Als „asoziales Verhalten von oben“ bezeichnete der SPD-Politiker Kurt Beck die Steuerhinterziehung wohlhabender Eliten. Steueroasen seien gar eine „moderne Form des Raubrittertums“. Andere Politiker stimmten ein und prangerten Steuerbetrüger als „neue Asoziale“ an. Besonderes Aufsehen erregen immer wieder die prominenten Fälle wie der des Ex-Postchefs Klaus Zumwinkel, des FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß oder der italienischen Stardesigner Domenico Dolce und Stefano Gabbana.
Vor allem die Steuersünder-CDs,…
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und Stefano Gabbana.
Vor allem die Steuersünder-CDs, die seit einigen Jahren vermehrt auftauchen und den deutschen Finanzämtern zum Kauf angeboten werden, machen jedoch deutlich, dass die wenigen aufgedeckten prominenten Fälle allenfalls die Spitze des Eisbergs sind. Und auch bekannte Konzerne taugen oft nicht zum Vorbild, denn sie sparen dank ausgeklügelter Steuertricks Milliarden, indem sie Gewinne ins Ausland verlagern und mit komplizierten Firmenkonstruktionen sämtliche Steuerschlupflöcher nutzen.
Einkommen: Nur ein Faktor von vielen
Wie riesig das Ausmaß der Steuerflucht weltweit ist, zeigt das umfangreiche Datenmaterial, das im Zuge der sogenannten Offshore-Leaks-Affäre auftauchte. Ein anonymer Informant gab Daten von rund 130 000 Personen und Firmen, die ihr Geld in den Steuerparadiesen der Welt lagern, an investigative Medien weiter. Die Daten stammen aus den Beständen der Weltmarktführer für die Verwaltung von Vermögen an Finanzplätzen rund um den Globus.
Expertenschätzungen zufolge liegen in diesen verschwiegenen Oasen mit ihren laxen Steuergesetzen zwischen 20 bis 30 Billionen Dollar. So entgehen den Herkunftsstaaten der Anleger jährlich rund 300 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen. Aber nicht nur die Superreichen, auch weniger Betuchte greifen gerne zu Tricks, um ihr Geld vor dem Staat zu „retten“. Nach Schätzungen der Steuergewerkschaft entsteht dem deutschen Fiskus auf diese Weise jedes Jahr ein Schaden von gut 30 Milliarden Euro. Hinzu kommen hohe Einbußen durch Schwarzarbeit.
Doch obwohl die Steuervermeidung ein Massenphänomen ist, konzentriert sich die Berichterstattung in den Medien in der Regel auf die prominenten Fälle. Eher selten werden die komplexen Faktoren der Steuermoral analysiert. Doch genau da stellen sich die interessanten Fragen: Warum etwa sind so viele Menschen – egal ob arm oder reich – ehrlich, während andere systematisch alle legalen und illegalen Schlupflöcher nutzen, um ihr Geld dem staatlichen Zugriff zu entziehen, und sich damit auf eine Stufe mit Kriminellen stellen? Steuerhinterziehung ist schließlich kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die im Gefängnis enden kann.
Wirtschaftspsychologen suchen Antworten auf diese Fragen. In Experimenten und durch Onlinebefragungen wollen sie herausfinden, wovon die Steuermoral (Fachleute sprechen von „Steuer-Compliance“) im Detail abhängt. Denn Antworten darauf könnten letztlich auch dazu beitragen, die allgemeine Bereitschaft zum Steuerzahlen zu erhöhen. Ein wichtiges Fazit der Studien lautet: Es liegt nicht nur an der Höhe des Einkommens.
Gefühlte Fairness beeinflusst Steuermoral
Forscher der Universität Wien nahmen über 80 Studien unter die Lupe, um herauszufinden, wie weit Beruf und Bildungsgrad die Steuermoral beeinflussen. Die Metastudie zeigte, dass zwei Faktoren eine entscheidende Rolle spielen: Demnach neigen vor allem Personen zur Steuerhinterziehung, die die Möglichkeit dazu haben, entsprechend also eher Selbständige und Unternehmer als Angestellte, außerdem Personen mit höherer Bildung und damit auch mehr Wissen über Steuerschlupflöcher. Zudem spielen die „Gerechtigkeitswahrnehmungen“ des Steuerzahlers eine Rolle, also die Frage, ob er sich vom Staat gerecht behandelt fühlt oder nicht. In der Gruppe der höher Gebildeten nämlich enthalten vor allem diejenigen ihr Geld dem Staat vor, die generell das Gefühl haben, von Behörden unfair behandelt zu werden.
