Der Satz „Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch“ hält sich hartnäckig, obwohl wir immer wieder die Erfahrung machen, dass das nur begrenzt stimmt. Warum reicht bloße Willenskraft für eine Veränderung nicht aus?
Eine Veränderung ist ein Prozess von jeweils vier aufeinanderfolgenden Schritten, wovon jeder notwendig ist und keiner übersprungen werden kann. Das blenden wir gerne aus.
Zu Beginn kündigt sich ein Veränderungswunsch zum Beispiel durch innere Unruhe an und beschäftigt mich immer…
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Beginn kündigt sich ein Veränderungswunsch zum Beispiel durch innere Unruhe an und beschäftigt mich immer stärker, Gefühle treten auf. Im zweiten Schritt wende ich mich vom Innen nach außen: Ich prüfe meinen Wunsch an den Gegebenheiten meiner Umwelt und meinen Möglichkeiten und entwickele eine Zukunftsvision davon, wer ich sein werde nach der gelungenen Veränderung, setze mir möglichst einen inneren Termin und fange an, konkrete Veränderungsschritte zu planen. Ich spreche mit anderen über mein Vorhaben, suche mir Unterstützung und nutze immer wieder meine Zukunftsvision als Motor.
In Phase drei werde ich aktiv, führe die notwendigen Handlungen aus, jetzt bin ich am Zug. Der vierte Schritt ist die Phase der Identifikation, der Ruhe nach dem Sturm, nun verankere ich die Veränderung in meinem Alltag. Ich freue mich über das, was mir geglückt ist, betrauere vielleicht das, was ich hinter mir gelassen habe, und würdige meine Anstrengungen.
Oft erwarten wir insgeheim, dass eine einmal gefasste Absicht genügt und sich das gewünschte Ergebnis auf magische Weise einstellt, dass wir plötzlich fit und schlank sind oder der neue, besser bezahlte Job samt einer glücklichen Partnerschaft auf dem Silbertablett serviert würde. Die entscheidende Frage, die mich in Bewegung bringen kann, ist: Wer will ich sein? Wer werde ich sein, wenn ich das, was mich jetzt so stört, überwunden habe? Und nicht: Wie viel Willenskraft brauche ich, um etwas zu verändern?
Warum ist eine Zukunftsvision so wichtig?
Damit kann man eine positive Grundstimmung und positive Gefühle wachrufen. Ich stelle mir vor, wie es sich anfühlen wird, wenn ich in der Zukunft derjenige sein werde, der ich sein will – und belebe diese Vorstellung mit allen Sinnen. Mein Körper schüttet dazu Endorphine aus. Diese wiederum befeuern mein Vorhaben, aktivieren die entsprechenden Netzwerke im Gehirn und geben die nötige Antriebskraft, auch Anstrengungen ins Auge zu fassen. Wenn ich denke, ich müsste endlich mal mehr Sport machen, aber kein positives Bild davon entwickele, wie vital und gut ich mich fühlen kann, wenn es mir gelungen ist, meine Trägheit zu überwinden, dann habe ich wenig Chancen, erfolgreich zu handeln.
Wir wissen aus der Hirnforschung, dass bei Veränderungsvorhaben verschiedene Netzwerke und Systeme ineinandergreifen. Ohne Willenskraft kommen wir an einem bestimmten Punkt im Veränderungsprozess nicht weiter, aber der Wille ist eben nur ein Element von mehreren. Ganz entscheidenden Einfluss auf einen gelingenden Prozess haben die Gefühle, die mit einem Vorhaben entstehen und verbunden sind. Wenn ich mich gleich entmutige, indem ich mir innerlich sage: „Das wird sowieso nichts. Das schaffe ich nicht. Das ist doch aussichtslos“, gerate ich in eine Problemtrance und blockiere mein aktives und zielorientiertes Handlungsgedächtnis. Dann kann ich noch so energisch wollen, es nutzt nichts, die negative Vorstellung lähmt die Tat. Eine Forschergruppe um den Osnabrücker Motivationspsychologen Julius Kuhl hat nachgewiesen, dass negative Gefühle den gesamten Erfahrungsschatz, wie ein Problem zu lösen ist, blockieren. Dann kann ich mich auf den Kopf stellen, ich komme einfach nicht weiter.
Viele tun sich jedoch mit der Vorstellung eines positiven Bildes schwer. Sie beschrieben detailliert und in leuchtenden Farben, was sie alles nicht wollen, haben jedoch Schwierigkeiten zu sagen, was sie stattdessen möchten.
