Gelassen trotz Erfolgsdruck

Existenzangst und Erfolgsdruck machen vielen Freiberuflern zu schaffen. Struktur und Gelassenheit können helfen, meint Medienpädagoge Frank Berzbach.

Ein Mann, der Freiberufler ist, sitzt vor seinem Laptop, schiebt die Brille auf die Stirn und reibt sich müde die Augen, weil er keine Ideen mehr hat
Menschen, die freiberuflich arbeiten, haben viele Freiheiten. Doch sie sind auch mit ganz besonderen Herausforderungen konfrontiert. © filadendron/Getty Images

PSYCHOLOGIE HEUTE Kaum ein Freiberufler, der nicht über die eigenen Arbeitsbedingungen klagt. Was sind die häufigsten Anlässe?

FRANK BERZBACH Die meisten klagen, und zwar ohne dass ihnen das immer bewusst wäre, über ihre eigenen Ängste und den inneren Druck, den sie selbst erzeugen. Etwa die Angst, Erwartungen nicht zu erfüllen. Meist aber sind das Erwartungen, die sie selbst konstruieren.

PH Woher kommt das?

BERZBACH Dem liegen viele unrealistische Vorstellungen zugrunde: viel zu hohe Arbeitsideale oder der…

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das?

BERZBACH Dem liegen viele unrealistische Vorstellungen zugrunde: viel zu hohe Arbeitsideale oder der Glaube, es müssten beim Arbeiten immer kreative Flow-Erlebnisse – sozusagen der innere „Kick“ – auftreten oder dass Arbeit immer Spaß machen müsse. Nein, Arbeit ist Arbeit, macht oft keinen Spaß und ist ein Muss des menschlichen Daseins. In Kreativberufen werden zudem oft das künstlerische Ego und der Wunsch nach Selbstverwirklichung nicht in Einklang gebracht damit, dass es sich bei der Arbeit um eine Dienstleistung handelt. Und da gilt: Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik. Freiberufler in der Kreativwirtschaft müssen begreifen, dass es nicht darum geht, einen künstlerischen Stil oder Anspruch durchzusetzen.

PH Liegen Küche und Schreibtisch direkt nebeneinander, sind wir ganz schnell im Hamsterrad, gerade wenn es beruflich nicht läuft.

BERZBACH Das selbständige Arbeiten im Homeoffice birgt die Gefahr, dass man die innere Uhr falsch stellt. Wenn ich morgens als Erstes den Laptop ins Bett hole, um schon zu arbeiten, bevor ich den Vorhang aufziehe, dann beginnt das Desaster. Das ist dann nicht Freiheit, sondern Fluch. Wenn wir keinen gesonderten Büroraum in der Privatwohnung haben, finden wir nur schwer eine angemessene Arbeitsumgebung.

PH Freiberufler scheinen sehr oft in die Falle zu geraten: prekär finanziert, hohe Abhängigkeit von einzelnen Auftraggebern und damit in Honorarfragen leicht erpressbar.

BERZBACH Das gilt ganz besonders für diejenigen, die nach dem Studium ihre Berufstätigkeit gleich mit Freiberuflichkeit starten. Es fehlt an Souveränität im Umgang mit Auftraggebern, generell an Berufserfahrung und auch an Kollegen, die unterstützend sind. Das wird dann schnell zur Überforderung. Gerade bei Akademikern sind ja die ersten Berufsjahre die eigentlichen Lehrjahre, und zwar nicht nur berufspraktisch, denn die Hochschulen mit ihrer verschulten Struktur bringen niemandem bei, wie man sich als Freiberufler den Arbeitsalltag organisieren sollte. Das heißt, die jungen Leute kommen aus einer studentischen Kultur, in der Arbeit und Leben schon stark durcheinandergingen. Jetzt sollen sie plötzlich eine Freiberuflichkeit erfolgreich managen. Hilfreich sind dann Bürogemeinschaften, da kann man beispielsweise auch mal gemeinsam Pause machen, man sieht, wie sich andere organisieren, und man kann mal schnell die anderen um Rat fragen.

PH Also müssen Freiberufler als Erstes lernen, Arbeit und Leben zu trennen?

