Die Metaphern unseres Lebens

Jeder Mensch hat eine Metapher für sein Leben. Psychologen haben die Entstehung dieser Leitbilder und ihre Bedeutung für die Lebensführung erforscht.

Ein Rettungsring im Wasser als Rettung vor dem Ertrinken
Der Rettungsring in stürmischer See, das Licht am Ende des Tunnels. Menschen benutzen häufig Metaphern, um ihr Leben zu beschreiben. © John M Lund Photography Inc/Getty Images

Antworten Sie, ohne zu zögern: Gleicht Ihr Leben einem Krieg oder einer Lotterie? Oder ist es eher ein Schachspiel, bei dem Sie den nächsten Zug gut überlegen müssen? Ähnelt es einer langen Reise oder einer nie endenden Schule? Ist es ein allmählich vollendetes Puzzle oder ein ewiges Mysterium? Oder gleicht es einem Tanz, einer Party oder einem langen Tag am Strand?

Das sind nur einige der gängigsten Metaphern, auf die Menschen in allen Kulturen immer wieder zurückgreifen. Genauso beliebt sind solche…

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Metaphern, auf die Menschen in allen Kulturen immer wieder zurückgreifen. Genauso beliebt sind solche bildhaften Vergleiche auch für die menschliche Seele oder die Persönlichkeit: Manchmal sehen wir uns als fehleranfällige Computer oder als blühende, reifende und vergehende Pflanzen oder sich auftürmende Bauten. Und wir finden auch immer wieder neue Bilder für die Liebe: Für einige ähnelt sie einem harmonischen Duett, andere sehen darin ein Joint Venture, ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel oder gar eine stürmische Seefahrt.

Psychologen halten es für erwiesen, dass die Wahl einer Metapher unsere Entscheidungen und Handlungen im Leben beeinflusst. Folglich gibt es auch schon eine Therapieform, die sich vor allem auf die zentralen und prägenden Metaphern unseres Lebens konzentriert, um so Veränderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen und Partnerschaften bewirken zu können. Die Faszination, die von diesem neu aufkommenden Wissensgebiet ausgeht, ist offenbar groß.

Die Metaphern der großen Psychologen

Jeder wichtigen psychologischen Theorie scheint eine zentrale Metapher zugrunde zu liegen. Zu Freuds Zeiten war die Dampfmaschine die prägende Technologie, damals so omnipräsent, wie es heute Computer für uns sind. Es ist deshalb kaum überraschend, dass Freud sie als zentrale Metapher für das nahm, was er den „Apparat“ des menschlichen Denkens nannte: den Ort, wo „psychische Energie“ in ein quasi-hydraulisches, „psychodynamisches“ System fließt.

Auch bei seiner Dreiheit von Es, Ich und Über-Ich bedient Freud sich einer Metapher: das menschliche Ich als Reiter auf dem schwer zu zügelnden, immer wieder ausbrechenden Wildpferd namens Es. In seiner Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse kam Freud 1932 sogar zu dem Schluss, dass „der Reiter sein Pferd nur allzu oft dahin lenken muss, wo es von selbst schon hin möchte“.

William James, der Begründer der amerikanischen Psychologie, verglich unser Alltagsbewusstsein mit einer Person in einem Boot, das in dichtem Nebel dahintreibt. Nur wenn der Nebel sich plötzlich kurz lichtet, erhaschen wir flüchtige Momente der Realität. Und auch wenn John B. Watson und B. . Skinner das neugeborene Baby nie explizit als „unbeschriebenes Blatt“ bezeichnet haben, wie ihnen oft nachgesagt wird, wurde der behavioristische Ansatz doch stets mit dieser Metapher in Verbindung gebracht.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg in Amerika der Siegeszug der Humanistischen Psychologie begann, erdachten sich ihre Mitbegründer Abraham Maslow und Carl Rogers ganz bewusst neue Bilder. Um den angeborenen Drang nach menschlicher Selbstentfaltung zu verbildlichen, verglich uns Rogers mit blühenden Pflanzen, die nach den psychologischen Äquivalenten von Luft, Sonne und Erde verlangen, und Maslow zeichnete das Bild mächtiger Bäume, die aus einem winzigen Samen entspringen. Neuerdings erlebt diese Pflanzenmetaphorik eine neue Blüte – in der Theorie des Flourishing (Aufblühens), die in der Positiven Psychologie das optimale Verhältnis von positiven zu negativen Emotionen bei einer Person beschreibt.

