Frau Degen, in Ihrer Studie kommen Sie zu dem Fazit, dass Diversitätsbeauftragte überhaupt nicht für mehr Chancengleichheit in Betrieben sorgen. Was ist geschehen?
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn es mehr Diversität gäbe und wenn in den Unternehmen strukturelle Benachteiligung abgebaut würde. Es herrscht immer noch eine sehr große Chancenungleichheit. Aber das wird sich nicht durch das Diversity Management ändern, wie es derzeit in Unternehmen und Institutionen in Deutschland implementiert ist.
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nagement ändern, wie es derzeit in Unternehmen und Institutionen in Deutschland implementiert ist.
Sie haben das Diversity Management unterschiedlicher Arbeitgeber untersucht. Mit wem haben Sie für Ihre Untersuchung gesprochen?
Wir haben mit insgesamt 40 Führungspersonen und Diversitätsbeauftragten Interviews geführt, sowohl von großen börsennotierten Unternehmen als auch von mittelständischen und kleinen Firmen. Außerdem haben wir mit 25 Menschen gesprochen, die diskriminiert und sozial benachteiligt werden, mit Migrantinnen und Migranten, Arbeitsuchenden, Studierenden, alleinerziehenden Vätern und schwangeren Frauen. Diese Menschen zu finden war allerdings recht schwierig.
Weshalb?
Von allen Seiten wurde betont, dass das Thema so aufgeladen sei, dass sie Angst hätten, darüber zu sprechen; ganz besonders die Führungskräfte hatten große Bedenken, offen darüber zu reden. Viele von ihnen haben gesagt: „Ich riskiere hier Kopf und Kragen. Niemand in der Firma redet darüber, aber alle wissen, das funktioniert nicht.“ Ich hatte viele Gesprächspartner und -partnerinnen davon zu überzeugen, Interviews mit mir zu führen, und musste die Aussagen für die Auswertung stark anonymisieren.
Was ist denn das eigentliche Ziel von Diversity Management?
Das Diversity Management ist in den 1950ern aus Widerstandsbewegungen in den USA entstanden. Diskriminierte Gruppen haben sich eine Stimme verschafft, um sich gegen Ungleichbehandlung zu wehren, so etwa People of Color, die dafür gekämpft haben, dass sie vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Schließlich wurden in den USA die Antidiskriminierungsgesetze erlassen und die Bewegung kam dann auch nach Deutschland.
Das klingt doch gut.
Ja, die Idee ist gut. Ursprünglich sind die sozial benachteiligten Gruppen für soziale Gleichheit und gleiche Rechte eingetreten, aber ihr Sprachrohr wurde mit der Zeit von privilegierten Gruppen übernommen. Nun sprechen sie über die sozial Benachteiligten, handeln vermeintlich in deren Namen, aber verfügen letztlich auch über sie.
Aber das Ziel ist doch noch dasselbe: Ungleichheit abbauen und benachteiligte Gruppen vor Diskriminierung zu schützen, oder?
Das originäre Ziel wurde nicht verändert, aber das kapitalistische System hat sich das Anliegen zu eigen gemacht. Führungskräfte und Organisationen haben sich gesagt: Es gibt Minderheiten, die sich für ihre Rechte einsetzen. Deswegen etablieren wir nun eine Instanz, die sich dieser Angelegenheiten annimmt, sie verwaltet, und die nennen wir Diversity Manager und Managerinnen.
Das, was sie umsetzen, ist aber weit entfernt von dem ursprünglichen Ideal der Bewegung. Diversity Management ist zu einem Werkzeug für die Wirtschaft geworden. Überraschend ist das nicht. Es ist wie beim Umweltschutz oder der Frauenförderung – im Kapitalismus geht es immer in erster Linie um ökonomische Vorteile, zum Beispiel darum, das Image eines Unternehmens aufzuwerten.
Auch wenn ein Unternehmen aus Eigeninteresse Beauftragte für Diversität einstellt, könnten diese Personen doch trotzdem für mehr Chancengleichheit in der Firma sorgen.