BERZBACH Ja und nein. Diese vermeintlich strikte Trennung von Arbeit und Leben gibt es ohnehin nicht. Wir verbringen so viel Zeit mit unserer Arbeit, dass wir uns immer sagen sollten: Das ist auch mein Leben. Deshalb ist es ja so wichtig, sich Arbeit gesund zu strukturieren. Und gerade in der Freiberuflichkeit bestehen ungeheure Möglichkeiten, Arbeit und Arbeitsplatz nach den eigenen Wünschen zu gestalten.

PH Aber was müssen Freiberufler denn dann lernen?

BERZBACH Sie müssen lernen, sich selbst einen Rhythmus und eine Struktur zu geben, und zwar örtlich, zeitlich und psychisch. Sie müssen entscheiden, wo sich der Arbeitsraum oder der Arbeitsplatz befindet, wann sie sich dort aufhalten und welche Arbeitsintervalle psychisch für sie gut sind. Wer den Alltag zu sehr mit der Arbeit verknüpft, der fängt ohne Frühstück zu arbeiten an, macht womöglich keine Mittagspause und merkt um 14 Uhr, dass er körperlich völlig unterversorgt ist. Dann ist man schnell genervt, wird immer unkonzentrierter und produziert nur noch schlechte Arbeitsergebnisse. Prompt geht der Arbeitstag frustrierend zu Ende. Und weil ich in der zweiten Tageshälfte nichts Produktives mehr zustande gebracht habe, muss ich mich abends noch mal hinsetzen. Und so weiter.

In der anderen Variante führt diese Selbstkasteiung zu dem Gefühl, viel zu arbeiten mache einem gar nichts aus. Oder sogar: Wenn ich nichts zu arbeiten habe, werde ich unzufrieden. Das ist dann beinahe eine Askesestruktur. Und für das viele Arbeiten werden wir ja auch unentwegt gelobt in unserer Gesellschaft.

Also, man muss Arbeit und Leben unterscheiden lernen, um nicht einen völlig chaotischen und unbefriedigenden Alltag zu erzeugen, in dem man dann untergeht. Übrigens haben es Eltern mit kleinen Kindern oder Hundebesitzer einfacher, denn die müssen morgens raus aus dem Bett und sich erst mal um andere kümmern.

PH Sie geben in Ihrem Buch Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen den Menschen viele Leitsprüche an die Hand, die bei der Reflexion des eigenen Lebens helfen können – ausbeuterische Wirtschaftsstrukturen lassen sich damit natürlich nicht ändern.

BERZBACH Das stimmt. Ungerechte Wirtschaftsstrukturen lassen sich sowieso nur politisch und sozialpolitisch lösen. Strukturell stimmt bei uns natürlich vieles nicht. Psychologisch kann man aber dazu beitragen, dass Menschen ihre eigene Position klären und die eigentlichen persönlichen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Das stärkt psychisch, und man verliert in schwierigen Phasen den Mut nicht so schnell. Wir müssen als Individuen ja versuchen, möglichst zufrieden zu bleiben im Leben, denn wenn wir psychisch labil oder sogar krank werden, ändert das auch keine Struktur. In schweren depressiven Phasen schafft kein Mensch mehr kreative Produkte.

Was Freiberufler deshalb besonders lernen müssen, ist, mit Unsicherheiten umzugehen. Allerdings gibt es auch eine Überbewertung der Sicherheit in heutigen Anstellungsverhältnissen. Wir glauben, wir wären sicher, wenn wir angestellt sind. Aber wo gibt es in der Kreativwirtschaft Sicherheit? Agenturen sind ruck, Zuck geschlossen, ein Wechsel des Chefs, und wir sind „draußen“, eine Abteilung wird dichtgemacht – das geht doch alles ganz schnell heute.

PH Sind die Freiberufler so etwas wie die Sklaven des Turbokapitalismus?

BERZBACH Das würde ich nicht sagen. Es kommt darauf an, was jemand von der Freiberuflichkeit erwartet. Wer eine Familie mit drei Kindern ernähren muss oder wer einen Porsche fahren will, der nimmt sich einiges vor, wenn er das mit Honoraren der Kreativwirtschaft verdienen will. Aber die Freiberuflichkeit schafft ungeheure Privilegien: Ich selbst entscheide, wann ich morgens aufstehe, wann ich arbeite, wer mir was sagt, welche Kunden ich annehme. Außerdem ist man ja frei auch darin, mit welchen anderen Einkommensmöglichkeiten man das Kreativsein kombiniert, damit das Geld auf jeden Fall reicht. Manche Leute haben einen Teilzeitjob oder übernehmen einmal die Woche eine Schicht in einer Kneipe. Ein solches Leben kann sehr befriedigend sein. Man muss wissen, was man will, und seine Ziele im Auge behalten.

