Was kann man tun, während man auf einen Therapieplatz wartet?

Von Selbsthilfegruppen bis Therapie-Apps: Was man überbrückend tun kann, während man auf einen Therapieplatz wartet, erklärt Achim Schubert.

Die Illustration zeigt den Diplompsychologen und Psychologischen Psychotherapeuten mit eigener Praxis, Dr. Achim Schubert
Dr. Achim Schubert ist Diplompsychologe und als Psychotherapeut tätig. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Herr Dr. Schubert, wer in Deutschland medizinische Hilfe benötigt, bekommt sie in aller Regel zeitnah – es sei denn, es handelt sich um ein psychisches Leiden. Wie lange wartet man hierzulande derzeit auf einen Therapieplatz?

Wenn man sich angemeldet hat, dauert es im Schnitt etwa 18 bis 20 Wochen bis zum Beginn der Behandlung. Regional gibt es aber je nach Therapeutendichte große Unterschiede. In Berlin beispielsweise wartet man im Mittel etwa drei Monate, im Saarland aber doppelt so lange auf den Beginn der Therapie.

Die Wartezeit ist auch von der Spezialisierung beziehungsweise der Arbeitsweise der Praxen abhängig. Kolleginnen und Kollegen, die vorrangig die besser vergüteten und weniger bürokratischen Aufwand erfordernden Kurzzeitbehandlungen anbieten, haben kürzere Wartezeiten als Behandelnde, die mehr Langzeitbehandlungen durchführen. Das benachteiligt Therapiesuchende mit komplexeren Problemen.

Was können gesetzlich Krankenversicherte tun, wenn sie etliche Absagen von Therapeutinnen und Therapeuten mit Kassenzulassung erhalten haben?

Sie können sich im Rahmen des Kosten­erstattungsverfahrens an approbierte Psychotherapeutinnen oder -therapeuten in Privatpraxen wenden, die keine Kassenzulassung haben. Die Krankenversicherungen entscheiden dann im Einzelfall über die Übernahme der Kosten.

Ist das eine realistische Option?

Im Paragraf 13 des Sozialgesetzbuches ist geregelt, dass die Kosten übernommen werden, wenn begründet wurde, dass die beantragte Therapie wegen „einer Störung von Krankheitswert“ erforderlich ist, jedoch bei Behandelnden mit Kassenzulassung nicht in zumutbarer Zeit beginnen kann.

Was kann man noch tun, um die Wartezeit zu überbrücken?

Sich mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen auszutauschen ist oft sehr unterstützend – eine erste Anlaufstelle wäre zum Beispiel das Internetportal nakos.de. Soziale Beratungsdienste bieten oft auch überbrückende individuelle Gespräch an. Wer unter sozialen Hemmungen leidet, könnte bei Therapeutinnen und Therapeuten nachfragen, ob gerade ein Behandlungsplatz in einer Gruppe frei ist. Denn hier wird man meist schneller aufgenommen als in Einzeltherapien. Und manche Patientinnen und Patienten erleben bei einigen Störungen auch digitale Gesundheits-Apps als hilfreich.

Haben Sie eine konkrete Übung, die für viele Menschen hilfreich ist, um die Wartezeit gut für sich zu nutzen?

Wer bereits vor der Therapie aktiv und gut informiert ist, hat die Chance, intensiver von der Behandlung zu profitieren. Hilfreich ist immer, eine Außenperspektive einzunehmen und zu reflektieren, welche Rollenmuster, Beziehungs- und Lebensentscheidungen zur Entstehung der aktuellen Probleme beigetragen haben.

In meinem Buch leite ich Menschen zur Vorbereitung einer Therapie zu Biografiearbeit und einer unterstützenden Selbstbeobachtung an und zeige, wie sie sich schreibend mit wesentlichen Problemen auseinandersetzen können. Für einige spezifische Störungen, etwa Panikattacken, Depressionen oder toxische Beziehungen, habe ich auch spezielle Übungen in dem Buch versammelt.

Achim Schuberts Buch Warten auf die Psychotherapie? Informieren – entscheiden – Selbsthilfe aktivieren ist bei Springer erschienen (269 S., € 19,99)

Dr. rer. nat. Achim Schubert ist Diplompsychologe und als Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis tätig (psychotherapie-coach.de).

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