Ja, das wäre schön. Nach dem Motto: Wir profitieren alle davon, alle verdienen mehr, es gibt mehr Diversität und mehr Förderung. Das funktioniert aber leider nicht, weil die Ressourcen endlich sind. Es gibt zum Beispiel nicht unendlich viele Führungspositionen. Diversität wird immer gern gefördert, solange sie Vorteile bringt und solange die Privilegierten, also zum Beispiel die Führungskräfte eines Unternehmens selbst keine Privilegien abgeben müssen. Das betrifft auch die Diversity Manager selbst.
Stehen diese Personen nicht hinter den Idealen?
Doch, das schon. Beim Ideal sind sich alle einig, alle wollen eine gerechtere Welt. Und alle Seiten wollen ihren Job auch gut machen. Aber wenn man sich die Biografien der Diversity Manager anschaut, sieht man, dass es auffallend oft weiße Personen aus der Mittelschicht sind, die keine Kinder haben.
Warum sind zum Beispiel keine alleinerziehenden Mütter dabei? Die würden auch die Lebensrealität derer verstehen, die sie fördern sollen. Diversity Managerinnen fordern mehr Diversität von den Führungskräften, aber in ihren eigenen Abteilungen ist es nicht divers. Das ist Doppelmoral.
Was konkret machen die Personen dann in den Firmen?
Sie achten darauf, dass zum Beispiel die Stellenanzeigen inklusiv formuliert werden. Sie implementieren Workshops, achten darauf, dass die Bewerbungs- und Einstellungsprozesse korrekt ablaufen, und schreiben im Newsletter mal ein Profil über eine alleinerziehende Mutter, die Karriere in dem Unternehmen gemacht hat. Aber sie lösen keine strukturelle Diskriminierung auf und setzen sich im konkreten Fall selten gewinnbringend ein. Es wird stattdessen eine Fassade gemalt.
Woran haben Sie in Ihrer Studie gemerkt, dass Diversity Management nicht funktioniert?
Die Führungsebene ist total genervt von den Diversity Managerinnen, weil die ihnen vorwerfen, sie würden die falschen Leute einstellen. Die Firmenchefs und -chefinnen sagen aber: „Wir würden jeden einstellen – Hauptsache, die Firma läuft.“ Oft haben sie mir in den Interviews ganz plakativ gesagt: „Mir ist es völlig egal, ob es eine Transperson ist, ein Inder oder eine alleinerziehende Mexikanerin. Wir würden gern divers einstellen, aber wir haben keine geeigneten Kandidaten und Kandidatinnen.“
Ist das nicht ein Grundkonflikt jedes Diversity Managements: Die Führungskräfte werden doch immer genervt sein, wenn sich jemand in ihre Entscheidung einmischt? Aber wie sollen sich sonst Strukturen in den Unternehmen verändern?
Ja, man könnte denken, das Problem sei nur, dass die Führungskräfte einfach davon genervt sind, dass ihnen ständig jemand kritisch auf die Finger schaut. Und dann sollen sie auch noch an Workshops teilnehmen, auf die sie keine Lust haben. Zur Verteidigung der Diversity Manager könnte man sagen, dass sie schließlich nicht die ganze Welt verbessern können und dass ihre Möglichkeiten strukturell begrenzt sind, und immerhin können sie mit ihren Workshops und Newslettern im Unternehmen subtil etwas verändern.
Das habe ich auch gedacht, bevor ich die Studie gemacht habe. Und dann habe ich gehört, wie die Diversity Managerinnen von den sozial benachteiligten oder diskriminierten Menschen wahrgenommen werden.
Was haben die betroffenen Personen berichtet?
Ich habe gefragt, ob sie sich an die Diversity Manager wenden würden, wenn sie Schwierigkeiten haben, oder ob sie von ihnen bereits Unterstützung erhalten hätten. Alle haben das verneint. Stattdessen sagten sie: Die können mir eh nicht helfen. Die können keinen Job erfinden. Die können einen Manager auch nicht zwingen, mich in sein Team aufzunehmen. Die sind schwer zu erreichen, sie haben keine Sprechstunden, sie sind institutionell nicht zugänglich, sie gehen nicht ans Telefon.
