Raus aus alten Mustern

Selbstunsicher, bindungsängstlich, überfordernd: Viele Menschen stecken von Kindheit an in einem Schema fest. Wie entkommt man der Falle?

Die Illustration zeigt eine Hand, die mit dem Zeigefinger auf ein Mädchen mit roten Zöpfen zeigt, dahinter steht eine andere Person vor Verkehrsschildern
Mag uns unsere Kindheit noch so glücklich erschienen sein – einige schlechte Muster stammen aus ihr. © Drushba Pankow

Manchmal funkt die Vergangenheit noch in Sina Bauers Leben hinein. Dann stürzt die 44-Jährige in depressive Phasen. Die Mediengestal­terin zieht sich tagelang zurück, fühlt sich niedergeschlagen, wird von Selbstzweifeln geplagt, kann so nicht arbeiten. Für ihre Freunde ist es dann schwer, sie zu erreichen. Sina Bauer, die in Wirklichkeit anders heißt, kann oft selbst nicht genau sagen, was diese wiederkehrenden Phasen auslöst.

Die Wurzeln dieses Erlebens sind jedoch, so glaubt sie, in ihrer Kindheit zu…

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der 1970er geboren wird, sind ihre Eltern noch jung und kaum darauf vorbereitet, ein Kind großzuziehen. In ihren ersten Lebensjahren wird sie abwechselnd von beiden Großelternpaaren und einer Tagesmutter betreut, nur am Wochenende haben die Eltern Zeit für sie. Als sie mit sechs Jahren endlich voll und ganz zu den Eltern zieht, stellt sich auch hier keine richtige Nestwärme ein: Die Beziehung zwischen Mutter und Vater ist angespannt, beide sind auf ihre eigenen Leben konzentriert. Es gibt keinen richtigen Platz für das Kind; die sichere Bindung fehlt, also das Urvertrauen, geliebt und umsorgt zu werden.

„Ich glaube, dass ich deswegen heute nicht gut darin bin, mich wahrzunehmen und wertzuschätzen“, sagt Sina Bauer. „Diese Erfahrungen holen mich immer wieder ein. Das sind keine Baustellen, sondern schwarze Löcher, die sich für mein Gefühl kaum stopfen lassen.“

Das Auf und Ab des Lebens

Phasen der Traurigkeit, der Hilflosigkeit, der Angst und des Alleinseins kennt jede und jeder. Schließlich gibt es im Auf und Ab des Lebens ausreichend Gelegenheiten, sich damit vertraut zu machen, sie sind normale Reaktionen auf schwierige Momente im Lebenslauf und gehören zum Menschsein dazu. Manchmal jedoch werden diese Phasen zu ewigen Begleitern. Ohne wahrnehmbare Anlässe tauchen sie immer wieder auf und überschatten das Dasein, werden gefühlt Teil der eigenen DNA. Eine Versagerin zu sein, in Beziehungen immer wieder verlassen zu werden, hilflos zu sein, es allen recht machen zu müssen, von anderen isoliert zu sein, abgelehnt zu werden – diese Gefühle können sich dann wie ein roter Faden durchs Leben ziehen. Sie lauern stets im Hintergrund und bilden eine Art Subtext, selbst dann, wenn es eigentlich gerade gut läuft.

Doch solche Gefühlszustände drücken nicht nur die Stimmung; häufig steuern sie auch unbewusst das eigene Verhalten, wirken auf Partnerschaften und Freundschaften, prägen die private und berufliche Lebensgestaltung. Denn viele Menschen neigen dazu, durch ihre inneren Überzeugungen immer wieder in dieselben Problemlagen zu geraten: Aufgrund einer ständigen Angst vor dem Verlassenwerden geben sie in Beziehungen vielleicht stets mehr, als sie bekommen; im Job meinen sie möglicherweise, nur Anerkennung zu erhalten, wenn sie stets Höchstleistung bringen; oder es holt sie, wie im Falle von Sina Bauer, immer wieder ein tiefes Gefühl der Wertlosigkeit ein, das sie in den Rückzug vom sozialen und beruflichen Leben zwingt. Obwohl längst erwachsen, meldet sich in diesen Ängsten und Verhaltensweisen das beschädigte Kind zu Wort.

Wurden in der Kindheit unsere Grundbedürfnisse – etwa nach sicheren Bindungen oder nach ausreichend Autonomie – nicht erfüllt, so können ungünstige Muster entstehen, die sich langfristig negativ auf unser Leben und unsere Beziehungen zu anderen Menschen auswirken. Der amerikanische Psychologe Jeffrey Young spricht dann von Schemata, also fest in uns verankerten Gefühls- und Gedankenmustern, die unser Verhalten steuern. Sie ähneln Landkarten, nach denen wir unbewusst durch unser Leben navigieren.

