Wie oft hatten Sie eine Meinungsverschiedenheit mit Ihrem Partner und haben später festgestellt, dass Sie einander falsch verstanden hatten? Wie oft ist es vorgekommen, dass Sie zu wissen meinten, was Ihr Partner sagen wollte, sich aber später herausstellte, dass Sie falsch lagen? Und ist es zwischen Ihnen und Ihrem Partner nicht auch schon zu Reibereien gekommen, weil Sie meinten, besser als er selbst zu wissen, was er sagen wollte? Der Schriftsteller J. M. Coetzee, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Lit…
Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen
mit dem Nobelpreis für Literatur, beschreibt in einem Satz, warum wir uns oftmals nicht verstehen: „Da gibt es die Wörter, und dann – hinter oder zwischen oder unter den Wörtern – gibt es die Absicht.“
Viele Partnerschaftskonflikte entstehen, weil Wörter oder Sätze anders aufgefasst werden, als sie gemeint waren. Nach einem Streit sagt ein Mann zu seiner Frau: „Es ist schon halb zwölf, lass uns lieber schlafen gehen.“ Er möchte damit sagen: „Komm, lass uns das Gespräch jetzt nicht auf die Spitze treiben, wir werden uns heute sowieso nicht mehr einig.“ Seine Frau reagiert jedoch gereizt und sagt: „Ja, genau, so ist es immer. Wenn wir mal ein echtes Gespräch führen, dann beendest du es.“ Die Frau ist wütend, weil der Mann sich ihres Erachtens dem Gespräch entzieht und sie nicht ruhig schlafen kann, solange die Angelegenheit nicht geklärt ist.
Kommunikation ist die komplizierteste menschliche Fähigkeit überhaupt. Da alles, was wir sagen, auf unterschiedliche Arten verstanden werden kann, kann es auch so leicht schiefgehen. Man könnte daher manchmal meinen, wir Menschen lebten jeder hinter einer Wand und kommunizierten durch Klopfzeichen in Morsesprache miteinander. Wir selbst halten unsere Klopfzeichen für eindeutig, aber für den Empfänger sind sie das zumeist überhaupt nicht. Man muss sich daher nicht so sehr darüber wundern, dass Mann und Frau einander manchmal nicht verstehen – und dass dieses Nichtverstehen häufig zu einer Auseinandersetzung führen kann.
Fast jeder Streit in einer Beziehung beginnt damit, dass einer der beiden Partner Kritik äußert und dass diese Kritik in der Regel aus konträren Erwartungen entsteht. Es gibt jedoch Kommunikationstechniken, die dabei helfen können, sinnvoller mit Kritik umzugehen und zu verhindern, dass Kritik ausartet und zu sich ständig wiederholenden Streitereien führt.
Den Partner entwaffnen
Stellen Sie sich vor, dass jemand mit einer Pistole in der Hand auf Sie zukommt und die Waffe auf Sie richtet. Stellen Sie sich außerdem vor, dass Sie nicht flüchten können. Worauf würden Sie dann all Ihre Energie richten? Richtig, Sie würden alles daransetzen, den anderen dazu zu bewegen, die Waffe niederzulegen. Wenn Ihr Partner Kritik an Ihnen äußert, ist er auch bewaffnet. Mit Worten. Er ist wütend, und wenn Sie etwas sagen oder tun, das ihm nicht gefällt, dann wird er das Feuer eröffnen. Mit Worten, die sehr verletzend sind. Um das zu verhindern, müssen Sie Ihren Partner entwaffnen. Wie Sie das tun können? Geben Sie ihm, was er von Ihnen möchte – geben Sie Ihrem Partner recht. Nur dann wird er bereit sein, seine Waffen zu strecken. Möglicherweise denken Sie jetzt: „Wenn er nicht im Recht ist, dann sehe ich es überhaupt nicht ein, ihm recht zu geben.“ Es geht aber nicht darum, dass Sie Ihrem Partner hundertprozentig recht geben sollen, sondern nur ein bisschen. Wenn Sie Ihrem Partner in einem bestimmten Punkt zustimmen, gestehen Sie dadurch nicht ein, dass Sie vollkommen im Unrecht sind. Sie erreichen jedoch, dass eine Gesprächsatmosphäre entsteht, in der Sie sich gegenseitig wirklich zuhören. Bei diesem ersten Zugeständnis geht es nicht so sehr um die Frage, wer nun recht hat, sondern vielmehr darum, wie Sie in der aktuellen Situation zueinanderfinden.
