„Freiwilliger Verzicht führt zu Zufriedenheit“

Wie gelingt es, weniger zu konsumieren und ökologischer zu leben? Umweltpsychologe Marcel Hunecke hat erforscht, was uns im Weg steht - und was hilft.

Ein Person streckt seinen Arm aus, der eine Welle darstellt, darauf sind vier Personen auf einem Ruderboot, die davon rudern
Verzicht muss nicht immer "weniger" bedeuten. Wenn wir uns auf das Wichtige fokussieren, bedeutet Verzicht auch mehr Freiheit. © Orlando Hoetzel für Psychologie Heute

Viele von uns würden gerne nachhaltiger leben und tun es doch nicht. Wieso scheitern wir, obwohl wir es besser wissen?

In meinem Buch Psychologie der Nachhaltigkeit gliedere ich dieses Problem in fünf Teilprobleme auf: Information, Motivation, Planung, Umsetzung und Routinisierung. An jeder dieser Hürden kann man scheitern. Wer die nötigen Informationen nicht hat, wie er sich fleischlos gesund ernähren oder wo er im eigenen Haushalt Energie sparen könnte, dem fehlt es an Wissen, um zur Tat zu schreiten.…

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wo er im eigenen Haushalt Energie sparen könnte, dem fehlt es an Wissen, um zur Tat zu schreiten. Außerdem konkurrieren in unserem Alltag sehr viele Informationen miteinander. So ist es schwierig, überhaupt den Fokus auf dem Thema „Nachhaltigkeit“ zu halten.

In vielen Fällen wissen wir aber in groben Zügen, wie beispielsweise Energiesparen und Klimaschonen geht.

Schon, der Schlüssel ist aber oft das zweite Problem, die Motivationsebene. Für viele ist Nachhaltigkeit ein nachrangiges Ziel. Das Essen beispielsweise soll schmecken und nicht zu viel kosten. Erst danach kommt, dass es auch nachhaltig sein soll. Wenn ich für mich selbst aber keine triftigen Gründe habe, auf Fleisch und Flugreise zu verzichten, gelingt es mir natürlich nicht.

Es braucht ein tieferes Bekenntnis zur Suffizienz, zur Selbstgenügsamkeit. Suffizienz bedeutet: Ich will weniger, weil ich erkannt habe, dass das besser für mich und alle ist. Ich habe erkannt, dass es zu einem zufriedenen Leben führt, wenn ich vieles lasse. Ich fühle mich besser, wenn ich kein Fleisch esse, und ich fühle mich besser, wenn ich nicht fliege. Dann gelingt es mit Genugtuung.

Wer verzichtet, ist also am Ende zufriedener? Aber erst einmal ist es doch möglicherweise ein Komfortverlust?

Wenn der Verzicht bewusst und freiwillig erfolgt, führt er interessanterweise zu mehr Lebenszufriedenheit. Psychologische Forschung weist vielfach darauf hin, etwa die meiner Kollegin Annette Jenny. Die Zufriedenheit wird übrigens noch verstärkt, wenn diese positive Erfahrung in der Gruppe gemacht wird. Deshalb vernetzen sich Menschen, die nachhaltig leben, auch oft mit Gleichgesinnten. Das beflügelt.

Warum fällt es vielen schwer, dem Verzicht von vornherein diese positive Seite abzugewinnen?

Wir werden in nicht nachhaltige Verhaltensweisen gedrängt. Zwar ist in Philosophie und Lebenskunst gut beschrieben, dass massives Konsumieren nicht zufriedener macht. Aber unsere Gesellschaft ist auf Konsum ausgerichtet und dabei nicht nur auf die materiellen Dinge, sondern zunehmend auch auf Erlebnisse wie Urlaube und Fitnesskurse.

Die gesamte Digitalisierung zielt meiner Ansicht nach darauf ab, den Durchlauf an Konsum­akten noch weiter zu erhöhen. Wir können viel schneller neue Dinge bestellen, auf einen Klick, und müssen dafür nicht einmal mehr außer Haus. Die Werbung begleitet uns mit dem Smartphone nun die gesamte Tageszeit. Diese tiefen kulturellen Strömungen gehen faktisch nicht in Richtung Selbstgenügsamkeit und Nachhaltigkeit. Wir brauchen Reflexions- und Erfahrungsprozesse, um das zu erkennen und selbst anders zu leben.