Maladaptive Schemata

Young identifizierte in den 1990er Jahren eine Reihe solcher ungünstiger Gefühls- und Gedankenmuster, sogenannter „maladaptiver Schemata“, die eine Art dauerhafte Bewältigungsreaktion auf kindliche Belastungen darstellen und so das Verhalten der Betroffenen noch im Erwachsenenalter prä­gen. Er entwickelte daraufhin die Schematherapie, die zur „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie gezählt wird (siehe Definition auf Seite 19). Sie kombiniert verhaltenstherapeutische Methoden mit Elementen psychodynamischer Verfahren wie etwa der Psychoanalyse. Young entwickelte sein Verfahren mit dem Ziel, vor allem schwer behandelbaren Patientinnen und Patienten besser helfen zu können, etwa solchen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder chronischen Depressionen.

Dabei sind Schemata, also typische Muster des Empfindens und Verhaltens, an sich erst mal nichts Negatives. Jeder von uns lebt sie. Vielleicht verbinden wir zum Beispiel mit „Teamsport“ vor allem Gefühle von Freude und Erinnerungen an Gemeinschaft und Solidarität, weil wir eben genau das in unseren Zeiten als Handballerinnen oder Fußballer erfahren haben. „Es gibt viele positive Schemata“, sagt die Hamburger Schematherapeutin Gitta Jacob. „Wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass andere Menschen uns positiv zugetan sind und wir deswegen gut mit ihnen kommunizieren können, wenn wir in der Interaktion mit ihnen die Erwartung haben, dass sie uns Fehler verzeihen und auch morgen noch mögen werden, dann haben wir zum Beispiel ein positives Beziehungsschema.“

Unsere Schemata entwickeln sich in der Regel in der Kindheit und Jugend. Sie beruhen auf unseren frühen Umwelterfahrungen und differenzieren sich im Laufe der Zeit immer weiter aus – auch im Erwachsenenalter können neue Erfahrungen und Erlebnisse unsere Schemata also noch verändern.

Kernbereiche des Konflikterlebens

Werden kindliche Bedürfnisse nach Zuwendung, Stabilität oder auch Grenzen nicht gut erfüllt, können Schemata als Antwort auf die frühen Erfahrungen entstehen, die dann zu hinderlichen Lebensbegleitern werden. Wird eines dieser Schemata im Erwachsenenalter durch eine neue Situation wieder wachgerufen, treten intensive Gefühle wie Angst, Traurigkeit, Verlassenheit oder Wut auf. Die früh erlernten Muster werden also wieder aktiv und stellen erneute Versuche dar, die kindlichen Grundbedürfnisse nach Bindung, Liebe, Autonomie, Anerkennung oder Geborgenheit sicherzustellen.

Denken wir etwa an eine Tochter, die mit einer kranken Mutter aufwächst und sich schon früh um die Geschwister kümmern muss. Dafür erhält sie Anerkennung von der Mutter. Ihre eigenen Bedürfnisse nach Fürsorge, Geborgenheit und Autonomie bleiben bei der Tochter jedoch auf der Strecke. Sie lernt, dass sie funktionieren muss und Kümmern und Verantwortung ihr die Liebe der Mutter sichern. Später behält sie dieses Verhalten bei und wird eine aufopferungsvolle Krankenpflegerin.

Allerdings arbeitet sie über Gebühr und hat Schuldgefühle, wenn sie mal früher Schluss macht oder sich etwas gönnt; sie ist immer an der Grenze ihrer Belastbarkeit und kann ihre Bedürfnisse schon gar nicht mehr spüren. Ihr Schema ist also „maladaptiv“, es behindert sie in ihrem Leben: Sie handelt so, wie sie es in der Kindheit auch getan hat; besser für sie wäre aber, wenn sie nun lernte, sich gut um sich selbst zu kümmern, ihr Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung nicht über Leistung kompensieren zu müssen und in Beziehungen die Erfahrung des Gebens und Nehmens machen zu dürfen.

Der Weg zur psychischen Störung

Jeffrey Young definierte auf der Grundlage klinischer Beobachtungen 18 maladaptive Schemata (siehe auch Kasten auf Seite 17). Diese sind in fünf sogenannte Schemadomänen untergliedert, also Kernbereiche menschlichen Konflikterlebens. Die Domäne Abgetrenntheit und Ablehnung beinhaltet Schemata, die mit schwierigen emotionalen Erfahrungen in Bezug auf Bindung, Akzeptanz oder Versorgung zu tun haben. Bei der Domäne Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung geht es um Konflikte rund um Gefühle von Kon­trolle, Abhängigkeit, Leistung und Versagen.

Die zwei Schemata der Domäne Beeinträchtigung im Umgang mit Grenzen signalisieren Probleme dabei, sich selbst nötigenfalls Schranken zu setzen und anderen nicht distanzlos zu begegnen sowie die eigenen Bedürfnisse für eine Weile zurückzustellen, wenn die Situation dies erfordert. Im Kontrast dazu geht es bei der Domäne Fremdbezogenheit um das Potenzial, seine Bedürfnisse und Emotionen frei ausdrücken und leben zu können. Die Domäne Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit schließlich benennt Schemata, die um eine negative Grundhaltung der Welt gegenüber kreisen.

