Resilienz – eine Prachtvokabel! Sie klingt modern, wissenschaftlich und äußerst aktiv. Resilienz ist in aller Munde, kaum ein andres Schlagwort fällt in den heutigen politischen und sozialen Debatten so häufig wie dieses. Der amerikanische Wissenschaftler und Publizist Jeremy Rifkin hat sogar das Zeitalter der Resilienz ausgerufen. Zu Recht?
Tatsächlich ist Resilienz etwas Wunderbares. In Zeiten multipler globaler Krisen erweist sich die Fähigkeit, übermäßiger Belastung standzuhalten, quasi als ein Kassenschlager. Die in den fünfziger Jahren durchgeführte Langzeitstudie der Psychologinnen Emily Werner und Ruth S. Smith auf einer hawaiianischen Insel ergab, dass sich unter den aufgrund familialer und sozialer Härten eingeschätzten Hochrisikokindern etwa ein Drittel unerwartet gut entwickelte – entgegen allen Prognosen. Wird Resilienz also qua Geburt geschenkt? Ist sie lernbar? Die Studie zeigte auch: Immer gab es mindestens eine hilfreiche Person im Umfeld. Resilienz basiert auch auf guter Bindung.
Resilienz übersieht Ärger, Angst und Lernprozesse
Bis heute existiert keine allgemeingültige Definition der Resilienz. Sieben Faktoren oder Säulen der Resilienz gelten jedoch als weitgehend anerkannt, nämlich die Fähigkeit zu Emotionssteuerung, Impulskontrolle, Fehleranalyse und Zielorientierung sowie Selbstwirksamkeitsüberzeugung, realistischer Optimismus und Empathie – eigentlich nicht viel mehr als ein ausreichend gut funktionierendes, hoffnungsfrohes und sozial interessiertes Ich, das allen Lebenslagen trotzt. Allen Lebenslagen?
Was in dieser Resilienzbegeisterung ausgeblendet wird, sind ihre zwiespältigen impliziten Botschaften, so die Handlungsfähigkeit durch Selbstoptimierung – suggeriert wird damit die Idee von Bemeisterung und Kontrolle. In der Vorstellung einer solchermaßen smarten Anpassung geraten die eigentlichen Ursachen und Hintergründe der Resilienzerfordernisse aus dem Fokus. Die Verantwortung für das Zurechtkommen in einer sozial gefährdeten und massiv bedrohten Ökosphäre wird an die Einzelnen verschoben. Fragen nach dem wirtschaftlichen und politischen Kontext dieser Bedrohungen und nach deren Verantwortlichen verschwinden. Sollten wir aktuell vielleicht eher rebellisch statt resilient leben und damit die systemischen Ursachen der sozialen und ökologischen Krisen infrage stellen?
Zudem: Angst, Schwäche und Hilflosigkeit kommen im Resilienznarrativ nicht vor. Der zukunftsfähige Mensch hat sich erfolgreich angepasst und verantwortet sein seelisches Überleben scheinbar allein. Muss sich schämen, wem dies nicht gelingt? Was geschieht, wenn wir vom Bedürfnis nach Überlegenheit und Kontrolle um jeden Preis loslassen?
Resilienz bedeutet aber noch etwas: einen Lernprozess zu durchlaufen. Und der basiert immer auf Transformation. In der Suche nach Neu-Anpassung verändern wir uns, unsere Sicht auf und unseren Bezug zur Welt. Jenseits der Selbstoptimierungslogik eröffnet sich ein Feld kritischer Kreativität. Können wir in gemeinsamer Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Krisen lernen, unser Zusammenleben mit und auf diesem Planeten neu, anders und vor allem besser zu gestalten? So verstanden – ein Tusch auf die Resilienz!
Vera Kattermann ist psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin in eigener Praxis in Berlin.