Parallel zum rasanten technischen Fortschritt bedienten sich immer mehr Psychologen der Computermetapher: Der Mensch wurde nun als eine komplexe Informationsverarbeitungsmaschine betrachtet, als ein Cybersystem – und das Ich ist nichts weiter als eine große Illusion. Man denke an den philosophischen Begründer der künstlichen Intelligenz, Marvin Minsky, der 1986 in seinem Buch Mentopolis die Ansicht vertrat, dass der menschliche Geist nichts anderes sei als eine „Gesellschaft“ von zahl- und seelenlosen mikrochipartigen Komponenten. Damit waren wir im Grunde wieder bei der Maschinenmetapher eines La Mettrie gelandet, der zu Beginn der Aufklärung vom homme machine schrieb.

Die Metaphern für den Menschen und seine Persönlichkeit werden maßgeblich vom Zeitgeist und der vorherrschenden Technologie einer Epoche beeinflusst. Aber es gibt offenbar ein universales und zeitübergreifendes Bedürfnis danach, auch eine ganz persönliche Metapher für die eigene Existenz zu finden. Alfred Adler hat vor einem Jahrhundert festgestellt, dass jeder Mensch seine eigene Metapher für sein Leben entwickelt. Aus Adlers Sicht entsteht dieser „Lebensentwurf“ in unserer Kindheit und ist im Alter von sechs Jahren bereits ausgereift. Wir erfassen damit unsere eigene Art und Weise, durchs Leben zu navigieren und mit seinen Herausforderungen und Unwägbarkeiten fertigzuwerden. Eine Metapher soll so etwas wie die Selbstsuggestion von Sicherheit und Regelmäßigkeit bewirken. Aber wie und wo entsteht diese zentrale Lebensmetapher?

Für Adler und seine Schüler entstammt sie unserer angeborenen physischen und mentalen Disposition – und aus der konkreten Erfahrung mit unseren Familienmitgliedern und anderen wichtigen Menschen. So erscheint es folgerichtig, dass ein Kind mit einem gewalttätig-strengen Vater und einer passiven Mutter das Leben als Kampf versteht –und selbst Schikane als legitimes Mittel für die Bewahrung der eigenen Selbstsicherheit einsetzt. Ein extravertiertes Mädchen mit wohlhabenden, verwöhnenden Eltern wird das Leben vielleicht als immerwährende Party auffassen –und ihr fröhlich-offenes Gemüt sorgt dafür, dass es auch so bleibt.

Adler behauptete, dass unser Lebensplan normalerweise unbewusst entworfen wird und uns nur dann ins Bewusstsein rückt, wenn er auf Probleme und Herausforderungen durch die Realität stößt. Sein Sohn, der Psychiater Kurt Adler, erklärte mir: „Das Ziel einer Therapie ist, dem Klienten zu zeigen, wann und warum sein persönlicher Lebensentwurf begann. Erst dann kann man versuchen, diesen Entwurf zu verändern, um besser zu leben.“

Abgesehen von den Adlerianern erhielt die Idee eines „Lebensentwurfes“ und seiner Leitmetapher lange Zeit wenig Aufmerksamkeit in Psychologie und Psychotherapie. Das änderte sich 1980 schlagartig mit dem Buch Leben in Metaphern. Darin erklärten die beiden amerikanischen Autoren George Lakoff und Mark Johnson: „Metaphern sind keine bloß poetischen oder rhetorischen Ornamente. Sie beeinflussen, wie wir wahrnehmen, denken und handeln. Die Realität selbst kann mit einer Metapher beschrieben werden.“

