Was sehen Sie hier, Karin Hanczewski?

Abschied am Bahnsteig. Werden sich die beiden Frauen wiedersehen? Schauspielerin Karin Hanczewski deutet die Szene in einer Geschichte.

Die Illustration zeigt zwei Frauen, die eine steht im Eingang des Zuges, die andere steht auf dem Bahnsteig, die sich zum Abschied die Hände halten.
Wer sind die zwei Personen am Bahnsteig? Kennen sie sich oder sind sie (wieder) Fremde? © Andrea Ventura für Psychologie Heute

„Ein fast leerer Bahnhof. Im Zug haben sich die Mitfahrenden ihre Plätze gesichert. Koffer verstaut. Manche packen bereits ihre Brote aus, auch wenn ihre Reise noch gar nicht richtig begonnen hat.

Elma und Freya, halb im Zug, halb auf dem Bahnsteig. Solange das Piepen der schließenden Türen noch nicht erklingt, verharren sie in der Berührung ihrer Hände. Kein Wort sprechen sie. Freya spürt Elmas kalte, schwitzige Hand. Sie weiß, was das bedeutet. So wie sie weiß, was es bedeutet, wenn Elmas Lippen ganz kalt werden oder wenn sie auf eine Frage anstatt mit einem Satz nur mit einem kurzen kehligen ‚Hm‘ antwortet.

Ein Abschied, schon wieder. Elma und Freya waren befreundet. Einige Jahre ist das her. Sie gingen zusammen zur selben Schule. Irgendwann lief man sich über den Weg und verbrachte von da an unzählige Stunden, Tage und Nächte damit, gemeinsam durch die Stadt zu streunen, Obst aus Nachbargärten zu klauen und auf viel zu klebrigen Bänken über den Sinn des Hierseins zu diskutieren. Als dann die ersten großen Entscheidungen getroffen werden mussten, Auszüge, Umzüge, das Studium und die ersten größeren Beziehungen begannen, verloren sich beide aus den Augen.

Wie viele Jahre hatten sie sich nicht gesehen? Sechs? Sieben? Aber vor einer Woche bekam Freya einen Brief. Der Absender: Spitzi. Mehr nicht. Für einen kurzen Augenblick blieb Freyas Herz stehen. Den Brief in der Hand, starrte sie diese sechs Buchstaben an. Sie fragte sich, welcher Tag heute war, welches Datum, aber sie hatte nur einen Gedanken. Elma. Sie würde Elma wiedersehen.“

Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?

„Wir alle erleben im Laufe unseres Lebens Abschiede, Trennungen, aber auch Wiedersehen. Manchmal spüre ich in dem Augenblick, in dem ich von Glück erfüllt bin, dass auch dieser Moment einer ist, den ich nicht halten kann. Der vergehen wird und sich in etwas anderes verwandeln wird. Diese Momente sind voller Widerspruch. Voller Schönheit und Glück, aber auch mit einem fernen Schmerz getränkt. Leben ist Veränderung.“ 

Karin Hanczewski ist Schauspielerin – in Theater, Film und Fernsehen. Am 20. November 2022 wird sie im Dresdner Tatort „Katz und Maus“ wieder als Kommissarin Karin ­Gorniak ermitteln: Ein Entführer versteckt sein Gesicht hinter einer Mausmaske und verbreitet ­ominöse Videobotschaften.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2022: Lieber unperfekt
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