Ein Spiegel auf vier Beinen

Wie funktioniert ein pferdegestütztes Coaching? Wir haben eine Teilnehmerin und eine Coachin gefragt. Plus: die Fakten aus der Wissenschaft

Die Illustration zeigt eine Frau die vor einem Pferd geht und es dabei anschaut
Das Pferd hat mir im Coaching wortlos gezeigt: „Meine Grenzen zu setzen ist meine Verantwortung.“ © Fien Jorissen für Psychologie Heute

Das sagt die Teilnehmerin: Als Kind war ich das, was man ein „Pferdemädchen“ nennt – oder vielmehr: Ich wäre es gern gewesen. Im Sommerurlaub in Österreich durfte ich einmal eine Zehnerkarte für Reitstunden einlösen. Allein dass ich diese eleganten Tiere striegeln und streicheln durfte, war für mich das Größte. Zu Hause kam es nie dazu, wirklich reiten zu lernen.

Als ich Jahre später zum ersten Mal von pferdegestütztem Coaching hörte, war ich skeptisch und neugierig zugleich. Skeptisch, weil der Begriff…

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Mal von pferdegestütztem Coaching hörte, war ich skeptisch und neugierig zugleich. Skeptisch, weil der Begriff „Coach“ ziemlich inflationär verwendet wird und nicht immer für Seriosität steht. Neugierig, weil mein zehnjähriges Ich aufhorchte: Wollen wir das ausprobieren? Mein erwachsenes Ich fragte sich sofort: Kann ich mich überhaupt noch im Sattel halten? Doch – Spoiler – im pferdegestützten Coaching sitzt man gar nicht auf dem Pferd.

Im Vorgespräch erklärt mir meine Coachin Verena, dass Pferde als Spiegel wirken: Sie reagieren unmittelbar auf Körpersprache, Haltung und Klarheit im Ausdruck. Man könne sich vor ihnen nicht verstellen. Erkenntnisse, die im klassischen Coaching mehrere Sitzungen brauchen, könnten mit ihrer Hilfe oft viel schneller kommen.

In unserer Rubrik Ist das was für mich? stellen wir jeden Monat ein Angebot aus den Bereichen Therapie, Coaching oder Beratung vor. Und Sie können entscheiden, ob das etwas für Sie ist. Dieses Mal: das pferdegestützte Coaching.

Auf dem Weg zur Reitanlage sind viele Fragen in meinem Kopf – und auch ein bisschen Angst. Welches Thema bringe ich mit? Bin ich bereit, derart durchschaut zu werden, von einem Pferd?

Im Stall wartet ein Schimmel namens Romero. Verena drückt mir zur Begrüßung eine Bürste in die Hand und gibt mir Anweisungen, wie ich helfen kann, das Pferd vorzubereiten. Ich nähere mich erst zögerlich, doch die körperliche Arbeit lässt mich meine Gedanken vergessen. Danach soll ich Romero zur Reithalle führen. Diese ist groß, etwas düster und ziemlich kalt an diesem verregneten Samstag.

„War das jetzt dein Nein?“

Drinnen nehme ich Romero das Halfter ab, er darf sich frei bewegen – bleibt aber direkt bei mir stehen, um an meiner Jacke zu knabbern. „Du darfst ihm ruhig zeigen, dass er das nicht machen soll“, sagt Verena. Ich gehe einen Schritt zur Seite. Er folgt mir. „War das jetzt dein Nein?“, fragt die Coachin. Und da ist es, mein Thema: Grenzen setzen. Ich erzähle Verena von Situationen im Job, in denen es mir zu viel wurde, ich mich aber nicht getraut habe, mich abzugrenzen. Während ich rede, fragt sie immer wieder, wie das Pferd gerade auf mich wirkt. Ich versuche, sein Verhalten zu deuten, und merke, wie es meine Gefühle spiegelt.

Später absolvieren wir eine Übung, bei der ich Romero immer wieder zum Stoppen, Traben oder Richtungswechsel bringen soll. Anfangs bin ich unbeholfen, dann lerne ich langsam, seine Signale zu verstehen und deutlich zu reagieren. Mitten im Coaching kommt eine Frau herein und fragt, ob sie etwas holen darf. Ich denke: Sieht sie nicht, dass sie stört? Ich sage: nichts – und lächle. Kurz darauf wiederholt sich die Szene mit einer anderen Frau. Diesmal lächle ich nicht mehr, sage aber wieder nichts. Mein Pferd hole ich eher unbewusst zu mir heran. Da stehen wir nun: Romero, der mit den Hufen scharrt, und ich, die innerlich vor Wut kocht.

Grenzen setzten = unhöflich?

„Wie war das gerade für dich?“, fragt Verena. „Nervig!“ „Und was hast du in dem Moment gedacht?“ Ich bin ehrlich: „Wie unprofessionell ! Warum sagt Verena nichts?“ „Die Person hat dich gefragt. Warum hast du nichts gesagt?“ Ich wollte nicht unhöflich sein.

Im Nachgespräch erzählt mir Verena, dass sie bewusst nichts gesagt hat. Es gab einen Fehler in der Belegungsliste. Reiner Zufall, aber die perfekte Projektionsfläche für mein Thema. Romero hat mir mit seinem Verhalten bewusstgemacht, wie ich in solchen Momenten nach außen wirke. Und mir wortlos gezeigt: Meine Grenzen zu setzen ist meine Verantwortung.

