Zwanzig Jahre waren sie ein Team. Sie planten Konzerte, entwarfen Einladungen, sie schleppten Instrumente und schmierten gemeinsam Brötchen für den Tag der offenen Tür –Anja Berger* konnte sich immer auf ihren Kollegen Helmut verlassen und er sich auf sie. Als er die Diagnose Krebs bekam und über Monate in der Musikschule ausfiel, war sie fest davon überzeugt, dass er wiederkommen würde. Sie übernahm einen großen Teil seiner Aufgaben und sagte ihm: „Wir kriegen das hin. Werde du erst mal wieder gesund.“
Irge…
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du erst mal wieder gesund.“
Irgendwann kam die Nachricht, er sei im Hospiz. Sie nahm allen Mut zusammen und besuchte ihn. Erst da realisierte sie, dass der Abschied endgültig war. „Davor hatte ich einen Schutzmechanismus. Ich wollte es nicht wahrhaben.“ Die Todesnachricht war auch für viele Kollegen ein Schock. Weil Anja Berger den engsten Kontakt hatte, überschütteten alle sie mit Fragen. Was ist passiert? Was hatte er denn? Warum ist er so früh gestorben? Wann ist die Beerdigung? Was machen wir? Was soll gesagt werden? Für alle war klar, dass Anja Berger die Rede bei der Beisetzung halten sollte. „Für mich war es das Schlimmste, dass ich auch noch sprechen musste. Ich habe es nur mit letzter Kraft geschafft.“
Berger war Organisatorin, Rednerin, Trauerbegleiterin für das Kollegium und Nachlassverwalterin, während ihre normale Arbeit einfach weiterlief, als sei nichts gewesen. In den Ferien räumte sie dann den verwaisten Schreibtisch aus. Alle anderen waren im Urlaub. Danach brach sie zusammen. Vier Wochen war sie arbeitsunfähig. Weitere Monate dauerte es, bis sie sich wieder belastbar fühlte.
Nicht direkt zur Tagesordnung zurück
Trauer braucht Raum und Zeit. Im Arbeitsleben ist beides Mangelware. Eine Pause ist nicht vorgesehen. Für Menschen, die um einen Kollegen, die Mutter oder den Lebenspartner trauern, bleibt die innere Welt stehen, während die äußere sich im gewohnten Tempo weiterdreht. Mails wollen beantwortet, Sitzungen geleitet, Kunden zurückgerufen und Entscheidungen getroffen werden. Schwere Erkrankungen und Todesfälle führen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in neue Situationen, auf die die wenigsten vorbereitet sind.
„Wenn ein Unternehmen den Mitarbeitenden ausreichend Möglichkeit gibt, sich auszutauschen, wird das positiv aufgenommen“, sagt Annika Schlichting von der Hamburger Beratungsstelle Charon. Die Sozialpädagogin hat sich auf Trauer am Arbeitsplatz spezialisiert, bietet dazu Infoveranstaltungen und Seminare für Mitarbeitende und speziell für Führungskräfte an. Wichtig sei, dass Führungskräfte nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen, sondern dem Team signalisieren: „Wir haben euch im Blick. Wir interessieren uns dafür, was ihr jetzt braucht und was euch in der kommenden Zeit hilft.“ Es reiche nicht zu sagen: „Ihr könnt jederzeit zur mir kommen, ich bin immer für euch da.“ Besser sei, konkrete Absprachen zu treffen wie: „Wir setzen uns nächsten Mittwoch zusammen und sprechen darüber.“
Stirbt ein Kollege, ist das Team unmittelbar betroffen. Verliert eine Mitarbeiterin in der Schwangerschaft ihr Baby, sind die Kollegen verunsichert. Die Fehlgeburt ansprechen oder lieber schweigen? Gehört dieses Thema überhaupt an den Arbeitsplatz oder ist es Privatsache? Soll man den Geschäftsführer, der um seine Ehefrau trauert, ansprechen? Ihm kondolieren? Und, wenn ja, wie? Solche Fragen landen bei Annika Schlichting. Ein Patentrezept gibt es leider nicht, denn Menschen trauern ganz unterschiedlich. Viele berichten von einer Achterbahnfahrt der Gefühle: Trauer, Wut, Scham, Angst, Ohnmacht, Erleichterung, Schuldgefühle. Von einer Sekunde auf die andere kann sich die Stimmung verändern. „Trauer hat zahlreiche Facetten und drückt sich nicht nur in Tränen aus. Viele erkennen sich selbst nicht wieder“ sagt Annika Schlichting.