Dieses Gefühl staatlicher Fairness sei enorm wichtig für die Compliance, betont auch Erich Kirchler, Wirtschaftspsychologe an der Universität Wien: „Steuerzahler wollen fair behandelt werden. Ist das nicht der Fall, neigen sie dazu, die tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit in Eigeninitiative auszugleichen.“ Wer sich dagegen gut behandelt fühlt, zahlt auch bereitwilliger.
Einer verbreiteten Vorstellung zufolge ist der typische Steuerhinterzieher männlich und besonders risikobereit; mögliche Geldstrafen und selbst die Aussicht auf einen Gefängnisaufenthalt schrecken ihn nicht ab – Klischee oder Realität? Männer sind in der Regel deutlich risikobereiter als Frauen, etwa im Straßenverkehr, beim Sport oder im Beruf, das haben viele Studien gezeigt.
Könnte diese geschlechtertypische Rollenwahrnehmung also zum Fiskalbetrug verleiten? Der Psychologe Gerhard Wondrak befragte in einer Onlinestudie männliche und weibliche Selbständige nach ihrer Steuermoral und inwieweit sie sich mit den jeweiligen Geschlechterrollen in Sachen Risikobereitschaft identifizierten. Das Ergebnis: Männer hinterziehen tatsächlich häufiger und zudem höhere Beträge als Frauen, allerdings tun sie das offenbar unabhängig von ihrer wahrgenommenen Geschlechterrolle, also davon, ob sie sich als Männer generell als besonders wagemutig und risikofreudig sehen oder nicht.
Hart verdientes Geld wird seltener hinterzogen
Ein weiterer Einflussfaktor für die Steuerehrlichkeit ist die Frage, wie schwer jemand sein Geld verdient hat. Hier wäre anzunehmen, dass wer sein Geld hart und unter großen Mühen verdient, eher verleitet ist, es dem Zugriff durch das Finanzamt zu entziehen, da man die Früchte harter Arbeit lieber für sich selbst behält. Ein Forscherteam um Erich Kirchler und Stephan Mühlbacher ging dieser Frage genauer nach.
Die Wiener Psychologen ließen 113 Teilnehmende in einem Spielexperiment bestimmen, ob sie Steuern hinterziehen wollten oder nicht. Dafür sollten sie sich in die Lage eines selbständigen Architekten versetzen, der am Ende des Jahres über seiner Steuererklärung brütet. Zwei unterschiedliche Szenarien wurden vorgegeben, bei denen jeweils der Arbeitsaufwand variierte. Im ersten hatte der Architekt seinen Verdienst unter großen Anstrengungen erarbeitet, im zweiten mit einfachen und reibungslosen Projekten.
Das Ergebnis: 36 Prozent der fiktiven Architekten hinterzogen das leicht verdiente Geld, aber nur 17 Prozent das hart verdiente. Menschen also, die für ihr Einkommen schwer arbeiten müssen, neigen offenbar seltener dazu, das Finanzamt zu hintergehen. Diejenigen dagegen, die ihr Geld mit leichter Hand verdienen, sind auch eher versucht, es am Fiskus vorbeizuschleusen. Dieses Resultat überrascht, denn aus der bisherigen Entscheidungsforschung wäre anzunehmen gewesen, dass mühsam verdientes Geld eher in Sicherheit gebracht wird, weil ein Steuerzahler den Verlust dieses Geldes als besonders schmerzlich empfindet. Offensichtlich aber steigt stattdessen die Furcht vor dem Risiko.
Als Grund vermuten die Forscher, dass Menschen eine Strafzahlung wegen Steuerhinterziehung viel stärker fürchten, wenn sie ihre Brötchen unter Mühen verdienen. Das sauer verdiente Gehalt wird nur ungern aufs Spiel gesetzt – ähnlich wie beim Glücksspiel, wo Spieler mühselig erworbenes Geld nicht so leichtfertig auf den Roulettetisch werfen, wie Studien zeigen.
Noch deutlicher fiel dieser Unterschied in einer zweiten Studie der Forscher aus, in der weitere 155 Versuchspersonen auf ihre Steuerehrlichkeit hin getestet wurden. Neben dem Arbeitsaufwand wurde nun zusätzlich auch das Anspruchsniveau variiert, also die Höhe des von den Teilnehmern erwarteten Einkommens. Nun hinterzogen nur noch sechs Prozent der „Mühsamverdiener“ gegenüber 42 Prozent der „Leichtverdiener“, wenn das erwartete Einkommen hoch lag. Die Versuchspersonen handelten also besonders vorsichtig, wenn nach großem Arbeitsaufwand auch ein hohes Einkommen winkte.
