, die für die Geschichte der Esoterik (in der das Fluidum weiterwirkt) weit wichtiger ist als für die Entwicklung der Psychotherapie.
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Autor und Psychoanalytiker in München. Sein Buch Die Geschichte der Psychotherapie. Von der Magie zur Wissenschaft wurde 1972 zuerst publiziert und erschien 2012 in einer neuen Bearbeitung bei Herbig
Thomas Knubben: Franz Anton Mesmer oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes. Ergänzte Neuauflage. Hirzel, Stuttgart 2022, 208 S., € 22,–