Wie könnten Sie also am besten reagieren, wenn Ihr Partner zu Ihnen sagt: „Du hörst mir nicht zu“? Eine mögliche Reaktion, die sich der Entwaffnungsmethode bedient, wäre: „Du hast recht. Manchmal höre ich dir wirklich nicht richtig zu.“ In dem Moment, in dem Sie zugeben, dass Sie nicht richtig zuhören, beweisen Sie eigentlich, dass Sie sehr wohl zuhören. Erst dann wird Ihr Partner bereit sein, auch Ihnen zuzuhören.
Sie sind noch nicht überzeugt? Das ist sehr gut möglich. Wahrscheinlich hängt das mit zwei starken Gefühlen zusammen, die wir alle empfinden: Stolz und Scham. Um Ihrem Partner in einem bestimmten Punkt recht zu geben, müssen Sie Ihren Stolz überwinden. Das ist schwierig, vor allem weil Ihr Partner Ihnen mit seiner Kritik wehgetan hat. Ihm recht zu geben fühlt sich an wie eine Niederlage. Und eine Niederlage zu erleben ist mit Schamgefühlen verbunden. Wenn Sie sich der Tatsache bewusst sind, dass diese beiden Gefühle, Stolz und Scham, hinderlich sind, können Sie sie besser überwinden. Zum Beispiel indem Sie sich fragen: „Was ist mir wichtiger: recht zu bekommen und meinen Stolz zu bewahren oder Nähe und Glück?“
Es ist typisch für glückliche Paare, dass beide in der Regel auf die Problemlösungsvorschläge des anderen positiv reagieren. Wenn einer von beiden sich über etwas beklagt, wird der andere sich wirklich anstrengen, ihm entgegenzukommen. Solchen Paaren gelingt es oft, Konflikte zu vermeiden, weil sie dem anderen recht geben und sofort einen Vorschlag machen, was sie anders oder besser machen könnten. Angenommen, sie hat keine Lust, den Kindern jeden Abend eine Geschichte vorzulesen, während er Nachrichten schaut, dann könnte er ihr mit folgendem Vorschlag den Wind aus den Segeln nehmen: „Du hast recht. Heute Abend übernehme ich das Vorlesen, und wenn du möchtest, kann ich das öfter machen.“ Einer derart positiven Reaktion wird meistens kein Streitgespräch mehr folgen.
Eine andere Entwaffnungstechnik, die fast immer funktioniert, besteht darin, sich einfach zu entschuldigen. Gibt es etwas Einfacheres? Wenn Ihr Partner gegen Sie wettert, können Sie sagen: „Entschuldige, es tut mir leid.“ Sie bewirken jedoch das Gegenteil, wenn Sie nicht wirklich meinen, was Sie sagen, oder wenn Sie es schnippisch oder in einem trägen Tonfall sagen, aus dem sich erahnen lässt, dass Sie eigentlich sagen möchten: „Ich will nichts mehr davon hören.“ Sich entschuldigen funktioniert nur dann hundertprozentig, wenn Sie sofort versprechen, sich zu bessern: „Es wird nicht wieder vorkommen.“ Noch besser ist es, wenn Sie sofort aktiv werden und Ihren Fehler wiedergutmachen: „Entschuldige. Ich werde jetzt sofort den Heizungsinstallateur anrufen und ihn fragen, wann sie den Heizkessel endlich warten.“
Wenn nicht Sie für die Probleme verantwortlich sind, mit denen Sie beide kämpfen, sondern Ihr Partner größtenteils die Verantwortung dafür trägt, können Sie überlegen, ob Sie sich für den (kleineren) Anteil entschuldigen, für den Sie verantwortlich sind. Dieses Verhalten kann Ihren Partner dazu bringen, sich wiederum für seinen Anteil am Problem zu entschuldigen.