Die Position scheint strukturell überhaupt nicht dafür angelegt zu sein, um mit benachteiligten Menschen zu sprechen. Viele haben auch berichtet, dass sie von den Diversity Managerinnen sogar diskriminiert oder schlecht behandelt wurden, wenn sie um Hilfe gebeten haben. Oder dass ihre Maßnahmen die Situation noch verschlechtert haben.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Eine Angestellte hat berichtet, dass sie während ihrer Elternzeit eine Abwesenheits-E-Mail einrichten wollte, aus der nicht hervorgeht, dass sie gerade in Mutterschutz und Elternzeit ist. Die Diversity Managerin hat das abgelehnt. Das Beispiel zeigt, dass oft nicht mit den betroffenen Personen gesprochen wird, sondern über sie hinweg entschieden wird, was sie brauchen oder gut für sie ist, anstatt sie zu fragen, was sie tatsächlich benötigen.
Was macht es mit den Menschen, wenn sie als Benachteiligte in ihrem Betrieb nicht ausreichend Unterstützung bekommen?
Die Benachteiligten erleben das als Beschönigung ihrer Situation. Das nervt sie und das erleben sie auch als Falle, weil sie nichts ändern können, nach außen aber so getan wird, als würde niemand benachteiligt werden. Wenn die Angestellten wissen: „Mein Unternehmen hat eine Diversity Managerin, aber die ist nicht für mich da, sondern nur zu dem Zweck, dass es nach außen besser aussieht“, fühlen sie sich nicht gesehen und respektiert – was auch die Loyalität gegenüber dem Unternehmen mindert.
Das klingt, als wären die Beauftragten für Diversität mehr Problem als Lösung.
Das ist von ihnen ja auch nicht böse gemeint. Sie starten in ihrem Job oft mit einem hohen Ideal, sie wollen etwas verändern, und dann merken sie, dass es so einfach nicht geht. Viele von ihnen berichten, dass sie sich schlecht fühlen, dass sie Stress haben, bis hin zu körperlichen Beschwerden, dass sie in der Kantine immer allein essen, sich von der Firma distanzieren, weil sie wenig anerkannt werden.
Weil sie nur ein Aushängeschild sind?
Ja, sie selbst sagen: Ich werde nur für den Rechtsschutz benutzt. Im Unternehmen werden sie oft nicht respektiert, weil keiner so genau weiß, was sie machen. Sie fühlen sich sozial ausgeschlossen und als Experte oder Expertin nicht ernst genommen, sie werden nie gefragt: Was könnten wir denn im Unternehmen ändern?
Aber warum helfen sie dann nicht wenigstens den Benachteiligten?
Nicht selten sind sie enttäuscht von der Gruppe, für die sie einstehen sollen. Sie sagen: „Ich will ja Frauen fördern, aber die wollen nicht. Die Frauen wollen früh nach Hause, und dann ist es doch klar, dass man so keine Karriere machen kann.“ Und die Benachteiligten fordern Dinge von ihnen, bei denen sie gar nicht helfen können. Die strukturelle Diskriminierung, die sie bekämpfen wollen, können sie nicht ändern. Im Gegenteil, sie festigen die bestehenden Strukturen sogar.
In den Unternehmen herrscht keine Chancengleichheit, Frauen zum Beispiel werden immer noch stark benachteiligt, das ist auch an der Bezahlung messbar. Und diese Diskriminierung nimmt nicht ab, obwohl wir so viel Diversity Management haben. Da könnte man schon mal ins Nachdenken kommen.
Aber schaffen die Diversitätsbeauftragten nicht mitunter auch ganz konkrete Maßnahmen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz?
Wenn sie einmal eine konkrete Maßnahme implementieren, hat das oft eine ungünstige Wechselwirkung. Eine Diversity Managerin hat erzählt, dass sie einen Gebetsraum für Mitarbeitende durchgesetzt hat. Als der schließlich eingerichtet wurde, war eine andere religiöse Gruppe wütend, dass sie keinen eigenen Raum hat. Die Diversity Managerin hat gesagt, egal wie ich es mache, es ist falsch.
Es ist doch für alle Seiten ein Nachteil, dass sie gegeneinander arbeiten. Warum gelingt es niemandem, die Situation zu verbessern?