Wahrgenommen werden
Trauernde, weiß die Beraterin, wollen in ihrem Schmerz wahrgenommen werden. Schlimm sei es für sie, wenn Kollegen aus lauter Verunsicherung überhaupt nichts sagen oder gar die Flurseite wechseln. Und wenn einem die Worte fehlen? Wenn man nicht weiß, wie man die Kollegin, die um ihr Baby trauert, ansprechen soll? „Auch Sprachlosigkeit lässt sich ausdrücken. Ich kann sagen: ‚Mir fehlen die Worte. Mir geht so viel durch den Kopf, aber ich habe Angst, etwas Falsches zu sagen.‘“ Auch jenseits von Worten gebe es viele Möglichkeiten, Anteilnahme zu zeigen. In Gesprächen mit Unternehmen regt Annika Schlichting an, kleine Rituale zu finden. Eine Blume auf den Schreibtisch stellen mit einem Zettel: „Schön, dass du wieder da bist“, eine Karte, ein Post-it. Eine Einladung, zum Essen mitzukommen. Den Mitarbeitern ein Kondolenzbuch bereitlegen, um ein paar Zeilen an die Angehörigen eines verstorbenen Kollegen richten zu können.
Petra Sutor ist Marketingmanagerin in einem großen internationalen Beratungsunternehmen und als Trauerbegleiterin in Krisen- und Trauerfällen für dessen Mitarbeiter an den deutschen Standorten ansprechbar. In ihrem Buch Trauer am Arbeitsplatz beschreibt sie die Phasen und Ausdrucksformen der Trauer, skizziert, wie Trauerbegleitung ein Teil der Unternehmenskultur werden kann. Sie hat beobachtet, dass es bei Trauernden zwei Fraktionen gibt: die, die lieber nicht auf ihren Verlust angesprochen werden möchten, weil der Arbeitsplatz der einzige Ort ist, an dem alles noch genauso ist wie vor dem Verlust, und die anderen, die das Bedürfnis haben, viel zu sprechen. „Eltern, die ein Kind verloren haben, reden ihr ganzes Leben über dieses Kind, sie wollen es in ihrer Erinnerung lebendig halten. Das versteht das Umfeld oft nicht.“ Sutor rät deshalb, Trauernde zu fragen: „Möchtest du darüber sprechen? Oder willst du lieber nicht darauf angesprochen werden? Wie sollen wir mit dir umgehen?“
Trauernde, sagt Petra Sutor, sollten die Möglichkeit haben, die ganze Gefühlspalette zu zeigen. Ihr berufliches Umfeld tue gut daran, sich mit Wertungen zurückzuhalten. Sehr verletzend sind für Trauernde Kommentare wie: „Deine Mutter war doch schon so alt und krank. Du müsstest doch froh sein, dass sie nicht mehr leiden muss.“ „Du bist noch so jung, du kannst doch noch ein Kind bekommen.“ „Schau nach vorne. Das Leben geht weiter.“ „Du findest bestimmt wieder einen neuen Partner.“
Der Tod als Betriebsstörung
Jedes Unternehmen hat auch eine Fürsorgepflicht. „Als Arbeitgeber muss ich Sorge dafür tragen, dass ein trauernder Arbeitnehmer gut arbeiten kann. Wenn ich als Teamleiterin einfühlsam auf eine Kollegin eingehe, die um ihre Mutter trauert, und frage, was sie jetzt braucht, kommt das in der Regel positiv an.“ Mitarbeiter, die sich gesehen und verstanden fühlen, seien wesentlich schneller wieder arbeitsfähig als Mitarbeiter, die unter Druck gesetzt werden und das Gefühl haben, ihre Trauer möglichst schnell abschütteln oder verstecken zu müssen. „Bei Trauernden, die sich zusammenreißen, findet die Trauer andere Wege, sich Raum zu schaffen. Sie werden vielleicht häufiger krank oder landen in einem Burnout oder einer Depression.“ Deshalb sei es auch aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen wichtig, mit Mitarbeitern gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Der Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz ist ein Balanceakt. In der Logik eines Unternehmens, das auf reibungslose Abläufe und Profit ausgerichtet ist, ist ein Todesfall eine Art Betriebsstörung. Das System will möglichst schnell wieder auf den Normalbetrieb umschalten. Im Arbeitsalltag geht es um Effizienz und Planung, doch Abschiede folgen ihren eigenen Gesetzen und lassen sich nicht in eine Exceltabelle pressen. Menschen reagieren unterschiedlich. Nicht allen tut es gut, wenn der Vorgesetzte sagt: „Bleiben Sie zu Hause, melden Sie sich krank und kommen Sie erst wieder, wenn es Ihnen besser geht.“ Denn Arbeit kann in der Trauer auch viel Stabilität bieten. „Ein fester Tagesablauf gibt uns Sicherheit. Für manche Trauernde ist es gut, trotzdem weiterzuarbeiten“, meint Trauerbegleiterin Annika Schlichting. Für andere wiederum, die einen Haushalt auflösen, eine Wohnung verkaufen und sehr viel regeln müssen, sei es hilfreich, wenn sie länger freinehmen können.
