Konsumkritik: Jogginghose

In unserer Jogginghose lassen wir uns gehen. Direkt unter der Gürtellinie trennen wir Öffentliches von Privatem nicht und setzen ganz gechillt ein Zeichen.

Eine grüne Jogginghose
Auf dem Sofa, beim Einkaufen oder im Fitnessstudio: In unserer Jogginghose bewältigen wir den Alltag ganz entspannt. © AlxeyPnferov/Getty Images

Der Jogginghose wurde in den letzten Jahren großer gegenwartsdiagnostischer Eifer zuteil: Ist sie ein Symbol sittlicher Verwahrlosung? Symbol des anything goes? Symbol der Versportung der Existenz? Viel zu kurz gegriffen!

Die Jogginghose ist das Totem-Textil unserer janusköpfigen Konsumkultur. Im Krebsgang zwischen Selbstoptimierung und Entlastungssehnsucht signalisieren ihre Käufer: Wir sind immer im Training und immer am Chillen! Wir sind fit und lassen uns gehen! Wir sind Nonkonformistinnen und haben es gerne komfortabel! Die Allgegenwart des kniggekritischen Schlabbergarns belegt zudem, dass die Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem unterhalb der Gürtellinie längst obsolet ist. So, wie man sich beinwärts gewandet, wenn man auf der Couch fläzt oder im Gym transpiriert, möchte man sich auch bei der Arbeit, im Restaurant, bei der Minne gewanden. Alles andere wäre Diskriminierung! Damit symbolisiert der Siegeszug der Jogginghose aber auch den Siegeszug der Spießerpsyche: Egal wo ich mich hinbegebe, ich begebe mich nie aus meiner kleinen Welt hinaus.

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