Alle Schemata lassen sich als zentrale menschliche Lebens­themen verstehen. Maladaptive Schemata können schwächer oder stärker ausgeprägt sein und einzeln oder kombiniert auf­treten. „Bei Menschen, die wegen normaler Lebensprobleme in eine Therapie kommen, stehen oft nur ein, zwei Schemata im Vordergrund“, so die Erfahrung der Schematherapeutin Gitta Jacob. „Zur psychischen Störung werden sie dann, wenn sie so stark ausgeprägt sind, dass sie mit gestörtem emotionalem Erleben und entsprechenden Symptomen einhergehen. Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen etwa liegen häufig mehrere Schemata in starker Ausprägung vor.“

Abwertung und Demütigung

Hat jemand in der Kindheit wenig Sicherheit, Fürsorge und Stabilität erlebt, festigt dies das Schema „Verlassenheit“. Solche Menschen sind wie Sina Bauer meist auch als Erwachsene noch der Überzeugung, dass sie keine verlässliche Zuwendung und Unterstützung erhalten werden; oft fühlen sie sich wertlos und einsam. Sie ziehen sich zurück und meiden enge Beziehungen, um nicht abermals verletzt oder verlassen zu werden. Oder suchen sich unzuverlässige Partner – in der Erwartung, dass sie ja ohnehin enttäuscht werden. Auf diese Weise wird das Schema immer wieder bekräftigt.

Auch Sina Bauer hat nur selten das Gefühl, anderen Menschen wirklich nahe zu sein. „Meine Partnerschaften, wenn ich welche habe, sind immer relativ unverbindlich“, sagt sie. „Ich schaffe es einfach nicht, die Beziehungen zu halten. Ich habe Schwierigkeiten, die Nähe zuzulassen; wenn es zu emotional wird, bin ich eigentlich schon wieder weg. Daran würde ich gerne etwas ändern, aber es gelingt mir nicht.“ Ihre Angst vor dem Verlassenwerden ist so groß, dass sie enge Beziehungen lieber vermeidet. Gleichzeitig holen sie Gefühle der Einsamkeit und Wertlosigkeit immer wieder ein.

Das Schema „Unzulänglichkeit, Scham“ hingegen entwi­ckelt sich bei Menschen, die in ihrer Kindheit Opfer starker Abwertung und Demütigung geworden sind. Diese erniedrigenden Erlebnisse haben bei ihnen die Grundüberzeugung hinterlassen, im tiefsten Inneren nicht gut genug zu sein. Ein 34-jähriger Mann, den wir hier Arnd Schmieder nennen, hatte in der Kindheit stets das Gefühl, der Sündenbock der Familie zu sein. Als jüngster von vier Söhnen litt er unter seinen älteren Brüdern, sie verspotteten ihn als „fett“ und „dumm“, auch bei den Eltern genoss er kein hohes Ansehen.

Eine Art „Lebensfalle

Gegen das Gefühl der Unzulänglichkeit kämpft er bis heute an. In seinem Beruf als Sozialarbeiter gerät er immer wieder in Situationen, die ihn an der eigenen Kompetenz zweifeln lassen; im Kollegenkreis erlebt er sich oft als langweilig und uninteressant. Ihm ist bis heute rätselhaft, warum seine attraktive Freundin mit ihm zusammen ist. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass irgendwann alles auffliegt und herauskommt, wie peinlich ich eigentlich bin“, sagt Arnd Schmieder. „Manchmal merke ich, wie ich versuche, bloß nicht aufzufallen, um die Enttarnung zu vermeiden. Das ist ein schreckliches Gefühl, gegen das ich aber andauernd ankämpfe.“

Eine gänzlich andere Art von Lebensfalle stellt das Schema „Grandiosität“ dar. Es hat seinen Ursprung in einem Übermaß an Verwöhnung in der Kindheit. Setzen Eltern ihren Kindern zu wenig Grenzen, lernen diese nicht, die Interessen anderer zu respektieren, und beanspruchen für sich selbst stets Vorzugsbehandlungen und Ausnahmeregeln. Als Erwachsene zeigen sie dann starkes Anspruchsverhalten und wenig Selbstreflexion, meiden „normale Berufe“ mit wenig Glanz, umgeben sich mit Lakaien oder lassen sich als Gönner feiern. Es ist naheliegend, zu vermuten, dass Menschen vom Schlag eines Donald Trump das maladaptive Lebensmuster „Grandiosität“ tief verinnerlicht haben und daher niemals zu einer reifen Persönlichkeitsentwicklung finden.

In der Lebensfalle „Unterwerfung“ hingegen stecken oft Menschen, die in frühester Kindheit gelernt haben, dass ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht zählen. Vielleicht mussten sie sogar mit einer Strafe rechnen, wenn sie wagten, eigene Ansprüche anzumelden. Ihre Überlebensstrategie bestand also darin, die elterlichen Bedürfnisse zu erahnen und sich vollständig anzupassen. Auch als Erwachsene leben sie unbewusst weiterhin nach diesem Muster.

