Herr Professor Schwarz, Sie leben seit mehr als drei Jahrzehnten als Psychologieprofessor in den USA, seit zehn Jahren in Kalifornien. Was macht die Arbeit in den Staaten für Sie so attraktiv?
An guten amerikanischen Universitäten sind die Möglichkeiten wesentlich besser als in Deutschland. Ein Beispiel: In meinen 30 Jahren hatte ich nie mehr Lehrverpflichtungen als ein Seminar pro Semester – anstatt der vier Veranstaltungen pro Semester in Deutschland. Ich habe in den USA viel mehr Flexibilität, die…
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der vier Veranstaltungen pro Semester in Deutschland. Ich habe in den USA viel mehr Flexibilität, die Forschung ist außerdem deutlich interdisziplinärer, was mir immer wichtig war.
Stimmt es, dass auch das Niveau der Studierenden bei Ihnen höher ist?
Das kommt auf die Uni an. In Deutschland sind alle staatlichen Universitäten ungefähr gleich ausgestattet und auch ungefähr gleich gut. In den USA ist die Ausstattung der Universitäten an die Forschungsmittel geknüpft, die ihre Wissenschaftler einwerben. Das fördert die Konzentration von Spitzenforschung und resultiert in großen Unterschieden zwischen den Universitäten. Hier sind einige Universitäten sehr, sehr gut. Dort will jeder sein. Die Kolleginnen und Kollegen sind besser, die Ressourcen sind besser, die Studierenden sind besser und die Seminare kleiner.
In den USA sind die Unis also besser als in Deutschland?
Nein, das wäre irreführend. Es gibt in den USA rund 4000 Hochschulen, und die meisten von ihnen sind eindeutig schlechter als die deutschen Universitäten. Wenn wir allerdings über die Spitzen-Unis reden – da ist man hier in der Tat besser dran als überall sonst auf der Welt.
Die Trump-Administration hat den Universitäten den Krieg erklärt. Er will die staatliche Förderung kürzen und hat der Harvard University im April über zwei Milliarden Dollar an Fördermitteln eingefroren. Was steckt dahinter?
Das Trump-Theater um die Forschungsförderung hat für viele Universitäten in den USA nur begrenzte Konsequenzen, weil ihre Forschungsmittel nicht sehr hoch sind. Getroffen werden dadurch fast ausschließlich die Spitzen-Unis, die überwiegend an den Küsten liegen, überwiegend liberal sind und mit Trumps Politik nicht übereinstimmen.
Wie ernst ist die Lage?
Wie das alles ausgehen wird, ist überhaupt nicht klar. Die Unis klagen dagegen. Viele der großen Hochschulen haben inzwischen einen Verteidigungsbund geschlossen, um gegen die Kürzungen vorzugehen. Es ist sicher nicht im Sinne der USA, die Spitzenforschung zu kappen, auch nicht im Sinne von Trumps Geldgebern, die auf die Ergebnisse der Forschung angewiesen sind.
Sie klingen relativ gelassen.
Relativ, ja, zumindest jetzt noch. Man muss abwarten, wie das vor den Gerichten ausgeht und über wie viele Jahre sich das hinzieht. Aber die Kürzungen sind natürlich spürbar. Unsere Uni hat die Zulassung für Doktorandinnen und Doktoranden runtergefahren. In einigen Projekten wurde die Förderung komplett gekappt, was wirklich schlimm ist. Jetzt spielen die Hochschulen auf Zeit und hoffen auf die Midterms, also die Zwischenwahlen zum US-Kongress im kommenden Jahr. Falls die Kürzungen langfristig so realisiert werden, wie jetzt angedroht, sind die Konsequenzen verheerend.
Warum taugen die Elitehochschulen für Trump so gut als Feindbild?
Um das zu verstehen, muss man sehen, wer eigentlich Donald Trump gewählt hat. Die Globalisierung hat in den USA eindeutige Gewinner und Verlierer produziert. Die Gewinner sind die Wissensindustrien entlang der Ost- und Westküste. Die Verlierer sind die traditionellen Manufakturindustrien, die überwiegend im Mittleren Westen sitzen. Dort zerfallen die Fabriken. Auch die Landwirtschaft hat verloren. Die Realeinkommen der Arbeitnehmer in diesen Bereichen sind über die letzten 40 Jahre flach geblieben. Gestiegen sind die Einkommen nur für die Menschen mit College-Ausbildung an den Küsten. Wir haben also eine extreme soziale Ungleichheit.
Sie meinen: Sozialen Aufstieg gab’s im Wesentlichen für Menschen, die mobil waren und umgezogen sind?
