Die historische Zahl: 1783

1783 waren Kenntnisse zur Psyche noch eher mager und meist mythisch. Doch legte Karl Philipp Moritz den Grundstein für psychologischen Journalismus.

Die Illustration zeigt zwei Personen, die durch eine antike Kulisse laufen
Biografien von Kindermördern oder Erfahrungsberichte von Wachträumern: Das waren typische Inhalte des ersten Psychologiemagazins. © Klawe Rzeczy für Psychologie Heute

Karl Philipp Moritz bringt das erste Psychologiemagazin heraus. „Er war mit einem Schlafrocke bekleidet, hatte aber einige eiserne Ringe um den Leib. Auf dem Kopf trug er einen ungeheuren Aufsatz, der aus leinernen Tüchern und Mützen bestand.“ Mit dieser Konstruktion, die an den Aluhut unserer Tage erinnert, versuchte sich der Kaufmann D. vor den bösen Geistern zu schützen, die ihn Tag und Nacht bedrängten. Es ist eine der vielen Fallgeschichten, mit dem das Magazin für Erfahrungsseelenkunde sein Publikum in den zehn Jahren seines Bestehens von 1783 bis 1793 fesselte.

Sicherlich bediente das Magazin auch eine Portion Voyeurismus, wenn es von hypochondrischen, melancholischen oder schlafwandelnden Menschen erzählte, von Verbrechern und Selbstmörderinnen. Doch dem 26 Jahre jungen Herausgeber Karl Philipp Moritz lag mitnichten an einer Freakshow. Gnothi seauton, die Inschrift des Apollontempels in Delphi, war das Motto seines Magazins: Erkenne dich selbst. Moritz strebte danach, das Seelenleben in all seiner Vielfalt und seinen Abgründen zu beleuchten. „Fakta, kein moralisches Geschwätz“ wolle er bieten, schrieb er im Vorwort der ersten Ausgabe – wobei er diese Fakten nicht als Abstraktionen verstand, sondern als Erfahrungsmaterial. Der Blick richtete sich nach innen.

Im Individuum schrecklich, in der Gattung schön

Damit traf das neue Periodikum einen Nerv der Zeit, in der Tagebücher, Briefe, Autobiografien boomten. Leser und Leserinnen schickten Erfahrungsberichte, und auch Moritz selbst breitete sein Seelenleben im Magazin aus, schilderte seine extremen Stimmungsschwankungen, das manische Pläneschmieden und die depressiven Selbstzweifel.

All das sollte später auch zum Stoff seines Romans Anton Reiser werden, ebenso wie der Blick auf die Kindheit als biografischem Wegweiser: „Wer auf sein vergangenes Leben aufmerksam wird, der glaubt zuerst oft nichts als Zwecklosigkeit, abgerissene Fäden, Verwirrung, Nacht und Dunkelheit zu sehen; je mehr sich aber sein Blick darauf heftet, desto mehr verschwindet die Dunkelheit.“

Moritz, dessen unstetes Leben als Lehrer, Journalist, Schriftsteller und endlich Professor in Berlin nur 36 Jahre währte, kam zu der Erkenntnis: „Allein die Qualen sind nur dem Individuum schrecklich und werden in der Gattung schön.“ Ein schwacher Trost.

1974 Die erste Ausgabe von Psychologie Heute erscheint

1890 Zeitschrift für Psychologie, erstes Fachorgan in Europa

1887 American Journal of Psychology, erste Zeitschrift für experimentelle Psychologie

1876 Mind, philosophisch-psychologische Zeitschrift in England

1783 Karl Philipp Moritz bringt das erste Psychologiemagazin heraus

1597 Rorschacher Monatsschrift, erstes deutschsprachiges Periodikum

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