Zuhören
Versuchen Sie, so zuzuhören, wie Sie es sich umgekehrt von Ihrem Partner wünschen. Geben Sie sich also Mühe, sich beim Zuhören ganz auf den anderen zu konzentrieren. Schieben Sie Ihre eigene Sichtweise, Ihre Sehnsüchte, Bedürfnisse und Lösungsvorschläge in dieser Phase des Gesprächs beiseite. Eigene Wünsche, die sich jederzeit aufdrängen können, die Sie jedoch ignorieren müssen, können unter anderem sein: dem Partner widersprechen, ihn korrigieren, Ihre eigene Sichtweise darlegen, Ihrem Partner sagen, dass er nicht so jammern soll, oder ihn darauf hinweisen, dass er zu viel klagt. Solche Gedanken und Impulse sind die größten Hindernisse und können es unmöglich machen, richtig zuzuhören. Es ist daher auch alles andere als einfach, richtig zuzuhören, erst recht, wenn man von seinem Gesprächspartner angegriffen wird. Aus gutem Grund wird in diesem Zusammenhang häufig der Begriff „aktives Zuhören“ verwendet. Denn wenn man passiv zuhört, geht die Botschaft „zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“.
Zusammenfassen
Man hört besser zu, wenn man ab und zu versucht, das Gehörte kurz zusammenzufassen: „Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann sagst du …“ Oder: „Du sagst also, korrigiere mich, falls ich dich falsch verstanden habe …“ Durch dieses Zusammenfassen können Sie nicht nur besser zuhören, es wird Ihnen auch leichterfallen, Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse kurz unberücksichtigt zu lassen. Denn Sie werden nur dann eine gute Zusammenfassung liefern können, wenn Sie sich ganz auf Ihren Partner konzentrieren.
Während Ihr Partner spricht, können Sie nicken und so tun, als würden Sie ihm zuhören, aber Ihr Gehirn hat dann noch 60 Prozent Reservekapazität, um sich mit etwas anderem als dem Zuhören zu beschäftigen, zum Beispiel der Vorbereitung Ihrer Reaktion auf das Gesagte. Wenn Sie jedoch zuhören und das Ziel haben, die Aussage Ihres Partners gut zusammenzufassen, dann hat das Gehirn keine Zeit mehr für anderes.
Ein Beispiel: „Ich habe das Haus geputzt, so, wie du es dir gewünscht hattest. Das Wohnzimmer, den Flur, das Bad, die Abstellkammer, ich habe sogar vor der Garage gekehrt. Und das Essen stand schon auf dem Tisch, als du nach Hause kamst. Aber du, du hast deine Jacke aufgehängt, und das Erste, was du zu mir gesagt hast, war: ‚Du hast vergessen, die Treppe zu saugen.‘ Kein Kompliment, kein gar nichts, sondern nur Vorwurf! Hätte ich die Treppe nicht vergessen, hättest du ganz bestimmt etwas anderes auszusetzen gehabt. Was ich im Haushalt auch mache, immer hast du etwas zu beanstanden.“
Eine Art, das Gesagte zusammenzufassen, wäre: „Du hast recht, ich habe sofort gemeckert“ (entwaffnen). „Du hattest das ganze Haus geputzt, aber ich habe gleich wegen der Treppe angefangen“ (die Perspektive des Partners einnehmen). Beachten Sie, dass diese Zusammenfassung nicht bedeutet, dass Sie mit Ihrem Partner einer Meinung sind. Ihre Zusammenfassung ist lediglich ein Beweis dafür, dass Sie sich Mühe geben, sich in ihn hineinzuversetzen.