PH Man kann als Freiberufler seine Auftraggeber wählen? Da wird so mancher Freiberufler jetzt den Kopf geschüttelt haben.

BERZBACH Man kann es sich natürlich nicht immer aussuchen, aber man hat ab einem gewissen Konfliktpotenzial die Möglichkeit zu sagen: Für den arbeite ich nicht mehr. Das beißt sich manchmal mit dem eigenen Bankkonto, aber man kann Auftraggeber ablehnen, zum Beispiel auch aus moralischen Gründen. Der eine arbeitet grundsätzlich nicht für die Fleischindustrie, der andere nicht für Ölkonzerne. Das ist doch eine große Freiheit. Das sehe ich als Privileg an. Das hat man bei einer Festanstellung nicht.

PH Sie betonen, dass Kreativität eine stille Angelegenheit sei. Und wo bleibt die Teilhabe am aktiven Leben?

BERZBACH Man braucht das aktive, teilnehmende Leben als eine vorbereitende Stufe von Kreativität. Da kommuniziert man und lässt sich inspirieren. Beuys hat mal gesagt, das ganze Leben sei eine Vorbereitung auf das schöpferische Handeln. Ideenfindung und -entwicklung brauchen aber eine gewisse Ruhe, einen entspannten Geist. Anders bekommt man keinen Zugang zur eigenen Intuition. Viele Intuitionen kommen leise daher. Deshalb ist es übrigens auch so wichtig, dass kreative Menschen lernen, innere Ruhe zu erzeugen.

PH Sie glauben an die Ruhe?

BERZBACH Ja, auch an die glaube ich ganz besonders. Man kann es an den Freejazzern illustrieren, die in einem irrsinnigen Tempo auf das reagieren, was andere spielen. Sie brauchen dafür eine große handwerkliche Fähigkeit, damit sie reflexhaft reagieren können, sie brauchen aber auch eine sehr große innere Ruhe, um das offene Ohr zu haben, um schneller zu sein als der Gedanke im Kopf. Free Jazz erscheint oft so hektisch oder unkoordiniert, aber ich glaube, dass diese Musiker über eine große innere Ruhe verfügen.

Eine solche innere Stille und Ruhe kann man auch als Freiberufler üben, etwa mittels Meditation oder bewusster Atmung. Es geht darum, erst einmal den Kopf frei oder leer zu kriegen.

PH Spätestens bei der Akquise ist ein offensives Zugehen auf andere nötig, was so manchem Freiberufler schwerfällt. Raus aus der Isolation – wie geht das? Hilft Facebook?

BERZBACH Das Kontakteknüpfen kann selbstverständlich auch über soziale Netzwerke funktionieren. Dort lassen sich schnell Gleichgesinnte finden. Diese Netzwerke sind außerdem niedrigschwellig. Sofort bin ich Teil einer Gruppe.

Für viele kreative, künstlerisch ambitionierte Menschen ist die Akquise sehr unangenehm, weil es für sie schwierig ist, im Marketingmodus zu agieren. Sie müssen das aber meistens wegen des ökonomischen Drucks tun. Da hat man ja keine Wahl. Also: Wie komme ich an Kunden? Wie intensiv man das betreibt, hat aber nicht zuletzt wieder mit dem eigenen Lebensstil zu tun. Künstler beispielsweise halten oft an ihrer Ästhetik fest und verzichten dafür auf Geld. Wer sowieso bereit ist, mit einem geringen Lebensstandard zu leben, um sich auf dem Weg Freiheiten zu erhalten, kann in Geldfragen gelassener sein.

PH Während Bertolt Brecht mal sagte, wo Ordnung ist, sei ansonsten meist nichts, plädieren Sie erst einmal fürs Ordnunghalten.