Tatsächlich erlebe ich das häufig im Coaching oder in der Therapie. Hilfreich ist hier die Wunderfrage nach Steve de Shazer: „Stellen Sie sich vor, heute Nacht kommt eine Fee und löst Ihr Problem. Woran würden Sie am Morgen erkennen, dass die Fee da war?“ Durch diese Intervention kann ein konkretes Bild einer möglichen Veränderung entstehen, mit dem man gut weiterarbeiten kann.
Ich bin überzeugt davon: Auch die, die glauben, gar nicht zu wissen, was sie wollen, wissen es doch in ihrem Inneren meist schon sehr genau. Das unwillkürliche Wissen hat ein klares Bild. Aber die jeweilige Person traut sich entweder nicht, es auszusprechen, oder ist nicht bereit, die Ambivalenzen auszuhalten, die unweigerlich mit jeder Veränderung verbunden sind.
Wenn ich mir eine Veränderung wünsche, hätte ich am liebsten meist das große Wunder. Aber in dem Moment, wo ich konkrete Schritte plane – zum Beispiel am Arbeitsplatz: „Ich mache keine Überstunden mehr und gehe pünktlich“, oder in meinen sozialen Beziehungen: „Ich höre auf, mich bei meinen Freundinnen über mein Singledasein zu beklagen und gebe endlich eine Kontaktanzeige auf“ –, kann es zur Folge haben, dass ich Schwierigkeiten gegenüberstehe, die ich vorher nicht hatte. Mein Chef ist womöglich nicht mehr mit mir zufrieden, meine Singlefreundinnen fühlen sich verraten. Wir waren uns schließlich einig, dass Männer völlig überschätzt sind.
An diesem Punkt muss ich mir die entscheidende Frage stellen: Bin ich bereit, mich mit dem Preis auseinanderzusetzen, den die Veränderung mit sich bringt? Halte ich es aus, dass ich vielleicht nicht mehr geliebt werde?
Bei beruflichen Veränderungswünschen spielen auch Ängste eine Rolle. Wer weiß, ob ich wirklich etwas Besseres finde, wenn ich den ungeliebten Job kündige? An diesem Punkt bleiben viele stecken und trauen sich gar nicht erst, die Fühler auszustrecken oder sich zu bewerben. Was hilft dann?
Wenn ich mich bewerbe, muss ich mich fragen: Wer bin ich jetzt? Und wer will ich in Zukunft sein? Welche Ressourcen, Erfahrungen und Werte habe ich zur Verfügung, die mich unterstützen könnten, das zu werden? Diese Fragen zu beantworten kostet Zeit und Mühe. Wenn ich mich vor dieser Arbeit drücke, bleibe ich weiter blockiert.
Es klingt ein bisschen so, als müsste ich erst eine andere werden, um etwas verändern zu können. Aber das ist sicher nicht gemeint. Wie ist die Frage „Wer will ich sein?“ zu verstehen?
Ich muss ganz sicher kein neuer Mensch werden, aber ich brauche vielleicht einen anderen Ich-Anteil im Vordergrund, der mir hilft, mutiger nach vorne zu gehen. Ich finde hier die neueren psychotherapeutischen Ansätze, die mit Persönlichkeitsanteilen arbeiten, sehr hilfreich und kreativ: Wir haben verschiedene Anteile in uns, die in einem Team zusammen agieren. Da gibt es vielleicht eine, die ängstlich ist und sich am liebsten versteckt. Sie hat aber einen anderen Ich-Anteil an ihrer Seite, der neugieriger ist und vorprescht.
Es geht nicht darum, jemand anderes werden zu müssen. Das ist ein Missverständnis, das daran hindern kann, kleine Veränderungen anzugehen. Ich will mich ja nicht insgesamt verändern, aber ich könnte einen anderen Teil brauchen oder einen bereits bekannten Bereich stärken und aufbauen, der bislang ein Schattendasein fristet und nur selten zum Zug kommt. Um mich zu bewerben, brauche ich in meinem inneren Team einen Risikofreudigen, der nach vorne geht und auch etwas wagt. Wenn sich jemand trotz großem Frust im alten Job gar nicht aufraffen kann, eine Bewerbung zu schreiben, und das vielleicht sogar als Zumutung empfindet, ist meist ein jüngerer Ich-Anteil aktiv, der sich fürchtet oder denkt, dass die anderen das besser können.
Das ist vermutlich der Ich-Anteil, der sich darauf verlässt, dass Mama oder Papa, also die Erwachsenen, das schon regeln. Wie kommt man aus dieser kindlichen Haltung heraus?