Wir haben ungünstige Gruppendynamiken, die verhindern, dass ein vielleicht sogar gemeinsames Ziel erreicht wird: Die Führungskräfte wollen die Diversity Manager am liebsten loswerden oder umgehen, weil sie sagen: „Die Maßnahmen funktionieren so nicht, ihr bremst uns nur, ihr kritisiert uns nur. Ihr habt weniger als ich in dieses Unternehmen investiert, seid weniger qualifiziert und wollt mir sagen, dass ich alles falsch mache.“
Das Frustrierende ist: Die Diversity Managerinnen werden von niemandem im Unternehmen anerkannt, aber sie dürfen auch nicht öffentlich kritisiert werden.
Warum wird in den Unternehmen nicht offen darüber gesprochen? Es werden doch alle möglichen Prozesse in der Wirtschaft evaluiert.
Ja, es wäre gut, mal die Maßnahmen zu hinterfragen und zu schauen, was gut funktioniert und was nicht. Aber alle sagen, es ist unmöglich, im öffentlichen Diskurs darüber zu sprechen, weil das Thema Diversität moralisch so aufgeladen ist. Ich kann mich als Führungskraft nicht öffentlich mit der Diversity Managerin streiten, weil ich dann sofort diskreditiert werde und mich selbst gefährden würde. Stattdessen läuft das alles subtil ab.
Die Diversity Manager sind geschützt durch den Anspruch der Benachteiligten. Sie werden allerdings nicht gemessen an dem, was sie für diese tun, sondern wofür sie eigentlich moralisch stehen. Wenn eine Führungskraft sie kritisiert, ist es so, als würde sie sagen: „Ich stelle keine Personen mit einer bestimmten Hautfarbe oder Nationalität ein.“
Gibt es auch positive Beispiele?
Ich habe keinen Benachteiligten gefunden, der sagt, dass ein Diversity Manager ihm oder ihr geholfen hat. Damit hatte ich selbst nicht gerechnet. Als ich die Daten zuerst gesehen habe, dachte ich, wir hätten einen Fehler gemacht. Ich habe meine Studierenden, Kollegen und Kolleginnen erneut losgeschickt. Ich habe Aufrufe gestartet für positive Geschichten, habe Unternehmen angeschrieben, dass ich schöne Geschichten suche, aber zurück kamen nur fürchterliche Episoden. Keine einzige schöne Geschichte.
Ist Diversity Management grundsätzlich zum Scheitern verurteilt oder muss es nur ganz anders aufgezogen werden?
Das Label ist beschädigt, aber die Funktion ist sehr wohl notwendig. Es muss eine Anlaufstelle in Unternehmen geben, jemanden, der ein Auge auf die sozial Benachteiligten hat, nicht nur darauf, ob alle Sternchen korrekt in der Stellenanzeige stehen. Dafür wäre aber eine Instanz notwendig, die mit allen sprechen kann, eine Person, die sagt: „Läuft hier gerade etwas schief?“ Oder: „Was können wir machen, dass diese Schwangere ihren Job behält?“ Oder: „Wie können wir es schaffen, dass dieser verwitwete Vater würdig in seiner Karriere weiterkommt?“ „Wie erreichen wir, dass wir diverser einstellen?“
Es bräuchte eine Person, die wirklich als Ansprechpartner oder -partnerin wahrgenommen wird, um Lösungen zu finden für Situationen, die strukturell problematisch sind, und die konstruktiv mit anderen Abteilungen zusammenarbeitet. Wichtig wäre, dafür Menschen einzusetzen, die aus eigener Erfahrung sprechen. Damit nicht über die Benachteiligten gesprochen wird, sondern sie selbst wieder eine Stimme erhalten.
Johanna L. Degen ist Sozialpsychologin, lehrt und forscht an der Europa-Universität Flensburg. Außerdem ist sie Paartherapeutin in ihrer Forschungspraxis in Flensburg.
Zum Weiterlesen
Johanna L. Degen: Unmasking Diversity Management. Die kapitalistische Einverleibung von Subjekt, Moral und Widerstand. Psychosozial 2022