(Über-)Kompensation

Laut der Schematherapie gibt es drei Bewältigungsstile, um die durch ein Schema ausgelösten bitteren Emotionen in Schach zu halten: das Erdulden, das Vermeiden und das Kompensieren. Alle drei Stile lindern zwar akut den emotionalen Schmerz, chronisch jedoch festigen sie ihn. Wer in der Lebensfalle „Unterwerfung“ steckt und dieses Schema erduldet, ordnet sich etwa aus Angst vor Bestrafung den Bedürfnissen und Wünschen anderer unter, verharrt also in seinem Verhalten. Wer vermeidet, versucht die Auslösung seines Schemas von vornherein zu verhindern, umgeht etwa um jeden Preis Konflikte, um gar nicht erst in die Unterwerfungsposition geraten zu müssen. Wer kompensiert, verhält sich so, als sei das Gegenteil des Schemas wahr, provoziert also Autoritäten oder rebelliert passiv-aggressiv.

Eine andere Art von (Über-)Kompensation ist die „Identifikation mit dem Aggressor“, die Anna Freud schon Mitte der 1930er Jahre als Abwehrmechanismus zur Angstbewältigung beschrieb: Das hilflose Kind unterwirft sich den strafenden Eltern nicht nur, sondern ersinnt sogar Gründe, warum die Eltern richtig gehandelt haben mögen. „Die meisten von uns legen im täglichen Leben eine Kombination aus Erdulden, Vermeiden und Kompensieren an den Tag“, schreibt Jeffrey Young. „Wir müssen lernen, diese Bewältigungsstile zu überwinden, um unseren Lebensfallen zu entkommen und wieder gesund zu werden.“

Die Schematherapie hat sich zum Ziel gesetzt, diese Lebensmuster ins Bewusstsein zu rücken und so zu verändern, dass Betroffene ihre Emotionen und ihr Verhalten besser steuern und ihre Bedürfnisse auf eine gesündere Weise befriedigen können. So sollen sich langfristig psychische Symptome, Belastungen und Beziehungskonflikte reduzieren.

Im Eltern- und Kindmodus

Für die psychotherapeutische Behandlung sei für die Patientinnen das konkrete Wissen um die eigenen Schemata allerdings nicht zentral, findet der Frankfurter Schematherapeut Eckhard Roediger. Denn die Kategorien der Schemata seien aus wissenschaftlicher Sicht nicht ganz trennscharf. „Als Therapeutinnen und Therapeuten haben wir die Schemata natürlich als Prinzip im Hinterkopf. Die Patienten brauchen aber nicht unbedingt zu wissen, wie ein Schema im Einzelnen heißt, das sie prägt. Viel wichtiger ist, dass sie den Prozess spüren, wie sich die Schemata in das jetzige Erleben hineinschieben, um aus den Schemaaktivierungen jetzt aussteigen zu können.“

Denn die Schemata verdichten sich nach Jeffrey Young in sogenannten Modi, also Erlebens- und Verhaltensmustern, die das Handeln und Erleben bestimmen. In der Schematherapie wird hierbei zwischen dem Eltern-, Kind-, Bewältigungs- und Erwachsenenmodus unterschieden. Befinden sich die Betroffenen im Elternmodus, machen ihnen oft strafende, Schuldgefühle auslösende oder fordernde innere Stimmen Druck. Im Kindmodus hingegen wird das verletzte innere Kind aktiv, was sehr schwer auszuhaltende Gefühle wie Scham, Einsamkeit, Angst, Hilflosigkeit, Verlassenheit, Traurigkeit oder Bedrohung ins Bewusstsein spült. Der Bewältigungsmodus beschreibt den Umgang mit dem aktivierten Schema, also das Erdulden, Vermeiden oder Kompensieren der quälenden Gefühle. Der Erwachsenenmodus schließlich zeichnet sich durch gute Strategien der Selbstregulation aus; wer im Erwachsenenmodus agiert, muss weder erdulden noch vermeiden oder kompensieren, sondern kann Anforderungen kompetent und realistisch bewältigen und gesund und wertschätzend mit sich und anderen umgehen.

Erwachsen werden

Diese verschiedenen Modi wechseln je nach Situation und Anforderung, sie können also als verschiedene Aspekte einer Person betrachtet werden. „Das Ziel der Schematherapie ist, den Erwachsenenmodus zu stärken“, erläutert Schematherapeutin Gitta Jacob. „Der gesunde Erwachsenenmodus ist eigentlich immer beteiligt, wenn es darum geht, sich in eine gute Richtung weiterzuentwickeln.“

Charakteristisch für die Schematherapie ist, dass dabei verschiedene therapeutische Techniken miteinander kombiniert werden, etwa Methoden aus der kognitiven Verhaltenstherapie, Rollenspiele, Übungen der Achtsamkeit und neuerdings der Körperarbeit sowie imaginative Techniken. Bei ernsten Problemen bedarf es therapeutischer Begleitung. Ansonsten kann mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit jede und jeder von uns einige Schritte in Richtung Erwachsenenmodus tun.