Auf keinen Fall mit dem erhobenen Zeigefinger. Im beruflichen Coaching sehen wir uns an, was dieses kleine Kind im Klienten fürchtet, und laden es vielmehr zu einer Begegnung mit dem erwachsenen Ich-Anteil ein. Der Hypnotherapeut Gunther Schmidt, von dem ich sehr viel gelernt habe, nennt diese Intervention „Besuch aus der Zukunft“. Es geht darum, zu erkennen, dass es da eine Vierjährige in mir gibt, die im Augenblick in den Vordergrund drängt und Versorgung braucht. Um diesen kindlichen Teil kann sich der erwachsene Ich-Anteil kümmern und sagen: „Wir beide haben doch schon so viel zusammen geschafft. Setz dich einen Moment hin, spiel eine Runde, jetzt sind die Erwachsenen dran und schauen, was zu erledigen ist.“
Viele Klienten entlastet es sehr, ihre inneren Ich-Anteile zu entdecken und vielleicht in einen Dialog mit ihnen zu gehen. Damit kann auch die Schwere einer Entscheidung verfliegen. Es ist ein Unterschied, ob ich denke: „Oh wie schrecklich, ich schaffe es einfach nicht“ oder ob ich mir vergegenwärtige: Da ist ein kindlicher Ich-Anteil von mir, der Angst hat, aber es gibt noch andere Persönlichkeitsanteile, die mir in der jetzigen Situation zur Seite stehen können, um in Bewegung zu kommen.
Im Übrigen geht es nicht nur darum, den mutigen Anteil zu stärken, sondern auch den Ängstlichen zu befrieden. Ich betrachte die ängstlichen Ich-Anteile als Wächter, die aufpassen und warnen: „Pass auf! Hier droht Gefahr.“ Ich kann auf die Warnung reagieren, eventuell sagen: „Danke für den Hinweis, ich habe die Situation geprüft, es ist gerade nicht so gefährlich“, und mich ans Werk machen.
Sie sagen, Veränderungskompetenz kann man lernen. Aber spielt es nicht doch eine große Rolle, welche Botschaften wir verinnerlicht haben? „Du schaffst das schon“ klingt deutlich anders als „Geh lieber auf Nummer sicher. Sonst stehst du am Ende mit leeren Händen da“.
Sicher ist Veränderungskompetenz auch eine Frage der Übung. Wenn in der Herkunftsfamilie Neues erwünscht war und die Eltern dazu ermutigt haben, etwas zu wagen und auszuprobieren, tut man sich manchmal leichter mit Veränderungen. Wer in einer sicherheitsorientierten Familie aufgewachsen ist, in der man lieber beim Alten geblieben ist, kann sich nicht so leicht vorstellen, dass eine Veränderung etwas Gutes bringen kann.
Aber diese Perspektive einzunehmen ist erlernbar. Man muss ja nicht gleich nach Australien auswandern. Ich schaue mit den Klienten immer nach den Ressourcen, die Veränderungen ermöglichen. Auch Menschen, die ängstliche Eltern hatten, waren irgendwann einmal mutig und haben etwas Neues gelernt. Fahrradfahren zum Beispiel. Wenn ich mich an das tolle Gefühl erinnere, wie das war, als plötzlich keiner mehr hinten festgehalten hat und ich allein losgefahren bin, schüttet mein Körper sofort Glückshormone aus. Diese Erfahrung ist gespeichert. Und wenn es mir damals gelungen ist, Fahrradfahren zu lernen, was kein einfacher Lernprozess ist, warum soll mir das Neue jetzt nicht auch gelingen?
Sie haben ein sehr erfolgreiches Buch zu Trennungskompetenz veröffentlicht. Wie hängen Trennungs- und Veränderungskompetenz zusammen?
Sie sind wie Schwestern. Zu jeder Veränderung gehören auch Trennungen und Abschiede. Vielleicht muss ich mich von meinem ungünstigen Muster verabschieden, mir meine Wünsche so lange kleinzureden, bis nichts mehr davon übrig ist. Oder von meiner Gewohnheit, so lange die Vor- und Nachteile einer Sache abzuwägen, bis ich völlig erschöpft aufgebe und gar nichts mehr tun kann. Oder von meiner Überzeugung, alles allein schaffen zu müssen.
Unterstützend ist dabei natürlich, wenn ich aus meinem Umfeld positive Rückmeldungen für meine Anstrengungen bekomme und nicht von Miesmachern und Neidhammeln umgeben bin. Zur Veränderungskompetenz gehört auch, zu prüfen: Wer schadet mir bei meinem Vorhaben? Und wer unterstützt mich? Bei einem Miesmacher braucht man Trennungskompetenz – zumindest vorübergehend.
