„Böse Menschen sind selten“

Hund, der vom Balkon kackt, und feierfreudige Studentin: Sozialpsychologe Robert Montau über Eskalationen im Nebeneinander und wie man damit umgeht

Die Illustration zeigt drei Personen beim Musizieren im Garten
Die Nachbarn musizieren freudig im Garten und stören bei der Sonntagsruhe. Vielleicht hilft es, sich in deren Situation zu versetzen. © Christian Barthold für Psychologie Heute

Herr Montau, Sie haben ein Buch über Nachbarschaftskonflikte geschrieben. Warum?

Ich habe mehrere Jahre für Wohnungsunternehmen als Konfliktberater gearbeitet. Einerseits wollte ich mit dem Buch diese Erfahrungen aufarbeiten. Andererseits hatte ich das Gefühl, dass das Thema auch für eine breite Leserschaft interessant sein könnte. Denn wenn man sich umhört, merkt man: Nachbarschaftsstreits kennt eigentlich fast jeder.

In Ihrem Buch schildern Sie meist Fälle, die trotz Ihrer Beratung schlecht enden. Bedeutet…

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fast jeder.

In Ihrem Buch schildern Sie meist Fälle, die trotz Ihrer Beratung schlecht enden. Bedeutet das, dass bei einem ernsthaften Konflikt in der Nachbarschaft wenig Hoffnung auf eine Lösung besteht?

Nein, das würde ich nicht sagen. In dem Buch habe ich einfach deshalb viele gescheiterte Fälle versammelt, weil ich sie besonders reizvoll fand. Das heißt aber nicht, dass dieser Ausgang die Regel wäre. Die Beratung bietet den Parteien die Möglichkeit der Perspektivübernahme: Wie ist es eigentlich für die oder den anderen, in dieser Situation zu leben?

Bei einem gemeinsamen Gespräch beider Parteien kann der feierfreudige Student zum Beispiel merken, dass die unter ihm wohnende Busfahrerin wirklich völlig fertig ist, weil sie morgens früh rausmusste und nachts nicht schlafen konnte wegen der lauten Musik. Darüber können dann tragfähige Vereinbarungen entstehen, die auch in einer festgefahrenen Situation funktionieren.

Was kann man tun, um Konflikte zu den Umwohnenden zu vermeiden?

Nehmen Sie präventiv zu Ihren Nachbarinnen und Nachbarn Kontakt auf, solange Sie noch keinen Ärger haben. Es ist immer schlecht, wenn man sich erst im Falle eines Streits kennenlernt. Dabei sollten Sie aber darauf achten, Nähe und Distanz sorgfältig auszutarieren. Rücken Sie dem Mieter von nebenan oder der Familie von gegenüber also nicht zu sehr auf die Pelle.

Und wenn es doch mal zum Streit kommt? Wie kommen wir da wieder raus, ohne dass die Situation eskaliert?

Überlegen Sie ganz in Ruhe, womit die andere Partei vielleicht recht haben könnte. Böse Menschen sind selten – meistens tragen beide Seiten eine Verantwortung für den Konflikt. Setzen Sie sich zusammen, hören Sie ruhig zu und bieten Sie Kompromisse an. Bei Nachbarschaftsstreits ist es wie so oft im Leben: Wer recht behalten will, wird damit nicht unbedingt glücklich werden.

Raten Sie insgesamt zu mehr Gelassenheit, nach dem Motto „leben und leben lassen“?

Ich glaube, das praktizieren die meisten Leute sowieso. Sie rümpfen vielleicht die Nase, wenn die von nebenan mal wieder Pansen für ihre Hunde kochen. Es ärgert sie, aber sie gehen nicht unbedingt rüber und sagen: Lasst das mal!

Ich hatte aber einmal eine Mieterin, die zu bequem war, um mit ihrem Hund Gassi zu gehen. Stattdessen hat sie ihn über die Balkonbrüstung gehalten und er hat sich in die freie Luft entleert. Das wehte dann gelegentlich an die Fassade oder bei den Nachbarn auf den Balkon. Die haben sich natürlich beschwert.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie gerne, wieso es zwischen Nachbarn so häufig zu Reibereien kommt und wie man diese vorbeugen kann in Mein Nachbar, der Feind.

Robert Montau ist Sozialpsychologe. Er baute für Unternehmen der Wohnungswirtschaft ein kundenorientiertes Sozial- und Konflikt­management auf und beriet ­Mietparteien. Zuvor lehrte und forschte er an mehreren sozialwissenschaftlichen Hochschuleinrichtungen.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2024: Meine perfekt versteckte Depression