Tricksen und Täuschen

Keynote-Speaker und Experten gibt es wie Sand am Meer. Nils-Peter Hey geht in seinem Buch hart mit der Speakerszene ins Gericht.

Früher gab es Referenten oder Redner und wer einen Kongress eröffnete oder Experte für ein bestimmtes Thema war, der hielt den sogenannten Keynotevortrag. Heute wimmelt es geradezu von Keynotespeakern und Topkeynotespeakern. Immer mehr Verkaufsexperten, Finanzberater, Ärzte, Psychologen, Coaches oder ehemalige Sportler tummeln sich auf dem boomenden Speakermarkt und erhoffen sich dort nicht nur Honorare von mehreren tausend Euro pro Vortrag, sondern auch mehr Bekanntheit und viele lukrative Anschlussaufträge.

Angefeuert wird der Run von den hohen Versprechungen von Vermittlungsagenturen und Anbietern von Speakertrainings. Dort wird den angehenden Rednerstars dann beigebracht, wie sie eine einzigartige Marke aufbauen und ihre Vermarktung mit Täuschungen und billigen Tricks – bisweilen auch im juristischen Graubereich – beflügeln können.

Der Marketingexperte Nils-Peter Hey kennt die Szene, in der er sich als Vortragsredner selbst seit Jahren bewegt. In seinem Buch legt er nun auf kritisch-satirische Weise die Maschen und Lügen der Speaker offen. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Marketing und Wirtschaftskommunikation ist er es gewohnt, die behaupteten Kompetenzen von Anbietern und Experten zu überprüfen. „Ich schreibe für die Menschen, die nicht bereit sind, Lügen, Fake und künstliche Selbstüberhöhung als notwendiges Übel zu akzeptieren“, so der Autor.

Die Welt des Betrügens

Mit dem Buch will er seine Leser zu mündigen Konferenz-, Webinar- und Kursteilnehmern machen. Denn sie seien die eigentlichen Leidtragenden, weil sie häufig belogen würden und statt echtem Wissen nur behauptetes Wissen vorgesetzt bekämen. Im „Großen Lexikon des kleinen Betrugs“, das den größten Teil des Buches ausmacht, erfahren die Leser von A bis Z, mit welchen Methoden dabei gearbeitet wird. Das ist bisweilen so albern, absurd und abenteuerlich, dass man es nicht besser erfinden könnte. Es reicht vom üblichen Abschreiben über getürkte Bestsellerlisten, gekaufte Follower, erfundene Referenzen, unglaubliche Vortragshäufigkeiten, pseudoexklusive Mitgliedschaften bis hin zu großspurigen Zertifikaten.

Die Reise durch die Welt des Betrügens thematisiert so manches, was bereits bekannt ist, zeigt aber auch, mit welcher fast schon kriminellen Energie getäuscht wird. So berichtet Hey über ein Speakerseminar, bei dem die Teilnehmer beschlossen, sich mit einem schnell zusammengeschusterten Sammelband zum Bestsellerautor bei Amazon zu tricksen. Schließlich ist ein angeblicher Bestseller ein absoluter Pluspunkt in der Speakervita.

Der Traum vom wirtschaftlich erfolgreichen Speaker geht allerdings nur selten auf. So gibt es in Deutschland gerade mal 20 Redner, die von dem Job hauptberuflich gut leben können.

Neben Hey beleuchten sechs weitere Autoren den schillernden Markt. Markus Reimer, promovierter Philosoph und selbst Keynotespeaker, nennt seinen Beitrag sogar einen Hilferuf und fordert, dass sich die Speakerszene neu erfinden müsse – auf der Basis von Qualität, Ehrlichkeit und gegenseitigem Respekt.

Nils-Peter Hey (Hg.): Seit ich lüge, läuft der Laden. So machen selbsternannte Experten auf Boss, obwohl sie nur Hugo sind. Richard Pflaum, München 2020, 260 S., € 19,90

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