„Internetrevolution“ gilt als abgenudeltes Wort. Doch wenn es ums Studieren geht, wird es momentan wieder gerne gebraucht. Das Web, war in den letzten Monaten in deutschen Medien zu lesen, stellt die akademische Bildung auf den Kopf. „Harvard für alle Welt“ titelte Die Zeit, „Die Bildungsstürmer“ hieß es bei Brand eins, „Klick dich schlau“ riet der Tagesspiegel. Die Entwicklung ist in der Tat bemerkenswert: Universitäten in aller Welt drängen sich förmlich darum, massive open online courses (MOOCs)…
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in aller Welt drängen sich förmlich darum, massive open online courses (MOOCs) anzubieten. Das sind für große Teilnehmerzahlen geeignete und mit interaktiven Elementen wie Lerngruppen und Diskussionsforen angereicherte offene Onlinekurse. Nicht selten werden sie von renommierten Professoren angeboten. Auch die psychologischen Lehrstühle sind mit dabei. Heute „Einführung in irrationales Verhalten“ mit Dan Ariely von der Duke-Universität, morgen „Moralisches Handeln im Alltag“ bei Harvard-Professor Paul Bloom – per Internet kann man sich die neuesten Erkenntnisse von den Koryphäen des Fachs erklären lassen.
Genauer betrachtet rollt der „Bildungstsunami“, wie Stanford-Präsident John Hennessy den Onlineboom bezeichnete, schon eine Weile heran. Seit der sensationellen Ankündigung des Massachusetts Institute of Technology im Jahr 2001, es werde künftig Lehrmaterialien für seine Veranstaltungen online zugänglich machen, stellen viele Universitäten Audio- und Videoaufzeichnungen ins Netz. Auch einige deutsche Hochschulen sind dabei. Die Universität Tübingen macht über den Internet-Multimedia-Server timms sogar bereits seit dem Jahr 2000 Vorlesungen online zugänglich; Psychologieinteressierte können sich dort beispielsweise Videos über medizinische Psychologie mit Professor Nils Birbaumer anschauen. Auch im Video-Online-Service der Ludwig-Maximilians-Universität München sind manche (meist ältere) Vorlesungen frei zugänglich, unter anderem Einführungen in die Arbeits-, Organisations- und Marktpsychologie (Lutz von Rosenstiel), Vorlesungen zur Sozialpsychologie (Heiner Keupp, Dieter Frey) und zur Persönlichkeitspsychologie (Tobias Haupt).
Inzwischen aber werden nicht mehr nur aufgezeichnete Präsenzvorlesungen ins Internet gestellt. 2008 bot die Universität im kanadischen Manitoba erstmals einen speziell für das Internet konzipierten, offenen und interaktiven Kurs an; mehr als 2000 externe Teilnehmer schrieben sich ein. Der Begriff MOOC, massive open online course, war geboren und verbreitete sich rasch. Ein Seminar über künstliche Intelligenz, 2011 von einem deutschen Professor an der Stanford-Universität gehalten, zog schon 160 000 Teilnehmer an. Innerhalb kurzer Zeit entstanden in den USA mehrere spezielle MOOC-Anbieter, darunter Coursera (kommerzielle Plattform, derzeit etwa 5,2 Millionen Nutzer, rund 540 Kurse, 107 universitäre und andere Partner), edX (nichtkommerzielles Konsortium von Harvard und MIT, derzeit rund 95 Kurse von 29 Universitäten) und Udacity (gewinnorientiert, im Oktober 2012 mehr als 750 000 Nutzer, rund 35 Kurse).
„MOOCs werden die Präsenzlehre nicht ersetzen“
Auch hierzulande ist die MOOC-Welle angekommen. Seit 2012 bietet das private Hasso-Plattner-Institut in Potsdam Onlinekurse zur Informationstechnologie an. Bei Iversity, einer 2011 gegründeten GmbH bei Berlin, liefen im Herbst 2013 die ersten MOOCs an. Bislang sind noch keine aus dem Bereich Psychologie oder Neurowissenschaften dabei. Doch das wird sich wohl bald ändern, versichert das Unternehmen. So haben sich bei einem von Iversity und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ausgeschriebenen MOOC-Wettbewerb auch Professoren und Institutionen mit Themen zur Entscheidungspsychologie, Evolution des menschlichen Gehirns, Demenz und Prokrastination beworben. Von diesen hat es zwar keiner in die Endrunde geschafft. Man stehe aber, so ein Sprecher, mit den Bewerbern wegen einer möglichen zukünftigen Realisation im Gespräch.