Um die Wiederholungsschleife zu unterbrechen, ist es zunächst wichtig, seine Lebensfallen zu identifizieren. Das kann etwa dadurch gelingen, dass wir mit Distanz möglichst wertfrei auf das eigene Verhalten und die eigenen Gefühle schauen. „Manchmal ist es auch sinnvoll, sich zu überlegen, wie andere mich beschreiben würden“, so Gitta Jacob. „Also ehrlich zu schauen, welche Muster ich als typisch für mich rückgemeldet bekomme von meinen Freunden oder meiner Familie. So könnte man in einem ersten Schritt etwas über die eigenen Schemata erfahren.“

Ist dies gelungen, können schwierige Verhaltensweisen und ihre Ursachen besser eingeordnet werden. Doch welche kindlichen Grundbedürfnisse stecken hinter den Schemata? Es ist nicht leicht, sich an abgewehrte und schmerzhafte kindliche Erinnerungen anzunähern, in Psychotherapien brauchen Patienten oft viele Jahre dafür. Denn das abgewehrte Leid muss in der Erinnerung erst neu durchlebt werden, um bearbeitet werden zu können.

Mut, Geduld und Übung

Eine Methode, um mit den Empfindungen von damals in Kontakt zu kommen und sie dann zu entschärfen, ist das „imaginative Überschreiben“. Dabei ruft der Patient in Begleitung der Therapeutin mit geschlossenen Augen Bilder und Szenen einer belastenden Kindheitserinnerung auf. Der Patient spürt in der Imagination den Gefühlen und Gedanken, aber auch dem Körpererleben des Kindes nach. Über dieses Körpergefühl soll eine „Affektbrücke“ ins Damals hergestellt werden, die Empfindungen werden intensiver, weitere Bilder tauchen auf.

In der Übung geht es zunächst darum, die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes in der Schlüsselszene aufzudecken, wie Gisela Henn-Mertens und Gerd Zimmek in ihrem Buch Körperorientierte Techniken in der Schematherapie beschreiben. Anschließend wird versucht, das missachtete kindliche Bedürfnis zu befriedigen. Dazu tritt in der Imagination „die Therapeutin, eine Hilfsperson oder der erwachsene Patient selbst in die biografische Szene ein“. Diese imaginäre Helferin stoppt die Personen, die das Kind in der Szene als bedrohlich erlebt, und tröstet und versorgt das Kind. Auf diesem Gefühl des Geborgenseins baut die Therapie dann weiter auf.

Ein weiterer Weg, um mit dem kindlichen Erleben in Kontakt zu kommen, ist ein Brief an das kindliche Ich. Auch Gegenstände wie Fotos, Ansichtskarten, Bücher und Kuscheltiere können in die Welt der Kindheit zurückführen und so dazu beitragen, eigene Grundbedürfnisse zu erkennen. Hilfreich ist ferner, sich in Momenten, in denen Traurigkeit oder Angst überwältigend scheinen, zu fragen: Was genau geht jetzt in mir vor? Was braucht das Kind von damals, das noch immer in mir steckt? Und welche dieser Bedürfnisse kann ich mir inzwischen selbst erfüllen?

Muster aufbrechen

Ist das geschafft, können erste Schritte unternommen werden, um sich von den inneren Stimmen zu lösen, die noch immer das eigene Verhalten lenken. Die uns sagen: Du bist zu faul, zu unbeliebt, zu einsam, zu schwach, zu dick, zu erfolglos. „Möchtest du dein verletztes inneres Kind heilen, musst du auch an die inneren Richter ran, die dich daran hindern möchten, und sie in die Schranken weisen“, schreibt Gitta Jacob. „Lass nicht zu, dass diese schrillen Stimmen dein inneres Kind immer wieder verunsichern und verletzen. Sonst wird es sich nie erholen und stark und glücklich werden.“

Und dann ist es Zeit, das Schema zu widerlegen, in dem wir feststecken. Vielleicht indem wir eine Liste schreiben und notieren, was für und was gegen unsere eingefahrene Selbstwahrnehmung spricht. Wenn ich so peinlich bin, warum habe ich dann eine Gruppe alter Freunde, die ich jederzeit anrufen kann? Welche Beweise gibt es dafür, dass ich auch heute noch bestraft werde, wenn ich meine eigenen Ansprüche formuliere? Bin ich wirklich so wertlos, dass alle mich verlassen werden? Wieso bin ich es dann immer, die sich trennt? Man müsse seine Lebensfalle intellektuell „attackieren“ und anzweifeln, schreibt Jeffrey Young: „Solange Sie noch glauben, dass Ihre Lebensfalle triftig ist, werden Sie nicht in der Lage sein, sie zu verändern.“

Die eingefahrenen Verhaltensmuster aufzubrechen ist also nicht leicht und braucht Mut, Geduld, Übung und gelegentlich ein feines Nachjustieren. So kann die Landkarte der Seele auch lange nach der Kindheit noch umgestaltet werden. Sina Bauer zumindest hat sich fest vorgenommen, die „schwarzen Löcher“ in ihrem Leben mit erwachsenen Erfahrungen zu füllen. Sie ist in einer neuen Beziehung und hat nun zum ersten Mal therapeutische Unterstützung gesucht, um ihre Ängste vor Nähe besser auffangen zu können. „Ich will so nicht weitermachen“, sagt sie, „Ich bin sicher, dass das Leben mir noch viel mehr zu bieten hat als die Ängste meiner Kindheit.“

Die 18 Schemata

Domäne: Abgetrenntheit und Ablehnung

1. Verlassenheit

Dieses Schema entsteht meist schon in der Baby- oder Kleinkindzeit. Wird das Grundbedürfnis nach einer sicheren Bindung nicht erfüllt, weil die Eltern sich nicht verbindlich kümmern wollen oder können, entwickeln Betroffene oft eine ständige Furcht, einsam zu sein oder verlassen zu werden.