(Nach-)Fragen
Für jeden von uns gilt: Nichts schmeichelt uns mehr als jemand, der aufrechtes Interesse an uns zeigt. Daher haben gute Fragen eine entwaffnende Wirkung. Die Antworten auf Ihre Fragen liefern Ihnen wertvolle Informationen, durch die Sie sich ein Bild machen können von der Wirklichkeit und der Wahrheit Ihres Partners. Fragen zu stellen bietet noch mehr Vorteile. Indem Sie selbst Fragen stellen, behalten Sie das Gespräch im Griff. Und wenn man kritisiert wird, ist einem jeder Strohhalm willkommen.
Außerdem hört man automatisch aufmerksamer zu, wenn man sich darauf vorbereiten muss, die richtigen Fragen zu stellen. Schließlich knüpfen gute Fragen per Definition an die Aussagen des Gesprächspartners an. Die besten Fragen sind häufig die sogenannten offenen Fragen. Das Gegenteil davon sind geschlossene Fragen: Fragen, auf die man nur kurze Antworten wie Ja oder Nein geben kann. Sie könnten beispielsweise folgende offene Fragen verwenden:
„Darüber möchte ich gerne mehr erfahren. Erzähl mal.“
„Was ist deine Meinung dazu?“
„Welchen Anteil habe ich deiner Meinung nach an diesem Problem?“
All diese Fragen geben Ihrem Partner die Möglichkeit, seine Kritik ausführlich zu verdeutlichen. Die Fragen beginnen meistens mit Wörtern wie was, wie, wann, wo, mit wem?
Eine weitere gute Frage enthält den Superlativ „am meisten“. Solche Fragen sind eine Einladung an Ihren Partner, zum eigentlichen Kern der Kritik zu kommen. Wenn Sie derartige Fragen stellen, klären sich danach viele Dinge. „Was stört dich hieran am meisten?“ „Worüber machst du dir die meisten Sorgen?“
Stellen Sie auf keinen Fall Fragen, die Ihren Partner in die Enge treiben oder seine Argumente entkräften sollen. Zum Beispiel: „Deiner Meinung nach bin ich mal wieder schuld, aber denkst du nicht auch, dass es ganz anders gelaufen wäre, wenn du das früher gesagt hättest?“ Achten Sie darum stets auf den Ton, in dem Sie eine Frage stellen. Sogar die Frage „Kannst du mir dafür ein Beispiel aus der letzten Zeit nennen?“ kann sich als kontraproduktiv erweisen, erst recht, wenn Sie sie mit dem Unterton stellen: „Du findest bestimmt kein gutes Beispiel.“
Ebenso sind viele Fragen fehl am Platz, die mit warum anfangen, weil sie genau wie suggestive Fragen gestellt werden, um den anderen auf seine Fehler hinzuweisen oder ihm zu zeigen, dass er unrecht hat. Eine Frage wie „Warum sagst du mir das erst jetzt?“ bedeutet in Wirklichkeit: „Du hast viel zu lange damit gewartet, mir das zu erzählen.“ Mit anderen Worten: „Eigentlich hast du deine Chance verspielt.“
Emotionen erkennen und benennen
Angenommen, Ihr Partner fährt Sie an: „Das hatte ich erwartet. Wenn ich die Wäsche mache, kann ich es dir nie recht machen. Beim einen Mal ist die Trommel zu voll, beim nächsten Mal ist sie zu leer, dann wasche ich zu heiß, dann wieder zu kalt, dann sortiere ich die Wäsche nicht richtig, dann lasse ich sie zu lange oder zu kurz trocknen usw. Es geht immer so weiter. Warum lässt du mich überhaupt noch die Wäsche machen, wenn wir uns danach doch jedes Mal streiten?“ Sie hören, dass Ihr Partner lauter spricht als sonst, und Sie sehen auch rote Flecken auf seinem Hals. Wie können Sie seinen Gefühlen die nötige Aufmerksamkeit schenken?