Das Interesse an psychologischen MOOCs ist enorm. Für den von Dan Ariely angebotenen Kurs zu irrationalem Verhalten registrierten sich 140 000 Teilnehmer; 67 000 schauten sich auch tatsächlich Videos an. Die potenzielle Zielgruppe ist breit: Studenten, die Themen vertiefen wollen, Berufstätige mit Weiterbildungsambitionen, wissenshungrige Pensionäre, Schüler, denen der Regelunterricht nicht reicht, Menschen, die sich und andere besser verstehen wollen. Mehr als eine passable Internetverbindung und solide Englischkenntnisse sind in der Regel nicht vonnöten. Die meisten Veranstaltungen sind frei zugänglich; bei Plattformen wie Coursera und edX muss man sich allerdings zunächst als Nutzer registrieren.
Wird man Psychologie irgendwann nur noch per MOOCs und Onlinevorlesungen studieren? Viele bezweifeln das. Hochschulbildung werde zukünftig sicher Onlinekomponenten beinhalten, zeigt sich Ariely in einem Videoclip auf www.thegoodmooc.com überzeugt, doch das Präsenzstudium schreibt er keineswegs ab. Er hat auch bereits mit verschiedenen Lernformen experimentiert. Dabei stellte sich eine Mischung aus Onlinevideos und realen Diskussionen im Klassenraum als beste Option heraus. Ähnlich sieht es auch Frank Fischer, Professor für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Universität München: „MOOCs sind eine tolle Sache, denn viele Menschen können Zugang zu Wissen erhalten. Mittelfristig werden sie – wie andere neue Anwendungen vor ihnen – ihren Platz in der Medienlandschaft finden. Sie werden die Präsenzlehre nicht ersetzen, sondern die Hochschulen dazu veranlassen, genauer darüber nachzudenken, was eigentlich der Mehrwert der Präsenzlehre ist.“
Immer mehr Kurse auf Studium anrechenbar
Bislang können sich Studenten die Teilnahme an einem MOOC kaum auf ihr Studium anrechnen lassen. Bei Anbietern wie Coursera und edX erhält man für manche Seminare immerhin ein Zertifikat, wenn man sie erfolgreich abgeschlossen hat. Es gibt allerdings auch die ersten anrechenbaren Kurse. James Pennebaker und Sam Gosling von der Universität Texas führten von August bis Dezember 2013 einen in Echtzeit ablaufenden sogenannten synchronous massive online course zur Einführung in die Psychologie durch, bei dem Teilnehmer Credit Points erwerben konnten. Allerdings kostete er 550 US-Dollar. Das Georgia Institute of Technology in Atlanta kündigte im August 2013 sogar an, es werde bald einen MOOC-basierten Masterabschluss für Computerwissenschaften anbieten. Manche Experten meinen, dies könne „den Sprung in die nächste Phase der Evolution von MOOCs signalisieren“, berichtete die New York Times.
An der globalen Internetuniversität ändern sich Angebote und Konzepte rasch. Was heute gilt, kann morgen schon überholt sein. Wer sich für Onlineangebote interessiert, muss also am Ball bleiben. In diesem Sinne sind auch die hier vorgestellten Vorlesungen und Kurse zu verstehen. Die Informationen wurden mit größter Sorgfalt zusammengetragen, mögen sich aber dennoch bis zum Erscheinen des Heftes verändert haben. Manchmal muss ein angekündigter Kurs verschoben werden, oder archivierte Veranstaltungen werden plötzlich vom Server genommen. Die Liste umfasst einige Videoaufzeichnungen traditioneller Präsenzvorlesungen. Der Rest sind spezielle Onlinekurse – zum Teil momentan laufend oder in Zukunft startend, zum Teil archiviert (das heißt: Auf interaktive Elemente wie Chatrooms kann eventuell nicht mehr zugegriffen werden); alle sind in Englisch. Viel Spaß!