Was kann dabei helfen?

Wir erleben jetzt wieder, dass sich in Krisen Dinge schneller ändern, als man vorher gedacht hätte. Das ist die Chance von Krisen. So verändern einige Menschen, die einen schweren Autounfall hatten, ihren Lebensstil grundlegend. Ich bin aber, weil Krise auch Chaos und Schmerz bedeutet, für einen präventiven, vorausschauenden Weg des Wandels. Wenn gesamtgesellschaftlich und auf Ebene des Individuums bestimmte psychische Ressourcen gefördert werden, geraten wir erst gar nicht in die Krise und können vorher einen nachhaltigen Lebensweg einschlagen, der uns zufrieden macht.

Was braucht es dafür?

Nach meiner Einschätzung sind das Achtsamkeit, Selbstwirksamkeit, Genussfähigkeit, eine solidarische Einstellung, Selbstakzeptanz und Sinnkonstruktion. All diese Ressourcen führen uns zur Nachhaltigkeit. Wenn ich achtsam bin, werde ich beispielsweise nicht achtlos das Licht in der Wohnung brennen lassen oder meine Plastikabfälle in die Natur werfen.

Die Selbstwirksamkeit befähigt mich überhaupt dazu, in die Handlung zu kommen, aus der Erfahrung heraus, dass ich selbst Gestalterin oder Gestalter meines Lebens bin. Die Solidarität ist zentral, denn wenn wir für andere Verantwortung übernehmen, dann geht es uns etwas an, wenn anderen Nahrung und Energie fehlen.

Hier können Sie mehr über das Thema „Bei sich ankommen“ lesen:

Sie erwähnen auch die Sinnkonstruktion. Was verstehen Sie darunter und wie kann sie Hand in Hand mit dem Ziel der Nachhaltigkeit gehen?

Für die Konstruktion von Sinn muss ich mein eigenes Verhalten in einen größeren Zusammenhang setzen. Nachhaltigkeit ist dabei eine sehr gute Sinnquelle. Wenn also der Sinn meiner Handlungen darin liegt, ein nachhaltiges gutes Leben zu führen, handle ich auch eher in dieser Weise. Ich leiste einen Beitrag zur Erhaltung der Natur und zum Klimaschutz. Die Forschung der Psychologin Tatjana Schnell zeigt, dass die Sinn­orientierung immerhin für 70 Prozent der Menschen bedeutsam ist.

Die Genussfähigkeit, die Sie ebenfalls nennen, könnte aber doch dazu führen, dass ich auf viele Annehmlichkeiten wie Flugreisen oder eine richtig warme Wohnung gerade nicht verzichten kann?

Gepaart mit den anderen Ressourcen würde sie eher dazu führen, dass ich auch ohne diese oder jene Annehmlichkeit genussvoll lebe. Mein eigener Weg zu mehr Nachhaltigkeit hat im Übrigen ausgehend von der Achtsamkeit und der Genussfähigkeit begonnen. Ich glaube, dass es für viele am leichtesten sein dürfte, bei sich selbst, dem eigenen Körper und damit beim Genuss und der Achtsamkeit im Alltag anzufangen. Mit einer hohen Genussfähigkeit kann ein „Weniger ist mehr“ konkret erfahren werden, weil die Qualität der genüsslichen Momente das eigentlich Beglückende ist, nicht deren Quantität.

Achtsamkeit bewirkt zusätzlich, dass ich nicht wie ein Getriebener oder eine Getriebene im Hamsterrad renne und die To-do-Liste immer länger wird. Ich komme am Tag auch zur Ruhe und beruhige den sogenannten Affengeist. Damit ist ein unruhiger Geist gemeint, in dem die Gedanken ständig hin und her springen und man sich nicht lange auf einen Sachverhalt konzentrieren kann. Dabei verringert Achtsamkeit materialistische Orientierungen, wie wir aus der Forschung wissen. Ich bin mehr bei mir und brauche nicht immer schnell noch etwas zu kaufen zu einer vermeintlichen Bedürfnisbefriedigung.

Zum Weiterlesen

Harald Welzer: Mentale Infrastrukturen. Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam. Schriftenreihe Ökologie, Band 14. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2011

Tobias Esch: Mehr Nichts! Warum wir weniger vom Mehr brauchen. Goldmann, München 2021

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2023: Bei sich ankommen