2. Misstrauen, Missbrauch

Haben Kinder Beziehungen als missbrauchend erlebt, vielleicht sogar körperliche, sexuelle oder seelische Gewalt erfahren, sind die Folgen oft Schmerz, Scham und ein tiefes Misstrauen. Andere Menschen werden vorsichtshalber auf Abstand gehalten.

3. Emotionale Entbehrung

Die Eltern haben das Kind zwar versorgt, doch Nähe und Liebe waren kaum vorhanden. Diese Menschen spüren oft ein Gefühl der Leere; sie glauben nicht, für andere wichtig zu sein. In Beziehungen quält sie das altbekannte Gefühl: Ich bin nichts wert.

4. Unzulänglichkeit, Scham

Du bist zu dick, du stinkst, du kannst ja gar nichts: Gedemütigte Kinder verinnerlichen das Gefühl, unzulänglich oder minderwertig zu sein. Sie schämen sich. Noch als Erwachsene glauben sie, keinen Anspruch auf Liebe, Aufmerksamkeit, Respekt zu haben.

5. Soziale Isolation, Entfremdung

Einsamkeit in der Kindheit, etwa weil die Eltern abgelegen wohnen oder sich bewusst von anderen isolieren, kann ein anhaltendes Gefühl der Unverbundenheit mit anderen Menschen zur Folge haben.

Domäne: Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung

6. Abhängigkeit, Inkompetenz

Die Eltern nahmen einem immer alles ab. Betroffene erleben sich als abhängig und inkompetent und orientieren sich an starken Partnern.

7. Angst vor Schädigungen

Überängstliche Eltern schürten die Angst vor der Außenwelt; die Kinder erleben sich auch später noch als verletzlich und suchen ständig nach Hinweisen auf Gefahren. Neues und Fremdes ist bedrohlich.

8. Verstrickung, unentwickeltes Selbst

Schon als Kinder waren die Betroffenen über Schuldgefühle eng an die Eltern gebunden; auch als Erwachsene ist es schwierig für sie, sich zu lösen und andere Beziehungen einzugehen.

9. Versagen

Es gab wenig elterliche Ermutigung oder Unterstützung. Menschen mit diesem Merkmal haben das Gefühl, nichts zu können. Sie meiden Situationen, in denen sie versagen könnten.

Domäne: Beeinträchtigung im Umgang mit Grenzen

10. Anspruchshaltung, Grandiosität

Dem Kind wurden kaum Grenzen gesetzt. Betroffene haben das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein und alles zu können. Für sie sollen bitte andere Regeln gelten als für alle anderen.

11. Unzureichende Selbstkontrolle

Diese Menschen haben wenig Frustrationstoleranz und sind undiszipliniert; es fällt ihnen schwer, lästige Alltagsaufgaben zu erledigen und Ziele zu erreichen.

Domäne: Fremdbezogenheit

12. Unterwerfung

Im Elternhaus war kein Widerspruch erlaubt; auch als Erwachsene scheint es sicherer, Regeln penibel zu befolgen und sich anderen unterzuordnen.

13. Selbstaufopferung

Schon als Kind mussten Menschen mit diesem Merkmal oft für die Eltern sorgen; auch als Erwachsene stellen sie ihre Bedürfnisse zurück. Oft ergreifen sie helfende Berufe.

14. Streben nach Anerkennung

Nur erwünschtes Verhalten wurde früher von den Eltern belohnt; später tut man alles, um die Anerkennung seiner Mitmenschen zu erhalten.

Domäne: Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit

15. Negativität, Pessimismus

Stets wird nur das Schlimmste erwartet; Experimente werden vermieden und könnten gefährlich sein.

16. Emotionale Gehemmtheit

Lebendiges kindliches Verhalten wurde im Elternhaus nicht gern gesehen; Erwachsene mit diesem Merkmal kontrollieren stark ihre Gefühle und bleiben stets „vernünftig“.

17. Überhöhte Standards

Nur für gute Leistungen gab es die Liebe der Eltern; auch später stellen Betroffene unerbittliche Ansprüche an sich und sind ehrgeizig und perfektionistisch.

18. Bestrafen

„Eigentlich bin ich von Grund auf böse und brauche zur Orientierung Bestrafung.“ Wer das vermittelt bekommen hat, ist streng und unnachsichtig mit sich selbst und anderen. Anne-Ev Ustorf

In meiner Praxis erscheint eine schlanke und unauffällige Frau Anfang dreißig, nennen wir sie Juliane. Sie berichtet, dass sie oft ohne Anlass weine. Sie falle dann richtig in ein Loch und habe überhaupt keinen Antrieb, schaue stundenlang Serien und fühle sich anschließend schlecht. An anderen Tagen wieder treibe sie sich perfektionistisch an, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Außerdem sei sie sehr kontrolliert beim Thema Essen, sie habe stets Angst, zu dick zu werden, und treibe deshalb exzessiv Sport.

