Wie wirkt Alkohol auf das Gehirn?
Alkohol wirkt auf viele verschiedene Botenstoffsysteme: Unter anderem wirkt er entspannend und angstlösend über die sogenannten GABA-Rezeptoren. Indirekt wird beim Alkoholkonsum Dopamin ausgeschüttet, das regt an und weckt eine Art Vorfreude. Wenn Sie mehr trinken, werden zusätzlich Glutamatrezeptoren geblockt, dadurch steigt die Dämpfung und Beruhigung. Aber auch Endorphine, Serotonin und Noradrenalin werden ausgeschüttet, wenn wir Alkohol trinken. Das sind alles Systeme,…
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Serotonin und Noradrenalin werden ausgeschüttet, wenn wir Alkohol trinken. Das sind alles Systeme, die eigentlich für die Nahrungsaufnahme, Sexualität und soziale Interaktion gemacht sind – nicht für Drogen.
Wo liegt denn dann der Unterschied zwischen Alkohol und gutem Essen?
Beides setzt Dopamin frei, aber Alkohol etwa doppelt so viel. Wenn wir dreimal unser Lieblingsgericht essen, gewöhnt sich unser Gehirn außerdem daran und schüttet schon beim zweiten Mal nicht mehr so viel Dopamin aus. Drogen, auch Alkohol, umgehen unsere sensorischen Organe, wirken direkt auf das Gehirn und können somit auch wesentlich häufiger die gleiche Wirkung auslösen. Das heißt, wenn Sie dreimal Alkohol trinken, setzen sie dreimal Dopamin frei.
Und wie entwickelt sich dann eine Abhängigkeit?
Wenn Sie regelmäßig trinken, entwickeln Sie Toleranz: Das Nervensystem passt sich an, indem es zum Beispiel die Anlaufstellen für Dopamin herunterreguliert. Dadurch können Sie wesentlich mehr Alkohol trinken. Die Kehrseite der Medaille: Es gibt ein Gleichgewicht auf neuer Stufe. Wenn Sie jetzt den Alkohol weglassen, wird das Gleichgewicht gestört und Sie entwickeln Entzugssymptome. Das Gleiche passiert allerdings auch bei Blutdruckmitteln, ist also nicht suchtspezifisch. Hinzu kommt, dass Sie durch die starke Dopaminausschüttung ein Verlangen nach der Substanz entwickeln und weniger Kontrolle über den Konsum haben.
Funktioniert das bei allen Menschen gleich?
Zunächst einmal ist eine Voraussetzung, dass Alkohol bei Ihnen überhaupt ein Gefühl der Belohnung auslöst und Sie dadurch motiviert, weiter zu trinken. Und dann ist es tatsächlich so, dass wir die biologischen Auswirkungen des Alkohols bei manchen Trinktypen – also zum Beispiel Gelegenheits- oder Konflikttrinkern – eher verstehen als bei anderen. Die Toleranzentwicklung und Entzugssymptome lassen sich zum Beispiel besser anhand von jemandem erklären, der regelmäßig trinkt. Interessanterweise haben Menschen, die regelmäßig trinken, auch ein geringeres Rückfallrisiko.
Und was passiert im Gehirn, wenn jemand rückfällig wird?
Oft beginnt ein Rückfall zögerlich. Das ist in der Regel nicht so, dass man eine Schnapspraline isst und – zack – wieder so viel trinkt wie vorher. Aber im Grunde passiert das Gleiche wie am Anfang der Suchtentwicklung, nur dass sich das Gehirn diesmal erinnert und Sie schneller wieder in den Ausgangszustand zurückkommen. Das ist wie bei einer Eisdecke, in die Sie schon einmal ein Loch geschlagen haben und das dann überfroren ist.
Wie wirkt sich der Alkoholkonsum langfristig auf das Gehirn aus?
Alkohol wirkt schädlich auf Nervenzellen, insbesondere den frontalen Cortex und das Kleinhirn. Dadurch ist zum Beispiel die Koordination oder auch das momentane Gedächtnis beeinträchtigt. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass das Gehirn schrumpft – wie bei einer vorzeitigen Alterung. Es erholt sich aber mit der Zeit wieder und gewinnt auch an Volumen.
Wollen Sie mehr zum Thema Alkoholabhängigkeit erfahren? Dann lesen Sie auch Die Geister aus der Flasche, eine Reportage von Helena Weise über das Entstehen einer Alkoholsucht, Therapiemöglichkeiten und wie es sich anfühlt, sich immer mehr an die Abhängigkeit zu verlieren.
Prof. Dr. Andreas Heinz ist Psychiater und tiefenpsychologischer Psychotherapeut. Er leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte in Berlin. Heinz vertritt eine personenzentrierte Ausrichtung und Öffnung der Psychiatrie.