Ja, richtig. Die kleinen Gemeinden im Landesinneren sind zunehmend leer. Die Kinder sind weggezogen und kommen auch nicht mehr zurück. Angus Deaton…
…der Wirtschafts-Nobelpreisträger…
…und seine Mitarbeitenden haben eine Zunahme an deaths of despair in diesen Gebieten nachgewiesen. Dieser Tod durch Verzweiflung – durch Drogenabhängigkeit, Opioidabhängigkeit oder Ähnliches – hat bei der weißen Arbeiterschicht die Lebenserwartung messbar reduziert. Die Lebenserwartung geht überall in der Welt nach oben, aber nicht für die weiße Arbeiterschicht in den USA. Das ist der Hoffnungslosigkeitskontext, in dem Donald Trump auftaucht und den Leuten sagt: „Wenn ihr mich wählt, könnt ihr’s denen allen zeigen!“
Und die Universitäten sind ein Symbol für diese Ungerechtigkeit?
Ja, „die überheblichen Eliten“. Dazu gehört auch der Arzt, der einem sagt, dass man während der Pandemie eine Maske tragen muss und sich impfen lassen soll. Es gibt in der Sozialforschung einen klaren Zusammenhang zwischen der Unterstützung für Donald Trump und dem Gefühl, von den Eliten nicht ernst genommen zu werden.
Trump spielt also den Racheengel?
Ich finde das psychologisch hochinteressant. Trump hat es hinbekommen, die Schmerzen des sozialen Wandels und die Hoffnungslosigkeit der Abgehängten in Ärger zu verwandeln. Es ist etwas Negatives passiert – und dieser und jener ist daran schuld. So funktioniert Ärger. Und Ärger ist eine Emotion, die mich aktiviert, bei der ich Rache üben möchte. Genau damit hat Trump Wahlkampf gemacht. Er hat gesagt: „Ich bin eure Vergeltung!“ Ärger geht aber einher mit einer Verengung der Aufmerksamkeit auf das, was einen ärgert. Damit kann man neue Ungerechtigkeiten sehr gut rechtfertigen. Denn wer sich ärgert, hat nicht mehr das Gefühl, ausgewogen sein zu müssen. Das passt alles gut zu dem, was die Psychologie in Laborexperimenten herausgefunden hat. Ärger ist die Emotion von make America great again.
Wie erleichtert ist die Wählerschaft Trumps?
Ich sehe eine Mischung aus Erleichterung, Triumph und Hoffnung. Es gibt unter MAGA-Anhängern das Schlagwort owning the libs. Das bedeutet: Alles das ist gut, was die Demokraten entsetzt und schockiert.
Der Ärger, die Wut der Trumpisten richtet sich unter anderem gegen bestimmte Entwicklungen an den Hochschulen. Etwa gegen DEI – diversity, equity, inclusion –, also die Betonung von Vielfalt, Gleichheit und Inklusion.
Ich betrachte das aus der Sicht eines europäischen Sozialdemokraten. Unter dem DEI-Label gab es viele Entscheidungen, die meines Erachtens falsch gelaufen sind. Wenn ich die soziale Ungleichheit beseitigen will, reicht es nicht, nur auf ethnische Zugehörigkeit zu achten. Ich brauche auch ein ökonomisches Kriterium. Dann muss ich schauen: Wer ist finanziell benachteiligt? Wer ist der Erste in seiner Familie, der studiert? Wenn ich das mache, erfasse ich viele Minderheiten – aber eben auch benachteiligte Weiße, etwa die Farmkinder aus dem Mittleren Westen. Das ist nicht passiert und das hat zu dummen Entscheidungen geführt.
Welche Fehler hat die Partei der Demokraten gemacht?
Es gab für mich einen erinnerungswürdigen Moment bei der letzten Wahlveranstaltung von Hillary Clinton. Da war die ganze Bühne voll mit einer großen Vielfalt von Menschen. Aber ein weißer Arbeiter oder Farmer hätte sich dort nicht erkannt. Die Demokratische Partei ist eine gute Repräsentation der Multikulti-Umwelt an den Küsten, und ich persönlich fühle mich da sehr wohl. Aber die Partei ist keine gute Repräsentation der Welt in Iowa, Wyoming, Kansas oder Nebraska.
Jetzt könnte man fragen: Wo ist das Problem? Dort wohnt ja kaum noch jemand. Die Leute wohnen an den Küsten!
Das stimmt. Aber die bevölkerungsschwachen Staaten werden im Wahlsystem stark bevorzugt. Kalifornien hat fast 40 Millionen Einwohner, Wyoming dagegen weniger als 600000. In der Metropolregion Los Angeles leben etwa so viele Menschen wie in den 14 bevölkerungsschwächsten Staaten der USA zusammen. Aber diese Staaten haben insgesamt 28 Sitze im Senat – Kalifornien hat nur zwei.
Wie hilft Ihnen Ihre eigene Forschung, die Politik Ihrer Regierung zu verstehen?
Ich befasse mich seit einigen Jahren mit dem Phänomen der Fehlinformationen, ich wollte wissen: Wie entscheiden Menschen eigentlich, was stimmt und was nicht stimmt? Was sind unsere intuitiven Wahrheitskriterien?
Und was haben Sie dabei herausgefunden?