Lakoff und Johnson lieferten keine empirischen Daten, die ihre Sichtweise stützen. Sie beriefen sich stattdessen auf populäre metaphorische Redeweisen, wie etwa „Zeit ist Geld“. Dennoch beeinflusste ihr Buch Forscher in so unterschiedlichen Fachgebieten wie Organisationstheorie, Management und Psychotherapie. So auch die Psychologin Catherine Sullivan Norton von der University of Southern Illinois. Sie hat Tiefeninterviews mit über 50 Männern und Frauen aus verschiedenen Berufszweigen, Altersgruppen und Schichten durchgeführt, in denen sie herausfinden wollte, ob die Problembewältigungsstrategien (coping strategies) der Befragten etwas mit den jeweiligen Metaphern zu tun hatten. In ihrem Buch Life Metaphors berichtete sie die Ergebnisse, die ihre Ausgangshypothese bestätigten. Dabei konnte sie vier „Grundorientierungen“ ausmachen: Enthusiasten (optimistisch und mit Handlungsdrang), Beobachter (optimistisch, aber passiv), Antagonisten (pessimistisch, aber mit Handlungsdrang) und Fatalisten (pessimistisch und passiv). Für jede dieser Ausrichtungen gab es mehrere typische Metaphern. Außerdem fand Norton heraus, dass weder Geschlecht noch Bildung einen Einfluss auf die jeweilige Lebensmetapher haben.

Die zentrale Lebensmetapher eines Menschen erwies sich als erstaunlich stabil: Norton stellte fest, dass „Menschen in der Regel mit derselben Ausrichtung durch das Leben gehen. Wie man Werte auch nur schwer ändert, so auch diese Orientierung. Eine Veränderung in der Lebensmetapher geht meist nur mit einem tiefen, grundlegenden Einschnitt im ganzen Leben einher.“ Sie bestätigte damit auch Adlers These.

Aber reichen solche ziemlich schmalen empirischen Beweisführungen aus? Forscher aus Luxemburg und Würzburg haben in neueren Studien belegt, dass 60-jährige und ältere Deutsche eine größere Zufriedenheit mit ihrem Leben aufweisen als ihre jüngeren Landsleute. Ein Hauptgrund dafür sei: Sie grübeln weniger. Und vieles spricht dafür, dass mit fortschreitendem Alter die bis dahin dominierenden Lebensmetaphern allmählich „aufweichen“: Das Leben ist keine Baustelle mehr, kein Kampf, kein Hindernislauf. Es wird zum ruhigen Fluss, zum sonnigen Spätnachmittag, zur Bootsfahrt entlang eines schönen Ufers. Ein 65-Jähriger fasste es so zusammen: „Meine Metaphern haben sich verschoben, früher war Leben ein Kampf, nun denke ich an ein Erntedankfest oder einen langen Kuss.“

Einige Jahre, nachdem die Lebensmetaphern positiv aufgenommen worden waren, erschien ein weiteres einflussreiches Buch zu diesem Thema: Richard Kopps Metapherntheorie (1995) machte den speziellen Gebrauch von Metaphern zur Behandlung von Individuen und Paaren salonfähig. In dieser Herangehensweise fokussiert sich der Therapeut ganz auf die Wurzel- oder Grundmetapher, mit der Menschen ihr persönliches Leben und ihre Beziehungen beschreiben. Wenn ein Patient davon berichtet, dass er sich fühle, als sei er gegen eine Wand gelaufen, fragt der Therapeut: „Woraus besteht diese Wand, wie hoch ist sie, und wer hat sie gebaut?“ Adlerianische Therapeuten fragen nach der frühen Kindheit einer Person, um die Urmetapher verstehen und verändern zu können. Bei Paaren ist das Ziel einer metaphernorientierten Therapie, den Partnern dabei zu helfen, eine positive Metapher für ihre Liebesbeziehung zu finden. Dabei zeigte sich, dass es für beide Partner sehr viel hilfreicher ist, Liebesbeziehungen als Tanz oder Duett zu verstehen statt als Schachspiel oder Guerillakrieg.

