Manchmal überwältigen sie uns mit Macht, dann wieder blubbern sie im Hintergrund wie Fahrstuhlmusik. Doch immerzu sind Gefühle irgendwie präsent, oft als ein obskures Gemisch mit wohltuenden und weniger angenehmen Beimengungen. „Wir sind nahezu konstant in einem Zustand von Emotionalität“, konstatiert Ethan Kross, einer der derzeit berühmtesten Emotionsforscher.
Auch bei unangenehmen Gefühlen hinhören
Emotionen, so Kross, sind unverzichtbare Informationsquellen, „geformt von Evolution und Erfahrung“. Sie haben uns etwas zu sagen. Deshalb, so betont er, sollten wir auch bei den unangenehmen Gefühlen wie Angst, Neid, Schwermut hinhören. Aber wir sollten uns nicht von ihnen vereinnahmen lassen, befindet er, vor allem wenn sie sich verselbständigen und wie etwa chronische Angst zum Dauerbegleiter werden. Unterdrücken sei da allerdings kein gutes Mittel. Zielführender sei, die Emotionen zu lenken, sie abzuschwächen, umzuleiten, umzuändern. Shift nennt Kross dieses Handwerk des Gefühlsverschiebens, und die benötigten Werkzeuge offeriert er in seinem gleichnamigen neuen Buch, das noch nicht in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Vogelgezwitscher, Schokolade und Sex zur Emotionsregulation
Die wohl älteste Technik der Emotionsregulation ist der Einsatz der Sinne. Bereits 4500 vor Christus soll im alten Ägypten die Weihrauchmischung Kyphi als Beruhigungsmittel verordnet worden sein. Vogelgezwitscher senkt den Blutdruck, Berührungen wirken nicht nur auf esoterische Weise Wunder, Schokolade und Sex sind als Stimmungsarznei wohlvertraut. Eine weitere, leicht zu nutzende Methode besteht darin, unsere Aufmerksamkeit zu dirigieren – gerade bei akutem Zorn kann Ablenkung angeraten sein.
Ein originelles Hilfsmittel im Umgang mit Grübeln und festgefahrenen Emotionen hat Ethan Kross mit seinem Team ausführlich erforscht und in seinem famosen Vorgängerbuch Chatter dargestellt: den Perspektivwechsel. Abstand vom inneren Aufruhr kann man etwa gewinnen, indem man den Schlamassel gedanklich aus Sicht einer Fliege an der Wand inspiziert. Oder indem man bei Selbstgesprächen schlicht das Pronomen „ich“ austauscht und sich mit „du“ anspricht oder von sich als „er“ oder „sie“ erzählt.
Kulturelle Rituale als emotionale Stütze
Und dann sind da die emotionalen Hilfen, die wir von außen einholen können, etwa durch eine Ortsveränderung, und sei es bloß der Rückzug in die eigenen vier Wände, wenn einem wieder mal alles zu viel wird. Eine Quelle von Unterstützung sind natürlich die Menschen um uns. Glücklich macht uns vor allem, wenn wir anderen helfen können, wie Studien belegt haben. Einer der wichtigsten emotionalen Stützen, so der Forscher, sind wir uns kaum bewusst, weil sie uns ständig umgibt: unsere Kultur mit ihren sinngebenden Werten, Zeremonien, Ritualen: eine Kerze anzünden, vor dem Einschlafen ein Gedicht lesen.
Ethan Kross ist ein begnadeter Erklärer und Erzähler. Stets durchmischt er Fakten mit Erlebnissen, Anekdoten und sparsamen Einsprengseln staubtrockenen Humors, so dass die Lektüre nie langweilig wird. Er hat die Gabe, selbst Forschungsstudien so narrativ vorzutragen, als seien es Kurzgeschichten. Es ist ein Vergnügen und Erkenntniserlebnis, dieses Buch zu lesen. Dennoch hat mich bei der Lektüre ein subtiles Störgefühl begleitet.
Daueroptimismus und das Streben nach Happy End
Das hängt wohl einerseits mit Kross’ offensiv ausgestelltem Daueroptimismus zusammen. Permanent begegnen wir Heldinnen und Helden des Alltags, vom zielfokussierten Navy Seal bis zur standhaften trockenen Alkoholikerin. Zwar spart der Autor schweres Leid keineswegs aus. So erzählt er gleich eingangs die Geschichte seiner jüdischen Großmutter, die mit Not den Nazimördern entkam und sich monatelang hungernd und frierend in den polnischen Wäldern versteckte. Doch jedes dieser Falldramen strebt nach Überwindung aller Hindernisse seinem Happy End zu.
Der zweite Störfaktor betrifft den instrumentellen Umgang mit der eigenen Psyche. Negative Emotionen haben bei Kross zwar durchaus ihre Berechtigung, sie sollen wahrgenommen, dann aber gestaltet werden. Natürlich ist Selbstwirksamkeit etwa im Umgang mit schwerer Angst erstrebenswert. Aber muss man es zum Prinzip erheben, an Gefühlen nach Gusto herumzuschrauben? Bezeichnend ist die Metapher, die Kross für sein Idealbild findet: das Instrumentarium unserer Emotionen spielen wie ein begnadeter Musiker seine Stradivari.
Tatsächlich berichtet Kross, er habe für jede Stimmung, in die er sich versetzen möchte, auf dem Handy die passende Musik-Playlist parat. Ich kann mir nicht helfen: Ist eine solche Was-ich-fühle-entscheide-ich-Haltung gegenüber dem Geschenk unseres Innenlebens nicht ziemlich anmaßend?
Ethan Kross: Shift. Managing Your Emotions – So They Don’t Manage You. Crown 2025, 288 S., etwa € 30,–