Könnte es sein, dass die Miesmacher die eigenen Bedenken und Zweifel spiegeln und deshalb auftauchen, wenn es ernst wird?
Ganz sicher werden sie durch Zweifel auf den Plan gerufen. Doch wenn ich meine inneren Bedenkenträger kenne und mich mit ihnen auseinandersetze, muss ich diesen Ich-Anteil nicht nach außen projizieren. Vielleicht kann ich sie mit dem Neugierigen, Abenteuerlustigen ins Gespräch bringen oder einen Pakt mit ihnen schließen, dass sie jetzt mal Ferien machen, während ich meine anderen Anteile aufbaue und stärke, mir neue Verbündete suche und mir einen Termin setze, bis wann ich mein Veränderungsvorhaben umgesetzt haben will.
Leider haben alte Muster in Zeiten von Druck- oder Konfliktsituationen einen Heimvorteil. Ihre Netzwerke springen schnell an, wenn es eng wird und es ums Überleben geht. Aber auch in alten, inzwischen ungünstig gewordenen Mustern stecken Ressourcen. Vielleicht war es lange eine Überlebensstrategie, andere um Rat zu fragen. Man muss diese Strategie nicht komplett über Bord werfen. Aber ich kann wählen, wen ich zukünftig um Rat frage und wen besser nicht.
Sie konzentrieren sich in Ihrem neuen Buch auf selbst gewählte Veränderungen. Wie ist es mit aufgezwungenen Veränderungen? Wenn die Abteilung geschlossen wird, die Firma umzieht oder der Partner sich trennt?
Auch dann greift das Vierschrittemodell. Wenn mir eine Veränderung aufgedrängt wird, gilt es, sich als Erstes damit zu identifizieren, dass es jetzt anders ist als vorher, ich jemand anderes geworden bin. Es genügt nicht, die Situation anzuerkennen, es geht noch einen Schritt weiter. Wenn mein Partner mich verlassen hat, bin ich jemand, der wieder allein ist. Es ist völlig normal, Liebeskummer zu haben und ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr zu trauern.
Es ist jedoch ein großer Unterschied, ob ich mich als Verlassene betrachte oder ob ich sage: „Ich bin wieder Single.“ Wenn ich mich damit identifizieren kann, dass ich wieder allein bin, heißt das, ich bin wieder auf dem Weg und suche mir vielleicht einen neuen Partner. Nur mit einer klaren Identifikation mit mir in meiner neuen Situation und mit einer Zukunftsvision werde ich die Kraft und Ausstrahlung für Neues finden.
Woran können Veränderungsprozesse scheitern?
In allen Phasen des Veränderungsprozesses gibt es Hindernisse und Stolpersteine. Je nachdem, was ich für ein Mensch bin, prüfe und zögere ich vielleicht zu lange, frage möglicherweise die falschen Ratgeber oder komme gar nicht erst in die Gänge. Oder ich halte die Ungewissheit nicht aus und überspringe die Phase zwei des Prüfens und Planens und scheitere an meiner Geschwindigkeit. Oder ich lasse mir nach erfolgreichem Planen und Handeln zu wenig Zeit, mich auf das Neue einzulassen, und kehre verschreckt zum Altbewährten zurück. Manchmal rede ich mir alles schlecht, weil ein winziges Detail nicht ganz so geklappt hat, wie ich mir das vorgestellt habe.
Ich sage nicht, dass Verändern immer leicht ist, aber es kann gelingen. Und wenn ich mich entscheiden sollte, doch beim Alten zu bleiben, ist auch das völlig in Ordnung. Niemand kann mir die wunderbare Zeit nehmen, die ich damit verbracht habe, mir auszumalen, wie es anders sein könnte.
Johanna Müller-Ebert ist Diplompsychologin und Psychotherapeutin in freier Praxis in Düsseldorf sowie Coach und Dozentin zu Themen der klinischen Psychologie. 15 Jahre leitete sie ein Weiterbildungsinstitut für Gestalttherapie. Nach ihrem erfolgreichen Buch Trennungskompetenz in allen Lebenslagen. Vom Loslassen, Aufhören und neu Anfangen (Kösel, München 2014, 5. Auflage) ist nun ihr neues Buch erschienen: Wie Neues gelingt. Die vier Schritte zur Veränderungskompetenz (Kösel, München 2014).