Frau ohne Begleitung

Die Journalistin und Essayistin Katja Kullmann beleuchtet ihr Single-Dasein im Gesamtkontext der sich emanzipierenden Frau in Politik und Geschichte.

Das Alleinstehen ist ihr unterlaufen, sie war Mitte vierzig, als sie es begriff. Nachdem sie 18 Jahre durchgängig jemandes Partnerin war, die wusste, wie sich ein gemeinsames Klingelschild anfühlt, ist sie seit 14 Jahren „eine Frau ohne Begleitung“. Sie, das ist die Journalistin und Essayistin Katja Kullmann, die in ihrem Buch Die singuläre Frau ihr Alleinleben erkundet. Ehrlich, witzig, frech, glücklich, traurig, selbstironisch, mutig, klug. Es ist diese bunte Mischung, die das Buch so lesenswert macht.

Kullmann lässt den Text hin- und herschwingen vom Privaten zum Politischen und wieder zurück. Nicht nur ihre persönlichen Erfahrungen, die sie mit bewundernswerter Offenheit preisgibt, sind spannend zu lesen, auch ihre geschichtlichen, gut recherchierten Rück- und Überblicke zur Stellung der Frau. Sie spannt den Bogen von der Französischen Revolution bis zur Pille, vom Kampf der Frauen für ihre Rechte bis zu Tinder und Parship.

Aufschlussreich ist die Auseinander­setzung um die passende Bezeichnung. Ob Single oder alleinstehende Frau, ob Mauerblümchen oder Emanze, alle haben einen Unterton. Schließlich nennt sie sich „singuläre Frau“ und hält diesen Typus Frau für die „entscheidende Pio­nierin des 20. und vielversprechende Protagonistin des 21. Jahrhunderts“.

Unter anderem deshalb, weil sie ihre „Zuneigungskapazitäten“ nicht „privatisiert“, sondern „sozialisiert“, indem sie nicht den einen Menschen über alle anderen stellt, sondern ihre Wärme und Zugewandtheit großzügig streut. Ungebundene Personen sind im Freundeskreis und in der Nachbarschaft aufmerksamer, sie übernehmen mehr Ehrenämter. Sie sind für das soziale Leben ein echter Gewinn.

Die gute Einsamkeit

Die große Entwicklungslinie, die das Buch zeichnet, bietet Stoff für ergiebige Diskussionen: Zunächst errangen Frauen ihre wirtschaftliche und politische Souveränität, nun erobern sie sich ihre emotionale. Sie machen sich von der Zuwendung der Männer unabhängig.

So war es bei der Autorin, als sie zu registrieren begann, dass sie „womöglich aufblühte“, wenn Lieben zu Ende waren. Zumindest die falschen Lieben, bei denen sie immer bestrebt war, „ihm und mir trotzdem ein gutes Gefühl zu geben“. Bemerkenswert auch die Studien, die sagen, dass die gesündeste und glücklichste Bevölkerungsgruppe Frauen sind, die nie geheiratet und keine Kinder haben. Vom Verheiratetsein profitieren primär die Männer, gesundheitlich und seelisch.

Und doch beschreibt Katja Kullmann auch jene Momente, in denen andere „Selbste“ die Oberhand gewinnen. Ihr Hausfrauen-Selbst: wenn sie alles schön gemacht hat in der Wohnung und dann ist da keiner, der es sieht. Ihr Mutter-Selbst: wenn sie gekocht hat und sich ein Kind vorstellt, das am Esstisch plappert. Ihr Liebhaberinnen-Selbst: wenn ihr Blick in den Flurspiegel einen kurzen Moment des Glänzens sieht, jetzt müsste sie jemand küssen. Gefühlssekunden, etwas zu verpassen. Doch die gute Einsamkeit überwiegt die schlechte. Man spürt es, man liest es und man glaubt es ihr.

Katja Kullmann: Die singuläre Frau Hanser Berlin, München 2022, 336 S., € 24,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2022: Nein sagen lernen
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