Sie sagen: „Du hast recht, ich habe wirklich immer etwas zu meckern, wenn du die Wäsche machst [entwaffnen]. Du hast meine Kritik gründlich satt [die Perspektive des Partners einnehmen], und du bist wütend auf mich, stimmt’s?“ (Aufmerksamkeit zeigen für Gefühle). Ihre Reaktion setzt voraus, dass Sie der starken Neigung widerstehen, dagegenzuhalten. Wahrscheinlich sind Sie genauso wütend wie Ihr Partner und würden ihm gern noch einmal genau darlegen, dass er die Wäsche nicht richtig macht. Halten Sie sich jedoch zurück. Wenn Sie Ihrem Partner widersprechen, wird er noch wütender. Solche Retourkutschen haben in der Vergangenheit zu nichts geführt, warum sollte das dieses Mal anders sein? Zu glauben, dass wir vorwurfsvolle Kritik nicht verdienen, ist eine normale menschliche Eigenschaft; darum wehren wir uns auch automatisch dagegen. Nicht nur Sie selbst reagieren daher auf Kritik wie auf einen Wespenstich, dasselbe gilt für Ihren Partner.
Ich fühle was, was du nicht fühlst
Wenn Ihr Partner Kritik an Ihnen äußert, müssen Sie Ihre eigenen Gefühle, Gedanken und Sehnsüchte nicht ganz beiseiteschieben. Sie selbst sind auch noch da. Und Ihr Partner möchte ja erfahren, wie die Kritik bei Ihnen angekommen ist. Aber wie können Sie Gefühle so ausdrücken, dass Ihr Partner auch wirklich zuhört? Nun, „Ich fühle“-Sätze sind sehr hilfreich, wenn man eigene Gedanken und Gefühle in Worte fassen möchte. Sie können zum Beispiel sagen: „Ich bin sehr frustriert“. Oder: „Ich fühle mich allein.“ Es ist viel wahrscheinlicher, dass Sie Ihren Partner mit solchen Sätzen erreichen als mit Sätzen wie „Du liegst vollkommen falsch“ oder „Du liebst mich nicht“.
„Ich fühle“-Sätze müssen dabei nicht unbedingt mit „Ich fühle“ anfangen. Sie können sie auch mit „Ich bin“ einleiten, wenn Sie anschließend ein Gefühl folgen lassen. Bei Beziehungskonflikten wird es sich meistens um eines der folgenden Gefühle handeln: angegriffen, allein, ängstlich, böse, traurig, kritisiert, einsam, im Stich gelassen, eifersüchtig, gestresst, verletzt, reumütig, schuldig, enttäuscht, verzweifelt und misstrauisch.
Manche Menschen glauben, dass sie ihre Gefühle ihrem Partner gegenüber nicht äußern müssen, weil sie denken: „Wenn der andere mich liebt, dann muss er meine Gefühle kennen.“ Leider ist genau dies ein Irrtum und oftmals auch eine Ausrede, um seine Gefühle nicht offenlegen zu müssen. Ihr Partner ist kein Hellseher. Wenn Sie selbst nicht sagen, was Sie fühlen, wird Ihr Partner Ihre Gefühle nur selten erraten können.
Stroking
Man überzeugt einen anderen nicht so sehr mit dem Kopf als vielmehr mit dem Herzen. Diese psychologische Gesetzmäßigkeit trifft auch auf langjährige Beziehungen zu. Wenn Sie mit Ihrem Partner streiten und ihm Kontra geben möchten, dann kommt Ihre Botschaft nur an, wenn Sie Ihren Partner spüren lassen, dass Sie es gut mit ihm meinen. Ein Geheimnis gelingender Kommunikation lautet daher: stroking (streicheln) oder schmeichelnde Worte.