Flexibel und kreativ planen
Führungskräfte sollten flexibel sein, mit trauernden Mitarbeitern im Gespräch bleiben und alle Möglichkeiten, die sich anbieten, ausschöpfen: einen Wiedereinstieg in Teilzeit oder Homeoffice-Tage, von aufwendigen Projekten entlasten, die Aufgaben im Team vorübergehend neu verteilen, Gespräche mit einem externen Trauerbegleiter anbieten, Sicherheit vermitteln. Eine gute Rückkehr ins Arbeitsleben ermöglichen, ohne zu viel Druck zu machen.
Annika Schlichting sieht ermutigende Anzeichen, dass Tod und Trauer in vielen Unternehmen weniger tabu sind als noch vor zehn Jahren. Die jetzige Babyboomergeneration arbeitet in der Regel noch, wenn die Eltern sterben, so landet das Thema zwangsläufig im Büro. Seit Jahren kooperiert die Beraterin mit Sozialarbeitern und Mitarbeitern aus dem betrieblichen Gesundheitsmanagement. Annika Schlichting wünscht sich, dass Unternehmen und Organisationen sich mit dem Thema Tod und Trauer auseinandersetzen und sich überlegen: Was für eine Trauerkultur haben wir bei uns und welche wollen wir leben? Wie können wir dafür sorgen, dass trauernde Kollegen gut aufgefangen werden? Wie wollen wir damit umgehen, wenn ein Mitarbeiter stirbt? „Dafür braucht ein Unternehmen nicht unbedingt professionelle Unterstützung von außen. Es ist gut, wenn sich in den eigenen Reihen Menschen damit auseinandersetzen, die Themen enttabuisieren und eine eigene Haltung dazu finden.“
Auch ein Netzwerk, das wichtige Ansprechpartner wie Beratungsstellen, Betriebsärzte, Psychotherapeuten, Selbsthilfegruppen auflistet, Kondolenzkarten entwirft, einen Kommunikationsplan aufstellt, ist hilfreich. Trauerbegleiter Thomas Achenbach empfiehlt Vorgesetzten in seinem neuen Buch Mitarbeiter in Ausnahmesituationen, ein paar persönliche Zeilen zu schreiben und auf die oft benutzte Formulierung „Ich wünsche Ihnen viel Kraft“ zu verzichten. Trauernde entwickelten anfangs in der Extremsituation ungeahnte Kräfte und litten eher unter einem Mangel an Solidarität. Als Alternative schlägt er beispielsweise vor: „Ich bin mit Ihnen fassungslos und denke an Sie.“
Als Mensch wahrnehmen
Entscheidend ist, dass Trauernde sich als Mensch wahrgenommen fühlen und nicht nur als Rädchen im Getriebe, das reibungslos funktionieren soll. „Ein Mitarbeiter, der erlebt, dass ihn seine Firma auch in der größten Krise nicht im Stich lässt, bleibt auch bei der Stange, wenn die Firma in eine Krise gerät“, sagt Petra Sutor.
Genau das hat Anja Berger an der Musikschule gefehlt. Sie fühlte sich im Stich gelassen, als ihr Kollege starb. Sie hätte sich Entlastung und ein Signal der Schulleitung gewünscht. Denn wird die Last auf mehrere Schultern verteilt, lässt sich die Trauer besser bewältigen.
Martina Laubacher* ist Ärztin in einem großen medizinischen Versorgungszentrum. Vor zwei Jahren starb ihr engster Kollege. Für alle eine völlig neue Situation und für die meisten ein Schock, weil er bis kurz vor seinem Tod weitergearbeitet und nur mit wenigen über seine Erkrankung gesprochen hatte.
