Was Kunst kann

Psychologie nach Zahlen: ​5 Einsatzgebiete für Psyche, Körper und Umwelt.

Die Illustration zeigt einen Klienten auf der Therapeutencouch mit einer künstlerischen Skulptur als Psychoterapeut
Kunst, wie Auguste Rodins „Der Denker“, kann auch der Seele guttun. © Till Hafenbrak

Bei kleineren Beschwerden nehmen Sie bitte ein Aspirin und zwei Claude Monets. Kein Witz: Auf Rezept ihres Arztes bekommen Kanadier im Montrealer Musée des beaux-arts freien Eintritt. Bis zu 50 Museumsbesuche pro Jahr kann ein Arzt jedem Patienten verschreiben. Die Initiative geht unter anderem auf eine in Montreal durchgeführte Studie zurück.

Darin ging es um die Wirkung von Kunst auf das seelische und körperliche Wohlbefinden: Manche Teilnehmer, die ihre Verfassung zunächst als „fragil“ eingestuft hatten, bezeichneten sie nach dem therapeutisch verordneten Kunstgenuss als „robust“. Aber Kunst kann noch mehr. Man verabreiche sie bei folgenden Indikationen:

1 Für die Umwelt

Kunst könnte zum Klimaschutz und Umweltengagement motivieren, so eine norwegische Studie. Das gelte besonders für jene Werke, die „schöne und farbenfrohe Darstellungen von der erhabenen Natur“ und gleichzeitig „Lösungen für Umweltprobleme“ kommunizierten, so das Team um Christian Klöckner. Die Wissenschaftler haben 874 Besucher des Kunstfestivals ArtCOP21, das zeitgleich zu den Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen in Paris stattfand, einen Fragebogen zu 37 Kunstobjekten beantworten lassen.

Zu den einflussreichsten und motivierendsten Objekten gehörte „ein Blumenteppich aus Upcycling-Material“ – eine gänzlich aus Abfallprodukten entstandene Installation. „Bei Kunstwerken wie diesem fühlten sich die Zuschauer deutlich inspirierter und entschlossener, etwas zugunsten des Klimaschutzes zu tun“, so die Forscher. Sie laden ein, Kunst als einen Weg für Umweltaufklärung und Umweltschutz ins Auge zu fassen.

2 Für mehr Belastbarkeit

Außerdem stärkt die Kunst unsere Resilienz – egal in welchem Alter wir uns befinden. Einerseits erlauben künstlerische Aktivitäten, sich auf eine produktive Weise mit negativen Emotionen zu konfrontieren und diese damit zu verarbeiten. Auf der anderen Seite bewirken Malen und Zeichnen, Collagenbasteln und Plakateentwerfen positive Gefühle, darunter Selbstwirksamkeit. So helfen sie uns im Alltag, belastbarer zu sein. Bei älteren Menschen stärkt das künstlerische Schaffen die Resilienz auch auf andere Weise, schreiben der Brite Andrew Newman und seine Kollegen.

An ihrer Studie nahmen Senioren im Alter von 70 bis 99 Jahren mit verschiedenen Stufen von Demenz teil. Hier spielten künstlerische Aktivitäten eine wichtige Rolle für die psychische Widerstandsfähigkeit, weil sie die Kommunikation und dadurch die Beziehungen der Menschen stärkten. Das galt besonders für jene Personen, die aufgrund der Demenz große Schwierigkeiten hatten, sich sprachlich mitzuteilen.

3 Für mehr Lebensqualität

Kunst hilft auch Menschen mit anderen Leiden und Symptomen. Zum Beispiel bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer: „Kunsttherapie kann Angst, Depressionen sowie chronische Schmerzen mildern“, schreibt die amerikanische Psychologin Angel Duncan, die vorliegende Studien noch einmal zusammenfassend ausgewertet hat. Kunst verbessere die Lebensqualität und Selbstachtung der Betroffenen.

Ähnliches beobachtete Huma Durrani bei autistischen Menschen. Für sie sind Museumsbesuche – inmitten von Menschentrauben – häufig mit Stress und unnötiger Belastung verbunden. Anders ist das aber, wenn ihnen Kunstmaterialien zur Verfügung gestellt und ihnen Ruhe und Zeit gegeben wird, sich damit vertraut zu machen. Dies könne auch den Kontakt zum Therapeuten stärken, so Durrani.

4 Für den Grips

Auch stärke Kunst die kognitiven Fähigkeiten, meldet ein Team um den Entwicklungspsychologen Adam Winsler. Die amerikanischen Forscher haben die Schulleistungen von über 31000 Schülern ausgewertet – und dokumentierten einen Zusammenhang zwischen dem Besuch von Kunstunterricht und guten Noten in anderen Fächern.