Das sagt die Anbieterin: Was viele überrascht: Beim pferdegestützten Coaching wird nicht geritten. Wir bleiben mit beiden Füßen auf dem Boden. Es geht weder um Reittherapie noch um das Erlebnis mit dem Tier. Durch Beobachtung, Übungen und Interaktion mit dem Pferd sowie eine angeleitete Selbstreflexion versuchen wir, neue Erkenntnisse zur jeweiligen Fragestellung und Ableitungen für den Alltag zu erarbeiten.

Große Entscheidungen oder Kommunikationsprobleme

Im privaten Bereich geht es häufig um Entscheidungssituationen: etwa eine Trennung, einen möglichen Umzug, Konflikte in der Familie. Im beruflichen Kontext begleite ich sowohl Führungskräfte als auch Teams mit Kommunikationsproblemen, mit zwischenmenschlichen Konflikten oder fehlender Klarheit in der Rollenaufteilung.

Bevor der Kopf die Führung übernimmt, steigen wir im pferdegestützten Coaching direkt in die Praxis ein und kommen ins Tun. Die erste Aufgabe, bei der vor allem Teams oft schon Probleme haben, ist die Frage: „Welches Pferd wollt ihr nehmen?“ Die Wahl ist nicht entscheidend, aber der Weg dorthin sagt schon viel aus. Wer übernimmt Verantwortung? Wie schnell oder zögerlich läuft der Prozess ab? Hier zeigen sich Muster, die sich auch im Arbeitskontext wiederfinden.

Alte Muster auflösen, neue Blickwinkel bekommen

In der Regel folgt auf jede Übung mit dem Pferd eine Reflexion. Grundprinzip hinter allem ist, alte Muster aufzulösen und zu versuchen, einen neuen Blickwinkel zu bekommen. Meine Rolle als Coachin ist nicht, Lösungen vorzugeben. Vielmehr verstehe ich mich als Impulsgeberin und möchte meine Coachees ermutigen, eigene Lösungen zu finden.

Wichtig ist mir, klar abzugrenzen, dass Coaching ein Wegweiser sein kann, aber keine Therapie ersetzt. Wenn ich den Eindruck habe, dass tieferliegende seelische Themen im Raum stehen, spreche ich das offen an und empfehle den Kontakt zu spezialisierten Stellen.

Die Pferde brauchen für das pferdegestützte Coaching im Übrigen keine spezielle Ausbildung. Sie müssen lediglich gesund sein. Bei der Arbeit hat das Pferd immer die Wahl mitzumachen oder eben nicht. Die meiste Zeit läuft es frei in der Halle. Wenn ich merke, dass ein Tier sich lieber zurückzieht oder ständig in der Nähe des Ausgangs bleibt, nehme ich es aus der Session. Vielleicht hat es einen schlechten Tag – und das respektiere ich.

Das sind die Fakten

Was ist das für ein Angebot?

Pferdegestütztes Coaching ist eine besondere Form der tiergestützten Intervention. Es gibt diverse Angebote für verschiedene Zielgruppen, etwa Erwachsene, Kinder, Teams. Meist interagiert man dabei durch „Bodenübungen“ mit einem Pferd und versucht, die Erkenntnisse mithilfe einer geleiteten Selbstreflexion in den Alltag zu übertragen. Das Angebot ist kein therapeutisches. Gesetzliche Vorgaben zu Ausbildung und Vorgehen gibt es nicht. Vorkenntnisse im Umgang mit Pferden brauchen Teilnehmende meist nicht.

Was kostet die Teilnahme?

Je nach Umfang und Anbieter variieren die Kosten stark. Dass es keine einheitliche Ausbildung gibt, erschwert Auswahl und Überblick – der Berufsverband pferdegestützter Coaches e.V. nennt als wichtige Ziele die „Qualitätssicherung in der Branche“ inklusive verbindlicher Standards. Das geschilderte Einzelcoaching kostet je nach Thema ab 180 Euro, es umfasst ein Vorgespräch, eine Stunde Coaching mit Pferd und verschiedenen Übungen sowie eine Nachbesprechung. Die Kosten müssen selbst getragen werden.

Was sagt die Wissenschaft?

Dass der Umgang mit Tieren Menschen guttut, ist belegt. Bislang gibt es aber nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen speziell zur Wirkung von pferdegestütztem Coaching. Eine Studie an der Uni Heidelberg ergab, dass sich Teilnehmende durch das Coaching ihrer Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmus­ter bewusst wurden und begannen, diese zu ändern. Eine weitere Untersuchung ergab, dass die Coachees sich im Vergleich zur Kontrollgruppe in puncto Selbstbewertung und Selbstwirksamkeitserwartung positiv veränderten.

Quellen

Birgit Heintz: Empathie auf vier Hufen – Einblicke in Erleben und Wirkung pferdegestützter Psychotherapie. Vandenhoeck & Ruprecht 2021

Johanna Friesenhahn: Kommunikation als Basis wirkungsvollen Führungskräfte-Coachings. Von der Dyade zur Triade im Setting mit Pferden. Springer 2017

Kathrin Schütz: Pferdegestütztes Coaching - psychologisch basiert und wissenschaftlich fundiert. Springer 2022

Dr. Rainer Wohlfarth & Bettina Mutschler: Die Heilkraft der Tiere. Wie der Kontakt mit Tieren gesund macht. btb 2020

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2025: Die geheimen Muster meiner Familie