In den nächsten Stunden schauen wir, woher die Gefühle kommen könnten. Juliane erzählt von ihrer Kindheit in einer recht leistungsorientierten Familie. Der Vater ist ein erfolgreicher Anwalt mit eigener Kanzlei, die Mutter hat Medizin studiert, ist aber nie in den Beruf eingestiegen. All ihre Energie hat sie in die drei Kinder investiert, die stets die elterlichen Anforderungen erfüllen sollten. Die Außenwirkung der Familie sei den Eltern sehr wichtig gewesen. Mir scheinen bei Juliane zwei verschiedene innere Stimmen am Werk. Auf der einen Seite hat sie das Gefühl, nie gut genug zu sein, und versucht dieses zu bewältigen, indem sie in ihrem Beruf als Architektin besonders viel arbeitet und auch sonst sehr diszipliniert ist. Sie überkompensiert also und erschöpft sich dadurch. Auf der anderen Seite ist sie dann oft traurig und überfordert und bleibt stundenlang im Bett liegen, entzieht sich dadurch also dem fordernden Anteil in ihr. Ich berichte Juliane von meinem Eindruck und sie stimmt mir zu.

Wir finden gemeinsam Namen für die beiden Modi. Einerseits ist da die strafende Richterin, die stets harsch darüber urteilt, ob Juliane wirklich genug leistet, ob sie sich genug anstrengt, ob sie dünn genug ist. Sie stellt sicher, dass Juliane weiter im Hamsterrad strampelt. Und andererseits ist da das überforderte Kind, das traurig ist, sich lieber zurückzieht, in die Vermeidung geht. Im Laufe der Behandlung überlegen wir, in welchen Situationen die Richterin und wann das Kind bei Juliane aktiv wird und welche Gefühle damit einhergehen. Beide Modi sind für sie nur schwer auszuhalten. Wir identifizieren außerdem noch einen dritten Modus, den Bewältigungsmodus. Das ist Julianes Überlebensstrategie, hier finden sich die Symptome, die sie entwickelt hat, um zurechtzukommen mit den äußeren Anforderungen und den inneren Stimmen: ihre Ängste, ihre Zwänge, ihr Binge-Watching, ihr Hungern in Stresssituationen.

Oft ist es so, dass die Patienten an diesem Punkt sagen: Ich verstehe das alles zwar, kann mir aber nicht vorstellen, irgendetwas zu verändern. Auch Juliane möchte gerne weniger angepasst handeln, weiß aber nicht, wie das funktionieren soll. Doch das geht in kleinen Schritten. Für die Schematherapie ist zum Beispiel die Arbeit mit Stühlen typisch. Jeder Modus bekommt einen eigenen Stuhl, auf den sich Juliane setzt und ihre jeweiligen Gefühle erspürt und ausdrückt. Ich unterstütze Juliane dabei, sich auf einen „gesunden Stuhl“ im Erwachsenenmodus zu setzen und von dort aus gegen die strafende Richterin zu argumentieren. In Rollenspielen üben wir zudem konkrete Gesprächssituationen ein, die ihr helfen könnten, diese Veränderungen vorzunehmen.

Die Behandlung dauert 25 Stunden. Juliane lernt in dieser Zeit, ihre Gefühle besser wahrzunehmen. Sie nimmt sich vor, auf klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu achten und sich gegen den fordernden Anteil in ihr besser zu wehren. Sie läuft nicht mehr exzessiv, sondern ist stattdessen einer Volleyballgruppe ihrer Freundinnen beigetreten, wo es um Freude am Spiel geht und nicht um Leistung. Sie hat es schon mehrfach geschafft, sich von elterlichen Anforderungen abzugrenzen, ohne danach in die Selbstabwertung zu stürzen. Ich denke, sie ist auf einem guten Weg.

Aufgezeichnet von Anne-Ev Ustorf

„Oft schiebt sich ein altes Schema in die Partnerschaft“

Psychotherapeut Eckhard Roediger über die Wirkmächtigkeit früher emotionaler Erfahrungen in Paarbeziehungen und die Fähigkeit, in der Gegenwart anzukommen

Es gibt zahlreiche Gründe, warum Paare sich streiten: der Haushalt, die Kindererziehung, die Freizeitgestaltung. Welche Rolle spielen unsere Schemata, also unsere Lebensmuster bei diesen Konflikten?

Als Schematherapeuten gehen wir davon aus, dass wir Menschen mit unserem Bewusstsein oft gar nicht in der Gegenwart sind. Durch unsere frühen Kindheitserfahrungen und die daraus entstehenden Schemata haben wir eine Art innere Brille auf, die all unsere aktuellen Wahrnehmungen, inneren Bewertungen und die daraus folgenden Handlungsimpulse prägt. Jeder Partner sieht die Welt also durch seine eigene Brille. Dadurch passen die Welten immer wieder mal nicht zusammen. Das ist quasi der Normalzustand.

Und wenn Paare sich häufig streiten, haben diese Brillen besonders dicke Gläser?

