Wie klappt die Berufswahl?

Aljoscha Neubauer, Professor für Psychologie und Experte für Begabungen, erklärt im Interview, worauf wir bei der Berufswahl achten sollten.

Herr Professor Neubauer, bei der Berufswahl sollte man seinen Interessen folgen. Denn das, wofür sich ein Mensch interessiert, kann er in der Regel auch besonders gut. Richtig?

Erstaunlicherweise ist das leider nicht der Fall. Die statistischen Zusammenhänge zwischen Begabungen und Fähigkeiten auf der einen Seite und Interessen auf der anderen sind überwiegend niedrig. Zum Teil gibt es überhaupt keine Zusammenhänge, wo man sie eigentlich erwarten würde. Das hat damit zu tun, dass Menschen eher schlecht darin sind, ihre eigenen Begabungen zu erkennen. Manche Begabungen liegen sogar im sogenannten blinden Fleck. Das bedeutet: Ich selbst erkenne schlechter, was ich gut kann, als andere. Das betrifft vor allem auch Begabungen, die für die Berufswahl besonders wichtig sein können, zum Beispiel sprachliche und visuell-räumliche Talente. Bei diesen bestehen kaum Zusammenhänge zwischen der Selbsteinschätzung und mittels objektiver Tests gemessener Fähigkeiten.

Was ist wichtiger: Eignung oder Neigung?

In den vergangenen Jahren sind eine Reihe von Metastudien publiziert worden, die zeigen, dass im Mittel Begabungen, also die Eignung, deutlich höher mit dem späteren beruflichen Erfolg zusammenhängen als die Interessen, also die Neigungen. Das heißt nicht, dass das Interesse unwichtig ist, aber es zeigt, dass die alltagspsychologische Annahme, wonach es am wichtigsten sei, dass man sich für einen Beruf interessiert, so nicht zutrifft. Hinzu kommt, dass Begabungen weniger veränderbar sind als Interessen. Begabungen sind spätestens ab dem jungen Erwachsenenalter auch über lange Zeiträume erstaunlich stabil. Interessen und auch die Persönlichkeit sind hingegen im Laufe des Lebens wesentlich variabler und unterliegen viel stärkeren Schwankungen.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen bestimmten Persönlichkeitseigenschaften und beruflichem Erfolg?

Generell sind diese Zusammenhänge geringer als für Begabungen und Interessen. Es gibt einige grundlegende Befunde. Für Berufe im Vertrieb oder im Verkauf und vor allem auch für Führungskräfte scheint eine extravertierte Persönlichkeit besonders wichtig zu sein. Introvertierte Menschen sind besser, wenn es um detailorientiertes Arbeiten geht. Wissenschaftler, Techniker, Informatiker und Bibliothekare sind oft eher introvertiert.

Welche Persönlichkeitseigenschaft ist besonders wichtig für beruflichen Erfolg?

Eine hohe Gewissenhaftigkeit ist für den Berufserfolg sehr hilfreich. Ausnahmen sind zum Beispiel Führungskräfte, bei denen sich eine sehr hohe Gewissenhaftigkeit sogar ungünstig auswirken kann. Eine extrem gewissenhafte Führungskraft läuft Gefahr, sich in Details zu verlieren und das große Ganze aus den Augen zu verlieren.

Warum sind unfreundliche Zeitgenossen manchmal beruflich erfolgreicher als nette Menschen?

Weil sie zumeist durchsetzungskräftiger sind. Für wenig umgängliche Menschen ist es nicht so wichtig, beliebt zu sein, so dass sie auch eher ihre Sichtweise durchsetzen beziehungsweise ihre Ziele erreichen können. Nette Menschen sind hingegen erfolgreicher, wenn es um Berufe mit viel Eigeninitiative geht, vermutlich deshalb, weil das oft Tätigkeiten im gemeinnützigen Bereich sind. Aber auch in Berufen, in denen es auf Genauigkeit ankommt, sind umgängliche Menschen oft erfolgreicher.

Aljoscha Neubauer ist Professor für Psychologie an der ­Universität Graz. Er leitet das Institut für Differentielle ­Psychologie und erforscht seit 30 Jahren individuelle Unterschiede in kognitiven, sozialen und kreativen Begabungen und ihre neurowissenschaftlichen Grundlagen

Aljoscha Neubauers Buch Mach, was du kannst. Warum wir unseren Begabungen folgen sollten – und nicht nur unseren Interessen ist bei DVA erschienen (272 S., € 20,–)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2018: Alles zu meiner Zeit
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