Selbst die globale Wirtschaft hat die Wichtigkeit von Metaphern registriert. Es erscheint oft so, dass Wirtschaftsbosse und Unternehmensberater dieses Thema gerne als Spinnerei von Psychologen oder Philosophen abtun, aber das Gegenteil ist der Fall. Tatsächlich preist eine Vielzahl von Ökonomen den Wert von solchen Bildern zur Steigerung der Produktivität. Wissenschaftler aus Irland haben die Rollen solcher „strategischen“ Metaphern beim Schmieden internationaler Beziehungen beleuchtet. Wie sie in der Studie Managing Global Transitions (2007) schrieben, spielen Metaphern nicht nur in einem effektiven organisatorischen Umbruch eine entscheidende Rolle, sondern vor allem für die „Kommunikation neuer Ideen, Visionen und die Motivation zu Innovation und Produktentwicklung“.

Metaphern für alle Lebensphasen

Wissenschaftler auf dem schnell wachsenden Gebiet der Gerontologie richten ihren Schwerpunkt heutzutage ebenfalls stark auf Metaphern. Kanadische Forscher haben erst kürzlich die verschiedenen Typen von Metaphern bei älteren Menschen untersucht, die wegen chronischer Erkrankungen auf Medikamente angewiesen sind. Ein wichtiger Bereich, denn eine Medikation kann für Ältere über Leben und Tod entscheiden. Im Nachdenken darüber ließen sich vier Hauptmetaphern ausmachen, welche die Gefühle von Einschränkung, neuer Hoffnung, Abhängigkeit von externen Autoritäten und der Angst vor dem medizinischen Personal zum Ausdruck brachten. Um die Sichtweise von älteren Patienten auf ihre Medikationen zu verstehen, waren die Ergebnisse extrem hilfreich.

Forscher aus Kalifornien haben sich in jüngerer Zeit mit den Metaphern von Todkranken auseinandergesetzt, die von transzendenten Erfahrungen berichteten. Auch wenn sich die einzelnen spirituellen Erlebnisberichte sehr voneinander unterschieden, so wiesen die in den Interviews auftauchenden Metaphern doch stets vier Merkmale auf: Unbeschreiblichkeit, Wahrnehmungsveränderungen und vor allem: innerer Frieden und Zufriedenheit. Aus Sicht der Forschungsgruppe kann Sensibilität für transzendente Metaphern Hospizarbeitern eine bessere Kommunikation mit den Patienten ermöglichen.

Aber auch am anderen Ende der Altersskala beschäftigen sich Wissenschaftler mittlerweile mit Metaphern, zum Beispiel mit denen, die Kinder während einer Spieltherapie äußern. Marylin Snow von der Universität Mississippi, Vorsitzende der International Association for Play Therapy, schrieb kürzlich in einer Studie über kindliche Metaphern, dass „Kinder durch metaphorische Kommunikation ihre Sorgen und Wünsche zum Ausdruck bringen, aber auch Lösungen für Probleme anbieten“. Ihr Forschungsbericht enthält mehrere Fallstudien, in denen kindliche Metaphern während der Therapie dazu beitrugen, tiefsitzende Ängste und unartikulierte Traumata freizulegen, von Missbrauch bis zur Scheidung der Eltern.

Entstehen heute noch neue Metaphern? Die Antwort ist ein definitives Ja! Als zwischen 1999 und 2003 die Matrix-Filmtrilogie erschien, lobten viele Zuschauer die Filme als kraftvolle Metapher für unsere hochtechnisierte Zivilisation – in der Maschinen zunehmend unser tägliches Leben dominieren. Die Matrix steht auch für die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Der amerikanische Blogger Martin Lass schrieb: „Die Matrix-Reihe ist mehr als nur Science-Fiction und Martial Arts. Sie ist eine moderne Metapher – und vielleicht auch ganz bewusst so ausgesucht – für den gegenwärtigen Zustand des Individuums und des kollektiven Unterbewussten.“ Andere Analytiker haben im Internet eine neue Metapher für das heutige Leben erkannt, allen voran die des ewigen Touristen: Demnach sind wir nun alle Reisende, die sich, ob sprunghaft oder gemächlich, durch Internetseiten, Foren und Chats bewegen–ohne dabei je ein reelles Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit zu entwickeln.


Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2014: Geheimnisse