Schritt für Schritt
Martina Laubacher überlegte gemeinsam mit einer Kollegin und den Sprechstundenhilfen, wie ein guter Abschied aussehen könnte. „Wir wussten alle nicht, wie das geht, aber Schritt für Schritt haben wir Ideen entwickelt.“ Sie stellten einen Tisch mit Blumen und einem Foto von ihm am Empfang auf und legten ein Kondolenzbuch aus. Am ersten Tag versammelte sich das gesamte Team zu einer Schweigeminute vor dem Foto. Die Patienten konnten das Kondolenzbuch mit ins Wartezimmer nehmen und in Ruhe einige Zeilen hineinschreiben und ihre Trauer ausdrücken.
„Es wäre unmöglich gewesen, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Viele Patienten hängen an ihrem Arzt und können es nicht fassen, dass er, der ja immer die gesunde Seite repräsentierte, krank wird und stirbt. Das erschüttert ihr Vertrauen.“ Vier Wochen lang blieb der Tisch stehen. Nach der Beerdigung hing das Foto noch eine Weile an der Wand.
Die erste Zeit war für Martina Laubacher sehr schwierig. Die Ärztin versuchte, die Mitarbeiter und die Patienten ihres Kollegen aufzufangen, nebenbei verkaufte sie dessen Kassensitz, das hatte sie ihm versprochen. Für ihre eigene Trauer blieb wenig Raum. Noch immer hat sie auf ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht von ihm, die sie nicht löschen kann. „Meine Trauer habe ich eher im Stillen bewältigt. In der Meditation und beim Malen.“ Geholfen hat ihr, dass sie den Abschied als Team gemeinsam gut gestaltet haben. Nach der Beerdigung trafen sich alle, die wollten, zum Austausch. „Es war eine angemessene Art der Trauerbewältigung, bei der jeder mitgehen konnte.“ Es brauche jemanden, der die Initiative ergreift, und dann viele Schultern, die mittragen.
Jedem Team sein Ritual
Trauerbegleiterin Sutor ermuntert Teams, eigene Rituale zu finden, die passend und stimmig sind, sie spricht zudem bewusst nicht von Trauer-, sondern von Lebensfeier. „Wir feiern doch nicht, dass jemand tot ist, sondern dass er gelebt hat.“ Wenn Teams, in denen ein Mitarbeiter gestorben ist, sie um Rat bitten, fragt sie nach: Was mochte die Verstorbene gerne? Wie war sie? Was hat sie ausgezeichnet? Ein Team entschied sich für eine Feier, bei der jeder eine Anekdote über die Verstorbene erzählte. In der Mitte stand ein Foto mit der Lieblingshandcreme und den Lieblingspralinen. Am Ende wurden die Pralinen an die Trauergäste verteilt. „Es sind Tränen geflossen, aber es wurde auch gelacht. Es ist doch gut, wenn man sagen kann, es war traurig, aber es war auch schön.“
Trauer am Arbeitsplatz ist vielschichtig. Dabei geht es nicht nur darum, Abschied zu nehmen. Auch praktische Fragen wollen schnell geklärt werden, wenn ein Kollege stirbt. Wer erledigt die Arbeit des Verstorbenen? Was passiert mit dem Büro? Wer erklärt Kunden und den externen Ansprechpartnern, was passiert ist? Wer übernimmt das Projekt, wenn eine Kollegin wegen eines Trauerfalls länger ausfällt? Oft führen Todesfälle auch zu finanziellen Nöten.
Drei Viertel der Mitarbeitenden, die sich an Petra Sutor wenden, sind Frauen, deren Männer mit Mitte vierzig verstarben und die jetzt mit zwei oder drei Kindern allein dastehen. Sie haben keine Zeit zu trauern, weil sie plötzlich alleinerziehend und Alleinverdienerin sind, aber nur einen Teilzeitjob haben und sich völlig neu organisieren müssen. In solchen Fällen reiche Anteilnahme nicht aus. Es brauche Vorgesetzte, die die Stundenzahl aufstocken oder ermöglichen, wieder Vollzeit zu arbeiten.