BERZBACH Ich glaube nicht an den Zusammenhang von Kreativität und Chaos. Ordnung und Rhythmus setzen einen Rahmen, in dem man frei sein kann. Wer einen Arbeitsauftrag übernimmt, muss innerhalb eines gegebenen Rahmens kreativ sein. Das ist sogar die eigentliche Kunst dabei. Finanzrahmen, Material, Zeit, das sind die Rahmenbedingungen kreativen Schaffens. Ich glaube an Handwerk, Form und Ordnung. Und ich glaube ans Üben – ja, ich weiß, das klingt alles furchtbar altmodisch.

PH Was ist, wenn uns all unsere klugen Einsichten nicht helfen, das Chaos zu organisieren? Zuweilen scheitern wir ja auch an unserer Persönlichkeit, die nicht wahllos veränderbar ist.

BERZBACH Die Umsetzung von Erkenntnissen in die eigenen Verhaltensmuster ist natürlich immer schwer. Vieles muss man auch einfach mal ausprobieren. Manchmal verändert man im eigenen Verhalten nur Winzigkeiten, aber die haben schon irrsinnig große Effekte. Ich hänge mir manchmal einen Satz als Motto über den Schreibtisch, damit ich daran erinnert werde. Und dafür wähle ich Aussagen, die mich in einem Bereich herausfordern, in dem ich ganz besonders schlecht bin.

PH Und damit haben wir schon wieder einen Punkt, an dem wir uns abarbeiten müssen?

BERZBACH Es geht dabei um das, was uns an uns selbst stört oder uns kreativ blockiert und wo wir deshalb etwas verändern möchten. Jeder von uns kann erst mal zufrieden sein mit sich selbst, denn wir können ja ganz viel. Auch wenn wir das unter Stress nicht mehr sehen. Ein Freiberufler, der sein Einkommen sichert, dem gelingt ja vieles. Auch mit unseren Zielen müssen wir gelassener umgehen. So können wir uns zum Beispiel Wochenpläne aufstellen, sollten aber zufrieden sein, wenn wir nur siebzig Prozent davon schaffen. Ich persönlich schaffe meine To-do-Liste nie, aber ich würde mir auch große Sorgen machen, wenn ich sie schaffte.

PH So mancher Freiberufler quält sich besonders mit dem Gefühl herum, dass das Erreichte niemals gut genug ist.

BERZBACH Dass wir nie ausreichen, ist ein Grundelement der christlichen Kultur. Wir sind ja immer schon schuldig. Da tut uns ein bisschen Buddhismus gut. In dem sind wir als Individuen nämlich erst mal in Ordnung. Dieses Unzulänglichsein wird uns ja auch beruflich mit dem permanenten Druck vermittelt, uns fortbilden zu sollen. „Bilde dich ständig weiter!“ heißt, du genügst nicht. Das wird dann zum lebenslangen Prozess.

PH Und das alles auch noch mit dem Vorzeichen: Sei kreativ!

BERZBACH Ja, das ist irre anstrengend. Dabei können wir nicht fortwährend kreativ sein. Das geht gar nicht. Es gibt Tage, da habe ich keine Ideen. Die meiste Zeit des Lebens ist ohnehin trivial. Zum Glück, denn das entlastet uns. Das meiste, das wir tun, ist das tägliche Einerlei. Saubermachen und Ordnung ins Arbeitsmaterial bringen.

PH Und was tun Sie selbst, wenn Ihnen von Adorno bis Zen nichts mehr Trost spendet?

BERZBACH Zen hilft eigentlich immer, weil mich das auf einen gesunden Alltagsbezug fokussiert. Ansonsten höre ich Musik oder gehe spazieren oder fahre Fahrrad. Beten, Meditieren, Lesen – das sind alles Versuche der Selbsttrostspendung. Man braucht in Krisen außerdem andere Menschen, die einem zuhören, und plötzlich merkt man, dass uns die Welt doch auf eine eigenartige, unaufgeregte Weise trägt.

INTERVIEW: UWE BRITTEN

Dr. Frank Berzbach ist Medienpädagoge an der staatlichen Fachhochschule in Köln und unterrichtet Psychologie an der ecosign, Akademie für Gestaltung, ebenfalls in Köln. Er veröffentlichte das Buch Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Anregung zu Achtsamkeit im Schmidt-Verlag, Mainz.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2014: Wie geht Erholung?