Meist ist das so. In der Therapie müssen viele den Unterschied zwischen den alten und den neuen Erfahrungen oft erst wahrnehmen lernen. Wann schiebt sich mein altes Schema rein und wann bin ich überhaupt in der Gegenwart? Das Ziel muss sein, dass die Menschen im Erwachsenenmodus ankommen, während sie gleichzeitig noch im Kontakt mit ihren Gefühlen sind. Dann können sie vernunftorientierter handeln und befinden sich eben nicht in dieser Emotionalisierung aufgrund ihrer Kindheitsgefühle. Wenn Paare es schaffen, sich runterzukühlen und aus dieser Kampfsituation herauszufinden, können sie wieder in eine kooperative Existenz kommen und sich dadurch sicherer und entspannter miteinander fühlen.

Welche Konflikte ergeben sich am häufigsten, wenn unterschiedliche Schemata aufeinanderprallen?

Die klassische Konstellation eines Paares, das bei uns in Therapie kommt, ist eine ursprünglich dominante Person und komplementär dazu eine ursprünglich unterwürfige Person. Das nennen wir in der Schematherapiesprache Beziehungschemie, weil diese Paare sich wie Moleküle passend zusammengefunden haben. Doch irgendwann möchte der unterwürfige Partner mehr Respekt oder Autonomie und der dominante Partner will die Kontrolle behalten. Dann gibt es Streit. Dabei ist interessant, wie oft die Partner, die wir wählen, einem Elternteil ähneln. Zum einen scheinen wir nicht selten das zu wählen, was wir gut kennen, einfach weil es vertraut ist. Vielleicht kommt dazu, dass wir den Partnern auch gewissermaßen die Maske dieser Bezugspersonen aufdrücken, bis sie sie letztlich annehmen.

Wenn ich mich also schon in meiner Kindheit um meine Eltern kümmern musste, dann kümmere ich mich auch in meiner Partnerschaft um meinen Mann, obwohl ich diese Rolle eigentlich nicht will und er das auch gar nicht braucht?

Genau. Und wenn Ihr Mann sich dann Ihren Versorgungsbedürfnissen widersetzt, sind Sie sauer und er ist frustriert, weil er Sie enttäuscht hat. Sie bleiben also in Ihrem Schema, obwohl Sie es eigentlich nicht wollen. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, dieses Muster zu verstehen.

Müssen Paare mit Beziehungsproblemen also immer tief in die eigene Kindheitsgeschichte einsteigen, um aus ihren hinderlichen Mustern herauszufinden?

Es reicht, punktuell einzusteigen. Wir deklinieren nicht die ganze Geschichte durch, sondern machen eine imaginative Reise in die Kindheit. Wir schauen uns sozusagen die im assoziativen Gedächtnis gespeicherten Videoclips mit Szenen von damals an, die sich in der Gegenwart wieder inszenieren. Wenn Sie ein oder zwei dieser Szenen hervorgeholt haben, können Sie diese als Beispiel nehmen und sagen: Okay, jetzt fühlen Sie sich von Ihrer Frau wieder genauso zurückgesetzt, wie früher als kleiner Junge von ihrem Bruder. Es geht darum, aus einer hochemotionalisierten selbstbezogenen Perspektive in eine Überblicksperspektive zu kommen.

Eckhard Roediger ist Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut. Über die Schematherapie hat er Fachbücher und Ratgeber veröffentlicht

Literatur

Gitta Jacob, Hannie van Genderen, Laura Seebauer: Andere Wege gehen. Lebensmuster verstehen und verändern – ein schematherapeutisches Selbsthilfebuch. Beltz, Weinheim 2017 (2. Auflage)

Gitta Jacob, Frauke Melchers: Ratgeber Schematherapie: Eigene Verhaltensmuster verstehen und verändern. Hogrefe, Göttingen 2017

Gisela Henn-Mertens, Gerd Zimmek: Körperorientierte Techniken in der Schematherapie. Beltz, Weinheim 2017

L. Seebauer, E. Faßbinder, G. Jacob, G. (2017). Imagination. In: E.-L. Brakemeier, F. Jacobi (Hg.): Verhaltenstherapie in der Praxis. Beltz, Weinheim 2017

E. Faßbinder, G. Jacob, L. Seebauer: Schematherapie. In: E.-L. Brakemeier, F. Jacobi (Hg.). Verhaltenstherapie in der Praxis. Beltz, Weinheim 2017

E. Roediger: Was ist Schematherapie? Eine Einführung in Grundlagen, Modell und Anwendung. Junfermann, Paderborn 2018 (3. Auflage)

E. Roediger: Raus aus den Lebensfallen! Das Schematherapie-Patientenbuch. Junfermann, Paderborn 2015 (2. Auflage)

Jeffrey E. Young, Janet S. Klosko, Marjorie E. Weishaar: Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Weishaar 2008

Jeffrey E. Young: Sein Leben neu erfinden. Wie Sie Lebensfallen meistern. Junfermann, Paderborn 2016

Gerhard Zarbock: Einladung zur Schematherapie: Grundlagen, Konzepte, Anwendung. Beltz, Weinheim 2014

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2021: Raus aus alten Mustern