Je mehr Vertrauen in den Staat, umso weniger Steuerbetrug
Lässt sich mit Blick auf diese Studienergebnisse eine Empfehlung für die Finanzämter ableiten? Durchaus, meinen die Psychologen und raten den Behörden, anstatt nur in zufälligen Stichproben verstärkt auch dort zu kontrollieren, wo Einkommen sehr leicht verdient wird, etwa am Aktienmarkt. Weniger sinnvoll wären demnach Kontrollen bei Berufsgruppen, die besonders hart für ihr Geld arbeiten, etwa Arbeiter oder Handwerker.
Neben solchen individuellen Faktoren hat die Forschung zwei weitere Bedingungen für die Steuerehrlichkeit identifiziert: zum einen die Macht des Staates, Steuerkriminalität zu verfolgen und zu bestrafen, zum anderen das Vertrauen der Steuerbürger in den Staat und seine Institutionen. Sind beide Faktoren gegeben, bringt das Menschen dazu, korrekte Angaben zu machen und ihr Geld ordnungsgemäß zu versteuern. Je weniger beides aber in einer Gesellschaft vorhanden ist, umso stärker steigt die Wahrscheinlichkeit für Fiskalbetrug. Das gilt länderübergreifend, wie eine Untersuchung von Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zeigte.
Dafür wurden Bürger zahlreicher Staaten nach dem Vertrauen befragt, das sie ihrem Staat entgegenbrachten. In einem zweiten Schritt verglich Enste das Ausmaß der Schattenwirtschaft im jeweiligen Land. Und siehe da: Je geringer das Vertrauen in die Qualität staatlicher Institutionen, umso intensiver blühte die Schattenwirtschaft. Negative Spitzenreiter waren bei der Untersuchung Länder wie Griechenland und Italien; am positiven Ende lagen Dänemark, Finnland und die Schweiz, also Länder mit bekanntermaßen soliden Staatsfinanzen.
Im Rahmen seiner Diplomarbeit an der Universität Kassel zum Thema Steuermoral kommt der Wirtschaftspsychologe Philipp Hofmann außerdem zu dem Schluss, dass die für das Funktionieren des Staates so enorm wichtige Steuerehrlichkeit aus Sicht der Betroffenen dennoch paradoxerweise kaum gewürdigt wird: „Die deutschen Steuerzahler sehen ihre Ehrlichkeit nicht genügend honoriert: 45 Prozent sind der Meinung, dass ,der Ehrliche der Dumme‘ sei, und immerhin noch 38 Prozent empfinden Mitleid gegenüber den Steuerehrlichen.“
Steuerhinterziehung: unmoralisch, aber gerechtfertigt?
Empirische Studien zeigten zudem, so Hofmann, ein ausgeprägtes „Steuermoraldilemma“, wonach Steuerhinterziehung zwar generell als unmoralisch angesehen wird (67 Prozent der Befragten), nahezu die Hälfte jedoch findet, dass aufgrund der ungerechten Steuergesetze die Hinterziehung durchaus gerechtfertigt sei.
„Ein Gefühl der Hilflosigkeit kann bei den gewöhnlichen Steuerzahlern auftreten, die nicht in der Lage sind, die komplizierten Steuergesetze zu verstehen oder Experten zu engagieren.“ Das führe zu Frustration und Resignation und ende schließlich in einer schlechteren Steuermoral, so Hofmann. Möglicherweise könnte man hier mit der öffentlichen Würdigung positiver Beispiele dem Klischee des „dummen“ Steuerehrlichen entgegenwirken.
Und vielleicht werden in Zukunft auch die zunehmend drohenden Datenlecks bei Banken und Investmentfirmen ein Übriges zu größerer Steuerehrlichkeit beitragen. Profitieren doch gerade diese verlockenden Steueroasen weltweit von ihrer maximalen Verschwiegenheit. Wo jederzeit ein Leck brisante Details direkt auf den Tisch investigativer Medien bringen kann, könnte auf Dauer die Lust am Fiskalbetrug sinken. Und das nächste Leck kommt bestimmt.
Literatur:
C. Kogler u.a.: Trust and power as determinants of tax compliance: Testing the assumptions of the slippery slope framework in Austria, Hungary, Romania and Russia. Journal of Economic Psychology, 34, 2013, 169–180
H. Mann: Der Einfluss der Variablen Beruf und Bildung auf die Steuerehrlichkeit. Diplomarbeit, Uni Wien 2012
B. Maciejovsky: Rationality versus emotions: The case of tax ethics and compliance. Journal of Business Ethics, 109, 2012, 339–350
J. Alm u.a. (Hg.): Developing alternative frameworks for explaining tax compliance. Routledge, London 2010
S. Mühlbacher, E. Kirchler: Arbeitsaufwand, Anspruchsniveau und Steuerehrlichkeit. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 2/2008, 91–96