„Psychische ­Erkrankungen bei Frauen gelten als unwichtig.“

Fehldiagnosen aufgrund von Vorurteilen: Frauen mit psychischen Symptomen sind in der Medizin systematisch benachteiligt, kritisiert Stephanie Krüger.

Die Psychiaterin und Professorin, Stephanie Krüger, stört, dass psychische Erkrankungen bei Frauen als unwichtig gelten
Stephanie Krüger ist Psychiaterin, Professorin und Leiterin der Abteilungen für seelische Gesundheit in zwei Kliniken. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Man mag es kaum glauben, aber Frauen und Mädchen werden in der Medizin immer noch benachteiligt. Symptome und vor allem Schmerzen werden nicht ernst genommen, die Wartezeit in der Notaufnahme ist bei Frauen länger als bei Männern, Fehldiagnosen sind häufiger, Rezepte zur Beruhigung werden schneller ausgestellt. Dieses Problem betrifft auch psychische Symptome, aufgrund derer gerade junge Frauen erstmals mit dem Gesundheitssystem in Kontakt kommen.

Nur süchtig nach Aufmerksamkeit

Was passiert also, wenn eine junge Frau mit depressiven Symptomen, lebensmüden Gedanken und Panikattacken ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt aufsucht? Sie musste sich arg überwinden, sich überhaupt jemandem anzuvertrauen. Zunächst wird gefragt, ob es denn Liebeskummer gebe, ob sie „ihre Tage“ oder „sonstwie Stress“ habe. Dann wird ihr empfohlen, sich zu entspannen, sich öfter mal auszuruhen oder es doch einmal mit Beruhigungs- oder Schlafmitteln zu versuchen, natürlich „nur für kurze Zeit“. Schließlich wird sie mit einem paternalistischen Schulterklopfen und einem „Das wird schon“ nach Hause geschickt.

Dort angekommen schämt sich die junge Frau und sie bereut, sich so geöffnet zu haben. In der Folge wird sie erst wieder eine Ärztin aufsuchen, wenn die Symptomatik so schwer ist, dass ein Krankenhausaufenthalt oder eine notfallmäßige Einweisung aufgrund von akuter Suizidalität unumgänglich sind.

Noch schwieriger ist die Situation, wenn Mädchen oder junge Frauen mit psychotischen Symptomen zum Arzt ­gehen. Hier wird ganz schnell das Urteil „hysterisch“, „emotional instabil“ oder einfach „süchtig nach Aufmerksamkeit“ gefällt. Eine sorgfältige Befunderhebung oder eine Überweisung zu einer Psychiaterin gibt es oftmals nicht. Hier wird die Chance zur Früherkennung seelischer Erkrankungen schlichtweg vertan.

Stigmatisierung entmutigt Frauen

Auch in der somatischen Medizin ist das nicht selten. Manche Erkrankungen werden traditionell bei Frauen viel zu häufig diagnostiziert, etwa Osteoporose und der Lupus erythematodes, eine Autoimmunerkrankung. Andere Diagnosen, etwa Herzinfarkt oder Asthma, erhalten sie zu selten. Manifeste somatische Erkrankungen werden zudem bei Frauen bis heute noch zu oft in die „Psycho-Ecke“ gestellt.

Da, wo es aber darauf ankäme, genau an diese „Psycho-Ecke“ zu denken, da passiert es zu selten. Ärztinnen und Ärzte sind in der Bewertung psychischer Symptome bei (jungen) Frauen noch weit davon entfernt, diese ernst zu nehmen. Frauen wird weniger zugetraut, realistisch über ihre Beschwerden zu sprechen und diese korrekt einzuordnen, als Männern.

Daraus resultiert eine Abwertung der psychischen Symptomatik, der Versuch, diese in konstruierte Kausalzusammenhänge zu pressen: „Gibt es Stress in der Familie?“ Gerade junge Frauen, die mit ihrem Selbstwert hadern, entmutigt das, sich frühzeitig Hilfe zu suchen. Die so wichtige Früherkennung seelischer Erkrankungen bleibt aus oder verzögert sich erheblich. Im Falle von Depressionen oder Erkrankungen aus dem psychotischen Spektrum kann das fatal sein.

Stephanie Krüger ist Psychiaterin und Professorin und leitet das Department für seelische Gesundheit des Vivantes-Humboldt-Klinikums und des Vivantes-Klinikums Spandau in Berlin.

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