Das mag unter anderem daran liegen, dass künstlerische Betätigung das Gedächtnis unterstützt. „Schüler mit regelmäßigem Kunstunterricht können sich Inhalte aus der Physik und Chemie besser merken“, belegt ein Team der amerikanischen Forscherin Mariale Hardiman. Bei Erwachsenen – insbesondere älteren – registrierten Forscher um Rachael Lee an der National University of Singapore bessere Gedächtnisleistungen und stärkere Aufmerksamkeit im Anschluss an künstlerische Betätigung.

5 Zur Beruhigung

Besonders gesund für Geist und Körper scheint es zu sein, selbst künstlerisch tätig zu werden. Doch auch das bloße Genießen der Kunst tut gut. Das beobachteten nicht nur die eingangs erwähnten Montrealer Forscher. Ein italienisches Team um den Psychologen Stefano Mastandrea berichtet: „Museumsbesuche scheinen positiven Einfluss auf den Blutdruck zu haben und ihn signifikant zu senken.“ Und „wer sich für ein Museum für bildende Kunst entscheidet, scheint außerdem auch seinen Stress reduzieren zu können“, schreiben Mastandrea und seine Kollegen.

Ähnliches belegten Wissenschaftler in Paris. Sie unternahmen in Zusammenarbeit mit dem Louvre und dem Pariser Hôpitaux Universitaires de Paris Seine-Saint-Denis eine originelle Studie: Die Forscher organisierten eine Kunstausstellung im Krankenhaus und boten dortigen Patienten Führungen an. In diesem Projekt namens Le Louvre à l’hôpital konnten die Patienten die Kunstwerke aus der Nähe bewundern und diskutieren. Das hatte nennenswerte psychische Folgen: Das Gros der Ausstellungsbesucher berichtete hernach, sie fühlten sich jetzt weniger ängstlich. Die Studie wird nun zu einem Langzeitprojekt ausgebaut und auch in anderen Pariser Krankenhäusern übernommen. Sogar die Weltgesundheitsorganisation hat das Potenzial von Kunst bereits entdeckt und möchte es weitflächiger nutzen. 

Literatur:

World Health Organization: Can you dance your way to better health and well-being? For the first time, WHO studies the link between arts and health, Pressemitteilung vom November 2019

Christian Andreas Klöckner, Laura Kim Sommer: Does activist art have the capacity to raise awareness in audiences? A study on climate change art at the ArtCOP21 event in Paris. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 2019. DOI: 10.1037/aca0000247

Robin Majeski, Merrily Stover: The expressive arts and resilience in aging. Educational Gerontology, 45, 2019, 161–166. DOI: 10.1080/03601277.2019.1580896

Andrew Newman u.a.: The role of the visual arts in the resilience of people living with dementia in care homes, Ageing & Society, 39, 2019, 2465–2482. DOI:10.1017/S0144686X18000594

Angel Duncan: Art therapy in neurocognitive disorders: Why the arts matter in brain health, Surgical Medicine Open Access Journal, DOI: 10.31031/SMOAJ.2019.02.000540.

Elodie Pongan u.a.: Immediate benefit of art on pain and well-being in community-dwelling patients with mild Alzheimer's. American Journal of Alzheimer's Disease & Other Dementias. DOI: 10.1177/1533317519859202

Huma Durrani: A case for art therapy as a treatment for autism spectrum disorder. Art Therapy, 36, 2019), 103–106. DOI: 10.1080/07421656.2019.1609326

Adam Winsler u.a.: Selection into, and academic benefits from, arts-related courses in middle school among low-income, ethnically diverse youth. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 2019. DOI: 10.1037/aca0000222

Mariale Hardiman u.a.: The effects of arts-integrated instruction on memory for science content. Trends in Neuroscience and Education, 14, 2019, 25–32. DOI: 10.1016/j.tine.2019.02.002

Rachael Lee u.a.: Art therapy for the prevention of cognitive decline. The Arts in Psychotherapy, 64, 2019, 20–25. DOI: 10.1016/j.aip.2018.12.003

Stefano Mastandrea u.a.: Visits to figurative art museums may lower blood pressure and stress. Arts& Health, 11, 2019, 123–132. DOI: 10.1080/17533015.2018.1443953

Stefano Mastandrea u.a.: Art and psychological well-being: Linking the brain to the aesthetic emotion. Frontiers in Psychology, 2019. DOI: 10.3389/fpsyg.2019.00739

Jean-Jacques Monsuez u.a.: Museum moving to inpatients: Le Louvre à l’hôpital. International Journal of Environmental Research and Public Health, 16, 2019, 206. DOI: 10.3390/ijerph16020206

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2020: Männer und ihre Mütter
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