Dass es im Wesentlichen fünf Kriterien gibt, nach denen wir beurteilen, ob etwas wahr ist. Wir checken zunächst: Ist diese Nachricht kompatibel mit anderen Sachen, die ich schon weiß? Dann zweitens: Ist das in sich konsistent? Drittens: Glauben andere daran? Viertens: Ist die Quelle glaubwürdig? Und fünftens: Gibt es irgendwelche Evidenz für diese Aussage?
Klingt alles ganz vernünftig, oder?
Ja, das sind rationale Kriterien. Aber sie haben einen interessanten Nebeneffekt: Alle diese Kriterien sind assoziiert mit der subjektiven Erfahrung von Verarbeitungsleichtigkeit.
Das heißt: Wahrheit macht dem Kopf wenig Arbeit?
Ja. Wenn etwas nicht kompatibel ist mit dem, was wir schon wissen, erfordert es Aufmerksamkeit und Abwägung. Wenn es intern inkonsistent ist – dann stolpern wir. Wenn viele andere daran glauben, sollte ich es schon gehört haben – und Vertrautes ist einfach zu verstehen. Unvertraute Quellen sind weniger vertrauenswürdig. Und wenn uns spontan keine Evidenz einfällt, dann gibt’s vielleicht auch keine.
Verstehe. Wir glauben intuitiv: Was wir leicht und mühelos verstehen, das wird vermutlich auch wahr sein.
Viele Experimente unterstützen das. Wenn etwas klar gedruckt und leicht lesbar ist, glauben wir es eher, als wenn die Schrift schwer zu lesen ist. Wenn die Akustik gut ist, wird die Nachricht eher als wahr akzeptiert, als wenn man genau hinhören muss. Und je öfter wir etwas hören, desto leichter glauben wir es. Denn die Leichtigkeit der Verarbeitung steigt mit jeder Wiederholung. Das haben uns die sozialen Medien gebracht: Die endlose Wiederholung von ähnlichen Inhalten in meinem selbst ausgewählten Stream. Da gibt es wenig, was ich nicht schon gesehen habe. Und ich bin in dieser Welt umgeben von Freundinnen und Freunden, die ganz meiner Meinung sind. All das erleichtert die Verarbeitung, es gibt wenig Widerspruch. So entstehen Meinungsblasen.
Was lernen wir aus all dem über uns selbst?
Manchmal hören wir etwas und denken intuitiv: Da stimmt etwas nicht. Und das beeinflusst wiederum, ob und wie wir eine Aussage überprüfen. Wenn wir misstrauisch sind, suchen wir gezielt nach Informationen, die der Aussage widersprechen. Wenn wir intuitiv glauben: Da ist was dran, dann suchen wir gar nicht mehr nach Belegen oder nur nach Belegen, die unseren Glauben unterstützen.
Genau da wird’s doch spannend. In der Blase, zu der Sie und ich gehören, da denkt man: „Die Republikaner handeln irrational, Trump ist verrückt.“ Wenn ich damit zufrieden bin, dann habe ich vermutlich etwas Wichtiges verpasst. Oder nicht?
Natürlich! Mit dieser Haltung verpassen Sie, dass es in der Tat Millionen von Menschen gibt, die vom sozialen Wandel zurückgelassen wurden. Deren Interessen niemand ernst nimmt und die am liebsten wieder zurück in die 1950er Jahre wollen, wo angeblich alles noch okay war. Wo der Arbeiter in Detroit noch seine Sommerhütte am Lake hatte und wo es noch das weiße, christliche Amerika gab. Wo manuelle Arbeit noch eine gewisse Würde hatte. All das ist weg. Man muss eine Politik machen, die das versteht. Trump nutzt das aus.
Werden viele Forschende jetzt die USA verlassen und nach Deutschland kommen?
Nein. Ein paar einzelne wird es vielleicht geben, aber keine große Welle. Die Mehrzahl der Hochschulen ist von den Maßnahmen nur wenig betroffen. Betroffen sind allein die Spitzen-Unis. Dort aber sind die Arbeitsbedingungen immer noch viel zu gut.
Sie bleiben also weiter in den USA?
Ich bin über siebzig. Auch bei reduzierter Forschungsförderung ist das Unileben spannender als die deutsche Zwangsrente. Wenn die schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheiten sollten und es mit der Demokratie in den USA tatsächlich zu Ende geht, würde ich nach Deutschland zurückkehren – als Rentner.
Norbert Schwarz gehört zu den meistzitierten Psychologen der Welt. Der Professor stammt aus der Pfalz, lebt aber seit 30 Jahren in den USA, wo er heute an der University of Southern California in Los Angeles forscht und lehrt, unter anderem zum Thema Falschnachrichten
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Quelle
Rainer Greifeneder, Mariela E. Jaffé, Eryn J. Newman, Norbert Schwarz (Hg.): The Psychology of Fake News. Accepting, Sharing, and Correcting Misinformation. Routledge 2021