Trauerfälle verändern
Am ehesten bekommt Petra Sutor Anrufe drei bis vier Monate nach einem Trauerfall. Die Mitarbeiter klagen: „Jetzt ist es schon ein Vierteljahr her, dass mein Mann gestorben ist, und mir geht es schlechter als wenige Wochen danach.“ Die Trauerbegleiterin wundert das nicht. In den ersten Wochen ist viel zu regeln, es trudeln verspätete Kondolenzkarten ein, Freunde fragen nach, wie es einem geht, oder stellen einen Topf Suppe vor die Tür. Irgendwann hört das auf. Petra Sutor kann sich noch gut an das Loch erinnern, in das sie selbst gefallen war, zehn Wochen nach dem Tod ihrer Mutter.
Nach spätestens drei Monaten erwartet das Umfeld, dass man wieder zur Tagesordnung übergeht. Doch für viele beginnt dann erst der eigentliche Trauerprozess. Wenn beispielsweise die Eltern sterben, gilt es nicht nur, den Verlust zu verkraften, sondern auch, eine neue Identität zu finden. „Man ist plötzlich nicht mehr Kind und rutscht in eine ganz neue, ungewohnte Rolle. Der Horizont erweitert sich durch einen Trauerfall, existenzielle Fragen nach dem Sinn stellen sich. Viele ändern danach ihr Leben. Ich selbst wäre nicht Trauerbegleiterin geworden, wenn ich nicht meine halbe Familie beerdigt hätte“, sagt Sutor.
Oft kommt nach drei, vier Monaten eine tiefere Traurigkeit, bestätigt auch Annika Schlichting. Bei manchen Trauernden lässt die Konzentrationsfähigkeit nach, sie entwickeln Schlafstörungen und bauen in ihrer Leistungsfähigkeit ab. Eine Mitarbeiterin, die bisher eher ruhig und zurückhaltend war, wirkt auf einmal dünnhäutig. Ein Teamleiter, der stets tough war, bricht mitten im Meeting in Tränen aus. „Auch das gehört zur Trauer und ist normal.“ Für Unternehmen sei es wichtig, zu wissen, dass Menschen sich durch einen Trauerfall verändern. Egal wie nah oder fern uns der Kollege ist, der gerade trauert, wir werden mit eigenen Verlusterfahrungen und unserer Endlichkeit konfrontiert.
Doch gerade darin liegt auch eine Chance. Wenn wir uns berühren lassen und nicht sofort zur Tagesordnung übergehen, kann ein Trauerfall ein Wachmacher sein und uns zu Fragen anregen, die das Leben bereichern.
Begleitung von trauernden Mitarbeitern
• Nennen Sie den Tod beim Namen. Damit signalisieren Sie Ihrem Gesprächspartner, dass Sie nicht ausweichen und bereit sind, mit ihm über Tod und Trauer zu sprechen
• Geben Sie Raum, Zeit und Gelegenheit zum Trauern, aber drängen Sie niemanden zum Gespräch
• Beschwichtigen Sie die Gefühle von Trauernden nicht mit Floskeln wie „Das geht vorbei. Die Zeit heilt alle Wunden“, weil Sie trösten möchten. Würdigen Sie den Verlust, statt ihn zu verharmlosen
• Äußern Sie Mitgefühl, drücken Sie Ihre Gefühle aus, aber verzichten Sie auf Sätze wie: „Ich weiß genau, wie du dich fühlst“
• Erwarten Sie nicht, dass jemand so reagiert, wie Sie selbst auf einen Todesfall reagieren würden. Fragen Sie lieber nach, was die betroffene Person umtreibt, wie es ihr geht, was sie tun möchte. Jeder trauert anders
• Trauernde ziehen sich oft zurück. Warten Sie nicht darauf, dass sie sich melden. Rufen Sie selbst an oder gehen Sie hin. Lassen Sie sich nicht bitten
• Wenn Sie helfen oder für den anderen da sein wollen, dann machen Sie keine vagen Zusagen, sondern kündigen Sie an, was Sie konkret tun werden. Trauernde brauchen verlässliche Verabredungen.
Quellen
Petra Sutor: Trauer am Arbeitsplatz. Sprachlosigkeit überwinden. Fürsorgepflicht wahrnehmen. Trauerkultur entwickeln, Patmos, Ostfildern 2020
Thomas Achenbach: Mitarbeiter in Ausnahmesituationen: Trauer, Pflege, Krise. Campus, Frankfurt 2020
Melissa Quantz: Trauer und ihre Begleitung am Arbeitslatz. Über den Umgang mit Trauernden. Qualitative Studie, Grin, München 2017
Hamburger Gesundheitshilfe: Trauer am Arbeitsplatz – Unterstützung für Verantwortliche, Teams und Mitarbeitende, Broschüre, Hamburg 2018