Das beinhaltet, dass Sie dem anderen vermitteln, dass Sie ihm wohlgesinnt sind, so frustriert oder gereizt Sie sich auch fühlen mögen. Stroking bedeutet nicht, dass Sie Ihren Partner körperlich berühren oder streicheln – obwohl auch das eine sehr effektive Form des Strokings sein kann –, sondern dass Sie ihn durch Worte oder die Art, wie Sie mit ihm sprechen, Zuneigung und Liebe spüren lassen. Wenn Sie sich eine gute oder bessere Beziehung zu Ihrem Partner wünschen, ist das unumgänglich. Sie können einem anderen nicht die Wahrheit sagen und ihn verletzen und als Dank dafür Liebe erwarten.
Es gibt verschiedene Arten des Strokings: Lassen Sie Ihren Partner spüren, dass Sie ihn lieben und ihn bewundern. Machen Sie Ihrem Partner ein wohlgemeintes Kompliment. Nennen Sie beispielsweise eine Eigenschaft, einen Charakterzug oder eine Fähigkeit, die Ihnen viel bedeutet oder die Sie sehr schätzen. „Ich bin jetzt wütend auf dich, aber ich möchte dich nicht missen. Du sagst immer ehrlich, was du denkst, und hast nie Hintergedanken, das schätze ich sehr an dir. Und deswegen weiß ich deine Kritik zu schätzen.“
Sie können Ihre Zuneigung auch durch Körpersprache ausdrücken. Anstatt zum Beispiel böse zu schauen, Ihre Arme zu verschränken oder mitleidig den Kopf zu schütteln, nehmen Sie eine offene und interessierte Körperhaltung ein.
VW-Regel: Vorwürfe in Wünsche verwandeln
In seinem Buch MiniMax-Interventionen berichtet der Psychologe Manfred Prior von einer Mitarbeiterin des Opel-Konzerns, die ihn wegen ihrer schlechten Beziehung mit ihrem Partner aufsuchte, der ebenfalls bei Opel in Rüsselsheim beschäftigt war. Sie beklagte sich darüber, dass sie als Paar viel zu viel Zeit damit verbrachten, einander Vorwürfe zu machen. Dieses Muster wollte sie sehr gerne durchbrechen. Prior gab ihr den Ratschlag, sich eine Zeitlang an die VW-Regel zu halten. Er erklärte ihr, dass das V für Vorwurf und das W für Wunsch steht. Die VW-Regel besagte, dass die beiden jeden Vorwurf in einen Wunsch umformulieren sollten. Gehen Sie in Zukunft auch so vor. Wenn Ihr Partner Kritik an Ihnen äußert, dann denken Sie immer daran, dass sich dahinter eine Erwartung oder eine Sehnsucht verbirgt. Denken Sie außerdem daran, dass Sie viele Kritikpunkte vermeiden können, wenn Sie Ihrem Partner Ihre Erwartungen mitteilen und deutlich darlegen. So betrachtet, muss Kritik kein Missklang sein, sondern kann – wenn Sie sich die genannten Strategien zunutze machen – der Auftakt für etwas Schönes sein. Sie kann sozusagen dafür sorgen, dass Ihre Beziehung wieder wie geschmiert und ohne Stottern läuft.
Huub Buijssen ist Psychogerontologe, Gesundheits- und klinischer Psychologe an der Psychiatrischen Klinik Den Dolder, Niederlande. Durch seine zahlreichen Bücher über Kommunikation in herausfordernden Situationen wurde er international bekannt.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch Jetzt verstehe ich dich. Verborgene Wünsche in Paarbeziehungen, das Huub Buijssen vor kurzem im Beltz Verlag, Weinheim, herausgebracht hat.